Welche politische Wirkung haben eigentlich bioethische Ratschläge? Das ist nicht einfach festzustellen und hängt mit Sicherheit auch davon ab, wie sehr entsprechende Empfehlungen dem mainstream folgen. Interessant ist die Frage aber doch und insofern finde ich es begrüßenswert, dass der Ethikrat ein gutes Jahr nachdem er ( mit guten Gründen) die Abschaffung der Babyklappen empfohlen hat, am Thema dranbleibt und Bilanz zieht: Was hat die Empfehlung, die aktuell überwiegend auf Ablehnung stieß, bewirkt? Oder in diesem Fall: Warum klappen die Babyklappen noch?
Dazu gab es einige Vorträge mit Analysen zum Thema allgemein und zur Rezeption der Empfehlung damals. Eine umfassende Bilanz hat auf der Veranstaltung leider niemand gezogen, sie wäre aber wohl nicht besonders erfreulich ausgefallen. Die Regensburger Philosophin Weyma Lübbe, deren Überlegungen ich auch in anderen bioethischen Fragen sehr erhellend finde, hat für sich aus den Erfahrungen mit der Babyklappen-Debatte immerhin die erhellende Schlussfolgerung gezogen, dass der Ethikrat die eigene Position wohl nicht entschieden genug klar gestellt habe: Es hätte deutlicher gemacht werden müssen, dass Babyklappen auch dann nicht gerechtfertigt seien, wenn die Behauptung einer lebensschützenden Wirkung in sehr seltenen Einzelfällen tatsächlich belegbar wäre. Eine minimale Risikoreduktion für eine Kindstötung, wie sie durch Babyklappen bestenfalls geboten werde, lasse sich gegen andere Güter und Rechte wie dasjenige auf die Kenntnis der eigenen Abstammung abwägen. Eine derartige Abwägung fände auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen ständig statt.
Einen nicht ganz unwichtigen Beitrag zur unbefriedigenden Aufnahme der Empfehlung des Ethikrates, die Babyklappe abzuschaffen, spielen die Medien, die – wie oft in bioethischen Fragen – ein Höchstmaß an entschlossener Berichterstattung mit einer eher ungenauen Kenntnis der Materie verbinden. Für den Ethikrat hat Volker Stollorz (der auch für die FAZ und FAS schreibt) sich dieses Themas angenommen. 224 Artikel aus 29 Pressetiteln hat er zusammen mit Dr. Markus Lehmkuhl von der FU Berlin ausgewertet, bezeichnend dabei ist, dass nach einem kurzen Sturm von klassichen „Pro“ und „Contra“-Artikeln 2009 das Thema 2010 schon wieder vom Tisch ist. Die Schwierigkeiten des Ethikrates, nachhaltig auf die politische Entwicklung und die öffentliche Meinungsbildung Einfluss zu nehmen,erklären Stollorz und Lehmkuhl damit, dass der Ethikrat eine unklare Rolle innehabe:Er sei tatsächlich in der Peripherie der öffentlichen Meinungsbildung verortet, formal aber ein Gremium des politischen Zentrums.
Immerhin: Die Empfehlung des Ethikrates lief wohl – nicht ganz unwesentlich bedingt durch dessen formale Stellung als Einrichtung des politischen Zentrums – parallel zum Auftrag des Bundesfamilienministeriums zu einer ersten bundesweiten Studie zu Fallzahlen, Angeboten und Kontexten der anonymen Kindesabgabe beim Deutschen Jugendinstitut (DJI)- was allerdings die frage aufwirft, warum der Ethikrat vor den Ergebnissen der Studie seine Ergebnisse präsentierte.
Zielsetzung, Methodik und erste Ergebnisse dieser Studie stellte Joelle Coutinho, wissenschaftliche Referentin in diesem Projekt, auf der Tagung vor. Neben einer Erhebung der Fallzahlen und Verfahrensabläufe mithilfe bundesweiter schriftlicher Befragungen von 591 Jugendämtern und 343 Anbietern anonymer Kindesabgabe sowie qualitativer Interviews untersucht die Studie auch die psychosoziale Situation und Motivation betroffener Frauen. Coutinho berichtete von großen Unterschieden bei den Motiven und dem Professionalisierungsgrad der Träger sowie bei den Kooperationen und Abläufen nach einer anonymen Kindesabgabe. Babyklappe ist also nicht gleich Babyklappe – dass das Auswirkungen auf die Position des Ethikrates zu Babyklappen hat, ist nicht zu erwarten, weil dessen Kritik grundsätzlicher ist. Aber welche Auswirkungen kann es auf die Bundespolitik haben? Das ist unklar. Essteht zu befürchten: Keine: Die Lobby der Befürworter und Betreiber von Babyklappen ist sicher größer, als die von deren Gegnern.
Gerade deswegen allerdings ist die Fragen, was der Ethikrat mit seinen Stellungnahmen bewirken will: Heiße Eisen einmal angepackt haben? Themen aufgreifen, die sich (zu Unrecht) im Off befinden ? Einflußnahme auf die Politik? Impulse für die Biopolitik geben? Auch wenn ich kein so großer Freund der Meta-Diskussionen bin: Das wäre mal eine lohnende Debatte.
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h
Verehrter Herr Tolmein. Ich...
Verehrter Herr Tolmein. Ich bedauere außerordentlich, aus ihrer Feder stammend lesen zu müssen, dass Sie kein Freund von „Meta-Diskussionen“ sind, zumal ich ansonsten doch zur Erkenntnis gelangt bin, dass auch Sie sich gerade in den bioethsichen Hochdiskursen positiionieren, die sich nicht selten als „Kulturkämpfe besonderer Art“ erweisen und zumindest geografisch über die Grenzen Deutschlands hinausragen und im Zweifel mit einem wohlmeinenden Ratschlag an die europäischen Nachbarländern verbunden werden.
Eine „Meta-Diskussion“ ist ntaürlich von besonderem Interesse und da stellt sich schon die Frage, welchen „Auftrag“ die Ethikratmitglieder – jenseits des Ethikrat-Gesetzes – zu erfüllen gedenken und welchen Stellenwert wir den Expertisen des Ethikrats einräumen wollen.
Nun – mein Votum dazu ist andeutig: Hier haben einige Auserwählte das exklusive Recht, uns an ihren ethischen oder sonstigen Überzeugungen teilhaben zu lassen und vielleicht auch den einen oder anderen Abgeordneten die „Last der ureigenen Entscheidung“ dergestalt abzunehmen, als dass diese es besonders für schicklich empfinden, sich den Voten einzelner Mitglieder anzuschließen, geht diesen doch der Ruf voran, als besonders wissenschaftlich zu gelten. Aus meiner Sicht haben hier einige Damen und Herren eine Öffentlichkeitsplattform geboten bekommen, ungehindert ihre Rolle als wahre „Überzeugungstäter“ zu spielen, freilich in dem Bewusstsein, eine große Anzahl von Adressaten zu erreichen und diese von ihren Einsichten überzeugen zu können.
Aber immerhin: Die einzelnen Voten – auch gerade die Einzelvoten – belegen eindrucksvoll, wie sehr sich das Expertentum darum bemüht, uns alle zum weiteren Nachdenken anzuregen und wie soll es auch in einer pluralen Wertewelt anders sein?
Wesentliche Entscheidungen trifft schlicht das Individuum und so mancher „bioethischer Diskurs“ könnte dadurch entschärft werden, wenn Experten sich dazu entschließen könnten, sich nicht als „Oberlehrer“ eines gesamten Staatsvolkes zu präsentieren und gelegentlich auch einmal einen Blick in das „Gesetz“ statt in die „ethische und moralische Glaskugel“ zu werfen.
Experten für...
Experten für Werteabwägungsfragen gibt´s schlicht nicht, das muss schon jeder selber für sich machen. Für mich ist das einfach – wird durch Babyklappen auch nur EIN Leben mehr gerettet, als ohne, interessieren mich die zweitrangigen Rechte (nach meiner Werteordnung) überhaupt nicht mehr. Könnte also schlicht sein, dass die Werteordnung der „Experten“ keinen Widerhall in der Bevölkerung hat, mit oder ohne Lobby. Es gibt mindestens eine Berufsgruppe, für die das mittlerweile endemisch ist, nämlich Juristen. Ganz sicher Experten für geschriebenes Recht – und eher Amateure als der Durchschnittsmensch, geht´s um Gerechtigkeitsfragen.
@ThorHa: Leben retten zu...
@ThorHa: Leben retten zu wollen ist eine ehrenwert, aber trotzdem manchmal unsinnig. Zum Beispiel bei Sterbenden, aber auch – wenn ein Kind nur ein Leben als Wegwerfobjekt vor sich hat, weil es eben nicht angenommen wird, sondern nur wie ein Gegenstand herumgeschoben. Mir jedenfalls sind schon Adoptivkinder über den Weg gelaufen, die sich sehr damit herumquälten, daß ihnen ihre biologischen Eltern unbekannt waren.