Biopolitik

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Berufsordnung für Ärzte: Geschenke von der Krankenkasse?

| 10 Lesermeinungen

Die ärztliche Musterberufsordnung (MBO), die rechtlich verbindliche Standards schafft, auf die sich auch gerichte stützen,  soll auf dem nächsten...

Die ärztliche Musterberufsordnung (MBO), die rechtlich verbindliche Standards schafft, auf die sich auch gerichte stützen,  soll auf dem nächsten Ärztetag, der am 31. Mai 2011 in Kiel beginnt, überarbeitet werden. Der Reformbedarf besteht schon in der Klarstellung, dass die MBO, die ja keine Appendix zum Staatsbürgerschaftsrechtist, nicht mehr nur für die „deutschen Ärztinnen und Ärzte“ gelten soll, sondern für die „in Deutschland tätigen“ Mediziner. Klargestellt wird auch, dass die Ärzte die berufsrechtlichen Grundsätze nicht nur kennen, sondern auch beachten müssen.

Zu diesen berufsrechtlichen Grundsätzen gehört auch dieVerpflichtung, Patienten aufzuklären, die bislang nur sehr knapp erwähnt wurde, jetzt aber in einem ganzen eigenen Abschnitt konkretisiert wird, der im wesentlichen die von der Rechtsprechung in den letzten Jahren entwickelten Grundsätze zusammenfasst- und sie damit unterstreicht und ihnen im ärztlichen Alltag vielleicht größere Bedeutung verschafft.

Die Aufklärung hat der Patientin oder dem Patienten insbesondere vor operativen Eingriffen Wesen, Bedeutung und Tragweite der Behandlung einschließlich Behandlungsalternativen und die mit ihr verbundenen Risiken in verständlicher und angemessener Weise zu verdeutlichen. Insbesondere vor diagnostischen oder operativen Eingriffen ist soweit möglich eine ausreichende Bedenkzeit vor der weiteren Behandlung zu gewährleisten. Je weniger eine Maßnahme medizinisch geboten oder je größer ihre Tragweite ist, umso ausführlicher und eindrücklicher sind Patientinnen oder Patienten über erreichbare Ergebnisse und Risiken aufzuklären.  

 Zum Thema „Beistand für Sterbende“ führt der komplett neu gefasste Paragraph 16 aus:

Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.

Die Einzelheiten regeln (allerdings weniger verbindlich) die „Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung“, die im Februar 2011 neu gefasst wurden und um die es einige Auseinandersetzungen gegeben hat. Paragraph 16 stellt allerdings klar, dass die ärztliche Begleitung des Suizids deutschen Ärzten auch in Zukunft berufsrechtlich verboten sein wird (womit das Berufsrecht, wogegen aber nichts spricht, über das Strafrecht hinausgeht, dass Beihilfe zum Suizid grundsätzlich nicht als Straftat behandelt) (mehr dazu in meinem Artikel in der Printausgabe der FAZ).

Was im Recht der Sterbebegleitung gilt, soll für den Embryonenschutz nicht (mehr) gelten. Die Regelung der Nr. 14 (Schutz des menschlichen Embryos) entfällt künftig. Dort war neben der Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken auch verboten worden, „diagnostische Maßnahmen an Embryonen vor dem Transfer in die weiblichen Organe“ vorzunehmen, „es sei denn, es handelt sich um Maßnahmen zum Ausschluss schwerwiegender geschlechtsgebundener Erkrankungen im Sinne des § 3 Embryonenschutzgesetz.“ Angesichts der anstehenden Bundestagsentscheidung zur Präimplantationsdiagnose soll es hier kein eigenständiges Berufsrecht mehr geben – was angesichts der aktiven Rolle der Repordukionsmediziner bei der Legalisierung der PID wenig überrschat.

Eine der aparteren Vorschriften der neuen Musterberufsordnung betrifft die Beeinflussung der ärztlichen Tätigkeit durch finanzielle Anreize: Grundsätzlich ist das scharf verboten. Keine Geschenke von Patienten oder der Pharmaindustrie! Viel milder dagegen reagieren die Berufsrechtlicher wenn es um einen anderen guten Zweck geht, nämlich die, so die Erläuterungen, „finanzielle Stabilität der sozialen Krankenversicherung“. Dann gilt:

Eine Beeinflussung ist dann nicht berufswidrig, wenn sie einer wirtschaftlichen Behandlungs- oder Verordnungsweise auf sozialrechtlicher Grundlage dient und der Ärztin oder dem Arzt die Möglichkeit erhalten bleibt, aus medizinischen Gründen eine andere als die mit finanziellen Anreizen verbundene Entscheidung zu treffen.

Es geht nicht darum, dass Ärzte und Ärztinnen die Verordnungsbedingungen des SGB V beachten müssen, sondern, dass sie Geld dafür bekommen, sparsam zu verordnen. Dass Patienten da Zweifel an der Unabhängigkeit der Ärzte kommen können, überrascht nicht. Die Erläuterungen zu dem neu aufgenommenen Passus  verlangen zwar, dass die Anreize auf „transparenter sozialrechtlicher Grundlage“ basieren müssen, aber was soll das heißen? Das SGB V selbst ist für den Patienten grundsätzlich keine transparente Vorschrift. Und dass die Kassenärzte künftig in allgemeinverständlichen Worten in ihren Praxen Aushänge machen, wann sie finanzielle Vorteile davon haben, dass sie ihre Patienten sparsam behandeln ist eher nicht anzunehmen…

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10 Lesermeinungen

  1. Lutz Barth sagt:

    <p>Verehrter Herr...
    Verehrter Herr Tolmein.
    Bereits in einem Artikel v. 07.05.11 in der F.A.Z haben Sie darauf hingewiesen, dass – nachdem Ihnen resp. der Zeitung – die „neue Regelung“ zur Sterbehilfe (§ 16 Ä-MBO) vorliegt, es künftig der Ärzteschaft nicht gestattet sei, an einem frei verantwortlichen Suizid mitzuwirken.
    Offensichtlich haben sich einige Oberethiker durchgesetzt und versuchen, ihre arztethischen Vorstellungen nunmehr auch im Berufsrecht dauerhaft zu implementieren. Ob dies allerdings nur ein kurzfristiger „Erfolg“ sein wird, steht insofern zu vermuten an, weil gleichsam nach der „Reform“ des ärztlichen Berufsrechts eine „Reform“ folgen wird, die diese verfassungswidrige berufsrechtliche Regelung entspechend novellieren wird.
    Es wird zunehmend unerträglicher, mit welchem Missionseifern einige Ärztefunktionäre ihre „Wertekultur“ nicht nur zu verteidigen, sondern auch mit aller Macht durchzudrücken versuchen.
    Zuweilen muss in der interessierten Fachöffentlichkeit der Eindruck entstehen, dass die Ärztefunktionäre mit der Problematik jedenfalls dann überfordert sind, wenn es darum geht, zugleich auch die Grenzen ihrer „Rechtsetzungskompetenz“ zu wahren.
    Eigentlich müssten Sie doch als ein prominenter Verfechter der Menschenrechte im Allgemeinen und der Grundrechte im Besonderen ein stückweit mehr an Kritik an einem Berufsrecht üben, mit dem ganz aktuell fundamentale Grundrechte sowohl der Ärzte als auch der Patienten versenkt werden sollen.
    Allein das Ansinnen, dem Arzt „gute moralische Sollensmaßstäbe“ verbindlich an die Hand geben zu wollen, die auch den letzten Kern einer freien Gewissensentscheidung zur bloßen Makulatur werden lassen, zeigt, dass sich hier eine Schar von Oberethiker anschickt, einen gesamten Berufsstand für ihr Verständnis von einem „Arztethos“ zu instrumentalisieren – einem Verständnis, bei dem die Berufung auf das „Selbstbestimmungsrecht“ aber auch das Grundrecht der Gewissensfreiheit dergestalt „inhaltsleer“ ist, in dem diese ihrer zentralen Funktionen beraubt werden und es lediglich nur zum guten Ton zählt, hierauf Bezug zu nehmen. Konsequenzen freilich werden nicht gezogen, handelt es sich hierbei doch um Überzeugungstäter, die sich als wenig tugendhaft erweisen und ohne jedwede Bedenken meinen, der Ärzteschaft ein „Werteprogramm“ verordnen zu können.
    Mit Verlaub: Es ist schon beschämend, wenn Ärztefunktionäre sich in der Öffentlichkeit als die moralisch integeren Ärzte präsentieren und so der Eindruck bewusst geschürt wird, als seien all diejenigen, die für eine Liberalisierung des ärztlichen Berufsrechts eintreten, einstweilen „moralisch verwirrt“ und auf dem besten Wege, dass „Arztethos“ zu Grabe zu tragen.
    Das ärztliche Berufsrecht dient nicht (!) der Realisierung von Moralvorstellungen einiger weniger Funktionäre, die da von sich glauben, zu den „guten Ärzten“ zu zählen und da ist es denn nur eine Frage der Zeit, bis einem der ärztlichen Kollegen der „Kragen platzt“ und endlich beginnt, „Tacheles zu reden“.
    Eine berufsrechtliche Regelung, die zur Instrumentalisierung einer individuellen Gewissensentscheidung dient, kann und wird (!) in unserer Rechtsordnung keinen Bestand haben.

  2. tolmein sagt:

    @Barth: schon seit längerem...
    @Barth: schon seit längerem frage ich mich, wie man den Titel „Oberethiker“ von Ihnen erhält und, da er offensichtlich negativ konnotiert ist, ob Sie Unterethiker mehr wert schätzen. Jenseits dessen frage ich mich aber, woher Sie Ihre rechtliche Gewissheit nehmen, dass es der § 16 MBO (Entwurf) nicht weit bringen wird. Bislang haben die Gerichte wenig Probleme damit gezeigt, dass Berufsgruppen wie Ärzte und Anwälte Ihre eigenen Berufsordnungen schreiben – man nennt es auch „Selbstverwaltung“, was für Freunde der „Selbstbestimmung“ wie Sie doch eigentlich ganz gut klingen sollte. Das berufsrechtliche Verbot der ärztlichen Suizidbegeleitung mögen Sie aus moralischen oder auch sonstigen Gründen beklagen, zu behaupten, dass es nur der Realisierung der Moralvorstellungen von einigen wenigen Funktionären diente ist wenig überzeugend und vielleicht sogar ein klein wenig propagandistisch. Das Verbot dient dem Erhalt eines Gesundheitssystems, in dem dem Arzt die Rolle des Heilenden und Lindernden zugewiesen ist und in dem davon ausgegangen wird, dass die Lebensbeendigung keine medizinische Versrogungsleistung ist. Das kann man anders sehen (und in Oregon wird es anders gesehen) – aber man muss es sicher nicht. Indem Sie das nicht akzeptieren wollen, schwingen Sie sich selbst zum wenn auch kleinen Werte-Diktator auf. Aber solange Sie in meinem Blog nicht die Macht übernehmen, kann ich damit auch gut leben….

  3. Mitleser sagt:

    Die Bedeutung der "MBO" wird...
    Die Bedeutung der „MBO“ wird generell und in Ihrem Beitrag überschätzt. Manche rechtsunkundigen Kommentatoren, Journalisten und Redakteure stellen die „MBO“ als gesellschaftlich relevant dar oder überhöhen deren Inhalt als eine Art Bibel. Es bleibt aber dabei so wie es das Bundesverfassungsgericht bereits 1971 entschieden hat: Diese MBO hat ausschließlich eine Bedeutung für „Ärzte“ und ansonsten für keinen anderen Bundesbürger oder Bewohner der BRD. Es bleibt zu vermuten, dass auch in der neuen MBO der Selbstüberschätzung der Ärzteschaft geschuldeten nachgeordneten Vorschriften enthalten sind, die dem Bundes- oder Landesrecht widersprechen.
    Wie aus den Umfragen des Noelle Neumann Instituts hervorgeht, geht die Überbewertung dieses Berufsstands in Deutschland seit einigen Jahren zurück. Dazu hat sicher auch die Halsstarrigkeit beigetragen, mit der die organisierte Ärzteschaft sich gegen den gesellschaftlichen Wandel z.B. im Bereich des Umgangs mit dem eigenen Körper oder dem Selbstbestimmungsrecht am Ende des Lebens sich gestellt hat.
    Es gibt keinen Grund dagegen, Sterbehilfe zu einer medizinischen Versorgungsleistung zu machen. Gut ist, dass im Zweifelsfall die MBO rechtlich irrelevant ist, denn mit dem Bundesrecht ließe sich eine solche Leistung sehr wohl begründen.
    Die Rolle des Heilenden nehmen insbesondere die politischen Vertreter der Ärzteschaft dann nicht ein, wenn es um ihr eigenes Einkommen geht, das eins der Höchsten der Welt war und ist.

  4. tolmein sagt:

    <p>@Mitleser: ich weiß nicht...
    @Mitleser: ich weiß nicht so genau, was „Ärzte“ von Ärzten unterscheidet, aber von der Bedeutung der MBO habe ich recht klare Vorstellungen. Der sogenannte „Facharztbeschluss“ vom 9. Mai 1972 (nicht: 1971) betrifft ein recht spezielles Problem, denn in dem zugrundeliegenden Fall sind Berufsausübungsrechte der klagenden Fachärzte und das Berufsrecht kollidiert. Für Aussagen über das Recht der Bundesärztekammer ein Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe zu formulieren gibt diese Entscheidung wenig her. Da ist eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gera aus 2008 sehr viel aufschlussreicher, denn dort hat ein Arzt geklagt, dem die Ärztekammer Thüringen noch auf Grundlage der alten Bestimmung der an die Musterberufsordnung angepassten Berufsordnung die Beihilfe zum Suizid untersagt hatte. In der rechtskräftig gewordenen Entscheidung heißt es: „Die von der Beklagten (Ärztekammer, Anm OT) auf der Grundlage der von ihr erlassenen Berufsordnung vorgenommene individuelle Ausprägung der ärztlichen Berufspflicht gegenüber einem gesunden Menschen steht insbesondere auch im Einklang mit europarechtlichen Vorgaben wie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (ERMK) – in innerstaatliches Recht transformiert mit dem Rang eines einfachen Gesetzes -. Entgegen der Auffassung des Klägers steht das von der Beklagten verfügte Verbot, Frau J. hinsichtlich ihres Sterbewunsches bzw. eines Suizids zu unterstützen, auch mit dem Grundgesetz im Einklang. Der Kläger wird weder in seinem Grundrecht aus Art. 12 GG noch in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in einer Weise beeinträchtigt, die nicht durch die Schranken des Grundrechts gedeckt ist. Diese Beschränkung der ärztlichen Aktivitäten steht sowohl mit der Berufsfreiheit, Art. 12 GG als auch mit der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 GG im Einklang. Soweit der Schutzbereich dieser Grundrechte überhaupt beeinträchtigt ist, ist dies durch vorrangige Gemeinschaftsinteressen begründet.“ (VG Gera 3 K 538/08 Ge)

  5. rene talbot sagt:

    @ Lutz Barth
    Sehr geehrter...

    @ Lutz Barth
    Sehr geehrter Herr Barth,
    mich verwundert immer wieder, warum gerade bei Ärzte Mithilfe und Unterstützung bei einer Selbsttötung gesucht wird, bzw. verlangt werden können soll.
    Warum verlangen Sie dass denn nicht z.B. von Jägern, die Selbstschussanlagen zur Verfügung stellen sollen, da die doch das waidgerechte Töten als Experten gelernt haben.
    Oder von Architekten, die dafür sorgen sollen, dass in jeder Wohnung Befestigungspunkte angebracht sind, die stark genug sind, dass sich auch ein 150 kg Mensch daran aufhängen kann? Oder die in Hochhäusern solche Rampen einbauen, von denen sich sogar Rollstuhlfahrer hinunterstürzen können und am Aufschlagpunkt niemand gefährden?
    Aber immer sollen die Ärzte die Sterbenachhelfer sein, Ärzten Macht in Entscheidungen zur Totmachen eines Menschen eingeräumt werden.
    Das weckt einen Verdacht – Sie wollen dieser Berufsgruppe offenbar eine besondere Machtstellung einräumen. Eine Machtstellung, die gerade durch die neue Gesetzgebung zur Patientenverfügung am verschwinden ist, da sich nun, dank der PatVerfü, auch in der Psychiatrie rechtswirksam Zwangseinweisung, Zwangsbehandlung und Entmündigung durch erzwungene „Betreuung“ unterbinden lassen.
    rene talbot

  6. Lutz Barth sagt:

    Verehrter Herr Tolmein.

    Eines...
    Verehrter Herr Tolmein.
    Eines vorweg: Mir liegt es fern, die „Macht“ in ihrem BLOG zu übernehmen, mag dies auch im Interesse so mancher „Werte-Diktatoren“ liegen, zu denen ich mich durchaus dann zähle, wenn und soweit es darum geht, für ein liberales Verfassungsverständnis zu werben so wie es nicht selten im Übrigen auch die Richter beim Bundesverfassungsgerichts tun, von denen wir wahrlich nicht behaupten können, sie seien „Werte-Diktatoren“, nur weil diese versuchen, gelegentlich auch „Ethikprobleme“ zu entschärfen.
    Mal ganz davon abgesehen, dass ich für mehr Toleranz in der Debatte werbe und insofern gerade nicht „Macht“ auszuüben gedenke, gehe ich davon aus, dass Sie im Kern wissen, unter welchen Voraussetzungen von mir der wenig schmeichelhafte Titel „Oberethiker“ vergeben wird. Es drängt sich geradezu auf, dass es sich hierbei um eine Generation von Neopaternalisten handelt, die eben nicht das Toleranzgebot beachten und hierbei eine Verfassungsinterpretation zelebrieren, die eigentlich keine ist, da grundlegende Standards – auch solche des wissenschaftlichen Arbeitens – nicht (!) gewahrt werden und – sofern dies auch noch vorsätzlich geschieht – als „Überzeugungstäter“ bezeichnet werden können, vor denen nachhaltig zu warnen ist.
    In der Sache selbst wird der „neue“ § 16 Ä-MBO keinen Bestand haben können und zwar gerade unter dem Aspekt der „Selbstverwaltung“ betrachtet, die eben nicht zur „freien Normsetzung“ legitimiert! Dass Sie dies anders sehen, werde ich akzeptieren müssen, wenngleich doch Ihr Hinweis auf das Urteil des VG Gera (welches übrigens noch nicht rechtskräftig ist!) nicht überzeugt. Das VG hat es m.E. „sträflich“ vernachlässigt, sich hinreichend mit der Problematik der Verbindlichkeit des Arztethos auseinanderzusetzen und letztendlich die scheinbaren „Binsenweisheiten“ nicht kritisch hinterfragt, geschweige denn einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen, die dann dazu geführt hätten, ggf. einige Rechtsfragen dem zuständigen Verfassungsgericht vorzulegen.
    Aber auch Ihnen wird nicht entgangen sein, dass die Gruppe der so. Neopaternalisten durchaus in ihrer Größe überschaubar ist und hier einige Ärztefunktionäre sich besonders hervortun, obgleich es nicht immer Sinn macht, sofort und stets mittelmäßige Kommentare über ein vorgehaltenes Mikrofon abzugeben, zumal das entsprechende Fachwissen fehlt. Dass einige Medizinethiker das Spektrum abrunden, darf nun nicht verwundern, geschweige denn irritieren, denn auch diese verwechseln „Verfassungsinterpretation“ mit Philosophie, sehen diese doch eher ihre transzendenten Offenbarungsquellen schwinden, so dass nunmehr das „Arztethos“ zum „Dogma“ erhoben werden soll.
    Ein „Dogma“, dass eben derzeit noch nicht verbindlich ist und sofern hieraus konkrete „Verbotsnormen“ in einem Berufsrecht kreiert werden, darf Ihr Anliegen über die „Werte-Diktatoren“ nochmals in Erinnerung gebracht werden: Ärztefunktionäre und Delegierte, die ihre eigene Werthaltung zum Anlass nehmen, eine allgemeinverbindliche ethische Sollensnorm auf den Weg zu bringen, haben – mit Verlaub – die Funktion einiger bedeutsamer Grundrechte schlichtweg nicht verstanden und schwingen sich so dazu auf, einen höchst fragwürdigen arztethischen Konsens zu verabschieden, der keiner ist, wie aus einschlägigen Umfragen abzulesen ist. Wer also, verehrter Herr Tolmein, übt hier über wen „Macht“ aus? Ärztinnen und Ärzte „moralische Verrohtheit“ vorzuwerfen, nur weil diese eine andere Gewissensentscheidung zu treffen beabsichtigen und sich für eine Liberalisierung aussprechen, halte ich nicht nur für vermessen, sondern geradezu selbstherrlich und brandgefährlich. Es sind eben die „Oberethiker“, die sich durch einen unbelehrbaren „Überzeugungstäterwillen“ „auszeichnen“ und die mit ihren Irrleeren ganz bewusst ihren eigenen Berufsstand zu instrumentalisieren beabsichtigen.

  7. Lutz Barth sagt:

    @Rene Talbot: Nun - ich...
    @Rene Talbot: Nun – ich möchte keinesfalls einer besonderen Berufsgruppe eine besondere Machtstellung einräumen; dies gilt freilich in einem besonderen Maße für die Organe einer öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörperschaft, die – wie der Staat – zur besonderen Grundrechtswahrung verpflichtet sind.
    Dies gilt freilich auch für die Juristen, insbesondere der Anwaltschaft. Ich möchte es so verstanden wissen: Stellen Sie sich bitte vor, die Bundesrechtanwaltskammer und die Delegierten hielten es künftig für ethisch und moralisch nicht hinnehmbar, dass Tätergruppen (z.B. Kindsmörder, Vergewaltiger etc.) in einem Strafverfahren zu verteidigen seien und schreiben diese „Grundsätze“ in einer Musterberufsordnung fest. Meinen Sie nicht auch, dass hier die Anwaltschaft „aufschreien“ würde und den Gang zum Gericht antreten wird, weil eine solche Bestimmung schlicht verfassungswidrig wäre, auch wenn andererseits es dem ambitionierten Strafverteidiger es durchaus möglich ist, eine solche Verteidigung aus Gewissensgründen abzulehnen?
    Es waren gerade Juristen, die der „Selbstverwaltung“ nicht selten die Grenzen ausgezeigt haben, auch wenn dies manchmal nicht (!) im Interesse der Funktionäre lag!
    Ich erinnere mich an eine Situation im Studium, wo wir einen eigentlich nicht spektakulären Fall zu lösen hatten, der aber seine Würze dadurch erhielt, in dem er besonders dazu angetan war, die „Tränendrüsen“ anzuregen. Ein älteres und gebrechliches Mütterchen wollte ohne die „B-Scheinberechtigung“ in die Wohnung ihrer Tochter einziehen, die sich anderweitig orientierte. Im Ergebnis war dem Mütterchen kein Erfolg beschieden und was ich seinerzeit für höchst erstaunlich hielt, nahezu 80% der Studenten/innen haben den Fall „falsch gelöst“. Seit dem 3 Semester genoss ich den Ruf eines angehenden „Juristen mit schwarzer Seele“. Dieses „Schlüsselerlebnis“ ist für mich prägend, denn eines ist für mich zur Gewissheit geworden: „Moral und Ethik“ sollten nicht den Blick für das Wesentliche eintrüben, denn hierdurch werden Ergebnisse produziert, die sich nicht als „normfest“ erweisen.
    Sofern also die zuständigen Kammern meinen, an der Schnittstelle zu individuellen Grundfreiheiten „Normen“ erlassen zu müssen, sollten stets die Grenzen in Erinnerung gerufen werden und sich darauf besinnen, dass eine „verbindliche Moral“ nicht vorgeben werden kann, ja eigentlich nicht, wenn wir die in unserer Verfassung angelegten Wertepluralität ernst nehmen.
    Das „Mütterchen“ hatte die Wohnung zu verlassen so wie es die Bundes- und die Landesärztekammern zu akzeptieren haben, dass immerhin ein Drittel der bundesdeutschen Ärzteschaft sich eine Mitwirkung an einem Suizid vorstellen könnte. Haben diese Ärzte „eine schwarze Seele“?
    Wohl kaum und da plädiere ich denn auch lieber für eine gänzliche Streichung oder jedenfalls unverfängliche Norm zur ärztlichen Sterbebegleitung anstatt eines konkreten Verbots.
    Die Ärzteschaft stellt sich kein gutes Zeugnis aus, wenn diese ein Verbot normiert, welches dann in einer Grauzone unterlaufen wird!

  8. Mitleser sagt:

    Sehr geehrter Herr Dr....
    Sehr geehrter Herr Dr. Tolmein,
    ich fühle mich falsch verstanden. Aus dem besagten Urteil von 1972 lese ich heraus, dass sich das Recht auf Normsetzung durch einen Berufsverband im Kern auf Mitglieder beschränkt. Ich meine mich zu erinnern, dass das Gericht der Landesärztekammer lediglich ein Reglungsrecht auf „technische“ Fragen einräumt. Dass ansonsten deren Vorschriften nicht mit Landes- oder Bundesrecht kollidieren darf, setzte ich als bekannt voraus. Das Urteil besagt m.E. darüberhinaus, dass über Forschungsfragen, wenn Dritte beteiligt sind, die Ethikkommission eines Landesärzteverbands nicht zuständig ist, es sei denn es bleibt der Weg zu den ordentlichen Gerichten offen.
    Gerade im Fall des rechtlichen Sorgenkindes Medizin (weitergehende ärztliche Behandlungen gelten als Erfüllung von Straftatbeständen), sollten sich die Landesärztekammern politisch mehr zurückhalten. Wie man als Verbandsvertreter politisch ins Schwimmen geraten kann, zeigte kurz vor der Abstimmung über die Patientenverfügung die Bundesärztekammer, die sich plötzlich auf den Standpunkt stellte, es bedürfe gar keiner Neureglung. Ein solches unsicheres Auftreten eines zumindest finanziell hoch potenten Vereins, läßt politisch doch tief blicken.
    Und auch hier ist Herrn Barth wie immer zuzustimmen: Die Parlamente legen durch Gesetz fest, was vorher in der Gesellschaft und zwischen den Abgeordneten kleinster gemeinsamer ethischer Nenner ist. Das steht dann im Gesetz. Keine Berufsgruppe hat das Recht, diesen Prozess zu „toppen“. Das scheint große konservative Teil der Ärzteschaft in Deutschland wohl noch nicht verinnerlciht zu haben. Da fragt man sich, wo ist deren Rechtstreue.

  9. SGS sagt:

    Es steht jedem einzelnen aber...
    Es steht jedem einzelnen aber auch jeder Gruppe in Deutschland zu, ethische Normen für sich selber und seine Mitglieder zu formulieren, die nicht mit den Gesetzen in Deutschland kollidieren. Und aus der Tatsache, dass eine Tat (hier die Beihilfe) in Deutschland nicht strafrechtlich verfolgt wird, kann man nicht folgern, dass diese Tat vom Staat gutgeheißen wird oder er sie sogar von seinen Mitgliedern eingefordert.
    Insoweit sehe ich die Bezeichnung als Ober-/Unter- oder Mittelethiker sogar als eine versteckte Anerkennung für eine Organisation, die bereit ist, klare Grenzen gegen ein falsch verstandenes Selbstverfügungsrecht – welches wie selbstverständlich die Mitwirkung anderer einfordert – zu setzen. Die neue MBO formuliert eine klare Anerkennung des Rechts der Patienten, dass unnötige Lebensverlängerung unterlassen wird und ein ebenso klares Nein zu dem Verlangen einer Minderheit der Gesellschaft, den Arzt zum Vollstrecker des Todes zum machen. Der neuen MBO ist eine eine überwältigende Mehrheit zu wünschen, zum Schutz der Ärzte und zum Wohle der Patienten.

  10. Lutz Barth sagt:

    @SGS

    Ich möchte hier im BLOG...
    @SGS
    Ich möchte hier im BLOG weder die „Macht“ übernehmen noch als „Oberlehrer“ erscheinen, aber mit Verlaub, Ihr Beitrag ist geradezu paradigmatisch dafür, dass nicht selten die verfassungsrechtlichen Binsenweisheiten verkannt werden und zwar gerade in den Fällen, in denen es darum geht, zwischen kollektiven und individuellen Freiheitsgrundrechten hinreichend zu differenzieren.
    Selbstverständlich kann sich eine gesellschaftliche Gruppe zu ethischen und moralischen Normen bekennen und zwar auch zu solchen, denen wir (etwa die 10 Gebote) von einem Gesetzgeber verordnet bekommen haben, der allerdings demokratisch nicht legitimiert war, so er denn tatsächlich existent war und ist. Die Glaubensfreiheit freilich gestattet uns, hieran zu glauben und zwar ungeachtet der konkreten Gesetzgebung, denn gerade die Gesetzgebung einschließlich des Verfassungsrechts erlaubt dem Kollektiv und dem Individuum, an transzendente Offenbarungsquellen zu glauben und sich hieran zu orientieren. Indes verhält es sich bei einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft anders: Hier nimmt eine Berufsorganisation eine „staatliche Aufgabe“ wahr und ist zur besonderen Grundrechtswahrung auch im Innenverhältnis zu seinen „Zwangsmitglieder“ verpflichtet. Entgegen der seinerzeitigen Auffassung des BVerfG übernimmt das Recht – so auch nicht das Berufsrecht der Ärzteschaft – nicht weithin das, was die Arztethik meint, für sich als verbindlich deklarieren zu können, geschweige denn zu müssen. Das „produzierte Berufsrecht“ muss sich zuvörderst an den tragenden verfassungsrechtlichen Prinzipien messen lassen und der Hippokratische Eid ist nicht mehr aber eben auch nicht weniger eine Art Demutsformel (vielleicht auch Ehrerbietung?) im Standesdenken der verfassten Ärzteschaft, aus der keine weiteren normativen Bindungen folgen, geschweige denn Grundrechtsschranken nach Belieben generiert werden können.
    Der Begriff „Oberethiker“ steht daher nach meinem Verständnis für all diejenigen Überzeugungstäter, die mit berufsrechtlichem Zwang auf eine scheinbar kollektive Gewissensentscheidung eines gesamten Berufsstandes drängen und hierbei schlicht die individuelle Gewissensentscheidung der einzelnen Ärztinnen und Ärzte ignorieren, obgleich sie wissen, dass hier ein Konsens nicht besteht, ja letztlich nicht erforderlich ist, wie sich unschwer aus der im Grundgesetz verbürgten Wertepluralität ergibt und selbstverständlich auch von öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörperschaften zu verinnerlichen ist.
    Dass dem Gesetzgeber im Übrigen ein beachtlicher Ermessens- resp. Beurteilungsspielraum zukommt, ist evident, wenngleich nicht grenzenlos. In diesem Sinne versuchen einige Oberethiker auch immer mal wieder, den Gesetzgeber davon zu überzeugen, dass er seinen Blick nach Österreich schweifen lässt und sich an der dortigen Regelung orientieren möge. Nun – ob eine solche Regelung bei uns Bestand hätte, vermag ich derzeit nicht beurteilen wollen, zumal ich davon ausgehe, dass der hiesige Gesetzgeber jedenfalls die in unserer Verfassung niedergelegten Grundfreiheiten nicht über Gebühr einzuschränken gedenkt, auch wenn so manche Abgeordnete sich den christlichen Werten verpflichtet wissen, die allerdings so liberal nicht immer waren oder sind.

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