Die Bundesregierung ist mit sich und der am heutigen Mittwoch von beschlossenen Änderung der „Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung“ zufrieden, die angeblich folgendes leistet: „Erstmals werden cannabishaltige Fertigarzneimittel zur Schmerzbehandlung zugelassen. Nicht aufgebrauchte Schmerzmittel dürfen künftig für andere Patienten verwendet werden. Zudem ermöglicht es die Bundesregierung den Hospizen, einen Notfallvorrat an Betäubungsmitteln parat zu halten. So gibt es keine Zeitverzögerung mehr, wenn Sterbende und Schwerstkranke unmittelbar mit Schmerzmitteln versorgt werden müssen. Bisher bedarf es für jeden Fall der gesonderten Verschreibung durch einen qualifizierten Arzt – auch dann, wenn es sich lediglich um eine Neuverschreibung handelte, weil der verordnete Vorrat aufgebraucht war. Dies führt insbesondere in den Nachtstunden und am Wochenende zu Verzögerungen und nicht hinnehmbaren Leiden der Patienten. Für Hospize bedeutet die neue Regelung eine enorme Erleichterung in ihrem Alltag. Für die Patienten bedeutet sie schnelle und kompetente Hilfe.“ (so der zuständige FDP-Abgeordnete Michael Kauch in einer Pressemitteilung, der Beschluss war schon vor einiger Zeit angekündigt worden ).
Das klingt aber nur für die gut, die die Probleme nicht kennen. Die Deutsche Hospiz Stiftung, deren Experten mit der Materie vertraut sind, haben deswegen Aufklärung betrieben und ergänzende Forderungen gestellt: „Zwar ist zu begrüßen, dass damit den 23.000 Patienten in den wenigen 165 bestehenden Hospizen ein patientenunabhängiger Schmerzmittelvorrat zur Verfügung steht. Es fehlt jedoch für die 700.000 Patienten in rund 11.000 Pflegeheimen weiterhin eine gleichlautende Regelung. Es kann nicht sein, dass den Pflegebedürftigen in den Heimen, die schon heute kein Recht haben, in ein stationäres Hospiz aufgenommen zu werden, auch noch der gleichwertige Zugang zur Schmerzversorgung vorenthalten wird. Schwerstkranke brauchen sowohl in den Pflegeheimen als auch in Hospizen gleiche Verhältnisse. Es darf bei der Schmerztherapie keine Zweiklassengesellschaft geben.“
Die Patientenschutz-Organisation hat deswegen gleich einen eigenen Gesetzesvorschlag erarbeitet, der manche Probleme lösen würde.
Aufs Ganze gesehen ist die Situation aber noch weitaus unbefriedigender, was sich insbesondere an dem Beispiel „cannabishaltigerFertigarzneimittel“ zeigen lässt. Entsprechende Mittel werden durch die neue Verordnung (der noch der Bundesrat zustimmen muss) natürlich nicht zugelassen, sondern sie werden durch eine Umstufung von Cannabis in einer Anlage der Verordnung zulassungsfähig gemacht. Was für Medikamente dann tatsächlich und für welche Indikation zugelassen werden, steht in den Sternen. Bislang ist in der Diskussion das von Bayer produzierte Sativex, das aber nur eine Zulassung für die Indikation „Spastiken bei Multipler Sklerose“ hat.
Die heute schon für viele Indikationen genutzten cannabishaltigen Dronabinol-Tropfen sind auch in Deutschland auf dem Markt – entscheidende Hürde ist die Kostenübernahme. Die GKV-Kassen zahlen in der Regel nicht. Um sie selbst zu bezahlen, sind die Tropfen aber viel zu teuer.
Verschärft hat die Situation eine Entscheidung des 6.Senats des Bundessozialgerichts aus dem Herbst 2010. Das Bundessozialgericht hat für rechtens erklärt, dass ein Arzt, der Dronabinol an einen schwer krebskranken Patienten in seiner letzten Lebensphase verschrieben hat, von der Krankenkasse in Regress genommen werden konnte. Die Voraussetzung für die Kostenübernahme durch die Krankenkasse bei so genanntem Off-Label-Use schienen zwar erfüllt (keine Alternativetherapie, schwere Leiden, Aussicht auf Besserung, Notstandssituation durch tödlich verlaufende Erkrankung), aber:
„der Einsatz von Dronabinol zielte „nur“ auf die Verbesserung der Lebensqualität in dem Sinne, dass der Erkrankte wieder mit Appetit natürliche Nahrung zu sich nimmt und dadurch der tumorinduzierten Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) entgegengewirkt wird. Der Kläger wollte mit der Anwendung von Dronabinol also nicht auf die lebensbedrohliche Erkrankung als solche einwirken, sondern nur deren weitere Auswirkungen abmildern. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33) soll dem Patienten – bildlich gesprochen – der Strohhalm der Hoffnung auf Heilung, an den er sich klammert, nicht wegen Fehlens wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verweigert werden. Hoffnungen in diesem Sinne kann ein Patient aber nur mit Behandlungsmethoden verbinden, die darauf gerichtet sind, auf seine mutmaßlich tödlich verlaufende Grunderkrankung als solche einzuwirken. Für Behandlungsverfahren, die dies nach ihrem eigenen methodischen Ansatz nicht leisten, gelten die reduzierten Wirksamkeitsanforderungen der Rechtsprechung des BVerfG von vornherein nicht.“ (BSG vom 13.10.2010, B 6 KA 48/09 R).
Kurz und brutal: Schmerzpatienten im palliativen Stadium, für die es überhaupt keine Heilungsmöglichkeiten mehr gibt, haben Pech gehabt. Die Hoffnung, in den letzten Lebenswochen und -tagen wenigstens etwas Lebensqualität zu behalten, zählt nicht. Für diejenigen, deren Krankheit noch geheilt werden kann, liegt anderen Entscheidung des Bundessozialgerichts zufolge aber der Todeszeitpunkt zu weit entfernt, so dass hier auch kein Notstand gesehen wird. Angesichts dieser Rechtsprechung ist die Entscheidung des Bundeskabinetts nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein.
Besonders trostlos wird es, wenn man bedenkt, dass auf Druck der Bundesregierung, namentlich des Bundesgesundheitsministers, das Bundesamt für Arzneimittel vor wenigen Tagen außerdem gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln in die Berufung gehen musste, die einem an schwersten Ataxien leidenden MS-Patienten ermöglicht hätte, eine Erlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis zu geben (Achtung: der Blogger meldet hier einen möglichen Interessenkonflikt: Er vertritt den schwerstkranken Patienten in dem Verfahren).
Also: Schmerz- und andere Patienten, schwerster, nicht behandelbarer Erkrankungen, die mit den Nebenwirkungen der Standardtherapien nicht zu recht kommen, denen Cannabis in irgendeiner Zubereitungsform aber hilft, haben es weiterhin extrem schwer in Deutschland.
Sie können diesen Beitrag gerne kommentieren. Sie müssen sich dafür nicht anmelden.
Aus Hanf ist der Strick...
Aus Hanf ist der Strick gemacht, den sich Scherzpatienten nehmen dürfen.
https://de.academic.ru/pictures/dewiki/49/180px-Krawatte_Kronenhochhaus_1.jpg
Es ist mir immer noch...
Es ist mir immer noch unverständlich wie die Regierung in Sachen Cannabis handelt. Dass man Hanf verbietet ist, wenn man sich mal näher mit den Gründen der Prohibition beschäftigt, zwar an sich schon ein nicht nachvollziehbarer Standpunkt. Aber sich trotz zig Studien über die Wirksamkeit von Cannabinoiden immer noch so gegen einen sinnvollen Einsatz in der Medizin zu wehren ist schlicht weg eine Frechheit. Genauso wie nur ein Fertigarzneimittel zu erlauben denn oft wird davon berichtet, dass natürliches Cannabis sowohl wirksamer als auch verträglicher ist was daran liegen könnte das nicht nur THC enthalten ist sondern ca. 60 andere Cannabinoide. Das große Problem ist nur das die Pharmaindustrie viel mehr an einen Fertigarzneimittel verdient welches meistens aus Nutzhanf gewonnen wird was an sich schon totaler Schwachsinn ist, denn Nutzhanf wurde eigentlich gezüchtet um möglichst wenig von diesen Cannabinoiden zu enthalten nur sind potentere Sorten selbst für den Anbau zur medizinischen Versorgung verboten. Wenn man sich mal so einige Dinge durch den Kopf gehen lässt fragt man sich wirklich warum nicht einfach eine neutrale Betrachtung von Drogen erfolgt sondern erst das Böse Marihuanakraut ausschließlich auf eine Substanz reduziert wird die dem BtmG unterstellt ist. Meiner Meinung nach ist es sowieso überfällig sich mal mit dem Betäubungsmittelgesetz unter neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinander zu setzten, denn dann würde es vielen einleuchten das diese Leute keine Süchtigen Cannabis ist nach Studien sogar weniger suchterzeugend als Aspirin) sind die Drogen nehmen wollen sondern nur ein besseres, würdevolleres Leben ohne Schmerzen.
Wenn endlich die...
Wenn endlich die Pharmaindustrie ihre überdrehten Gewinnerwartungen auf normales (5%) Maß zurückführte, gäbe es Raum für Cannabis; aber auch für mehr Leinen, Futterstoffe, Energielieferanten… und Prohibition erreicht immer das Gegenteil – weil sie absichtlich kriminalisiert (in jede Wohnung kann unter diesem Vorwand eingedrungen werden) – und dies ist das zweite Ziel der unerträglichen „Drogenpolitik“ in diesem Land, die sich auf ne ne ne ne nie beschränkt. Wie kleinlich und langweilig!
Was also ist zu tun? Die Frage...
Was also ist zu tun? Die Frage ist nach wie vor offen und es bleibt zu fragen, ob sich die Beantwortung aufgrund eines „Interessenkonflikts“ (?) verbietet oder gar verunmöglicht wird?
Die LeserInnen werden mit ihren Gedanken allein gelassen, obgleich es vielleicht Sinn machen würde, auf den bedeutsamen Unterschied zwischen einem verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren hinzuweisen. Als gemeinsame Schnittmenge könnte hier der sog. „Nikolaus-Beschluss“ des BVerfG (Beschluss vom 06.12.2005, Az.: 1 BvR 347/98) identifiziert werden und sofern man/frau in Anlehnung hieran argumentativ vorträgt, könnte wohl einiges dafür sprechen, dass ggf. hier eine Kurskorrektur erforderlich ist, die entweder vom Gesetzgeber zu leisten ist oder aber erneut auf ein Verfahren vor dem BVerfG gesetzt wird.
Entscheidend dürfte allerdings sein, dass es dann – hier nur in aller Kürze angedeutet – nicht um eine verfassungskonforme Auslegung des SGB V (Stichwort: Off-Label-Use) geht, sondern vielmehr um die Frage, ob ggf. die zentralen verfassungsrechtlichen Überlegungen des BVerfG auch mit Blick auf eine Ermessensentscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) durchgreifend sind, mal ganz davon abgesehen, dass hier sicherlich auch übergeordnete Aspekte zu berücksichtigen sind, die sich aus einer „Freigabe des privaten Anbaus“ ergeben und ggf. das BfArM veranlassen, eher für eine restriktive Entscheidung zu plädieren.
Wenn dies der Fall sein sollte, könnte es dann allerdings wieder Sinn machen, darüber nachzudenken, ob nicht auch der „Lebensqualtität“ ein besonderes Gewicht im Rahmen des SGB V beigemessen werden könnte, so dass dann die Solidargemeinschaft für die Kosten einzustehen hätte, will heißen: der Anspruchsteller hätte einen Anspruch auf Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Dann wären wir wieder beim „Nikolaus-Beschluss“, der in der Tat dann „erganzungsbedürftig“ erscheint und insbesondere auch unter medizinethischen Aspekten der „Lebensqualität“ den gewünschten Stellenwert beimisst.
<p>Die Gesellschaft zahlt für...
Die Gesellschaft zahlt für einen riesigen Repressionsapparat, den kein vernunftbegabter Mensch mehr als sinnvoll erachtet. Dafür erhält der Staat ein kriminelles, mafiöses Kartell und verkauft das ganze als Schutz der Bevölkerung!!
Eines schönen Tages kommt dafür die gerechte Strafe! Ich freu mich jetzt schon 🙂