Biopolitik

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Wann ist ein Arzt ein Arzt? Ärztetag und Ethik

| 18 Lesermeinungen

Am Anfang stand ein entschiedenes Plädoyer für die vornehm als „Priorisierung" bezeichnete Rationierung medizinischer Leistungen. Der scheidende...

Am Anfang stand ein entschiedenes Plädoyer für die vornehm als „Priorisierung“ bezeichnete Rationierung medizinischer Leistungen. Der scheidende Präsident der Bundesärztekammer Jörg Dietrich Hoppe, dessen gesundheitspolitischen und medizinrechtlichen Äußerungen sich auch in der Vergangenheit nicht durch klare Analysen und strategisches Kalkül ausgezeichnet haben, sah sich als Dirigent, der eine schwierige Symphonie durchspielen müsste: „Bei begrenzten Ressourcen und steigender Morbidität ist die Diskussion um Priorisierung als Instrument der transparenten Verteilungsgerechtigkeit unabdingbar. Übrigens haben die Schweden, die neun Prozent des BIPs für die Gesundheitsversorgung ausgeben, sich schon für die Priorisierung entschieden. Ich bin zuversichtlich, dass diese, in Deutschland schon seit Jahren auf wissenschaftlicher Ebene geführte Diskussion auch auf der politischen Ebene Platz greifen wird.“ Dass er dabei auf den grünen Ärztetag vom 14. Mai 2011 verweisen konnte, der das Thema mustergültig in den Mittelpunkt gerückt habe, macht den Vorstoß nicht gerade besser, aber, angesichts des raschen Strebens der Grünen, Volkspartei zu werden, jedenfalls zeitgemäßer. Schließlich hat sich auch der Ethikrat Anfang des Jahres auf programmatisch nüchterne Weise mit dem Thema befasst (nicht dass ich emotiomalisierte und leidenschaftliche Debattenbeiträge bevorzugen würde, aber es ist schon frappierend, mit welch gelassener Selbstverständlichkeit der gesamte Ethikrat, mit Ausnahme der Philosophin Weyma Lübbe, Rationierung als demnächst erforderliche Praxis charakterisieren, die auch gerecht umgesetzt werden könnte).

Die ersten Beschlüsse des Ärztetages befassen sich aber mit anderen Themen – sie sind dabei von bemerkenswerter ethischer Heterogenität (wenn jemand roten Faden findet: gerne mitteilen!): Wie zu erwarten, wurde dem Entwurf der Musterberufsordnung und insbesondere dem dort in § 16 enthaltenen Verbot des ärztlich begleiteten Suizids zugestimmt (ca 25 Prozent der Delegierten widersprachen dem). Dazu weiter unten noch ein paar Anmerkungen und Erläuterungen.

Weniger Bedenken als gegen ärztlich begleiteten Suizid hat die Ärzteschaft, die noch vor neun Jahren, auf dem Ärztetag 2002, gegen die Erlaubnis der Präimplantationsdiagnostik (PID) angetreten war, jetzt mit Blick auf die PID: die Delegierten sprachen sich für eine „begrenzte Zulassung“ der Selektionstechnologie aus; damit wird ein Positionspapier der Bundesärztekammer von 17. Februar 2011 unterstützt, das unter anderem vorsieht: „Eine (Muster-)Richtlinie zur Durchführung der Präimplantationsdiagnostik ist von der Bundesärztekammer zu erarbeiten, insbesondere zum Indikationsspektrum der PID, zur personellen und  apparativen Ausstattung,  zur medizinischen und psychosozialen Beratung sowie zur Festlegung der danach erforderlichen Zahl durchführender Zentren. Bei den  Landesärztekammern sind behandlungsunabhängige  PIDKommissionen  einzurichten, die die  Qualitätssicherung der PID gewährleisten. Der zuständigen Kommission sind die einzelnen Behandlungsfälle in anonymisierter Form vorab zur Beurteilung vorzulegen. Die bei den einzelnen Kommissionen der Landesärztekammern erhobenen Daten zur Qualitätssicherung sind in einem zentralen Register in anonymisierter Form zusammenzuführen.“ Die Einschränkungen, die die Ärzte bei der PID geregelt sehen wollen, werden zwar als erheblich bezeichnet, sind aber tatsächlich wohl eher geringfügig. Genannt werden: Keine Geschlechtsauswahl ohne Krankheitsbezug und auch keine Risikobegrenzung bei älteren IVF-Kandidaten. Im Ergebnis favorisieren die Ärzte somit eher den sehr weit gehenden PID-Vorschlag aus dem Lager der FDP-Politikerin Flach, als den eng gefassten, der von Rene Röspel (SPD) in die Debatte gebracht wurde.

Noch niedriger setzt die Ärzteschaft ihre ethischen Bedenken im Bereich der Organspende an: Hier setzen sie sich mit ihrem aktuellen Beschluss für das „Modell einer Informations- und Selbstbestimmungslösung mit Erklärungspflicht“ ein. Glaubt man der Berichterstattung, hätten die Ärzte sich lieber für eine Widerspruchslösung ausgesprochen, die ihren transplantierenden Kollegen grundsätzlich Zugriff auf die Organe gibt, wenn die Betroffenen nicht ausdrücklich widersprochen haben. Aber auch der jetzige Beschluss zeichnet sich aus, durch ein beachtliches Desinteresse an den Argumenten gegen Erklärungspflicht und den gesellschaftlichen Druck, der hier aufgebaut wird, um die Organspende faktisch in eine (wenn auch nicht normierte) Organabgabepflicht zu transformieren.

Weitaus erfreulicher sind die Ergebnisse zu Palliativmedizin und ärztlich assistiertem Suizid. Vor allem die Forderung nach dem Ausbau einer flächendeckenden allgemeinen palliativmedizinischen Versorgung (und nicht nur der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, die gegenwärtig in 3 37b SGB V als Leistung geregelt wird) und entsprechenden Leistungsansprüchen ist wegweisend. Auch die Forderung nach dem Ausbau des Faches Palliativmedizin an den Hochschulen und das Bestreben palliativmedizinische Kenntnisse zu verbreiten und den allgemeinen Standard der Behandlung in diesem Bereich zu heben, ist von erheblicher Bedeutung.

Dass der Bundesärztetag jetzt ein Verbot der Beteiligung am ärztlich assistierten Suizid in die Musterberufsordnung aufgenommen hat, ist grundsätzlich ebenfalls begrüßenswert: Es dient der Klarheit und macht deutlich, was im Rahmen einer ärztlichen Behandlung zu erwarten ist und was nicht. Der Abbruch einer ärztlichen Behandlung – auch mit der Konsequenz des Todes – ist grundsätzlich immer möglich, auch nur die Unterstützung bei der gezielten (Selbst-)Tötung durch Einleiten einer von der Krankheit unabhängigen Kausalität (Verabreichen von Natriumpentobarbital o.ä.) dagegen nicht.

Das Gesundheitswesen bleibt also ein Krankenversorgungswesen und wird nicht zu einer umfassenden Einrichtung, die sich um Leben und Tod gleichermaßen kümmert. In den Medien und vor allem seitens der Gegnerinnen und Gegner dieses Beharrens auf einer ethischen Selbstbeschränkungen wird nun allerlei beklagt und dramatisiert: Das Ende der Gewissensfreiheit, das Im-Stich-Lassen von verzweifelten Patienten, der umgehende Approbationsverlust etc.pp. Das ist Unsinn. Natürlich können Ärzte weiterhin Gewissensentscheidungen treffen, sie gehen damit aber ein gewisses Risiko ein: Normen sind immer so ausgelegt, dass sie nicht für jeden dramatischen Einzelfall zufriedenstellende Lösungen garantieren, deswegen gibt es rechtliche Konstruktionen wie den gesetzlichen oder übergesetzlichen Notstand.

Konkret muss die jetzt auf Bundesebene beschlossene Musterberufsordnung in den Landesärztekammern umgesetzt werden, das geschieht, wie die Vergangenheit zeigt, nicht immer schematisch. Erst die Landesberufsordnungen sind rechtlich für die dort jeweils organisierten Ärztinnen und Ärzte rechtlich verbindlich. Die Berufsordnungen selber regeln die Berufspflichten, aber keine Sanktionen für den Verstoß dagegen, das tun die diversen Heilberufsgesetze der Landeskammern, die auch die Berufsgerichtsbarkeit regeln. In manchen Gesetzen ist geregelt, dass der Kammervorstand Rügen und Ordnungsgelder bis zu 5000 EUR verhängen kann, wenn die Einschaltung eines Berufsgerichts nicht erforderlich erscheint. Die Berufsgerichte dann können einen angezeigten Verstoß gegen Berufspflichten mit den festgelegten Sanktionen ahnden (je nach Schwere des Verstoßes reicht das Sanktionsspektrum von der Verwarnung über den Verweis, Geldbuße bis hin zur Feststellung der Unwürdigkeit zur Ausübung des Berufs. Der Approbationsentzug oder die Anordnung des Ruhens der Approbation ist übrigens entgegen verbreiteter Auffassung keine Sanktion der Kammern oder Berufsgerichte, diese Maßnahmen kann nach der Bundesärzteordnung nur von den zuständigen Aufsichtsbehörden verhängt werden, die entsprechende Verfahren nur äußerst zögerlich in die Wege leiten. Dass allein die ärztliche Suizidbegleitung in einem Einzelfall, die nach wie vor strafrechtlich erlaubt ist, einen Approbationsentzug zur Folge haben könnte, ist nur schwer vorstellbar.

PS.: Den aberwitzigsten Bericht hat in diesem Zusammenhang ein Martin Rank in der „taz“ veröffentlicht, der einfach mal schlicht behauptet:

„Ärzte, die Sterbehilfe leisten, müssen in Zukunft mit scharfen Sanktionen rechnen – selbst wenn es sich um passive Sterbehilfe handelt. Dies hat die Bundesärztekammer auf ihrem 114. Ärztetag in Kiel beschlossen. Das Verbot war unter den Ärztevertretern sehr umstritten. Nach einer heftigen Debatte stimmten jedoch 166 Delegierte für den Vorstandsantrag, 56 waren dagegen und sieben enthielten sich ihrer Stimme. Eine Neuformulierung des Paragrafen 16 der Muster-Berufsordnung (MBO) soll die Grauzone bei der Sterbehilfe auflösen. Bislang war es Ärzten möglich, auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten, wenn das Hinausschieben eines unvermeidbaren Todes für den Patienten als unzumutbar galt. Die Neufassung würde bedeuten, dass Ärzte, die weiterhin passive Sterbehilfe praktizieren, ihre Zulassung verlieren können. Zustimmen müssen noch die Landeskammern.“

Dabei hätte er, wenn es ihm schon nicht möglich war die Pressemitteilung der Bundesärztekammer zu lesen, die zutreffend erläutert hat, dass es um assistierten Suizid ging und nicht um „passive Sterbehilfe“m nur einige Tage zuvor seine eigene Zeitung lesen müssen, die eine Themenseite zu der Kontroverse produziert hat. Schön, dass der taz-Kollege dann sofort Uwe Christian Arnold kommentierend zu Wort kommen lässt, der den BEschluss kraft seiner ärztlichen Kompetenz als verfassungswidrig qualifiziert. Leider teilt der taz-Reporter den Lesenden nicht mit, dass der Urologe Uwe Christian Arnold durchaus kein objektiver Beobachter ist, sondern längere Zeit 2. Vorsitzender von Dignitate war, dem deutschen Ableger der umstrittenen Sterbehilfeorganisation „Dignitas“. 

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18 Lesermeinungen

  1. @Peter Puppe: aber diejenigen,...
    @Peter Puppe: aber diejenigen, die ihre unbezweifelbare Kompetenz in den schwierigen Abwägungsprozess zwischen Leben und Tod einbringen sollten – die Ärzte – verweigern sich in breiter Front mit kaum nachvollziehbaren Argumenten.
    DU MEINST FRAUEN NICHT ÄRZTE!
    DIE WOLLEN MENSCHEN VORSCHREIBEN WANN SIE ZU LEBEN HABEN
    (§218StGB – Invitro-Zeugung)!
    https://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2011-06/kinderlose-befruchtung-adoption
    BEZAHLEN DARF ES UNGEFRAGT DIE ARBEITENDE BEVÖLKERUNG WELCHE MEIST AUS MÄNNERN BESTEHT.

  2. Ärztliche...
    Ärztliche Selbstbestimmungsrecht? Patientenwillen. Aus gemachter Erfahrung würde ich heute neben jeden Arzt einen Polizeibeamten setzen der genaustens diokumentiert. Und wie sind wohl die Kirchen an ihren Grundbesitz geraten? Haben die bei der letzten Ölung schnell mal mit ewigem Fegefeuer gedroht für eine Testamentsänderung zu Gunsten der sichselbstschwängernden Nutti Kirche?

  3. Scwachfug sagt:

    Berufsordnungen (Ordnungen,...
    Berufsordnungen (Ordnungen, weil sie nur auf Länderebene Gesetzeskraft haben)
    Deshalb nennen die sich ja auch im juristischen „BUNDESRECHTsAnwaltsOrdnung“
    Und bekanntlich steht Bundesrecht oberhalb von Landesrecht.

  4. GROBE_FEHLER sagt:

    @Thosten haupts:

    Argument ist...
    @Thosten haupts:
    Argument ist ganz einfach: Organspende birgt die Gefahr dß ein für sein weiterleben auf diese angeweisener Patient einen Organspender absichtlich zu Tode bringt um an dessen Organe zu kommen. Deshalb darf auch keine Zustimmung naher Angehöriger erfolgen weil die meist die geeignetsten Organempfänger sind. Ist wei mit Vaterschaft. Sobald man die Vaterschaft nicht an die biologische Realität koppelt hat man Kinderhandel ermöglicht. Daher gehören Hausgeburten auch verboten. Generell sollte man mal darüber nachdenken wozu man sich den Aufwad einer Passkontrolle an Grenzen und (Flug-)häfen macht aber kein Offizieller die Entbindungsstationen kontrolliert.

  5. Mitleser sagt:

    @ Doktor_Mengele
    Da stimme ich...

    @ Doktor_Mengele
    Da stimme ich Ihnen fast zu. Aus eigener Erfahrung rate ich bei schweren Erkrankungen zur vorherigen Absprache mit einem Anwalt. Ich habe als Student in einem Krankenhaus gearbeitet, in denen die Ärzte noch nicht einmal die positiven Voten ihrer sogenannten Alibi-Ethik-Kommitess beachtet haben. Die haben schwer und unheilbar Kranke gegen deren erklärten Willen weiter behandelt. Und sie haben zugegeben, dass es dem sch… Krankenhaus nur ums Geld ging.
    Seitdem ist das für mich eine Gruppe mit einem roten Tuch.
    @ Scwachfug
    Wollen Sie Ihre hoch geschätze Meinung noch einmal verdeutlichen?

  6. Lutz Barth sagt:

    Nun - die nachfolgenden...
    Nun – die nachfolgenden Beiträge im BLOG laden nicht gerade dazu ein, weiter zu argumentieren, wenngleich doch bitte der Kollege Tolmein uns die inzident vorgelegte Frage beantworten möge, wann der Arzt denn nun ein Arzt sei?
    Ist es vielleicht der Arzt, der mit Eintritt in den Beruf zugleich auch verpflichtet ist, einer neopaternalistischen Arztethik zu frönen und seiner individuellen Gewissensentscheidung abzuschwören, es sei denn, er hofft auf einen gnädigen Richter, der da in seiner individuellen Gewissensentscheidung und den sich darin widerspiegelnden Konflikt einen „gesetzlichen oder übergesetzlichen Notstand“ erblickt?
    Mit Verlaub – es stellt sich zuvörderst die Frage, ob der BÄK resp. in der Folge den LÄK die Normsetzungskompetenz zukommt und – sofern dies zu bejahen ist – die Norm als solche verhältnismäßig ist oder nicht doch zu sehr in die Grundrechte der verfasste Ärzteschaft eingreift.
    Wir können nun aktuell vernehmen, dass auch Jochen Taupitz wohl davon ausgeht, dass das Verbot zulässig sei. Nun – ohne Frage schätze ich Herrn Taupitz sehr, wenngleich es sinnvoll wäre, die „These“ mit entsprechenden Argumenten zu untermauern, die dann zur Überprüfung anstehen. Ich für meinen Teil hege Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit und eigentlich ist es zu begrüßen, dass nunmehr die Zeit der „Sonntagsreden“ vorbei ist. Die verfasste Ärzteschaft hat sich positioniert und ein Verbot beschlossen, so wie seinerzeit der 66. Deutsche Juristentag für eine Liberalisierung votierte und sich dafür ausgesprochen hat, von einer standes- resp. berufsrechtlichen Missbilligung Abstand zu nehmen.
    Beiden Organisationen ist es gemein, dass diese beileibe nicht den Gesetzgeber ersetzen und dieser wird darüber zu befinden haben, ob er sich nun der Problematik anzunehmen gedenkt. Ich meine, dass die grundrechtlichen Schutzpflichten dies gebieten und zwar ungeachtet der Tatsache, dass hier m.E. die Normsetzungskompetenz überschritten wird, wenn und soweit die LÄK das Verbot in ihrem jeweiligen Landesrecht übernehmen (der Facharztbeschluss des BVerfG gibt diesbezüglich eindeutige Hinweise).
    Die Frage aber, wann ein Arzt ein Arzt sei, sollte eher leidenschaftslos beantwortet werden: einer, der sein „Fach“ und damit sein „Handwerk“ versteht und demzufolge in der Lage ist, lege artis zu behandeln und es ist eben nicht derjenige, der da diktatorisch über das Berufsrecht zu einer „Gewissensentscheidung“ im Berufsstand verpflichtet wird und ihm allenfalls das „Recht“ konzediert wird, in seinem stillen Kämmerlein seine wahre Gewissensentscheidung zu verkünden, ohne allerdings hiernach handeln zu dürfen. Das Drama ist insbesondere darin zu erblicken, dass ein „Arztethos“ beschworen wird, über das vortrefflich auch unter ethischen Gesichtspunkten gestritten werden kann, aber eben von einem kleinen handverlesenen und erlauchten Kreis von Obermoralisten definiert wird (sehen wir mal von dem verblassten Geist des Hippokrates ab). Hier wird „Herrschaft“ und „Macht“ ausgeübt, obgleich es Mittel und Wege gegeben hätte, die divergierenden Wert- und Gewissensentscheidungen vor dem Hintergrund einer „Norm“ zu harmonisieren und der Wertepluralität Rechnung zu tragen. Dies war aber aus der Sicht einiger Überzeugungstäter nicht gewollt und ein Arzt dürfte in erster Linie auch derjenige sein, der sich darin erinnert, dass er seinen Beruf nach seinem Gewissen ausübt und nicht nach dem eines Montgomery, Windhorst, Henke oder sonst eloquent vortragende Medizinethiker, die gerne in die Glaskugel schauen, anstatt sich der wissenschaftlichen Arbeitsstandards zu bedienen!
    Die Mär vom Widerspruch zwischen der Palliativmedizin und der ärztlichen Suizidassistenz aufzulösen, ist so schwer nicht, nicht zuletzt auch deswegen, weil prominente Palliativmediziner geradezu eine Vorlage dafür geliefert haben, dass die schwersterkrankten und sterbenden Menschen bitte schön keine „unmoralische“ Anfragen an sie zu richten hätten. Vielmehr seien die Palliativmediziner aufgerufen, einen „Sterbewillen“ in einen „Lebenswillen“ abzuändern; will heißen: der Patient wird zum Zwecke des Gelingens des weiteren Ausbaus der Palliativmedizin schlicht instrumentalisiert und in der Sprache einer liberalen Verfassungsrechtlers: der Patient wird zum Objekt einer bereichspezifischen Sonderethik herabgewürdigt, die mehr als unerträglich ist. Erst über das „Leid“ wird das hohe Gut der „Freiheit“ erfahrbar und der Patient mag sich in den Dienst einer Palliativmedizin stellen und im Zweifel – wenn denn schon erforderlich – das Angebot der palliativen Sedierung annehmen; einem Dauerschlaf, der nicht umsonst als „kleiner Bruder des Todes“ bezeichnet werden kann und der sich von einer „aktiven Sterbehilfe“ nur dadurch unterscheidet, dass über die Wahl des Medikaments der Tod sich nicht einstellen wird und im Übrigen es nicht (?) der Wille des Arztes sei, dass der Patient versterben möge. Mein Gott – wie quer doch die Überzeugungstäter denken können, um ihre Mission erfolgreich beenden zu können, während sie vielleicht insgeheim zu Hause denken, dass der Patient vielleicht doch schnellstens angesichts seines Leids versterben möge. Alles im Namen des würdevollen Sterbens …
    Nun – vielleicht wird es den nachfolgenden Ärztegenerationen gelingen, die unrühmliche Zeit eines ethischen Neopaternalismus der Ärzteschaft im 21. Jahrhundert aufzuklären und sich zu den ethischen und moralischen Entgleisungen ihrer früheren Kollegen zu bekennen. Der 250. Deutsche Ärztetag könnte sich dann der Aufarbeitung annehmen…

  7. Mitleser sagt:

    Ein guter Arzt ist der, der...
    Ein guter Arzt ist der, der dankbar gegnüber der Gesellschaft ist, da er ein fast kostenloses Studium in Deutschland machen durfte und ihm ein sehr hohes Gehalt sicher ist, dessen Entwicklung fast unabhängig ist von jeweils aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Dafür darf die Gesellschaft eine mindestens durchschnittlich hohe Arbeitsleistung erwarten. Die Dankbarkeit einer olchen Person hat sich u.a. dadrin zu zeigen, dass er dem Recht verpflichtet ist und keiner Iedeologie.
    Die Gesellschaft wird sich fragen müssen, ob wir uns eine verfasste Ärzteschaft weiter lesiten wollen, die in ideologisch in der Vergangenheit lebt.

  8. Lutz Barth sagt:

    Verehrter Herr...
    Verehrter Herr Tolmein.
    Erlauben Sie mir persönlich die Frage, warum angesichts einer höchst aktuellen Debatte Sie offensichtlich keine Veranlassung sehen, weiter über das beschlossene Verbot der ärztlichen Suizidbegleitung zu diskutieren, obgleich es doch Sinn machen könnte, ggf. diesbezüglich mit einigen Argumenten aufzuwarten, die das Verbot zumindest plausibel erscheinen lassen, und zwar ungeachtet einer verfassungsrechtlichen Bewertung?
    Der Vorwurf, dass die BÄK ein moralisches Zwangsdiktat „erlassen hat“, ist letztlich nicht ohne, steht doch zu befürchten an, dass die BÄK sich in Gestalt einiger Funktionäre zum „ethischen Großinquisitor“ aufschwingt, bei der die individuelle Gewissensentscheidung einer angeblich freien Ärzteschaft nicht nur gebeugt, sondern zu Zwecken der „Dogmatisierung“ eines nicht vorhandenen arztethischen Konsens ihres vollständigen Kerns beraubt wird, so dass § 2 Abs. 1 MBO-Ä zur bloßen Makulatur wird.
    Darf daran erinnert werden, dass auch die individuelle Freiheit zur Gewissensentscheidung zu den fundamentalen Grundrechten zählt und mit Blick auf die Ärzteschaft derzeit einem Erosionsprozess ausgeliefert ist, der nur schwer erträglich ist und hier sich eine Kammer dazu aufschwingt, eben diese individuelle Gewissensentscheidung ihrer Mitglieder nicht ernst zu nehmen und dazu übergegangen ist, in moralisch höchst bedenklicher Weise ihren Autoritätsanspruch dazu zu „missbrauchen“, die unterschiedlichen Auffassungen, Werte und höchstpersönliche Entscheidungen mittels Zwang zu kollektivieren, obgleich doch Art. 4 GG (zunächst) frei von „Schranken“ ist?
    Haben vielleicht die Ärztefunktionäre und Delegierten auch zu viel „christliches Schwarzbrot“ gegessen, das angesichts der Klerikalisierung eines Arztethos als Schonkost darüber hinwegtäuschen soll, dass sehenden Auges Grundrechte versenkt werden?
    Nun – in der Hoffnung, dass diese Anfragen nicht der „Zensur“ anheim fallen, wäre ich Ihnen persönlich dankbar, wenn Sie nicht ihrer Tradition treu bleiben und die zentralen Aspekte innerhalb der Debatte aussparen, zumal es Ihnen doch daran gelegen sein müsste, hier im Forum uns davon zu überzeugen, dass der Verweis auf die Gewissensfreiheit tatsächlich „Unsinn“ sei.
    Das Recht und noch weniger das Verfassungsrecht übernimmt das, was eine bereichsspezifische Ethik als verbindliche Richtschnur vorgibt, zumal es nach wie vor nicht ausgemacht ist, ob dass Verbot einer rechtlichen Überprüfung standhält. Lassen wir die „Arztethik“ im Dorf und konzentrieren uns auf die zentrale Frage, die da thesenhaft wie folgt formuliert werden kann: Darf die Kammer das Arztethos dergestalt „dogmatisieren“, als dass sich hieraus eine unmittelbare Schranke für das Grundrecht der Gewissensfreiheit und der Berufsfreiheit der Ärztinnen und Ärzte ergibt?

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