Biopolitik

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Dieses Blog ist geschlossen. Es ist als Archiv über die biopolitische Debatte 2008 bis 2012 hier weiter einzusehen. Aktuelle Entwicklungen zum Thema

Leihmutter-Vertrag gescheitert, leiblicher Vater nur noch Samenspender

| 10 Lesermeinungen

Es sollte eine Leihmutterschaft werden, jetzt wird stattdessen vor Gericht über das Besuchsrecht des unfreiwillig unehelichen Vaters verhandelt. Der Prozess,...

Es sollte eine Leihmutterschaft werden, jetzt wird stattdessen vor Gericht über das Besuchsrecht des unfreiwillig unehelichen Vaters verhandelt. Der Prozess, den ein gut situiertes englisches Ehepaar (Herr und Frau W.) mit der zur Mutter gewandelten Leihmutter (Frau NT), vor dem High Court in Birmingham, über das Schicksal der mittlerweile sechs Monate alten TT  führten hatte es in sich. Frau NT unterstellte ihren Auftraggebern eine gewalttätige Ehe zu führen, sie selbst versuchte sich unter falschem Namen während ihrer Schwangerschaft Informationen über die Ws zu verschaffen. Der Richter unterstellt in seiner ausführlichen Entscheidung allen drei Erwachsenen, dass sie ihm wesentliche Details des Leihmutterschaftsvertrages, der angeblich nicht schriftlich fixiert worden war, vorenthielten. Es lässt sich leicht ausmalen warum: Leihmutterschaft ist in Großbritannien, anders als die Beihilfe zum Suizid, zwar nicht verboten, es dürfen damit aber keine Geschäfte gemacht, sondern nur, in weiterem Sinne, Unkosten erstattet werden. Alles andere wäre füralle Beteiligten strafbar. Frau NT erhielt also offiziell gerade mal 4500 englische Pfund, ihr wurde außerdem die Umstandskleidung gestellt.

Warum Frauen wie Frau NT für so ein Salär die Mühen und Risiken auf sich nehmen sollen, ihr Kind für ein anderes Paar auszutragen? Nun, die offizielle Version hat viel mit Hilfsbereitschaft zu tun und dem Wissen darum, dass nur so ungewollt kinderlose Paare zu ihrem Wunschkind kommen können.

Im hier verhandelten Fall allerdings sah auch schon diese Wirklichkeit ein wenig anders aus. Herr W., 44 Jahre alt, hat bereits eine 17jährige Tochter aus erster Ehe, die bei ihrer Mutter lebt und mit der er wenig Kontakt hat.  Frau W. hat drei Töchter zwischen 15 und 19 Jahren, von denen nur noch die Jüngste bei ihr lebt. Nach einer Krebsbehandlung kann Frau W. keine Kinder mehr bekommen. Weil Herr W. und sie aber noch ein gemeinsames Kind wollten, suchten sie über das Internet eine Leihmutter – und fanden die 25 Jahre alte NT, die schon 5jährige Zwillingssöhne hat. Man wurde sich wohl rasch einig, es gab mehrere Treffen, bei denen Frau NT sich Sperma von Herrn W. einführte und schließlich auch schwanger wurde, dann allerdings nach einigen Monaten entschied, das Kind doch selbst behalten zu wollen. Als „Samantha“, vorgeblich eine Freundin von Frau NT, nahm Frau NT nach diesem Entschluss  per E-Mail Kontakt mit dem Ehepaar W.auf und versuchte herauszubekommen, was diese machen würden, wenn sie erführen,dass  sie das Kind nicht mehr abgeben wollte. Wir ersparen uns jetzt einige Details und kommen zum Rechtsstreit, in dem versucht wurde, die Ereignisse aufzuklären und zu entscheiden, wo das Kind aufwachsen sollte. Trotz allerlei Bedenken entschied sich der Richter schließlich, das Kind bei der Mutter zu belassen, die mittlerweile schon eine enge Bindung aufgebaut hatte. Er begründete das mit dem Kindswohl, daser bei der bei der leiblichen Mutter besser gewahrt sah – vor allem weil die Auftraggeber zu seinem großen Erstaunen im Rahmen des Verfahrens mehrfach ihr Unverständnis darüber bekundet hatten, dass sich das Gericht überhaupt Gedanken machte, ob es für das Kind schädlich sein könnte, von seiner Mutter, die es auch noch stillte, zu trennen.

Sicher ist der Fall, der noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, untypisch.Allerdings dürfte das wohl für jede Entscheidung in solchen Leihmutterschaftsfällen gelten: Die Konstellation an sich ist untypisch, wenn die Vereinbarung zwischen Auftraggebern und Leihmutter gelöst wird, dürftedie Situation immer dramatisch sein und eskalieren. Das gilt vermutlich auch für alle anderen Konstellationen in denen Menschen sich vertraglich verpflichten ihren Körper ganz oder teilweise zeitweise oder dauerhaft anderen Menschen zur Verfügung zu stellen.

 

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10 Lesermeinungen

  1. ThorHa sagt:

    Die Schlussfolgerung in den...
    Die Schlussfolgerung in den letzten Artikeln ist vollkommen korrekt. Weshalb hier auch nichts dagegen spricht, den Unsinn gleich zu verbieten. Das Verbot ist – anders als bei dem der PID – nicht so leicht zu umgehen, die rechtlichen Konsequenzen können je nach Rechtslage erheblich sein und ein Verbot hätte für leihmuttersuchende Eltern sicher auch abschreckende Wirkung. Warum man nur für karriereorientierte oder über vierzigjährige gebärunfähige Frauen (scheint die Hauptklientel zu sein) das Fass „Leihmutterschaft“ überhaupt aufgemacht hat, verstehe ich ohnehin nicht. Dass der menschliche Körper KEIN Sachgegenstand zur beliebigen Verwendung ist – schon gar nicht in der Ausnahmesituation einer Schwangerschaft, wo noch ein weiterer Mensch direkt betroffen ist – gehörte vor dem biopolitischen „anything goes“ zum Allgemeingut halbwegs aufgeklärter Gesellschaften.

  2. colorcraze sagt:

    Es würde mich auch mal...
    Es würde mich auch mal interessieren, was für Leute in welchem Alter das bisher gemacht haben. Es ist ein Verstoß gegen die Integrität des Körpers. Wer keine Kinder kriegen kann und unbedingt Umgang mit ihnen haben will, kann ja wohl auch welche adoptieren oder Nachbarskinder hüten.

  3. 169StGB sagt:

    Wo wir gerade beim Thema...
    Wo wir gerade beim Thema Vaterschaft sind: Wer war nochmal der biologische Vater diese Jesus von Nazareth?

  4. Lucas73 sagt:

    Müssen deutsche Medien das...
    Müssen deutsche Medien das Thema Leihmutterschaft missbrauchen, um Freak-Stories zu verkaufen? Was ist mit den Tausenden liebenswürdigen Paaren die kinderlos bleiben müßten weil einseitige oder beidseitige Fortpflanzungsstörungen vorliegen, könnte ein anständiger Journalist mal von ihren Schicksalen berichten? Bitte?! Eine erfahren Mutter, die bereits Kinder hat, in sozial gefestigten Verhältnissen lebt und sich freiwillig entscheidet, für eine hohe Vergütung Wunsch-Eltern das Glück der Nachkommenschaft zu schenken, daran ist NICHTS, GAR NICHTS moralisch verwerfliches, im Gegenteil!
    Menschen verkaufen ihre Körper täglich Millionenfach für Nichts und Sinnlosigkeit ohne dass sich Moralapostel aufmachten, die Gesellschaft mit Verboten überziehen zu wollen.
    Die im Beispiel genannten Eltern haben Kinder, eine Patchwork-Situation und fragwürdige Methoden zur Suche und Vergütung einer Leihmutter gewählt, allerdings zwingt der Gesetzgeber in Brittanien sie dazu. Unsere Politiker sind ja noch schlimmer, sie verbieten total und zwingen Wunsch-Eltern ins Ausland zu gehen.
    Und dann diese naive und intolerante Befehligung einiger Moralapostel a la „adoptiert doch!“ – Diese kennen die Bürokraten-Folter deutscher Adoptionsregelungswut nicht und setzen voraus, jeder Vater, Mutter, Mensch könne Empathie für anonyme fremde Kinder aufbringen.
    Die Mitleidlosigkeit und Unbarmherzigkeit der meisten der radikalen PID-/Leihmutterschaftsgegner widert mich an.
    Zigtausende Abtreibungen jedes Jahr in Deutschland, wieviel in ganz Europa, EINE MILLION? Oder Spätabtreibungen? Die Verbrecherbehandlung von Angehörigen die dem Familienmitglied, dass seine unerträglichen Schmerzen nicht mehr erleiden mag, beim Freitod helfen? Es paßt alles nicht zusammen und niemand scheint da, der der Gesellschaft Halt und Antworten in solchen existentiell wichtigen, ethischen Fragen geben kann.
    Und Journalisten belästigen uns mit Nicole Kidman und derartigen Freak-Stories. Pfui.

  5. Lutz Barth sagt:

    Hm...ich frage mich die ganze...
    Hm…ich frage mich die ganze Zeit, was uns wohl Herr Tolmein mit seinem Kurzbeitrag sagen möchte? Der Hinweis darauf, dass die Beihilfe zum Suizid in England verboten sei, hilft eigentlich auch nicht so richtig weiter (im Gegenteil: er irritiert vielmehr, es sei denn, es sollte hier eine „Botschaft“ transportiert werden :))
    Ein „untypischer Fall“, der noch nicht abgeschlossen ist. Das provoziert die Nachfrage: Ja, wie bitte schön soll er denn „abgeschlossen“, wenn nicht nach den Buchstaben des englischen Rechts?
    Nun – schon die Römer kannten den Grundsatz „pacta sunt servanda“, wonach eben Verträge zu erfüllen seien (tunlichst nach Treu und Glauben) so wie wir eben nahezu täglich mit der Realität konfrontiert werden, dass Verträge „gelegentlich“ nicht eingehalten werden. Dies ist weder „dramatisch“ noch dürfte die Situation „eskalieren“ und sofern „Streit“ entbrannt ist, müssen staatliche Gerichte schlicht (und vielleicht auch manchmal ergreifend) entscheiden. Ich nehme doch an, dass dies in England ebenso gehandhabt wird und in diesem Sinne frage ich mich erneut, was möchte uns Herr Tolmein sagen?
    Wie bemerkt manchmal bei passenden Gelegenheiten anderenorts ein Kabarettist: „Man weiß es nicht“…

  6. colorcraze sagt:

    @Lucas: Ja, ich bin durchaus...
    @Lucas: Ja, ich bin durchaus der Meinung, daß man sich im Falle mit seinem körperlichen Unvermögen abfinden sollte und seine Empathie so erweitern, daß sie auch für ein „fremdes“ Kind reicht.

  7. Ralph Kurth sagt:

    Jeder Mensch muss seine...
    Jeder Mensch muss seine Grenzen kennen oder erkennen.
    Seine psychologischen, mentalen und auch koerperlichen Grenzen.
    Menschen altern und sterben; Menschen werden gezeugt und geboren.
    Wir bleiben nicht dauernd jung und wir leben nicht unendlich lange.
    Nicht jeder kann Kinder zeugen und nicht jede Frau kann Kinder gebaeren.
    Das ist so eine Grenze!

  8. colorcraze sagt:

    Es ist halt mal wieder so ein...
    Es ist halt mal wieder so ein Menschenexperiment, das wahrscheinlich zu mit Macke behafteten Kindern führen wird, so wie die Umsetzung der Idee des „multiple Mothering“, die Plato schon vorbringt, zu heftigen psychischen Macken geführt hat.
    Und zwar deswegen, weil die befruchtete Eizelle, wenn sie in ihrer Mutter heranwächst, ja in einer genetisch halb-eigenen Umgebung aufwächst, und in einer halb-fremden. Also zumindest ein Großteil ist genetisch wie die befruchtete Eizelle selbst. In der fremden Gebärmutter ist sie aber in einer genetisch anderen Umgebung, da ist nichts mehr eigenähnlich. Ich denke nicht, daß das völlig ohne Auswirkungen bleibt.
    Von der Verlusterfahrung, ein lebendig geborenes Kind nicht stillen zu dürfen (das war wohl im konkreten Fall der casus knaxus), will ich gar nicht erst anfangen.
    Also ich finde, die Menschheit sollte lieber bei den altbewährten, mit Lust verbundenen Methoden und in ihren körperlichen Grenzen bleiben, denn das hat bisher in großem Maßstab immer funktioniert!
    Was aus den Experimentalkindern wird, wird man sehen, aber erst in Jahrzehnten.

  9. Bettina sagt:

    ich finde es einerseits ganz...
    ich finde es einerseits ganz gut, dass in Deutschland die Leihmutterschaft verboten ist, andererseits treibt es die verzweifelten Frauen eben ins Ausland und damit sind die Probleme ja nicht beseitigt… Ich habe zu dem Thema auch etwas geschrieben: https://www.kinderwunsch-aktuell.de/massnahmen_und_methoden/leihmutterschaft-um-den-kinderwunsch-zu-erfullen/ und ich finde eben, bevor man die Entscheidung trifft, sich eine Leihmutter zu engagieren muss man eben daran denken: Was ist denn wenn sie das Kind doch nicht hergeben will und kann ich das mit mir vereinbaren es ihr dann trotzdem „abzunehmen“? Wobei das hier schon ein ganz komischer Fall ist und allein die Tatsache dass man im Internet nach einer Leihmutter suchen kann…. NAJA. Ehepaare die keine Kinder auf natürlichem Weg bekommen können haben leider nicht so viele Möglichkeiten, vor allem wenn eine künstliche Befruchtung usw. nicht möglich ist und eine Adoption sehr langwierig und anstrengend und unglaublich bürokratisch… Aber leihmutterschaft… bleibt für mich umstritten.

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