Biopolitik

Ist die Würde des Tieres unantastbar?

Was die Menschenwürde ist, was sie ausschließt und was nicht, gehört zu den zunehmend umstrittenen Fragen im Recht und zwischen Recht und Politik in Deutschland (die Auseinandersetzungen um den SPD-Kandidaten fürs Bundesverfassungsgericht Horst Dreier, der das Folterverbot relativiert hatte, waren dafür ein beredtes Beispiel). Aber gibt es, wenn es eine Menschenwürde gibt,  auch eine Tierwürde? Und eine Pflanzenwürde? Und wie weit reichen diese? In Deutschland ist das allenfalls einThema am Rande. Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat vor ein paar Jahren den Dikussionsstand in einem Leitsatz knapp zusammengefasst: „Die Garantie der Menschenwürde in Art 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in Art 1 Abs 1 GG schützt allein die Würde des Menschen, nicht der Tiere. Ein Recht auf ethischen Tierschutz kann aus der Garantie der Menschenwürde nicht hergeleitet werden.“(VG Frankfurt,NJW 2001, 1295, Az.: 1 G 429/01 (V)).

In der Schweiz sieht das ganz anders aus. Dort schreibt die Bundesverfassung fest, dass der „Würde der Kreatur“ Rechnung zu tragen sei. Das 2008 überarbeitete schweizerische Tierschutzgesetz formuliert als Gesetzeszweck, dass „die Würde und das Wohlergehen des Tieres zu schützen“ sei. Was das heißt, inwieweit sich die Würde des Tieres von der des Menschen unterscheidet und warum, ist offenbar auch bei den Eidgenossen umstritten. Insbesondere haben die gesetzlichen Regelungen zur Tierwürde in der Schweiz offenbar Folgen für die Möglichkeit Tierversuche durchzuführen, weswegen sich die jetzt die Schweizerische Akademie der Wissenschaften (SAMW) zu Wort gemeldet hat und in einer Stellungnahme das Verhältnis von Tierwürde, Möglichkeiten der Güterabwägung und Tierversuchen reflektiert. Die Tierethiker sind dabei besonders bemüht herauszuarbeiten, dass die tierwürde bereits gewahrt ist, wenn in einer umfassenden Güterabwägung ermittelt worden ist, ob ein Tierversuch eingedenk der Schmerzen und Ängste, die er bei dem Tier auslösen kann, gerechtfertigt ist. Dagegen steht die Position, dass neben Schmerzen und Ängsten die Würde des Tieres ein eigener Prüfungspunkt bei der Güterabwägung ist: das mag akademisch klingen, ist aber praktisch von enormer Bedeutung. Die Ethiker der SAMW  vertreten:

„Die Achtung der Würde des Tieres ist aber nicht an bestimmte Merkmale oder Handlungen gebunden, sondern sie gebietet einen ethisch verantwortungsvollen Umgang mit ihm, das heisst, eine sorgfältige Güterabwägung und die Orientierung am Resultat.“

Geht man dagegen davon aus, dass Würde mehr und vielleicht sogar etwas anderes verlangt als nurdie Berücksichtigung von Schmerzen, Ängsten, Leiden oder Schäden, dann wird die in Tierversuchen zumeist erforderliche „Orientierung am Resultat“ schwer zu begründen sein.

Mich interessiert dabei auch die Frage, welche Auswirkungen diese Debatte über Tierwürde mit Blick auf die Menschenwürde hat: Einerseits ließe sich vertreten, dass ein sehr pragmatisch orientierter Umgang mit der Tierwürde auch die Diskussion um Menschenwürde auf lange Sicht negativ beeinflusst, weil er dafür steht, dass Würde an sich ein relativierbares Konzept ist. Auf der anderen Seite macht das Argument auch andersherum Sinn: Gerade dadurch, dass man deutlich macht, dass die Würde des Tieres einem anderen Konzept folgt, als die Würde des Menschen unterstreicht man den besonderen, singulären Charakter der Menschenwürde. Dafür wird einem heute gerne „Speziesismus“ vorgeworfen – damit kann ich leben. Allerdings finde ich etliche der Tierversuche, die heute durchgeführt werden (sollen), und denen in der Schweiz erstmals durch die Einführung des Konzepts der Tierwürde begegnet werden konnte, auch höchst bedenklich, beispielsweise die Versuche an Makaken-Affen, die durchzufhren das Bundesgericht in Lausanne der Eidgenössichen Technischen Hochschule in Zürich untersagte (ein Urteil, das wohl auch den Anlaß für die hier erwähnte Stellungnahme der  SAMW lieferte). Am Institut für Neuroinformatik war folgender Versuch bewilligt (und erst später gegen den Protest der Wissenschaftler verboten) worden:

„Die Forscher sehen vor, vier Rhesusaffen – eine Primatenart aus der Gattung der Makaken – in zwei unter Narkose durchgeführten Operationen je eine Kopfhalterung auf dem Schädelknochen zu montieren und eine Ableitungskammer, durch welche die Messelektroden eingeführt werden, unter dem Schädeldach einzusetzen. In einer Trainingsphase von 3 bis 12 Monaten sollen die Affen an den Primatenstuhl und das Lösen visueller Aufgaben gewöhnt werden. Hierauf folgt die eigentliche Versuchsphase von einem Jahr. Die einzelnen Versuchssitzungen dauern – sofern das Versuchstier die Mitarbeit nicht verweigert – zweieinhalb bis drei, höchstens vier Stunden. Während der Sitzung müssen die Tiere, die am Kopf im Primatenstuhl so fixiert sind, dass sie diesen nicht mehr bewegen können, Aufgaben zur Bestimmung der sogenannten Vernier-Sehschärfe lösen: Zu diesem Zweck werden auf einem Bildschirm jeweils zwei vertikale Linien dargestellt, von denen die untere seitlich etwas verschoben ist. Die Affen können durch Ziehen eines vor dem Stuhl angebrachten Hebels angeben, ob die Linie nach links oder rechts verschoben ist. Für eine richtige Antwort erhalten sie einige Tropfen verdünnten Fruchtsaft. An den Tagen der Versuchssitzungen wird den Tieren der freie Zugang zum Wasser entzogen, um sie zur Mitarbeit zu motivieren. Kann ein Versuchstier seinen Flüssigkeitsbedarf bei den Tests nicht decken, wird ihm einige Stunden später zusätzliche Flüssigkeit verabreicht. Ein Tier wird etwa eineinhalb bis zwei Jahre in dieser Versuchsanordnung eingesetzt, bis es für eine genauere anatomische Lokalisation der vorgenommenen Ableitungen eingeschläfert wird.“

Allerdings frage ich mich, ob derartige Experimente nicht auch ohne das meines Erachtens eher Verwirrung stiftende Konzept der Tierwürde untersagt werden können. 

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