Vor gut einem Jahrzehnt haben CDU-Politiker zur Aufheizung der Greencard-Debatte den Slogan „Kinder statt Inder“ geprägt. Jetzt wird vor dem Verwaltungsgericht Berlin die noch etwas makabrere (welch ein Wort) reproduktionsmedizinische Variante einstudiert, die auch ein Einreiseverbot zum Gegenstand hat und sich um die Frage dreht, wann Kinder denn keine Inder (mehr) sind.
Es geht um eine Entscheidung im Eilverfahren über die deutsche Staatsangehörigkeit eines Kindes, das ausweislich der Geburtsurkunde in einem auf die Vermittlung von Leihmutterschaften spezialisierten „Fertility Center“ geboren worden ist. Gegenwärtiger Stand: Das Kind darf nicht mit dem Ehepaar nach Deutschland einreisen, das sich als seine Eltern bezeichnet und das auch in der Geburtsurkunde des Kindes als Eltern bezeichnet wird.
Folgendes ist vorgefallen: Das deutsche Ehepaar, eine 1955 geborene Frau und ein 1950 geborener Mann, hatten bei der Deutschen Botschaft in Indien einen Reisepass für ihr im Dezember 2010 geborenes Kind beantragt, die Deutsche Botschaft – stets bemüht Deutschland von unerwünschten Einwanderern zu schützen – hat den Antrag abgelehnt, weil die deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes fraglich sei. Dagegen hat das eindeutig deutsche Paar namens des Kindes vor dem deutschen Verwaltungsgericht geklagt – und ist jetzt im Eilverfahren unterlegen (Rechtsmittel sind noch möglich).
Die Geschichte des Paares klingt, wie das Verwaltungsgericht überzeugend darlegt, abenteuerlich und unglaubwürdig: Die zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes 55jährige Frau, die keinen Mutterpass hat, weil sie behauptet eine Arztphobie zu haben, will in der 36. Schwangerschaftswoche ohne nachweisbaren Grund nach Indien gereist sein um dort fünf Wochen (also bis zu 41. Schwangerschaftswoche) zu bleiben. Das Kind, das sie dann dort selbst geboren haben will, wurde jedenfalls nicht in einer Geburtsklinik, sondern in einem auf Leihmutterschaften spezialisierten reproduktionsmedizinischen Zentrum zur Welt gebracht, was das Gericht zu dem messerscharfen Schluss führt: „Es besteht vielmehr vor dem Hintergrund des geschilderten Geschehensablaufs die ganz überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller von einer – vermutlich indischen – Leihmutter zur Welt gebracht wurde.“
Das allerdings hat für den rechtlichen Status des Kindes fatale Folgen: Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts darf ein deutscher Reisepass nur Deutschen ausgestellt werden. Schon Zweifel an der deutschen Staatsangehörigkeit genügten, um die Ausstellung des Passes zu verweigern. Und Zweifel hat das Gericht einige: Zwar sei Deutscher, wer einen Elternteil habe, der Deutscher sei, dass allerdings das sich als Eltern ausgebende Paar, rechtlich als Eltern des Kindes anzusehen sei, erscheine zweifelhaft. Zwar sei wenigstens die biologische Vaterschaft des deutschen Mannes durch ein DNA-Gutachten belegt, rechtlich sei das aber nicht relevant. Ob das Kind nach indischem Recht die indische oder die deutsche Staatsangehörigkeit hat, könne ohne Kenntnis darüber, wer den Antragsteller geboren hat und in welchen Lebensverhältnissen diese Person lebt, nicht geklärt werden. Nach Art. 112 des Indian Evidence Act 1872 hänge die Abstammung davon ab, ob ein Kind während einer Ehe geboren wurde. Wäre das Kind von einer verheirateten indischen Frau geboren worden, gölte danach der Ehemann dieser Frau als Vater des Kindes. Nach indischem Recht gilt nämlich ein Kind, das während einer Ehe geboren wurde, als Kind des Ehemannes. Ob die Mutter des Kindes verheiratet oder unverheiratet war, und ob sie sich als Leihmutter zur Geburt des Kindes bereit erklärt hat, ist völlig unklar. Damit erübrigen sich nach Auffassung des Gerichts auch spekulative Ausführungen dazu, welche rechtlichen Konsequenzen im Falle einer Leihmutterschaft nach indischem Recht zu ziehen wären. Selbst wenn man deutsches Familienrecht auf das Kind anwendete, ergäbe sich nichts anderes: Nach deutschem Recht sei Vater eines Kindes der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist (§ 1592 Nr. 1 BGB), der die Vaterschaft des Kindes anerkannt hat (§ 1592 Nr. 2 BGB) oder der nach § 1600d BGB oder sonstigen Vorschriften gerichtlich als Vater festgestellt wurden. Keine dieser Alternativen liege hier vor. Dass das Ehepaar in der indischen Geburtsurkunde des Antragstellers als Vater und Mutter eingetragen wurde, sei für die Bestimmung der Abstammung unerheblich, denn deren Eintragungen seien für die Abstammung nicht konstitutiv.
Wer sich gegenwärtig um das Kind kümmert, geht aus der Entscheidung des Gerichts nicht hervor.
Die Entscheidung mag man gut heißen, weil sie es zumindest erschwert, dass deutsche Paare das Verbot der Leihmutterschaft dadurch umgehen, dass sie die Leihmutterschaft wie große Unternehmen die Produktion in Billiglohnländer mit niedrigerem Niveau rechtlicher Regulierungen auslagern. Die Gefahr erscheint allerdings groß, dass Leidtragender letztenendes das nunmehr irgendwie statuslose und staatenlose Kind ist, das keine Wahl hatte darüber zu entscheiden, wie es seine Eltern zeugen und zur Welt bringen.
Irritierend an dem Fall ist auch, dass es letztenendes leichter ist biologisch ein Kind nach eigenen Wünschen erzeugen und auf die Welt bringen zu lassen, als es dann mit der gewünschten rechtlichen Ausstattung als deutscher Staatsbürger zu versehen….
(VG Berlin 23 L 79.11)
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Naja, wir haben ja genug...
Naja, wir haben ja genug Kinder in Deutschland. Oder? Oder?
Das Problem ist – meiner...
Das Problem ist – meiner Meinung nach – ein generell deutsches. Die deutschen Gesetzgeber leisten sich einen hohen ethischen Standard, der im Anwendungsfall im Ausland umgangen wird. Als ich Student war, war es Abtreibung. Weil es in Deutschland verboten war, ging man nach Holland. Meine Töchter habe ich neulich mit der Erinnerung amüsiert, dass ich in ihrem Alter immer 500 DM für eine holländische Abtreibung auf der hohen Kante hatte. Ich wollte nicht mein Studium eines Babys wegen abbrechen.
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Jetzt gibt es dieselbe Diskussion über PID, und außerdem den deutschen Spezialweg des Atomkraftwerkstops. Atomkraftwerke abgeschafft zu haben, wird Frau Merkel vielleicht einen Platz im evangelischen Himmel sichern, aber die Bürger werden sich die hohen finanziellen Konsequenzen nicht gefallenlassen. Dann kommt der Atomstrom mit weniger hohen Konsequenzen aus dem Ausland.
Offenbar ist Deutschland ein...
Offenbar ist Deutschland ein Staat, in welchem die Vorstellung vorherrschend ist, alles könne aus den Fugen geraten, wenn man beispielsweise Eltern durch rechtsverbindliche Regeln zum Guten leite. Gut ist es wohl, jung Kinder zu haben, behinderte Kinder in Kauf zu nehmen etc. Dass in diesem selben Staate dann die Fürsorge für die Kinder beispielsweise junger und vermögensloser Eltern oder gar behinderte Kinder sehr mager ausfällt, ist offenbar ein Widerspruch, der zugunsten des „guten“ Ziels gern in Kauf genommen wird. Ich plädiere nachdrücklich dafür Eltern alle Freiheit für Wohl und Wehe ihrer Nachkommen zu geben und das schließt Zeugung und PID mit ein. Wer es auf sich nimmt eine Leihmutter in Indien zu tun, hat Jahre darein investiert und wird es durch gute Nachwuchspflege der Allgemeinheit zum Nutzen werden lassen.
Ein bewegender Fall. Ich...
Ein bewegender Fall. Ich dachte die ganze Zeit, während ich den Sachverhalt las, an das Neugeborene, das nun staatenlos in Indien ist. Die Versagung der deutschen Staatsbürgerschaft ist schon aus diesem Grunde unmenschlich und im Ergebnis falsch.
Endlich mal kein...
Endlich mal kein pseudo-religioes aufgeladenes Thema, sondern ein juristisches. Die Richter haben positivistisch entschieden (also rechtspositivistisch), was auch in Ordnung geht – wie sollten sie sonst tun? Praktisch wuerde ich sagen, das Paar hat sich doof angestellt – ich wette fuer ein paar Scheine mehr haette es in Indien auch die passende Geburtsurkunde bekommen (und kuenstliche Befruchtung klappt manchmal auch mit 55) – nach deutschem Recht ist ja imho egal, wer die Eizelle liefert.
Wenn ich das richtig verstanden habe kann ein Kind evtl. auch die deutsche Staatsangehoerigkeit bekommen, wenn es im Ausland von einer auslaendischen Leihmutter ausgetragen wurde, vorausgesetzt es gilt nach auslaendischem Recht als Kind der biologischen Eltern. Ist das korrekt?
Zweite Frage: Darf das Kind nach Deutschland staatenlos einreisen?
Drittens: Selbst wenn die Leihmutter verheiratet war und das Kind nach indischem Recht die indische Staatsbuergerschaft bekommt, sollte nachtraeglich (also nachdem der status quo geklaert ist) die Annahme der deutschen Staatsbuergerschaft moeglich sein, da der biologische Vater ja eindeutig Deutscher ist. Und dass zumindest beim Mann die biologische Vaterschaft entscheidend ist (interessant eigentlich, dass es da Geschlechtsunterschiede gibt), haben wir ja in der Diskussion um Samenspenden gelernt.
Gruss,
P.
Am vernünftigsten wäre es...
Am vernünftigsten wäre es doch dem Kind die Einreise zu genehmigen damit es nicht in fragwürdigen Verhältnissen in Indien verbleiben muss, schließlich kann das Kind überhaupt nichts dafür für seine Geburtsumstände. Dafür aber den Eltern, oder einem Elternteil, hier in Deutschland eine Strafe geben damit dieses Vorgehen nicht gängige Praxis wird. (Keine Haftstrafe natürlich, da gäbe es keine Verhältnismäßigkeit zu anderen Straftaten …)
<p>Leihmutterschaft ist in...
Leihmutterschaft ist in Indien legal und der frühere Fall des deutschen Ehepaares ist bis hinauf zum Supremecourt of India hin gegangen. Eltern des Kindes einer Leihmutter sind nach Indischem Recht die beauftragenden Eltern. Soweit so klar und eindeutig das indische Recht. Sofern sich das Verwaltungsgericht Berlin anmaßt den höchsten Indischen Richtern vorzuschreiben wie man dort gefälligst sein eigenes Recht zu lesen und zu interpretieren habe, soweit ist diese Geisteshaltung kolonialistisch. Nicht nur Indische Richter sind da sehr empfindlich.
Das auswärtige Amt sowie die Richter des Verwaltungsgericht Berlins sind von ihren religiösen, politischen und rassischen Wahnvorstellungen so sehr verblendet, das sie ohne jede Rücksicht auf die real existierenden Menschen ihre Politik der brutalstmöglichen Leihmutterschaftverhinderungspolitik durchsetzen.
Sowohl die Vaterschaft als auch die Mutterschaft sind nach Deutschem Recht völlig losgelöst von ihren biologischen Zusammenhängen. Die Eizellspenderin eines Menschen existiert nichteinmal. Es ist unerträglich, wenn nach Deutschem Menschenbild ein Mensch in keinerlei rechtlichem Zusammenhang mit seiner biologischen Mutter stehen soll. Manche Menschen haben gar keine Mutter. Andere haben eine Großmutter, Tagesmutter, biologische Mutter, soziale Mutter, Schwiegermutter, Stiefmutter, Austragemutter oder sonst eine Mutter. Die Rolle und Funktion jeder dieser Frauen ist eine ganz besondere und schützenswerte.
Tja, da haben die Eltern einen...
Tja, da haben die Eltern einen Fehler gemacht oder wurden in Indien falsch beraten. Für einige $ 1000 mehr hätten sie die richtigen Papiere bekommen und nun keine Probleme. Vielleicht hat der BGH EuGH da mehr Verständnis. Man liest nur selten von solchen Problemen und es ist gut so, dass viele es ohen Probleme schaffen.
@Kindeswohlvertreter:...
@Kindeswohlvertreter: Akzeptieren Sie dass da zwei Staaten bzw zwei Kulturen die biologische Mutterschaft auf eine zu ihren Wertvorstellungen entsprechende Art definiert haben. Denn darum geht es in diesem Fall wenn ich es als Nichtjurist richtig durchdringe. Religiöse, politische und rassische Wahnvorstellungen oder eine kolonialistische Geisteshaltung kann ich da nicht erkennen, schon gar nicht bei den urteilenden Richtern. Sie sollten sich abgewöhnen solche Begriffe in einem so unpassenden Zusammenhang zu führen.
Ein aus meiner Sicht geradezu...
Ein aus meiner Sicht geradezu epochales Urteil auch im Namen der Menschlichkeit! Es gebietet der ekelerregenden Praxis, verarmte indische Mütter das „eigene“ Kind austraqgen zu lassen, wirkungsvoll Einhalt. Ich kann nur hoffen, dass diese Rechtsauffasssung zumindest In Deutschland Bestand haben wird.