Biopolitik

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Dieses Blog ist geschlossen. Es ist als Archiv über die biopolitische Debatte 2008 bis 2012 hier weiter einzusehen. Aktuelle Entwicklungen zum Thema

Konservativismus, PID und das Autoradio Teil 1

| 4 Lesermeinungen

Autofahren ist nicht umweltfreundlich, bildet dafür aber, oder regt jedenfalls gelegentlich Gedanken an, weil man dabei viel besser Radio hören kann als im...

Autofahren ist nicht umweltfreundlich, bildet dafür aber, oder regt jedenfalls gelegentlich Gedanken an, weil man dabei viel besser Radio hören kann als im Zug und man gar nicht ffn hören muss. Heute also auf der Fahrt in ein Pflegeheim, wo ich mir als Verfahrenspfleger einen Eindruck darüber verschaffen sollte, ob es dem mutmaßlichen Willen eines jungen, aber seit langem im Wachkoma liegenden Mannes entspricht, nicht mehr über eine PEG-Sonde ernährt zu werden, reflektierte Michael Stürmer im Deutschlandfunk, ob die Debatte über die Präimplantationsdiagnostik (PID) dafür taugt das konservative Profil der CDU zu schärfen. Nein, taugt es nach Stürmers Meinung, die ich sonst wohl nicht wahrgenommen hätte, nicht. Denn, so die überraschend gläubige Volte des Historikers, Gott habe der Menschhheit diese wunderbare Technik gegeben, mit der sich Leid verhindern ließe, als sollte man sie auch nutzen. Dass auch der junge CSU-Politiker Markus Blume bei PID im wesentlichen an „schwierig“ dachte und nicht so recht ein noch aus wußte, bestätigte Stürmer auf gewisse Weise. Bettina Gaus von der „taz“, gewiss keine Konservative, mochte als einzige in der Dreierrunde gewisse Gründe für ein Verbot der PID erkennen ohne sich gleichzeitig entschieden dafür auszusprechen -und auch das klärte eindeutig: nein,  bioethische Themen sind es wohl nicht, mit denen die CDU/CSU sich als konservative Partei profilieren kann.

Das hatte ich mir natürlich schon gedacht, fand es aber doch eindrucksvoll, dass gerade von Herrn Stürmer bestätigt zu bekommen. Die interessante sich daran anschließende Frage blieb allerdings weitgehend ungeklärt: Wenn mit dem Verbot der PID in Sachen „konservatives Image“ nichts zu gewinnen ist, warum hat sich die Bundeskanzlerin dann so früh und so dezidiert positioniert? Hat sie es nicht gemerkt? Unterliegt sie einer Fehleinschätzung? Geht es ihr aus anderen als aus taktischen Gründen um das Thema?

Dass jetzt mit Wolfgang Schäuble ein weiterer CDU-Politiker gegen ein PID-Verbot  Stellung bezogen hat, treibt die Diskussion dagegen auf rechtübersichtliche Weise weiter: In der Öffentlichkeit wird das als schwerer Schlag für die Befürworter eines PID-Verbots wahrgenommen, weil Schäuble, wie es in dem einen oder anderen Bericht so schön heißt, „der ranghöchste behinderte Politiker“ Deutschlands sei.Wunderbar. Hier kommt etwas von der Betroffenen-Perspektive zumTragen, was eigentlich aus den identitätspolitischen Grundsätzen der Grünen in älteren Zeiten stammt: Betroffenen wissen am besten wo es langgeht. Das ist in vielerlei Hinsicht unzutreffend. Und so erfreulich es ist, dass es auch einen hochrangigen Bundesminister mit einer Behinderung gibt, so wenig wird der dadurch zu einer besonderen Koryphäe in der Behindertenpolitik oder gar in Fragen von Antidiskriminierungspolitik. Hier sei nur an den mittlerweile verstorbenen Supermann-Darsteller Christopher Reeve erinnert , der auch, trotz oder wegen seiner Querschnittlähmung, ein engagierter Verfechter aller ethisch problematischen biomedizinischen Verfahren war, insbesondere der Forschung mit embryonalen Stammzellen.

Nun, die PID-Debatte auf dem CDU-Parteitag ist auf heute verschoben. Gut, dass ich wieder unterwegs bin. Zuerst in ein weiteres Heim, diesmal geht es um den mutmaßlichen Willen einer hochbetagten, dementen Frau – die Zahl der Anträge auf Abbruch der künstlichen Ernährung nimmt offenbar  zu. Dann noch anderthalb Stunden Fahrt  zum Sozialgericht nach Schleswig. Reichlich Zeit mehr über Verhältnis von CDU, Konservativismus und PID zu hören und nachzudenken.

 

 

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4 Lesermeinungen

  1. Merkel hat entweder den...
    Merkel hat entweder den richtigen Instinkt oder psychoanalytisch versierte Berater oder beides. Ich versuche es durch eine Parallele zu erklären:
    1990 weigerte sich der belgische König Baudouin I., ein Gesetz zu unterschreiben, das die Abtreibung liberalisiert. Er ließ sich für einen Tag regierungsunfähig erklären, die belgische Regierung übernahm – wie in der Verfassung vorgesehen – an diesem Tag die Funktion des Staatsoberhaupts, alle Regierungsmitglieder unterschrieben das Gesetz. Nun fragen wir uns, was der König mit seiner Weigerung erreicht hat. Das liberale Abtreibungsgesetz hat er ja nicht verhindert. Oh, er hat durchaus etwas erreicht! Als König ist er eine Vaterfigur, der Landesvater, die Belgier bringen ihm – bewusst oder unbewusst – Gefühle wie einem (Über)Vater entgegen. Wie kann er da einem Gesetz zustimmen, das die Tötung ungeborener Landeskinder erlaubt? Mit seiner Weigerung, das Gesetz zu unterschreiben, hat er die bewusste oder unbewusste Liebe seine Belgier, mit der sie an ihm hängen, vermehrt. (Wer glaubt, diese schwärmerische Liebe zum König sei gar nicht so stark, lasse die Hofberichterstattung der Regenbogenpresse auf sich wirken!)
    Nun zu Merkel: Auch sie ist für viele Deutsche bewusst oder unbewusst Mutterfigur, ihre Landesmutter, man bringt ihr Liebe wie einer (Über)Mutter entgegen, wie früher der Königin. Wie könnte Mutter Merkel da zustimmen, dass Landeskinder im Embryonalstadium getötet werden! Das ließe diese irrationale Liebe doch ganz schön abkühlen und könnte sich bei den nächsten Wahlen rächen. (Ähnlich könnte es mit der Sterbehilfe gehen: Irgendwelche Bösewichte wie Kusch, bestimmte Ärzte oder Richter setzen durch, dass deutsche Landeskinder getötet werden dürfen, aber unsere Königin strahlt weiter in Unschuld.)

  2. Mitleser sagt:

    Da fragt man sich, was ein...
    Da fragt man sich, was ein behinderter Politiker mit einer Frau zu tun hat, die kein behindertes Kind haben will. Aber was solls. In Belgien gibt es die PID und in vielen anderen Ländern auch. Hier ein Beispiel aus der FAZ:
    https://www.faz.net/s/Rub7FC5BF30C45B402F96E964EF8CE790E1/Doc~ED4051AB538514642B3F0FD99D5562F3B~ATpl~Ecommon~Scontent.html
    Ein gutes Leben war schon immer eine Frage des Preises.
    Wenn dieser Antrag im BT so durchgeht, was ich nicht glaube, dann bekommen die reichen Mütter die gesunden Kinder im Ausland und die armen Mütter müssen bangen und ggf. in den sauren deutschen Apfel beißen. Die CDU stört das natürlich nicht.

  3. Hans sagt:

    Konservatismus?...
    Konservatismus?

  4. HJS sagt:

    Werter Herr Tolmein,

    ich...
    Werter Herr Tolmein,
    ich finde es gut, was sie hier tun. Auch weil ihre Einlassungen niemals suggerieren, sie seien der Weisheit letzter Schluss, was letztendlich in der Natur der ethischen Sache liegt.
    Danke.

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