Biopolitik

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Wer bekommt die beste Niere? Debatte um neue Kriterien für Organspenden

| 13 Lesermeinungen

In Sachen Organtransplantation sind die USA seit langem Vorreiter. Jetzt sollen dort die Kriterien für die Verteilung von Spender-Nieren grundlegend verändert...

In Sachen Organtransplantation sind die USA seit langem Vorreiter. Jetzt sollen dort die Kriterien für die Verteilung von Spender-Nieren grundlegend verändert werden. Bislang war das entscheidende Kriterium für die Verteilung des knappen Guts Spendernieren neben der Verträglichkeit die Zeit, die jemand auf eine Transplantation gewartet hat. Künftig sollen dagegen, so sieht es ein Vorschlag vor, der bis zum 1.April 2011 öffentlich diskutiert wird,  Lebensqualitätskriterien im Mittelpunkt stehen: Das (gemessen nach einem bestimmten Index) beste Fünftel der Spendernieren soll für Patienten reserviert werden, die nach der Transplantation die höchste geschätzte Überlebensdauer (EPTS:estimated post-transplant survival) aufweisen. Die restlichen vier Fünftel der jährlich etwa 7000 von Toten gespendeten Organe sollen vorzugsweise an Empfängeraus der Altersgruppe des Spenders gehen, sie sollen also zwischen maximal15 Jahre jünger oder älter als dieser. In der medizinethischen Diskussion wird dieser Vorschlag, der von UNOS (United Network Organ Sharing) kommt als Paradigmenwechsel verstanden: Bisher, so heißt es, sei es um Fairness gegangen, wer zuerst gekommen sei, habe zuerst ein Organ erhalten, nun gehe es um effizienten Umgang mit einer knappen Ressource. Die Zahl der durch Organtransplantationen gewonnenen Lebensjahre soll optimiert werden: Organe junger Spender an alte Menschen sind dafür nicht geeignet.

In den Medien haben sich schon Medizinethiker zu Wort gemeldet, die das neue Verfahren begrüßen und als Muster für weitere Rationierungsentscheidungen ansehen. Arthur C. Caplan, ein Bioethiker der University of Pennsylvania, erklärte gegenüber der „Washington Post“, dass die Annahme dieses Vorschlags erleichtern würde andere Entscheidungen über knappe medizinische Ressourcen, zum Beispiel über teure Krebsmedikamente oder Beatmungsgeräte währen Naturkatastrophen zu treffen.

Auch deswegen dürfte es nicht allzu lange dauern, bis diese oder eine vergleichbare Debatte in Deutschland ankommt, denn die Diskussion über Rationierung – also die Begrenzung sinnvoller medizinischer Leistungen aus ökonomischen Gründen – ist zuletzt vom Ethikrat auf die Tagesordnung gesetzt worden.

Besonders problematisch an der Debatte um die Setzung neuer Verteilungskriterien für Organe (und evt. auch für medizinische Behandlungen) ist schon die Stoßrichtung: Es wird so getan, als ginge es hier um ganz rational begründete, geradezu zwingende Ziele. Tatsächlich handelt es sich aber in erster Linie um Werturteile -und damit um Diskriminierungen. Ältere Menschen werden diskriminiert (so wie heute schon Menschen mit Behinderungen bei der Organverteilung diskriminiert werden, beispielsweise bekommen Menschen mit Down-Syndrom kaum je ein Spenderherz).Vorstellbar ist, dass die Kritierien weiter ausgeweitet werden: Würde das  Glück nicht in größerem Ausmaß erhöht, wenn Organe zuerst an Menschen vergeben würden, die Kinder haben? Oder Menschen, die ansonsten sehr gesundheitsbewußt leben? Oder die wichtige berufliche Positionen inne haben oder besondere Begabungen?

Tatsächlich ist Lebenszeit allein ja ein Kriterium, das ansonsten in der medizinethischen Debatte nicht mehr viel gilt. Je effizienter man die knappen Güter aber einsetzen will, desto größer wird die Gefahr, dass hier ein Kanon an Werten und Normen etabliert wird, der mit den ansonsten auf Akzeptanz und Nicht-Diskriminierung setzenden gesellschaftlichen Entwicklungen nicht mehr viel zu tun hat.

 

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13 Lesermeinungen

  1. Howy sagt:

    Wenn so eine Diskussion die...
    Wenn so eine Diskussion die Runden macht, heißt das für mich: je schlechter es mir geht, desto verschwindet geringer die Chancen auf ein Spenderorgan. Vielen Dank.

  2. John Dean sagt:

    Zunächst: Danke für den...
    Zunächst: Danke für den Beitrag!
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    Was die Frage nach den Kriterien für die Vergabe knapper medizinischer Ressourcen betrifft, finde ich die Neuverteilung bzw. Orientierung an den voraussichtlich gewonnenen Lebensjahren gut, ja sogar sehr gut, zumal es hier einen wichtigen Ausgleich gibt durch die Kopplung des Spenderalters an das Empfängeralter. Ich würde (pardon wg. der unbeholfenen Worte) diesen Ansatz als „lebensfördernd egalitär“ bezeichnen.
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    Natürlich sind andere Verteilungskritierien/modelle denkbar, z.B. (und in gewissen Ausmaß ohnehin wirksam) die Verteilung gemäß der Finanzkraft des Empfängers – womit der Wert des Lebens an die Kaufkraft bzw. an das zentrale Marktkritierium bemessen wird. Aber so unwohl viele (auch ich) sich mit dieser Beurteilungsweise fühlen würde, so sehr muss man imho für die Gesellschaft insgesamt konstatieren, dass es hier ohnehin eine Vielfalt moralischer Maßstäbe bzw. Kriterien gibt. Und auch bei kritischer Betrachtung des Kaufkraftkriteriums und der Verteilungsmechanismen von marktwirtschaftlichen Systemen könnte man – summa summarum – vermutlich sagen, dass unter denen, die für Organe besonders zahlungsfähig/bereit sind, ein erhöhter Anteil von Menschen sein wird, die nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Gesellschaft Wertschöpfun betreiben. Das ist wie gesagt, durchaus strittig und, mehr noch, unstrittig dürfte sein, dass eine einseitige Orientierung am Kaufkraftkriterium zu einer ethisch schlechtern Verteilung von Organressourcen führen würde.
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    Nun kommt mein entscheidender Punkt (bzw. der Punkt, den ich als medizinethische Überlegung/These für maßgeblich halte): Wenn man bei der Organverteilung mehrere ethische Kriterien zugleich berücksichtigt, so optimiert man damit das damit erreichte „ethische Maximum“.
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    Auch um das Argument zu verdeutlichen, schlage ich eine alternative Verteilung knapper Organressourcen vor – zunächst eine „Primärverteilung“:
    2/5 gemäß „gewonnener Lebensjahre mit brauchbarer Lebensqualität“
    1/5 gemäß „Lebensalterähnlichkeit zw. Spender und Empfänger“
    1/5 gemäß „Kaufkraft bzw. Gebot“
    1/5 gemäß einer „Ethikkomission“, welche Fragen wie Talent, künftiger (vermuteter) Nutzen für die Allgemeinheit sowie ethische Verdienste der Empfänger berücksichtigt.
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    Alle auf Basis der angewendeten Kriterien erhaltenen Punktwerte werden im Rahmen einer „Sekundärverteilung“ mit Verträglichkeit multiplizierlt (z.B. mit „0,8“ bei einer erwarteten Verträglichkeit von 80 Prozent“ und nochmals zusätzlich gewichtet gemäß einem Faktor, der aus Verträglichkeit und „gewonnene Lebensjahre“ gebildet wird.
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    Der medizinethische Clou an diesem Modell ist m.E., dass man hier imho zeigen könnte, erstens, dass eine gewisse Kriterienvielfalt (sogar bei Berücksichtigung des Kaufkraftkriteriums) bei der „Primärverteilung“ (s.o.) zu einem a) faireren und b) ethisch besseren (!) Ergebnis führt als zustande käme, wenn man nur ein einzelnes ethisches Kriterium anwenden würde.
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    Der zweite Clou bestände darin, dass sich bei diesem (leider etwas komplexeren) Modell, das eine komplexe „Primärverteilung“ und eine „Sekundärverteilung“ (d.h. einen Gewichtungsfaktor) kombiniert, die ethische Vielfalt der Gesellschaft besser abbilden lässt. Ich denke zudem, dass eine ethische Kriterienvielfalt bei der Punktvergabe aufgrund der „Primärverteilung“ etwas demokratischer ist bzw. besser zu einer demokratischen Gesellschaft passt, die durch eine Vielfalt von Lebensentwürfen und ethischen Entwürfen gekennzeichnet ist.
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    Nachteil aus meiner Sicht: Das Kaufkraftkriterium, welches ich persönlich bei der Verteilung medizinischer Ressourcen als eher ungerecht einschätzen würde, gewänne hier Gewicht und würde bei reichen potentiellen Empfänger/innnen zu hohen Kaufkraftgeboten (zur Maximierung des eigenen Punktwertes) führen – andererseits könnten mit dieser Methode, die sich ja nur auf einen kleineren Teil der Organvergabe auswirkt, damit genau die Ressourcen mobilisiert bzw. „eingeworben“ werden, welche dann zur Rettung von Leben (z.B. für Dritte-Welt-Medizin) eingesetzt werden könnten.
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    Entscheidendes Kriterium ist für mich jeweils die „Lebensförderung“, welche in meinem Modell, das einen gewissen Freiraum für die Entfaltung der auf Kaufkraft basierenden Nachfragemacht einräumt, sich letztlich sogar stärker entfalten kann, als bei einem weniger komplexen Modell.

  3. NinaScholz sagt:

    @john dean,

    oha, lebenswertes...
    @john dean,
    oha, lebenswertes leben.
    soso.
    wie wäre es, wenn nur ein kriterium gilt, das der verträglichkeit. und falls mehrere in frage kommen, dann losentscheid. einfach, nicht diskriminierend und gibt jedem die gleiche chance.

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