„Wie deutsche Ärzte Patienten reihenweise beim Suizid helfen“ war schon eine Ankündigung, die befürchten ließ, dass die Reporter von „Report Mainz“ weniger der Wahrheit ans Tageslicht helfen, als reihenweise flotten Schlagzeilen auf die Sprünge helfen wollten. Dass die Redaktion den Beitrag voll betroffener Gedankenlosigkeit „Sterben in der Grauzone“ betitelt hatte, ließ die Klischee-Warnanlage noch etwas dumpfer wummern. Schon die ersten beiden Worte des Moderators passten dazu viel zu gut:
„Tabuthema Sterbehilfe.“
Oh ja, seit nahezu zwanzig Jahren gibt es nur wenig Themen, über die so viele Bücher, Feuilletonartikel, Diskussionssendungen veröffentlicht wurden, die so vielen Talkshows Gäste bescherten und so vielen Meinungsforschungsinstitute Umfrageaufträge wie dieses. Wenn etwas schon lange keine Tabu mehr ist, sondern Tamtam, dann „Sterbehilfe“
Zum Einstieg des Beitrags dann eine namenlose Krebspatientin, die verschwommen gezeigt wird und Sätze sagt, die Fragen aufwerfen:
„Und diese Aussagen, man muss sich nicht quälen, man muss keine Schmerzen haben, das stimmt auch nur bedingt.«
Wieso stimmt es „bedingt“? Sind es ihre persönlichen Erfahrungen? Oder spricht sie als Expertin? Und was heißt das konkret für Ihr Leben? Vor allem aber: Wieso spricht hier als eine Art Kronzeugin auf Patientinnenseite eine anonymisierte Frau? Für sie ist Suizid keinesfalls strafbar, ihr droht nichts. Es gibt hier auch keinen besonderen Persönlichkeitsschutz, der gewahrt werden muss. Wer sich in einer solchen gesellschaftlichen Debatte zu Wort meldet, sollte das identifizierbar und überprüfbar tun.
Der Beitrag kommentiert, was die Betroffene nicht sagt – und fährt mit einer Unterstellung fort:
„Sie leidet – trotz Schmerztherapie. Doch von solchen Erfahrungen Schwerstkranker lässt sich die organisierte deutsche Ärzteschaft wenig beeindrucken.“
Möglicherweise und gar nicht unwahrscheinlicherweise leidet die Patientin zumindest auch an einer schlechten Schmerztherapie – die schmerztherapeutische Ausbildung deutscher Mediziner läßt zu wünschen übrig. Aber damit befasst sich der Beitrag nicht, der ein klares Feindbild hat: die organisierte deutsche Ärzteschaft und vor allem den neuen Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, über den der Beitrag weiß:
„Er setzt das Verbot des ärztlich assistierten Suizides durch.“
Nun befand sich Montgomery eine Zeitlang im Fokus der Kritik, weil er auch den anfangs von den Befürwortern des ärztlich assistierten Suizids heftig begrüßten, von vielen Ärzten scharf kritisierten Abschied von der Formulierung der ärztlich assistierte Suizid widerspreche dem „ärztlichen Ethos“ mitgetragen hatte. Es war auf dem Ärztetag auch gar nicht nötig, dass ein Streiter allein das Verbot des ärztlich assistierten Suizids hätte durchsetzen müssen – die ganz überwiegende Mehrheit der Delegierten war entschieden dafür.
Es folgen in dem knapp sieben Minuten langen Beitrag O-Ton Schnitte der anonymen Krebspatientin gegen den namhaften Ärztefunktionär. Während die Patientin aber Bezug auf Montgomerys Äußerungen nehmen kann, die sie offenbar kannte, wusste Montgomery offensichtlich nicht, wogegen seine Worte geschnitten werden sollten. Sein daher notwendigerweise allgemein gehaltenes Statement wirkt damit weniger empathisch als schematisch.
„»Der Ärztetag hat ja sehr klar in seinen Diskussionen gezeigt, dass das verzweifelte Menschen sind, denen man mit Palliativmedizin und Schmerztherapie mehr hilft als mit Tötungsspritzen oder Giftcocktails.«
Als ginge es darum, diesen Eindruck noch zu verstärken widerspricht ihm im nächsten Gegenschnitt der in der Debatte seit längerem einschlägig bekannte Arzt Michael de Ridder, Internist und Chefarzt einer Rettungsstelle, der sich schon im Vorfeld des Ärztetages mit starken Worten für eine Freigabe des ärztlich assistierten Suizids hervorgetan hat.
„»Die Ärzteschaft hat diesen Patienten, denen mit palliativmedizinischen Mitteln nicht mehr geholfen werden kann, sie hat die Arme zu öffnen für sie. Sie darf sie nicht alleine lassen. Und das genau tut sie mit diesem Beschluss.«
Auch hier wären Fragen angebracht gewesen: Was für Patienten meint de Ridder, denen Palliativmediziner nicht mehr helfen können? Hält er die palliative terminale Sedierung für ein palliativmedizinisches Mittel oder nicht? Wieso werden Patienten alleine gelassen, nur weil Ärzte ihnen nicht helfen, den Suizid in einem medizinischen Setting zu vollziehen? Nichts davon fragen die Autoren, die stattdessen noch einen zweiten Arzt auftreten lassen, Uwe Christian Arnold. Der Text sagt über ihn:
„Die Folge: Sterbewillige Patienten suchen einen Ausweg bei Ärzten in der Grauzone. Bei Ärzten wie ihm: Uwe-Christian Arnold, er macht etwas, was es eigentlich in Deutschland nicht geben soll. Er ist Sterbehelfer, zeigt uns ein dafür notwendiges Medikament.“
Arnold ist kein Arzt in der Grauzone. Er war, was der Beitrag verschweigt, jahrelang zweiter Vorsitzender von Dignitas Deutschland. Er ist Urologe. Und er ist weder Meister der gesprochenen deutschen Sprache, noch hat er ein besonders genaues Erinnerungsvermögen. In SWR fragt ihn der Interviewer:
„Frage: Wie vielen Menschen haben Sie bislang geholfen in der Art?
O-Ton, Uwe-Christian Arnold, Arzt und Sterbehelfer: »Na ja, mit denen ich Kontakt hatte, vielleicht 150 bis 200.«
Bis zu 200 Menschen hat er beim Suizid geholfen. Ohne jede Kontrolle, nur nach eigenem Ermessen. So offen zugegeben hat das noch nie ein Arzt.“
Das ist wohl das „reihenweise“. Nur: Ob das stimmt, was Arnold hier behauptet, hat der SWR nicht überprüft (zumindest nicht erkenbar). Es mutet schon recht merkwürdig an, dass der angebliche Sterbehelfer nicht mal die Zahl seiner Sterbehilfen genau beziffern kann. Und was heißt „Kontakt hatte“? Was heißt überhaupt hier „ärztlich assistierter Suizid“? Arnold gibt im Interview an, er beschaffe die Medikamente nicht, er sorge nur dafür, dass sie in deren Besitz kämen. Wie hat man sich das vorzustellen? Arnold, der sich selbst hier vielfacher Verstöße gegen die Berufsordnung, die es ja auch schon vor diesem Ärztetag gab, suggeriert er andererseits er müsste sich vor Nachforschungen schützen. Warum? Und wieso „beschafft“ er die Medikamente nicht gleich?
Ähnlich eigentümlich seine Antwort auf die Frage, ob er beim Sterben nach der Suizidhandlung dabei sei:
»Möchte ich nicht beantworten die Frage, das ist, glaube ich, zu gefährlich. Aber Sie sehen schon an der Art und Weise, wie ich ausweiche, dass ich das in Einzelfällen schon mache.«
Ärztlich Suizidbeihilfe durch einen Arzt, der die Medikamente nicht beschafft und hinterher zumindest nicht immer dabei ist – was soll das sein? Und warum hier so zögerlich mit Informationen? Wenn hier etwas gefährlich sein sollte, dann nicht aus berufsrechtlichen Gründen. Die Beihilfe zum Suizid hat der Arzt ja eingeräumt. Unklar bleiben kann dann nur noch, ob es nicht doch auch um ein strafbares Verhalten geht: Hatten die 150 bis 200 angeblichen Suizidpatienten von Herrn Arnold wirklich die Tatherrschaft? Oder bewegte sich Arnold auch auf der Grenze zur Tötung auf Verlangen? Gab es Umstände in den Fällen, die eine Hilfeleistungspflicht des Arztes ausgelöst haben könnten? Keine Fragen von „Report“, dort kam es mehr auf die Gesinnung an, weswegen als juristischer Experte der ebenfalls einschlägig bekannte Wolfgang Putz (und nur er), Rechtsanwalt aus München und überzeugter Sterbehelfer den Reigen vervollständigte.
„»Das Problem ist, dass wir sehr viele Patienten nicht nur zu dubiosen Organisationen, sondern auch in die Heimlichkeit treiben werden. Und dass damit die Kontrolle, ob sich nicht doch sehr viele Menschen das Leben nehmen, denen man hätte helfen müssen, dass diese Kontrolle eben verschenkt wird, und das ist die Traurigkeit dieses Beschlusses.«
Die Traurigkeit des Beitrages ist, dass keiner der Autoren nachgefragt hat, wen denn ausgerechnet Putz, der gerne auch die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben berät und von dem man auch kein böses Wort über Dignitas gehört hat, für „dubiose Organisationen“ hält oder, noch interessanter, wie denn er sich „Kontrolle“ vorstellt, der doch für eine ganz weitgehende Deregulierung der rechtlichen das Leben schützenden Normen eintritt.
Aber „Report“ wollte mit diesem Beitrag auch nicht informieren oder gar Hintergründe aufzeigen, sondern einfach moralisieren. Besonders eindrucksvoll führt das der Schluss vor Augen. Frage eines der Autoren an Montgomery:
Frage: Glauben Sie, dass Ärzte als Sterbehelfer unterwegs sind? O-Ton, Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident Bundesärztekammer: »Mir ist nicht bekannt, dass Ärzte als Sterbehelfer unterwegs sind, und ich kenne keine Fälle.«
Anschlusstext der Autoren:
„Von solchen Aktivitäten will der neue Ärztepräsident also nichts wissen.“
Er weiß es nicht. Nicht mehr und nicht weniger hat Montgomery gesagt. Alles andere ist, es sei denn man wiese ihm nach, dass er etwas anderes wüßte, eine Unterstellung. Die Autoren wissen es übrigens auch nicht. Sie haben als Beleg für ihre These „Wie deutsche Ärzte Patienten reihenweise beim Suizid helfen“ einen einzigen Arzt vorgeführt, der sich zu seinen angeblichen Taten wenig konkret und detailreich bekennt, sowie eine anonymisierte Ärztin, die behauptet, zehn Patienten beim Suizid geholfen zu haben. Eine besonders tragfähige Basis für so eine Aussage ist das nicht. Und schon gar kein starkes Argument gegen den Beschluss des Ärztetages: Selbst wenn Ärzte beim Suizid assistieren, sagt das doch nichts darüber aus, ob es richtig ist, sie gewähren zu lassen. Es gibt schließlich, wie wir aus Prozessen wissen, auch Krankenpfleger, Krankenschwester und Ärztinnen, die aus Mitleid Todesspritzen setzen, meist ohne Einwilligung der betroffenen Patienten, deren Leben gleichwohl als Leidensprozess beschrieben undv verstanden wird. Nur weil etwas getan und mit dem Wunsch Gutes tun zu wollen begründet wird, ist es ja nicht gleich hinzunehmen.
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Es wäre naiv anzunehmen, dass...
Es wäre naiv anzunehmen, dass es nicht zahlreiche Ärzte gibt, die human denken (anders als dieser Montgomery) und handeln. Davon gibt es prozentual genau so viele wie es human denkende Menschen in der Gesellschaft dieses Landes gibt. Die Geheimniskrämerei, die um dieses Berufsstand veranstaltet wird, ist der beste Nährboden für falsche Annahmen über ihn. Es gibt mit großer anzunehmender Wahrscheinlichkeit mehr Ärzte, denen Recht wichtiger ist, als sich an teilweise verfassungswidrige extravagante „Arzteschwüre“ in Form von Kammerrecht zu halten. Warum Sie daran zweifeln, bleibt mir unerklärlich.
schon richtig, aber niemand...
schon richtig, aber niemand würde behauptet, dass das was im Fernsehn (außerhalb der nachichten) gezeigt wird der wahrheit entspricht.
SWR hat warscheinlich als Zielgrupper alte Menschen die für die aktive Sterbehilfe sind und bauen die talkshows deshalb mit dem Ziel auf dafür belege zu finden
trotzdem ein interessanter text.
Sehr geehrter Herr Dr....
Sehr geehrter Herr Dr. Tolmein,
ich meine, man sollte den Bereich der unforcierten Selbsttötung so regeln, dass das „Menschenrecht auf Selbstbestimmung über Art und Zeitpunkt des eigenen Todes“ (darum handelt es sich ja nach der EMRK) auch von jedem geschäftsfähigen volljährigen Menschen auch tatsächlich qualitätsgesichert in Anspruch genommen werden kann.
In der deutschen Rechtsarchitektur kommt dafür eine der Regelung der Abtreibung ähnliche Regelung in Betracht: „Beratung“, „Beratungsschein“, Rehabilitationsangebote, daraufhin ggf. medizinisch begleitete Selbsttötung.
Diese Frage den Berufs- oder den Sterberechtsorganisationen, den Interessensgruppen oder den intermediären Institutionen zu überlassen, kann auf die Dauer nicht so weitergehen, da es schon jetzt massenhaft verdeckte Tötungen auf Verlangen bzw. „aktive Sterbehilfe“ und „Freitodbegleitungen“ gibt. Staat und Gesellschaft müssen am Ende akzeptieren, dass Menschen sterben wollen; dies nicht zu tun, ist vordemokratisch und am Ende auch weltfremd.
Ob "Sterbehilfe" wirklich...
Ob „Sterbehilfe“ wirklich human ist, wage ich zu bezweifeln. Besser wäre ein deutlicher Ausbau der palliativmedizinischen Versorgung und eine bessere schmerztherapeutische Ausbildung der Ärzte. Dann entfällt nämlich bei vielen Patienten der Todeswunsch.
Abgesehen davon bleibt die Sterbehilfe, wie sie z.B. Dignitas anbietet, in Deutschland illegal – von den arzneimittelrechtlichen Problemen zu schweigen.
Aber die grosse Mehrheit, mit der diese Änderung verabschiedet wurde, zeigt, dass es in der Ärzteschaft mehr Gegner als Befürworter der Sterbehilfe gibt. Und dies sollte eigentlich ein gutes Zeichen sein.
Wenn es keine Ärzte geben...
Wenn es keine Ärzte geben würde, die in verschiedenen Situationen des Menschen hilfreich sind, die von den Konservativen als verurteilenswert betrachtet werde, dann hätte es in Deutschland viel größerer Proteste gegen sie gegeben. Aber es gibt so gut wie keine öffentlichen Auseinandersetzungen. Es gibt auch in Deutschland für Alles eine Lösung. Sie ist meist teuer, aber es gibt sie. Andere Bereiche sind Organtransplantationen, freiwillige Amputationen und sonstige Körperveränderungswünsche. Nochmal: Es ist naiv zu glauben, dass alle (!) Ärzte sich an den teilweise absurden Weltbildern eines Montgomery oder wie die Hüte des heiligen Grals so heißen mögen (Windhorst, eben nicht mit dt geschrieben) orientieren. Im Weltbild der offiziellen deutschen Ärzteschaft mag die Postmoderne als irreales Hirngespinst existieren. Tatsächlich ist sie aber auch in diesem Bereich Realität. Und auch wenn das öffentlich rechtliche TV sich überwiegend an die über 60 Jährigen wendet, finde ich es gut, dass für Arnold und die Schweizer wenigstens Werbung gemacht wird.
Nun – ich habe es...
Nun – ich habe es „befürchtet“ und da ich mich nicht für irgendeine „humanistische Idee“ sowie für eine palliativmedizinische Sonderethik instrumentalisieren lasse, komme ich nicht umhin, der TV-Kritik des Kollegen Tolmein zuzustimmen, auch wenn wir in der Sache – freilich auf der Ebene des Rechts – nicht einer Meinung sind.
Der Beitrag war – wie im Übrigen ganz überwiegend die mediale Aufbereitung eines brisanten Wertedebatte in den vergangenen Jahren (ich denke hier an Beckmann, Markus Lanz, Hart aber Fair, Illner usw.) – äußerst mäßig bis schlecht. Eine „Reportage“, die in der Tat mehr Fragen denn Antworten aufwirft und so hinter den Erwartungen zurückbleibt, die man/frau eigentlich nach den zuweilen heftigen Diskussionen gerade in den letzten Monaten an eine Sendung hätte knüpfen können. Denn immerhin „steht“ einstweilen der Beschluss, der mit einer entsprechenden Mehrheit auf dem Deutschen Ärztetag gefasst wurde.
Es ist für den Wertediskurs geradezu paradigmatisch, dass er sich auch in einer medialen Präsentation durch seine Trivialität auszeichnet und sich eben nicht sonderlich von dem abhebt, was die einzelnen Protagonisten mit Blick auf ihre „würdevolle Sterbekultur“ gelegentlich auch in Fachbeiträgen zu Papier bringen. Befürworter und Gegner sind gleichermaßen gemeint und in diesem Sinne erweisen die verschiedenen „Lager“ insgesamt der Diskussion einen gewaltigen Bärendienst. „Überzeugungstäter“ – hüben und drüben – sind eben nicht gewünscht und es erscheint mir persönlich hohe Zeit zu sein, dass das Thema grundsätzlicher angegangen wird und damit meine ich primär unter rechtsethischen und verfassungsrechtlichen Aspekten.
Wir brauchen keinen „neuen Messias“ – ggf. auch gleich mehrere – die uns ihre frohe Kunde von einem würdevollen Sterben gebetsmühlenartig vortragen, sondern Mitdiskutanten, die bereit sind, in einem offenen Diskussionsprozess die entscheidenden Argumente vorzutragen und ggf. nach einem verfassungsrechtlich tragbaren und im Übrigen wünschenswerten Konsens streben und zwar jenseits ihrer Rolle als „Überzeugungstäter“ oder Oberethiker.
Nun bin ich zwar nicht „blauäugig“ genug, um nicht zu wissen, dass gerade auch in der Verfassungsrechtswissenschaft ein „Lagerdenken“ ausgemacht werden kann und dies sich nicht zuletzt in den verschiedenen Grundrechtstheorien widerspiegelt; gleichwohl darf aber in Erinnerung gebracht werden, dass jedwede „Grundrechtsentfaltung“ sich im Zweifel an den Vorgaben des BVerfG und künftiger Entscheidungen zu orientieren hat und da darf denn auch auf einen „Wissenschaftswettbewerb“ gesetzt werden, der über die Qualität der Argumente entschieden wird.
Mit Blick auf diesen einzufordernden „Wettbewerb“ ist es wenig hilfreich, in einen „Wettstreit“ widerstreitender arztethischer Meinungen einzutreten, die erkennbar nicht harmonisierungsfähig sind, ja eigentlich nicht sein können, wenn wir die Freiheit zur individuellen Gewissensentscheidung ernst nehmen wollen und zwar sowohl für die Befürworter als auch die Gegner der Liberalisierung der ärztlichen Suizidbeihilfe und zwar auch unter Einschluss religiöser Wertvorstellungen. Auf der Grundlage unserer Verfassung hingegen sind wir aufgefordert, nach einer Lösung eines gesellschaftlichen Wertekonflikts zu streben, die angesichts der Wertentscheidungen im Grundgesetz tragbar ist und miteinander konfligierende „Gewissensentscheidungen“, die zu verinnerlichen wir ausdrücklich dürfen, sachgerecht zum Ausgleich bringen, ohne dass hierbei sich die einzelnen Apologeten verschiedener „Sterbekulturen“ von ihren Idealen, Bereichsethiken oder Glaubensbekenntnissen zu verabschieden hätten.
Dass dies möglich ist, steht außer Frage, denn Grundrechtskonflikte sind so neu nun wahrlich nicht! Die Kernfrage muss also lauten, ob es mit unserer Verfassung vereinbar ist, wenn ein „Arztethos“ (gleich welchen Inhalts!) die Qualität eines Dogmas beigemessen bekommt, dass zu beachten der Ärztin oder dem Arzt über das Berufsrecht aufgegeben wird? Ich meine nein, wenngleich es freilich den Palliativmedizinern resp. den Ärzten allgemein selbst überantwortet ist, darüber zu befinden, ob sie „ihre Armen gegenüber schwersterkrankten und sterbenden Patienten“ öffnen wollen und zwar mit Blick auf den Wunsch nach einem frei verantwortlichen Suizid. Die Palliativmediziner haben in Teilen mit der von ihr getragenen Charta einen Weg eingeschlagen, der auf einem ethischen Fundament gründet, welches wir durchaus zu akzeptieren haben, mögen wir es auch nicht begrüßen. Entscheidend ist, dass hier der Bezugspunkt für die bereichsspezifische Ethik das Gewissen der einzelnen Palliativmediziner ist – eine Gewissensentscheidung, die zu tolerieren ist, wie sich unschwer aus Art. 4 GG ergibt. Sofern aber die Palliativmedizin „verobjektiviert“ wird und über diesen Weg gleichsam die subjektiven Elemente einer individuellen arztethischen Entscheidung überlagert resp. verdrängt und damit im Zweifel ihres subjektiven Kerns „beraubt“ werden, scheint mir die Grenze überschritten zu sein, will heißen: Das „Arztethos“ wird zu einem objektivrechtlichem Wert überhöht, über das sich dann gleichsam immanente Schranken für die konkrete ärztliche Berufsausübung und der Gewissensentscheidung ergeben.
Eine solche – im Übrigen gerade der Verfassungsrechtswissenschaft bekannte – „Wertkategorie“ zu generieren, ist m.E. nicht die Aufgabe einer Kammer, zumal nicht in Gestalt einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Und selbst wenn dies doch der Fall sein sollte, verbleibt es dabei – frei mit den Worten des BVerfG -, dass die objektivrechtlichen Elemente den subjektivrechtlichen Elementen schlicht zu „dienen“ haben!
ca.10000 Selbsttötungen jedes...
ca.10000 Selbsttötungen jedes Jahr sind Fakt.
Dass Menschen aus dem Fenster springen, sich vor den Zug werfen müssen,
ist den Heuchlern geschuldet.
Schließlich läßt sich ja mit „Patienten“ noch Geld verdienen.
Ich verstehe aber, dass Ärzte nicht beim Töten „helfen“ wollen.
@Gabriele
Den meisten...
@Gabriele
Den meisten Menschen, die sich – leider – umbringen, dürfte nach allen Grundsätzen keine Sterbehilfe gewährt werden. Voraussetzung ist regelmäßig eine schwere Erkrankung mit tödlichem Verlauf in unheilbarem Stadium. Wenn sich aber ein depressiver Patient aus dem Fenster stürzt, dann hat das Gesundheitssystem versagt, weil ihm nicht rechtzeitig psychiatrische Hilfe zuteil wurde. Das hat nichts, aber auch gar nichts, mit der Frage der ärztlichen Sterbehilfe bei schwerkranken Patienten zu tun. Es kommt gerade nicht auf den aktuellen „Willen“ des Patienten zu sterben an – oder jedenfalls sollte es nicht darauf ankommen. Wunschmedizin mag bei kosmetischen Operationen gehen, aber nicht bei einer nicht reparierbaren Lebensbeendigung.
@Gabriele: Ich weiß nicht...
@Gabriele: Ich weiß nicht genau, wen Sie mit den „Heuchlern“ meinen. Aber sind Sie der Auffassung, dass den 10.000 Suizidenten pro Jahr besser von Ärzten in den Tod geholfen werden sollte? Oder manchen von ihnen – aber welchen dann?
@Mak
Vielleicht sollte man...
@Mak
Vielleicht sollte man sich zuerst einmal um die Menschen kümmern, die leben wollen und deren Leben durch Hunger, Kriege, Diktaturen und Terrosismus bedroht ist. Heute sterben 1000 Menschen in Afrika weil sie nicht genug zu essen haben, werden 100 Menschen als politische Oppositionelle erschossen, 100 zu tode gefoltert. Aber in einer saturierten Gesellschaft ist es einigen Leuten wichtiger, dass ein im Vergleich zu einem Bauern in Afrike Millionen verdienender deutscher Arzt mit unspizifischem Gottesglaube ein weiches „ethisches“ Ruhekissen in der Nacht findet. Dafür wird dann die Freiheit eines Suizidenten in diesem Land gerne mal mit den Füßen getreten weil einem ansonsten in unserer Wohlstandgsesllschaft nichts mehr einfällt verlangen die, die einen Serlbstmord für eine „Sünde“halten nächste Woche vielleicht noch ein Gesetz dagegen. Mak, weisen Sie mal nach, dass ein „depressiver Patient“, wie sSie ihn nennen, tatsächlich im naturwissenschaftlichen Sinne eine Krankheit hat, dann bekommen Sie bald einen Nobelpreis. Aber den wollen Sie vermutlich gar nicht, denn Ihnen geht es um Ihre Prinzipien, nach denen sich jeder zu richten hat. Das ist arm.