Das deutsche Personenstandsrecht ist übrigens auch kein Ponyhof und ignoriert deswegen, aber nicht nur deswegen die biologische Vielfalt, die auch die Menschheit prägt: Dass es, wie das Recht nahelegt, nur Menschen zweierlei Geschlechts gibt, nämlich Männer und Frauen, überzeugt immer weniger Menschen. Das freut die, die es besonders gut wissen, Menschen, die sich oft als intersexuell bezeichnen, weil sie entweder mehr oder andere Geschlechtsmerkmale aufweisen oder weil bei ihnen verschiedene Geschlechtsbestimmungen (psychologisches, chromosomales, biologisches, soziales, hormonales…) auseinanderfallen.
Jetzt haben die Grünen, die eben nicht nur gegen die Nutzung von Atomkraft sind, einen Antrag im Bundestag eingebracht, der schon an sich erfreulich ist, weil es bei diesem Thema schon etwas bringt, wenn immer wieder darauf beharrt und daran erinnert wird, dass Männer und Frauen keine abschließenden und endgültigen Erscheinungen sind. Vielleicht führt er ja aber auch noch weiter (auch wenn man sich das angesichts der Mühen, die deutsche Parlamentarier mit Normabweichungen haben, nicht unbedingt annimmt). Andererseits sind die Forderungen der Grünen offensichtlich vernünftig und an den gängigen Menschenrechten orientiert, wie sie sich beispielsweise in der CEDAW-Konvention gegen die Benachteiligung der Frauen niederschlagen. Die Grünen verlangen unter anderem:
- „die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz so zu ändern, dass ein Geschlechtseintrag in der Geburtsurkunde auch der Existenz von intersexuellen Menschen Rechnung tragen kann;
- einen Gesetzentwurf vorzulegen, wonach die gesetzlichen Grundlagen für offizielle statistische Erhebung so geändert werden, dass bei der Angabe „Geschlecht“ nicht nur zwei Antworten möglich sind;
- sicherzustellen, dass das prophylaktische Entfernen und Verändern von Genitalorganen auch bei intersexuellen Kindern unterbleiben soll;
- gemeinsam mit den Ländern ein unabhängiges Beratungs- und Betreuungsangebot für betroffene Kinder, deren Eltern, betroffene Heranwachsende und Erwachsene, zu schaffen und dabei die Beratungs- und Selbsthilfeeinrichtungen der Betroffenenverbände einzubeziehen“
- bei den Ländern darauf hinzuwirken, dass die Fristen für die Aufbewahrung der Krankenakten bei Operationen im Genitalbereich auf 30 Jahre ab Volljährigkeit verlängert werden.
Die letztgenannte Forderung weist auf gravierendes Dilemma hin, dem intersexuelle Menschen ausgesetzt sind: Erst seit wenigen Jahren wird über das Thema Intersexualität halbwegs offen diskutiert. Zu Zeiten der geschlechtszuweisenden chirurgischen Eingriffe, denen viele Intersexuelle zum Opfer gefallen sind, war das Thema so tabuisiert, dass keine nennenswerte Aufklärung über die Eingriffe stattfand. Heute aber, da die Betroffenen versuchen, herauszufinden, was mit ihnen gemacht worden ist, und da sie darauf zielen, sich dagegen zu wehren, lassen sich nur noch in seltenen Fällen die Behandlungsakten auftreiben. Stereotyp weisen die Kliniken darauf hin, dass sie nicht verpflichtet wären, die Akten so lange aufzubewahren – und verhindern damit auch, dass die Betroffenen noch wirkungsvoll Schadensersatzsansprüche geltend machen können.
Die Grünen stehen mit ihrem parlamentarischen Engagement nicht alleine da. In der Vergangenheit hatten auch Abgeordnete der PDS (bzw. der Linken) mit dem Thema befasst und einige Fraktionen auf Länderebene.
Gegenwärtig arbeitet auch der Deutsche Ethikrat im Auftrag der Bundesregierung an einer Stellungnahme zur Situation der intersexuellen Menschen in Deutschland. Eine erste – im Internet gut dokumentierte – Veranstaltung hatte es im Sommer 2010 gegeben. (Sie trug den aus meiner Sicht nicht ganz glücklichen Titel „Intersexualität – Leben zwischen den Geschlechtern“, als handele es sich bei Intersexualität nicht auch um Varianten von Geschlecht, sondern um eine Art Zwischenform zwischen den anerkannten Geschlechtern und nicht um etwas Eigenständiges.). Gegenwärtig läuft eine schriftliche Expertenbefragung, die Fragen zu geschlechtszuweisenden chirurgischen Eingriffen stellt und zum Personenstandsrecht, aber auch zu Fragen des Personenstandsrechts und, ganz wichtig und von den Grünen leider nicht aufgegriffen, zur Entschädigung von intersexuellen Menschen, die geschlechtszuweisende Eingriffe aufgrund gesellschaftlicher Normalitätsvorstellungen erdulden mussten und die heute zum Groß-Teil erheblich darunter leiden.
Anfang Juni 2011 soll dann eine Anhörung stattfinden, die dann durch eine – mitten in die Sommerpause platzierte – moderierte Diskussion zwischen Experten und Betroffenen münden soll. Ich bin gespannt, ob die erhebliche Zunahme an Aufmerksamkeit auch zu positiven Veränderungen führen wird.
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