Biopolitik

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Ärztekammerpolitik von Suizidbeihilfe bis Rationierung: Bilanz 2010

| 8 Lesermeinungen

Was, fragt man sich, treibt den Präsidenten der Bundesärztekammer dazu, in einer Zeit, in der allgemein Bilanz gezogen wird und man sich über gute Vorsätze...

Was, fragt man sich, treibt den Präsidenten der Bundesärztekammer dazu, in einer Zeit, in der allgemein Bilanz gezogen wird und man sich über gute Vorsätze fürs neue Jahr Gedanken macht, in Sachen Bioethik nochmal zwei, drei Paukenschläge zu versuchen? Ärztliche Beihilfe zum Suizid soll nicht mehr standeswidrig sein, weil das Strafrecht sie auch nicht verbietet. Und die Absage an die Präimplantationsdiagnose, die der Deutsche Ärztetag 2002 noch voller Überzeugung formulierte, gilt nunmehr als „unlogisch“. Die Überzeugung ist es nicht, die den Rechtsmediziner und Pathologen Jörg-Dietrich Hoppe, der seit 11 Jahren im Amt ist, zu derlei Bekenntnissen getrieben haben, denn Hoppe ist eher der Riege der Wertkonservativen zuzuordnen. Folglich wünscht er sich auch in die guten alten Zeiten zurück, als es weder PID noch Präimplantationsdiagnostik gab und man angeblich „Kinder so akzeptiert (hat), wie sie auf die Welt gekommen sind.“ (Davon kann allerdings keine Rede sein: auch in den Vor- und Nach-NS-Zeiten, wurden Kinder mit Behinderungen nicht selten umgebracht, liegen gelassen oder später versteckt und ausgegrenzt).

Profunde neue Erkenntnisse sind es wohl auch nicht sein, die Hoppes standespolitischen Schwenk motiviert haben: Suizid ist in Deutschland, wie Hoppe hoffentlich wissen wird, schon seit Jahrzehnten nicht verboten, ohne dass das die Ärzteschaft daran gehindert hätte, ihre standesrechtliche Absage an den ärztlich assistierten Suizid beizubehalten. Das macht auch durchaus Sinn. Denn wenn man überhaupt davon ausgeht, dass es gute Gründe dafür gibt, dass Ärzte sich über ihre Kammern (in denen sie verpflichtend Mitglied sind) ein eigenes Berufsrecht geben, dann braucht es auch nicht mit dem Strafrecht deckungsgleich zu sein: Das Strafrecht wendet sich an alle Menschen, das Standesrecht – das ja auch ganz andere Sanktionen kennt – zielt mit seinen Verhaltensanweisungen nur auf eine sehr spezielle Gruppe. Und es macht ja durchaus einen Unterschied, ob eine Bäckersfrau ihrem Mann oder einer guten Freundin hilft, sich umzubringen oder ob ein Arzt seine im Studium erworbenen und sonst im Rahmen von ärztlichen Behandlungen angewandten Kenntnisse nutzt um einem lebensmüden Menschen den Suizid zu erleichtern oder sogar zu ermöglichen.

Hoppe führt auch Argumente für seine Position an, die er aus der Debatte um Patientenverfügungen schöpft:

„Wir Ärzte haben immer gemeint, wir müssten bis zum letzten Atemzug um das Leben der Patienten kämpfen. Wir müssen aber verstehen, dass lebenserhaltende Maßnahmen das Leiden mitunter nur verlängern und Patienten die Hilfe gar nicht mehr wollen. Hier müssen wir umdenken.“

Ein solches Statement nach reichlich 15 Jahren harter Kontroverse um Patientenverfügungen und einer schon Anfang der 1990er Jahre ausgefeilten Rechtsprechung der Obergerichte zum Selbstbestimmungsrecht der Patienten, mutet allerdings höchst irritierend an. Die Erkenntnis, dass Patienten nicht nur mitunter, sondern gar nicht so selten keine Ärzte wünschen,die bis zum letzten Atemzug um ihr Leben kämpfen, ist allerdings in weiten Teilen der Medizin durchaus früher angekommen – und prägt im übrigen auch Grundsätze der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung von 2004, in denen es in der Präambel heißt:

„Aufgabe des Arztes ist es, unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wieder herzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht daher nicht unter allen Umständen.“

Was will uns Hoppe also damit sagen, worauf will er uns einstimmen, wenn er sechs Jahre später als neue Erkenntnis präsentiert, dass Ärzte sich dem Patientenwillen „unterordnen“ müssen und der Arzt „nicht mehr der (ist), der den Patienten führt.“(auch ein hübscher Begriff: der ärztliche Patienten-Führer)?

Der Schlüssel liegt möglicherweise in dem, was Hoppe nicht sagt – darauf hat der geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospizstiftung in einer scharfen Stellungnahme hingewiesen:

„Tatsächlich erwarten die Betroffenen in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen oder zu Hause eine würdige Begleitung in den letzten Monaten ihres Lebens. Niemand darf gegen seinen Willen behandelt werden. Doch das Recht von Schwerstkranken und Sterbenden auf professionelle Leidenslinderung und Sterbebegleitung ignoriert das deutsche Gesundheitssystem. Nur 14 Prozent der Schwerstkranken und Sterbenden erhalten eine professionelle Sterbebegleitung. Dazu vom Präsidenten der Ärztekammer kein Wort.“

Das Jahr 2010 hat angefangen mit einem Interview Hoppes in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, in dem der Ärztekammerpräsident die „heimliche Rationierung“ im deutschen Gesundheitsweisen beklagte und eine offene Debatte darüber forderte,  welche Patienten und Krankheiten künftig mit welcher Priorität behandelt würden: „Diese Entscheidung muss die Politik treffen, nicht die Ärzteschaft.“

Jetzt beendet er das Jahr mit Schweigen über die Schwierigkeiten der Palliativmedizin und ein wenig resignativ klingenden, auch etwas trotzig wirkenden Ankündigung, der ärztlichen Suizidbeihilfe nichts mehr entgegensetzen zu wollen: Was für eine Entwicklung. Jörg-Dietrich Hoppe ist kein kühler gesundheitspolitischer Stratege – seine Interviewabfolge ist keinem nüchternen Kalkül geschuldet, eher dürfte sie zufällig sein. In einer so kritischen Phase der deutschen Gesundheitspolitik und der medizinethischen Debatte kann einen das wenig trösten.

PS.: Für die Zukunft des assistierten Suizids in Deutschland gibt es allerdings eine wichtigere Frage, als die, die sich die Standesrechtler stellen. Auch wenn ein Arzt zum Suizid verhelfen will und darf, muss er entsprechende Wirkstoffe zu diesem Zweck verschreiben dürfen. Das richtet sich aber nicht nach ärztlichen Berufsrecht, sondern nach dem Betäubungsmittelgesetz und den dazu erlassenen Verordnungen. Ob der deutsche Staat hier eine Freigabe verhindern darf, entscheidet demnächst der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Ob er sie gegebenenfalls dann auch weiterhin verhindern will, wird der Gesetzgeber zu entscheiden haben….. Der Gesetzgeber, der auch versprochen hat, die gewerbliche Suizidbeihilfe unter Strafe stellen zu wollen, was er bislang allerdings noch nicht mal ein bißchen geschafft hat…..

 

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8 Lesermeinungen

  1. rene talbot sagt:

    Mit dem Standes-Oberarzt Hoppe...
    Mit dem Standes-Oberarzt Hoppe ist es wie immer das Gleiche: Er versucht die ärztliche Vormachtstellung zu verteidigen. Misslungen ist sein Haken schlagen, um damit das Patientenverfügungsgesetz ins legislaturleere laufen zu lassen. Als das offenbar wurde, weil MdB Stünker ohne den Fraktionsvorstand rechtzeitig seinen Entwurf regel konform in den Bundestag eingebracht hatte, ließ Hoppe die Hosen runter: Auf einmal wollte er doch kein Gesetz mehr.
    Seine jetzige scheinbare „Volte“ ist die andere Seite seiner Vormacht-Verteidigung: Ärzte sollen beim Sterben das wesentliche Sagen haben.
    Das wird offensichtlich, wenn bei der Sterbe-NACH-Hilfe von „Medizin zur Verfügung stellen“, statt von „Gift reichen“ die Rede ist!
    Sterbenachhilfe, Töten soll angeblich eine MEDIZINISCHE Maßnahme sein (geschichtlich kann nachgesehen werden, wer diese Auffassung vertritt)
    Dass Vergiften eben gerade KEINE ärztliche Aufgaben ist, wird sofort deutlich, weil man sonst in der gleichen Logik fordern müsste, dass es zu den Aufgaben von Jägern gehören soll, dass sie Selbstschussanlagen zur Verfügung stellen, oder zu den Aufgabe eines Architekten gehört, in jeder Wohnung feste Haken zum sich Aufhängen zu installieren. Oder es müsste dann auch Aufgabe von Architekten sein, Abrollrampen in Hochhäusern einzubauen, damit sich gelähmte Rollstuhlfahrer ohne Gefährdung Dritter in abgegrenzte Aufschlagzonen zu Tode stürzen können.
    Das Ganze ist eine unsäglich Debatte im Schwanengesang des Untergangs ärztlicher Vormachtstellung, wie wir sie jetzt erleben, weil insbesondere mit der PatVerfü keine Zwangsdiagnose mehr möglich ist und damit die ärztliche Macht, das Verhalten anderer durch Pathologisierung qua willkürlicher Definition zu disqualifizieren, zerfällt.
    rene talbot

  2. Jana Keller sagt:

    Politik und Richter sehen doch...
    Politik und Richter sehen doch sowieso schon seit Jahrzehnten tatenlos bei der Beihilfe zum Selbstmord zu – zumindestens was Selbstmord durch Zigaretten betrifft. Da sieht man, was die „Investitionen“ der Tabakindustrie in Politiker und Parteien gebracht hat – rechtsstaatliche Prinzipien haben sich eben doch dem Profit unterzuordnen. Vielleicht sollten die Ärzte ebenfalls unsere Politiker schmieren, dann können sie sich vielleicht genausoviel erlauben wie die Tabakindustrie.

  3. Lutz Barth sagt:

    Nun, verehrter Herr Tolmein,...
    Nun, verehrter Herr Tolmein, Ihre Frage, was den Präsidenten der BÄK aktuell veranlasst, ein Statement zur Liberalisierung des ärztlichen Berufsrechts in Sachen Suizidbegleitung abzugeben, bedarf natürlich einer Antwort: Die BÄK wird – so steht jedenfalls zu vermuten an – sachverständig beraten und da nimmt es nicht wunder, dass nunmehr ein eindeutiges Bekenntnis zur Liberalisierung der ärztlichen Suizidbeihilfe abgegeben wird; „Nichts“ ändern zu wollen, hieße gleichsam, einen verfassungswidrigen Zustand konservieren zu wollen. Insofern gewinnen wir dem Statement durchaus etwas Positives ab: Die Erkenntnis, dass die Oberethiker in unserem Lande auch lernfähig zu sein scheinen und eben Verfassungsinterpretation keine Hobbyphilosophie ist.
    Und in der Tat: Der Gesetzgeber ist nunmehr aufgefordert, im Zuge der Liberalisierungstendenzen etwaige Hürden im unterverfassungsrechtlichen Recht abzubauen und zwar ungeachtet der zu erwartenden Entscheidung des EMGR.
    Das „scharfe“ Statement von Eugen Brysch ist indes wenig überzeugend, lässt er sich doch nach wie vor von der irrigen Vorstellung leiten, zwischen Palliativmedizin und Sterbehilfe bestehe ein nachhaltiger Widerspruch. Dem ist mitnichten so; im Gegenteil offenbart sich hierdurch eine gewisse Machbarkeitsideologie, die im Übrigen gerne auch den Befürwortern der aktiven Sterbehilfe vorgeworfen wird. Die ständig wiederholte Rede vom „Widerspruch“ dürfte der Hospizidee mehr schaden denn nützen und es ist an der Zeit, dass dies auch der geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation entsprechend verinnerlicht, mal ganz abgesehen davon, dass ein wenig mehr Toleranz einzufordern ist.

  4. Mitleser sagt:

    Rene Talbot kann nur...
    Rene Talbot kann nur zugestimmt werden. Hier versucht jemand ein sinkendes Schiff zu retten. Wir Bürger haben Glück, denn dafür ist es zu spät. So wie in Nordeuropa und UK sind die wertkonservativen „Körper-Geist und Seele-Schützer“ politisch betrachtet nicht mehr in der Mehrheit. Das wird auch Bürger Hoppe begriffen haben, dem das seine politischen Berater wohl gesteckt haben. Hoppe und seine öffentlichen Anstalten sollte sich 2011 ganz auf das Spendensammeln für Hospize versteifen, denn von Hospizen versteht er ja wohl wenigstens etwas. Außerdem muß der angebliche Ärztemangel mit Ärzten aus Indien, Russland und Pakistan ausgeglichen werden. Hier sollte sich Hoppe mal hoplahop mit Integrationsprogrammen befassen.
    Ansonsten kann man dem neuen Jahr recht positiv entgegen sehen. Auch die BRD beginnt zu erkennen, dass der Arztstand nur aus Bürgern besteht.

  5. SGS sagt:

    Der Arzt als Todesengel?

    Eine...
    Der Arzt als Todesengel?
    Eine erschreckende Vorstellung, dass ein Arzt seine Patienten nun auch töten darf, wenn er es nur mit seinen persönlichen Überzeugungen vereinbaren kann. Herr Dr. Hoppe ist für das neue Jahr mehr Mut zu wünschen, gegen den angeblichen Zeitgeist anzukämpfen, welcher eine Selbstbestimmung propagiert, an deren Ende aber immer nur der Tod steht (Recht auf Abtreibung, Recht auf Sterbehilfe, Recht auf PID …). Wenn das Standesrecht nicht im Einklang mit dem Strafrecht steht, dann kann auch das Strafrecht dem Standesrecht angeglichen werden, Österreich oder Irland sind hierfür gute Vorbilder. Nicht der schnelle Tod ist das Ziel sondern ein menschliche Sterben!

  6. trotter5 sagt:

    Liebe Freunde von der...
    Liebe Freunde von der BÄK,
    wenn der Patient nun partout sein BTMG pflichtiges Gift will – nur zu. Interessant ist in bei der Beihilfe zur Selbsttötung dann wohl die Definition des „Kunstfehlers“. Ist es nicht ein wenig pikant, dass in einem solchen Fall ein Kunstfehler dann vorliegt, wenn der Patient am Leben bleibt oder später stirbt. Deckt das Ihre Arzthaftpflichversicherung ? Aber wenn der Zeitgeist ruft, gibt es kein Halten.

  7. Lutz Barth sagt:

    @SGS: Mit Verlaub: Sowohl das...
    @SGS: Mit Verlaub: Sowohl das Strafrecht als auch das Berufs- resp. Standesrecht der Ärzte ist u.a. an den Maßgaben des Verfassungsrechts zu messen und demzufolge zu ändern. Hiernach besteht nun kein Zweifel, dass dem Selbstbestimmungsrecht ein hoher Rang zukommt und nicht (!) durch antiquiertes Standesdenken beschränkt werden kann. Das „Recht“ und noch weniger das Verfassungsrecht übernimmt das als „Recht“, was einzelne Oberethiker in unserem Lande mit ihrer fundamentalistisch anmutenden Ethik glauben, uns als Botschaft verkünden zu müssen.
    Von daher ist es begrüßenswert, dass der Präsident der BÄK zur Einricht gelangt ist, wenngleich er selbst eine andere Gewissensentscheidung treffen würde. Nur in Parenthese sei angemerkt, dass der geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, dem Beispiel des BÄK-Präsidenten folgen sollte; dies würde einer Patienten-s c h u t z-organisation gut zu Gesichte anstehen, die anderenfalls einem Sterbetourismus Vorschub leistet! Aber vielleicht plädiert ja demnächst Eugen Brysch auch für ein Ausreiseverbot Sterbewilliger mit anschließender Sicherheitsverwahrung, in der dann den Sterbewilligen in einem Oberseminar ethische Grundlehren vermittelt werden können.

  8. Mitleser sagt:

    Prima: Österreich und Irland...
    Prima: Österreich und Irland als Vorbilder. Da gibt es noch mehr, z.B. den Vatikanstaat und Spanien. Fast könnte ich fragen, warum wandern Sie in eins dieser Staaten nicht aus?? Ok, das ist irgendwie altmodisch und kennen wir schon…Aber warum orientieren wir uns nicht einmal an Schweden, Finnland, UK und anderen liberalen Staaten???

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