Biopolitik

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Boy, oh Boy! Männergesundheit – ein politisches Thema ?!

| 4 Lesermeinungen

Der erste bundesdeutsche „Männergesundheitsbericht" ist seit Freitag auf dem Markt. Ob das nun gesellschaftlicher Fortschritt ist, geschickter Ausbau...

Der erste bundesdeutsche „Männergesundheitsbericht“ ist seit Freitag auf dem Markt. Ob das nun gesellschaftlicher Fortschritt ist, geschickter Ausbau einer Marktlücke oder effiziente Zielgruppenarbeit von wem auch immer oder vielleicht von allem etwas, wird sich wohl erst in Zukunft zeigen. Für mich als weißer westeuropäischer männlicher Mittelstandsheterosexueller ist das natürlich eine erfreuliche Gelegenheit auch mal in eine Betroffenengruppe aufzurücken – wenngleich zugegebenermaßen eine Betroffenengruppe, die sich der Hochglanz-Fachmagazine wie „Men`s Health“  bedienen kann (das natürlich auch über den Männergesundheitsbericht informiert: „Männer sind Arztmuffel mit schlechtem Gesundheitszustand“), nicht ganz sovielmMitleid erregt, wie mann es sich auch wünschen könnte. Jedenfalls ist nicht zu bestreiten, dass es gute Gründe gibt, sich mit der Gesundheit von uns Männern zu befassen – und das nicht nur weil Prostata- und Hodenkrebs spezifisch männliche Erkrankungen sind. Unsere, trotz höherer Einkommen, geringere Lebenserwartung, die steigende Zahl von Männern mit Fertilitäts-und Erektionsstörungen, aber auch eine (abhängig vom Alter) mehrfach höhere Suizidrate von Männern sind Themen, mit denen sich die Gesellschaft  ungern befasst, wenn nicht gerade ein Profi-Fußballer verzweifelt und sich umbringt oder ein bekannter Schauspieler sich als unfruchtbar outet.   

„Die Gesellschaft“ ist hier allerdings eine vielleicht unzutreffend verallgemeinernde Formulierung, denn in Sachen Männergesundheit gibt es, wie auch in Sachen Sterbehilfe, PID oder Transplantationsmedizingesetze, europaweit recht unterschiedliche Herangehensweisen. Besonders viel Aufmerksamkeit erfahren Männer, wie ich nach ausgedehnten Reisen durchs Internet mittlerweile weiß, in der Alpenrepublik Österreich: Hier gibt es zwar noch kein Männerministerium, aber immerhin eine männerpolitische Grundsatzabteilung  (Abteilung 5 der Sektion V: „Europäische, internationale und sozialpolitische Grundsatzfragen“, Abteilung 6 befasst sich dann mit „Seniorenpolitischen Grundsatzfragen“, was nahelegt sich Luhmann folgend mit der Frage zu befassen, wie Verwaltung organisiert wird und damit auch Gesellschaft organisiert) im Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (nicht dagegen im Frauenministerium, das bemerkenswerterweise direkt im Bundeskanzleramt angesiedelt ist und ´“Ministerium für Frauenangelegenheiten und Öffentlichen Dienst“ heißt, was grundlegende Fragen aufwirft, die wir einem späteren gender-mainstreaming-blog vorbehalten; es gibt außerdem noch ein Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend, was signalisiert, dass jedes Unternehmen irgendwie auch immer ein Familienbetrieb ist). Die österreichischen Männerpolitiker haben schon vor sechs Jahren den ersten „Männergesundheitsbericht“ Europas veröffentlicht und  ein Jahr später sogar einen noch umfassenderen „Männerbericht“ mit einem schönen Kapitel über „Buben und Burschenarbeit in Österreich“ … kurz: Österreich ist in Sachen Männergesundheit Spitzenreiter (ich will mal nicht hoffen, dass es irgendeinen Zusammenhang damit gibt, dass es gleichzeitig in Sachen Kinderbetreuung nach Auffassung der OECD das Schlusslicht darstellt).

Aber jetzt zieht Deutschland nach – auch wenn der 1.Männergesundheitsbericht, der gerade vorgestellt wurde, noch kein offizielles Dokument ist, sondern eine private Gemeinschaftsleistung von Stiftung Männergesundheit e.V. und Deutscher Gesellschaft für Mann und Gesundheit e.V., unterstützt von der Deutschen Krankenversicherung ist. Die Erkenntnisse des knapp 200seitigen Berichts erscheinen mir mäßig überraschend: Männer nutzen Präventionsangebote zu wenig, weil sie auch nur unzureichend auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet sind, Männer gehen zu spät und zu selten zum Arzt. Großen Wert legen die Autorinnen und Autoren des Berichts allerdings darauf, uns Betroffene selbst ein wenig aus der Verantwortung zu nehmen – was im Fall der Männergesundheit speziellen Problemen unterliegt: „Es wird deutlich, dass Männer keine Gesundheitsidioten sind, als die sie immer wieder dargestellt werden. Es ist vielmehr die gesellschaftliche Sicht auf Männer, die sich ändern muss, und daran müssen die Männer natürlich selbst mitarbeiten.“

Das ist wohl auch der grundlegende Unterschied zwischen der Perspektive von Frauengesundheitsforschung und dem nun sich Raum nehmenden Bestreben, Männergesundheit zum gesellschaftlichen Thema zu machen: Frauen mussten versuchen in einem stark männderdominierten Medizinbetrieb ihre Sichtweisen, Erfahrungen und Probleme in den Blick zu rücken, Männer haben das Problem in einer von ihnen nachhaltig geprägten Gesellschaft gegen die gesundheitlichen und psychosozialen Folgen der eigenen Dominanz anzugehen. Deswegen mutet auch der empört-beleidigte Gestus der beklagt, dass Männer heute das wahrhaft benachteiligte Geschlecht wären, der manche Stellungnahme im Kontext der Männer Gesundheitsdiskussion prägt, befremdlich an.

Auch die Stellungnahme der Bundesfamilienministerin Kristina Schröder aus Anlaß der Vorstellung des 1. (deutschen) Männergesundheitsberichts geht insoweit zwar nicht fehl, zielt aber auch nicht sehr genau: „Wir wissen, dass inzwischen nicht Mädchen, sondern Jungen als Problemkinder erscheinen. Das liegt unter anderem daran, dass es in Kindergärten und Schulen kaum männliche Erzieher und Lehrer gibt, die Rollenvorbilder sein können. Die Aufgabe von Politik muss sein, faire Chancen für Jungen und Mädchen zu schaffen. Wir wollen deshalb mehr Jungen und Männer für zukunftsträchtige Erziehungs-, Sozial- und Gesundheitsberufe gewinnen. Deshalb starten wir zum Beispiel im nächsten Jahr den bundesweiten Boy’s Day. Durch diese Jungenförderung können wir dann auch auf falsche Männlichkeitsvorstellungen eine Antwort finden.“

Dass in der Vergangenheit so wenig Jungs die zukunftsträchtigen Erziehungs-, Gesundheits- und Sozialberufe gewählt haben, hängt wohl zu nicht unerheblichen Teilen mit dem geringen Sozialprestige dieser Berufe zusammen, die sich nicht zuletzt in der schlechten Bezahlung ausdrückt. Daran ändert ein Boys Day aber sicher wenig. Das ist kein Grund Männergesundheit nicht zum Thema zu machen. Wir sollten uns aber klar machen, dass Männer wohl weniger eine starke Lobby brauchen, die sich für sie einsetzt, als mehr Bereitschaft, sich mit der eigenen Rolle und deren (nicht nur) gesundheitlichen Folgen auseinanderzusetzen und Veränderungen einzuleiten. Stoff dafür gibt es einigen, ich fand recht anregend das Manifest Männergesundheit des Arbeitsgruppe Mann und Gesundheit der Männerbildung Bern.

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4 Lesermeinungen

  1. derwahrheit sagt:

    Wer seinen Beruf nach dem...
    Wer seinen Beruf nach dem Sozialprestige wählt, ist zu bemitleiden und keinem Kind als Vorbild zu wünschen.
    Allerdings spiegelt die geringe Bezahlung von Grundschullehrern deren kürzere, unterachtsemestrige Ausbildung wieder. Die wählen dann gern mal Leute, die sich acht und mehr Semester intellektuell und charakterlich nicht zutrauen. Das ist das eigentliche Problem: eine Überzahl von weltfremden, intellektuell wenig anregungsreichen Tanten (und Onkeln) im Lehrkörper deutscher Grundschulen.

  2. Sehr geehrter Herr...
    Sehr geehrter Herr Tolmein,
    als einer der Herausgeber des genannten Männergesundheitsberichts möchte ich nun doch auf Ihren Beitrag antworten. Denn in Ihrem bemüht intellektuellen Artikel zeigen Sie sich genau so, wie es für Männer beim Gesundheitsthema so typisch ist: Nur so ein bisschen Bescheid wissen, aber trotzdem eine Meinung äußern wollen. Ziel dieses Verhaltens ist nach meinen Erfahrungen vor allem eines: Sich selbst nicht auf das Thema einlassen. – Oder ist die FAZ einfach nur bockig, weil sie die Berichterstattung letzte Woche verpasst hat?
    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Matthias Stiehler

  3. tolmein sagt:

    @Stiehler: gewichtige...
    @Stiehler: gewichtige Argumente gut vorgetragen können doch immer wieder überzeugen.

  4. Mitleser sagt:

    Der "Männerbericht" ist genau...
    Der „Männerbericht“ ist genau so überflüssig wie die diversen Pressemitteilungen gewisser Kreise, die versuchen, die Bevölkerung zur „Grippe-Impfung“ zu treiben. Im letzten Monat verging kaum ein Tag, an dem nicht eine neue Horrormeldung über die Gefahren der Grippe veröffentlicht wurde.
    Vermutlich sind Männer besonders geeignet zu erkennen, wer ihnen wo und wann das Geld und ihre Zeit stehlen wollen. Auch ein Onkel von mir klagt, dass selbst nach 20 h in seine Privatsprechstunde als Chefarzt einer Privatklinik immer weniger Männer kommen und er hätte doch so viele Leistungen anzubieten.
    Genau diese Aufdringlichkeit ist es wohl, die mich mit über 40 seit 25 Jahren daran hindert, einen zeitraubenden und überflüssigen Arztbesuch zu absolvieren. Da freue ich mich schon auf meine nächste ordentliche Teilrückzahlung sinnlos ausgegebenen Geldes meiner privaten Krankenkasse.
    Und wenn ich mir überlege, dass es wahrscheinlicher ist, sich in einem deutschen Krankenhaus mit SMRA Viren zu verseuchen als mit einnem Flugzeug einer l unsicher geltenden Fluggesellschaft abzustürzen, dann nehme ich mir leiber Zeit für meinen täglichen halbstündigen Dauerlauf. Deshalb fehlt mir auch die Zeit für die Lektüre solcher überflüssiger Studien. Die PR Arbeit des Gesundheitssystems war schon immer schlecht und peinlich. Wen hat z.B. in der Vergangenheit die AOK-Werbung vom Hocker gerissen? Da besteht gewiss noch Nachholbedarf anm Lernen, wie man wirklich gute Kampagnen „reißt“.

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