„Wie deutsche Ärzte Patienten reihenweise beim Suizid helfen“ war schon eine Ankündigung, die befürchten ließ, dass die Reporter von „Report Mainz“ weniger der Wahrheit ans Tageslicht helfen, als reihenweise flotten Schlagzeilen auf die Sprünge helfen wollten. Dass die Redaktion den Beitrag voll betroffener Gedankenlosigkeit „Sterben in der Grauzone“ betitelt hatte, ließ die Klischee-Warnanlage noch etwas dumpfer wummern. Schon die ersten beiden Worte des Moderators passten dazu viel zu gut:
„Tabuthema Sterbehilfe.“
Oh ja, seit nahezu zwanzig Jahren gibt es nur wenig Themen, über die so viele Bücher, Feuilletonartikel, Diskussionssendungen veröffentlicht wurden, die so vielen Talkshows Gäste bescherten und so vielen Meinungsforschungsinstitute Umfrageaufträge wie dieses. Wenn etwas schon lange keine Tabu mehr ist, sondern Tamtam, dann „Sterbehilfe“
Zum Einstieg des Beitrags dann eine namenlose Krebspatientin, die verschwommen gezeigt wird und Sätze sagt, die Fragen aufwerfen:
„Und diese Aussagen, man muss sich nicht quälen, man muss keine Schmerzen haben, das stimmt auch nur bedingt.«
Wieso stimmt es „bedingt“? Sind es ihre persönlichen Erfahrungen? Oder spricht sie als Expertin? Und was heißt das konkret für Ihr Leben? Vor allem aber: Wieso spricht hier als eine Art Kronzeugin auf Patientinnenseite eine anonymisierte Frau? Für sie ist Suizid keinesfalls strafbar, ihr droht nichts. Es gibt hier auch keinen besonderen Persönlichkeitsschutz, der gewahrt werden muss. Wer sich in einer solchen gesellschaftlichen Debatte zu Wort meldet, sollte das identifizierbar und überprüfbar tun.
Der Beitrag kommentiert, was die Betroffene nicht sagt – und fährt mit einer Unterstellung fort:
„Sie leidet – trotz Schmerztherapie. Doch von solchen Erfahrungen Schwerstkranker lässt sich die organisierte deutsche Ärzteschaft wenig beeindrucken.“
Möglicherweise und gar nicht unwahrscheinlicherweise leidet die Patientin zumindest auch an einer schlechten Schmerztherapie – die schmerztherapeutische Ausbildung deutscher Mediziner läßt zu wünschen übrig. Aber damit befasst sich der Beitrag nicht, der ein klares Feindbild hat: die organisierte deutsche Ärzteschaft und vor allem den neuen Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, über den der Beitrag weiß:
„Er setzt das Verbot des ärztlich assistierten Suizides durch.“
Nun befand sich Montgomery eine Zeitlang im Fokus der Kritik, weil er auch den anfangs von den Befürwortern des ärztlich assistierten Suizids heftig begrüßten, von vielen Ärzten scharf kritisierten Abschied von der Formulierung der ärztlich assistierte Suizid widerspreche dem „ärztlichen Ethos“ mitgetragen hatte. Es war auf dem Ärztetag auch gar nicht nötig, dass ein Streiter allein das Verbot des ärztlich assistierten Suizids hätte durchsetzen müssen – die ganz überwiegende Mehrheit der Delegierten war entschieden dafür.
Es folgen in dem knapp sieben Minuten langen Beitrag O-Ton Schnitte der anonymen Krebspatientin gegen den namhaften Ärztefunktionär. Während die Patientin aber Bezug auf Montgomerys Äußerungen nehmen kann, die sie offenbar kannte, wusste Montgomery offensichtlich nicht, wogegen seine Worte geschnitten werden sollten. Sein daher notwendigerweise allgemein gehaltenes Statement wirkt damit weniger empathisch als schematisch.
„»Der Ärztetag hat ja sehr klar in seinen Diskussionen gezeigt, dass das verzweifelte Menschen sind, denen man mit Palliativmedizin und Schmerztherapie mehr hilft als mit Tötungsspritzen oder Giftcocktails.«
Als ginge es darum, diesen Eindruck noch zu verstärken widerspricht ihm im nächsten Gegenschnitt der in der Debatte seit längerem einschlägig bekannte Arzt Michael de Ridder, Internist und Chefarzt einer Rettungsstelle, der sich schon im Vorfeld des Ärztetages mit starken Worten für eine Freigabe des ärztlich assistierten Suizids hervorgetan hat.
„»Die Ärzteschaft hat diesen Patienten, denen mit palliativmedizinischen Mitteln nicht mehr geholfen werden kann, sie hat die Arme zu öffnen für sie. Sie darf sie nicht alleine lassen. Und das genau tut sie mit diesem Beschluss.«
Auch hier wären Fragen angebracht gewesen: Was für Patienten meint de Ridder, denen Palliativmediziner nicht mehr helfen können? Hält er die palliative terminale Sedierung für ein palliativmedizinisches Mittel oder nicht? Wieso werden Patienten alleine gelassen, nur weil Ärzte ihnen nicht helfen, den Suizid in einem medizinischen Setting zu vollziehen? Nichts davon fragen die Autoren, die stattdessen noch einen zweiten Arzt auftreten lassen, Uwe Christian Arnold. Der Text sagt über ihn:
„Die Folge: Sterbewillige Patienten suchen einen Ausweg bei Ärzten in der Grauzone. Bei Ärzten wie ihm: Uwe-Christian Arnold, er macht etwas, was es eigentlich in Deutschland nicht geben soll. Er ist Sterbehelfer, zeigt uns ein dafür notwendiges Medikament.“
Arnold ist kein Arzt in der Grauzone. Er war, was der Beitrag verschweigt, jahrelang zweiter Vorsitzender von Dignitas Deutschland. Er ist Urologe. Und er ist weder Meister der gesprochenen deutschen Sprache, noch hat er ein besonders genaues Erinnerungsvermögen. In SWR fragt ihn der Interviewer:
„Frage: Wie vielen Menschen haben Sie bislang geholfen in der Art?
O-Ton, Uwe-Christian Arnold, Arzt und Sterbehelfer: »Na ja, mit denen ich Kontakt hatte, vielleicht 150 bis 200.«
Bis zu 200 Menschen hat er beim Suizid geholfen. Ohne jede Kontrolle, nur nach eigenem Ermessen. So offen zugegeben hat das noch nie ein Arzt.“
Das ist wohl das „reihenweise“. Nur: Ob das stimmt, was Arnold hier behauptet, hat der SWR nicht überprüft (zumindest nicht erkenbar). Es mutet schon recht merkwürdig an, dass der angebliche Sterbehelfer nicht mal die Zahl seiner Sterbehilfen genau beziffern kann. Und was heißt „Kontakt hatte“? Was heißt überhaupt hier „ärztlich assistierter Suizid“? Arnold gibt im Interview an, er beschaffe die Medikamente nicht, er sorge nur dafür, dass sie in deren Besitz kämen. Wie hat man sich das vorzustellen? Arnold, der sich selbst hier vielfacher Verstöße gegen die Berufsordnung, die es ja auch schon vor diesem Ärztetag gab, suggeriert er andererseits er müsste sich vor Nachforschungen schützen. Warum? Und wieso „beschafft“ er die Medikamente nicht gleich?
Ähnlich eigentümlich seine Antwort auf die Frage, ob er beim Sterben nach der Suizidhandlung dabei sei:
»Möchte ich nicht beantworten die Frage, das ist, glaube ich, zu gefährlich. Aber Sie sehen schon an der Art und Weise, wie ich ausweiche, dass ich das in Einzelfällen schon mache.«
Ärztlich Suizidbeihilfe durch einen Arzt, der die Medikamente nicht beschafft und hinterher zumindest nicht immer dabei ist – was soll das sein? Und warum hier so zögerlich mit Informationen? Wenn hier etwas gefährlich sein sollte, dann nicht aus berufsrechtlichen Gründen. Die Beihilfe zum Suizid hat der Arzt ja eingeräumt. Unklar bleiben kann dann nur noch, ob es nicht doch auch um ein strafbares Verhalten geht: Hatten die 150 bis 200 angeblichen Suizidpatienten von Herrn Arnold wirklich die Tatherrschaft? Oder bewegte sich Arnold auch auf der Grenze zur Tötung auf Verlangen? Gab es Umstände in den Fällen, die eine Hilfeleistungspflicht des Arztes ausgelöst haben könnten? Keine Fragen von „Report“, dort kam es mehr auf die Gesinnung an, weswegen als juristischer Experte der ebenfalls einschlägig bekannte Wolfgang Putz (und nur er), Rechtsanwalt aus München und überzeugter Sterbehelfer den Reigen vervollständigte.
„»Das Problem ist, dass wir sehr viele Patienten nicht nur zu dubiosen Organisationen, sondern auch in die Heimlichkeit treiben werden. Und dass damit die Kontrolle, ob sich nicht doch sehr viele Menschen das Leben nehmen, denen man hätte helfen müssen, dass diese Kontrolle eben verschenkt wird, und das ist die Traurigkeit dieses Beschlusses.«
Die Traurigkeit des Beitrages ist, dass keiner der Autoren nachgefragt hat, wen denn ausgerechnet Putz, der gerne auch die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben berät und von dem man auch kein böses Wort über Dignitas gehört hat, für „dubiose Organisationen“ hält oder, noch interessanter, wie denn er sich „Kontrolle“ vorstellt, der doch für eine ganz weitgehende Deregulierung der rechtlichen das Leben schützenden Normen eintritt.
Aber „Report“ wollte mit diesem Beitrag auch nicht informieren oder gar Hintergründe aufzeigen, sondern einfach moralisieren. Besonders eindrucksvoll führt das der Schluss vor Augen. Frage eines der Autoren an Montgomery:
Frage: Glauben Sie, dass Ärzte als Sterbehelfer unterwegs sind? O-Ton, Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident Bundesärztekammer: »Mir ist nicht bekannt, dass Ärzte als Sterbehelfer unterwegs sind, und ich kenne keine Fälle.«
Anschlusstext der Autoren:
„Von solchen Aktivitäten will der neue Ärztepräsident also nichts wissen.“
Er weiß es nicht. Nicht mehr und nicht weniger hat Montgomery gesagt. Alles andere ist, es sei denn man wiese ihm nach, dass er etwas anderes wüßte, eine Unterstellung. Die Autoren wissen es übrigens auch nicht. Sie haben als Beleg für ihre These „Wie deutsche Ärzte Patienten reihenweise beim Suizid helfen“ einen einzigen Arzt vorgeführt, der sich zu seinen angeblichen Taten wenig konkret und detailreich bekennt, sowie eine anonymisierte Ärztin, die behauptet, zehn Patienten beim Suizid geholfen zu haben. Eine besonders tragfähige Basis für so eine Aussage ist das nicht. Und schon gar kein starkes Argument gegen den Beschluss des Ärztetages: Selbst wenn Ärzte beim Suizid assistieren, sagt das doch nichts darüber aus, ob es richtig ist, sie gewähren zu lassen. Es gibt schließlich, wie wir aus Prozessen wissen, auch Krankenpfleger, Krankenschwester und Ärztinnen, die aus Mitleid Todesspritzen setzen, meist ohne Einwilligung der betroffenen Patienten, deren Leben gleichwohl als Leidensprozess beschrieben undv verstanden wird. Nur weil etwas getan und mit dem Wunsch Gutes tun zu wollen begründet wird, ist es ja nicht gleich hinzunehmen.
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