„Wie deutsche Ärzte Patienten reihenweise beim Suizid helfen“ war schon eine Ankündigung, die befürchten ließ, dass die Reporter von „Report Mainz“ weniger der Wahrheit ans Tageslicht helfen, als reihenweise flotten Schlagzeilen auf die Sprünge helfen wollten. Dass die Redaktion den Beitrag voll betroffener Gedankenlosigkeit „Sterben in der Grauzone“ betitelt hatte, ließ die Klischee-Warnanlage noch etwas dumpfer wummern. Schon die ersten beiden Worte des Moderators passten dazu viel zu gut:
„Tabuthema Sterbehilfe.“
Oh ja, seit nahezu zwanzig Jahren gibt es nur wenig Themen, über die so viele Bücher, Feuilletonartikel, Diskussionssendungen veröffentlicht wurden, die so vielen Talkshows Gäste bescherten und so vielen Meinungsforschungsinstitute Umfrageaufträge wie dieses. Wenn etwas schon lange keine Tabu mehr ist, sondern Tamtam, dann „Sterbehilfe“
Zum Einstieg des Beitrags dann eine namenlose Krebspatientin, die verschwommen gezeigt wird und Sätze sagt, die Fragen aufwerfen:
„Und diese Aussagen, man muss sich nicht quälen, man muss keine Schmerzen haben, das stimmt auch nur bedingt.«
Wieso stimmt es „bedingt“? Sind es ihre persönlichen Erfahrungen? Oder spricht sie als Expertin? Und was heißt das konkret für Ihr Leben? Vor allem aber: Wieso spricht hier als eine Art Kronzeugin auf Patientinnenseite eine anonymisierte Frau? Für sie ist Suizid keinesfalls strafbar, ihr droht nichts. Es gibt hier auch keinen besonderen Persönlichkeitsschutz, der gewahrt werden muss. Wer sich in einer solchen gesellschaftlichen Debatte zu Wort meldet, sollte das identifizierbar und überprüfbar tun.
Der Beitrag kommentiert, was die Betroffene nicht sagt – und fährt mit einer Unterstellung fort:
„Sie leidet – trotz Schmerztherapie. Doch von solchen Erfahrungen Schwerstkranker lässt sich die organisierte deutsche Ärzteschaft wenig beeindrucken.“
Möglicherweise und gar nicht unwahrscheinlicherweise leidet die Patientin zumindest auch an einer schlechten Schmerztherapie – die schmerztherapeutische Ausbildung deutscher Mediziner läßt zu wünschen übrig. Aber damit befasst sich der Beitrag nicht, der ein klares Feindbild hat: die organisierte deutsche Ärzteschaft und vor allem den neuen Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, über den der Beitrag weiß:
„Er setzt das Verbot des ärztlich assistierten Suizides durch.“
Nun befand sich Montgomery eine Zeitlang im Fokus der Kritik, weil er auch den anfangs von den Befürwortern des ärztlich assistierten Suizids heftig begrüßten, von vielen Ärzten scharf kritisierten Abschied von der Formulierung der ärztlich assistierte Suizid widerspreche dem „ärztlichen Ethos“ mitgetragen hatte. Es war auf dem Ärztetag auch gar nicht nötig, dass ein Streiter allein das Verbot des ärztlich assistierten Suizids hätte durchsetzen müssen – die ganz überwiegende Mehrheit der Delegierten war entschieden dafür.
Es folgen in dem knapp sieben Minuten langen Beitrag O-Ton Schnitte der anonymen Krebspatientin gegen den namhaften Ärztefunktionär. Während die Patientin aber Bezug auf Montgomerys Äußerungen nehmen kann, die sie offenbar kannte, wusste Montgomery offensichtlich nicht, wogegen seine Worte geschnitten werden sollten. Sein daher notwendigerweise allgemein gehaltenes Statement wirkt damit weniger empathisch als schematisch.
„»Der Ärztetag hat ja sehr klar in seinen Diskussionen gezeigt, dass das verzweifelte Menschen sind, denen man mit Palliativmedizin und Schmerztherapie mehr hilft als mit Tötungsspritzen oder Giftcocktails.«
Als ginge es darum, diesen Eindruck noch zu verstärken widerspricht ihm im nächsten Gegenschnitt der in der Debatte seit längerem einschlägig bekannte Arzt Michael de Ridder, Internist und Chefarzt einer Rettungsstelle, der sich schon im Vorfeld des Ärztetages mit starken Worten für eine Freigabe des ärztlich assistierten Suizids hervorgetan hat.
„»Die Ärzteschaft hat diesen Patienten, denen mit palliativmedizinischen Mitteln nicht mehr geholfen werden kann, sie hat die Arme zu öffnen für sie. Sie darf sie nicht alleine lassen. Und das genau tut sie mit diesem Beschluss.«
Auch hier wären Fragen angebracht gewesen: Was für Patienten meint de Ridder, denen Palliativmediziner nicht mehr helfen können? Hält er die palliative terminale Sedierung für ein palliativmedizinisches Mittel oder nicht? Wieso werden Patienten alleine gelassen, nur weil Ärzte ihnen nicht helfen, den Suizid in einem medizinischen Setting zu vollziehen? Nichts davon fragen die Autoren, die stattdessen noch einen zweiten Arzt auftreten lassen, Uwe Christian Arnold. Der Text sagt über ihn:
„Die Folge: Sterbewillige Patienten suchen einen Ausweg bei Ärzten in der Grauzone. Bei Ärzten wie ihm: Uwe-Christian Arnold, er macht etwas, was es eigentlich in Deutschland nicht geben soll. Er ist Sterbehelfer, zeigt uns ein dafür notwendiges Medikament.“
Arnold ist kein Arzt in der Grauzone. Er war, was der Beitrag verschweigt, jahrelang zweiter Vorsitzender von Dignitas Deutschland. Er ist Urologe. Und er ist weder Meister der gesprochenen deutschen Sprache, noch hat er ein besonders genaues Erinnerungsvermögen. In SWR fragt ihn der Interviewer:
„Frage: Wie vielen Menschen haben Sie bislang geholfen in der Art?
O-Ton, Uwe-Christian Arnold, Arzt und Sterbehelfer: »Na ja, mit denen ich Kontakt hatte, vielleicht 150 bis 200.«
Bis zu 200 Menschen hat er beim Suizid geholfen. Ohne jede Kontrolle, nur nach eigenem Ermessen. So offen zugegeben hat das noch nie ein Arzt.“
Das ist wohl das „reihenweise“. Nur: Ob das stimmt, was Arnold hier behauptet, hat der SWR nicht überprüft (zumindest nicht erkenbar). Es mutet schon recht merkwürdig an, dass der angebliche Sterbehelfer nicht mal die Zahl seiner Sterbehilfen genau beziffern kann. Und was heißt „Kontakt hatte“? Was heißt überhaupt hier „ärztlich assistierter Suizid“? Arnold gibt im Interview an, er beschaffe die Medikamente nicht, er sorge nur dafür, dass sie in deren Besitz kämen. Wie hat man sich das vorzustellen? Arnold, der sich selbst hier vielfacher Verstöße gegen die Berufsordnung, die es ja auch schon vor diesem Ärztetag gab, suggeriert er andererseits er müsste sich vor Nachforschungen schützen. Warum? Und wieso „beschafft“ er die Medikamente nicht gleich?
Ähnlich eigentümlich seine Antwort auf die Frage, ob er beim Sterben nach der Suizidhandlung dabei sei:
»Möchte ich nicht beantworten die Frage, das ist, glaube ich, zu gefährlich. Aber Sie sehen schon an der Art und Weise, wie ich ausweiche, dass ich das in Einzelfällen schon mache.«
Ärztlich Suizidbeihilfe durch einen Arzt, der die Medikamente nicht beschafft und hinterher zumindest nicht immer dabei ist – was soll das sein? Und warum hier so zögerlich mit Informationen? Wenn hier etwas gefährlich sein sollte, dann nicht aus berufsrechtlichen Gründen. Die Beihilfe zum Suizid hat der Arzt ja eingeräumt. Unklar bleiben kann dann nur noch, ob es nicht doch auch um ein strafbares Verhalten geht: Hatten die 150 bis 200 angeblichen Suizidpatienten von Herrn Arnold wirklich die Tatherrschaft? Oder bewegte sich Arnold auch auf der Grenze zur Tötung auf Verlangen? Gab es Umstände in den Fällen, die eine Hilfeleistungspflicht des Arztes ausgelöst haben könnten? Keine Fragen von „Report“, dort kam es mehr auf die Gesinnung an, weswegen als juristischer Experte der ebenfalls einschlägig bekannte Wolfgang Putz (und nur er), Rechtsanwalt aus München und überzeugter Sterbehelfer den Reigen vervollständigte.
„»Das Problem ist, dass wir sehr viele Patienten nicht nur zu dubiosen Organisationen, sondern auch in die Heimlichkeit treiben werden. Und dass damit die Kontrolle, ob sich nicht doch sehr viele Menschen das Leben nehmen, denen man hätte helfen müssen, dass diese Kontrolle eben verschenkt wird, und das ist die Traurigkeit dieses Beschlusses.«
Die Traurigkeit des Beitrages ist, dass keiner der Autoren nachgefragt hat, wen denn ausgerechnet Putz, der gerne auch die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben berät und von dem man auch kein böses Wort über Dignitas gehört hat, für „dubiose Organisationen“ hält oder, noch interessanter, wie denn er sich „Kontrolle“ vorstellt, der doch für eine ganz weitgehende Deregulierung der rechtlichen das Leben schützenden Normen eintritt.
Aber „Report“ wollte mit diesem Beitrag auch nicht informieren oder gar Hintergründe aufzeigen, sondern einfach moralisieren. Besonders eindrucksvoll führt das der Schluss vor Augen. Frage eines der Autoren an Montgomery:
Frage: Glauben Sie, dass Ärzte als Sterbehelfer unterwegs sind? O-Ton, Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident Bundesärztekammer: »Mir ist nicht bekannt, dass Ärzte als Sterbehelfer unterwegs sind, und ich kenne keine Fälle.«
Anschlusstext der Autoren:
„Von solchen Aktivitäten will der neue Ärztepräsident also nichts wissen.“
Er weiß es nicht. Nicht mehr und nicht weniger hat Montgomery gesagt. Alles andere ist, es sei denn man wiese ihm nach, dass er etwas anderes wüßte, eine Unterstellung. Die Autoren wissen es übrigens auch nicht. Sie haben als Beleg für ihre These „Wie deutsche Ärzte Patienten reihenweise beim Suizid helfen“ einen einzigen Arzt vorgeführt, der sich zu seinen angeblichen Taten wenig konkret und detailreich bekennt, sowie eine anonymisierte Ärztin, die behauptet, zehn Patienten beim Suizid geholfen zu haben. Eine besonders tragfähige Basis für so eine Aussage ist das nicht. Und schon gar kein starkes Argument gegen den Beschluss des Ärztetages: Selbst wenn Ärzte beim Suizid assistieren, sagt das doch nichts darüber aus, ob es richtig ist, sie gewähren zu lassen. Es gibt schließlich, wie wir aus Prozessen wissen, auch Krankenpfleger, Krankenschwester und Ärztinnen, die aus Mitleid Todesspritzen setzen, meist ohne Einwilligung der betroffenen Patienten, deren Leben gleichwohl als Leidensprozess beschrieben undv verstanden wird. Nur weil etwas getan und mit dem Wunsch Gutes tun zu wollen begründet wird, ist es ja nicht gleich hinzunehmen.
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Zitat: "Abgesehen davon bleibt...
Zitat: „Abgesehen davon bleibt die Sterbehilfe, wie sie z.B. Dignitas anbietet, in Deutschland illegal…“
Falsch! Sie ist sogar uneingeschränkter legal in Deutschland als in der Schweiz. Der Unterschied liegt allerdings darin, dass die Schweizer Ärzte das humanere Medikament ‚Natriumpentobarbital‘ zur Verfügung haben, welches in Deutschland NUR von Tierärzten verwendet werden darf. Unglaublich ‚menschlich‘, oder?
Lieber Herr Tolmein,
ich...
Lieber Herr Tolmein,
ich verstehe nicht, wie Sie als erfahrener Journalist bei diesem Thema wiederholt nach überprüfbaren Fakten fragen können.
In der Recherche zu meiner Dokumentation (Peter Puppe ‚Ich sterbe mich. Aus dem Alltag deutscher Sterbehelfer 2010.‘) habe ich Kontakt zu einem knappen Dutzend ärztlicher und nicht-ärztlicher Sterbehelfer in Deutschland gehabt. Sie würden aber bei mir nicht eine einzige Notiz – geschweige denn Namen – finden. Das ist doch selbstverständlich zum Schutze eines Informanten in einem so sensiblen Bereich, oder?
Viele Rechtsfragen dazu sind in Deutschland leider ungeklärt oder so kompliziert, dass man zumindest mit Strafermittlungen rechnen müsste. Sehen Sie das anders?
"Dass Menschen aus dem Fenster...
„Dass Menschen aus dem Fenster springen, sich vor den Zug werfen müssen,
ist den Heuchlern geschuldet. “
Nööö, es ist erst einmal ihnen selbst geschuldet, niemandem sonst. Und warum es Heuchelei ist, dass Menschen anderen nicht so gerne beim Sterben helfen, die ihren Beruf ergriffen haben, um Menschenleben zu retten, weiss nur „Gabriele“. Und das ganze dann mit dem Hinweis darauf abzuschliessen, man könne ja nur mit (lebenden?) Patienten noch Geld verdienen, ist die für pseudonyme Internet-Trolle gängige feige üble Nachrede aus vermeintlicher Deckung heraus. Es ist einer der dezidierten Nachteile demokratischer Regierungsformen, dass über ethische Fragen auch Menschen wie „Gabriele“ mitentscheiden …
Ups...macht es Sinn,...
Ups…macht es Sinn, korrigierend in die Debatte einzugreifen?
Ich glaube, mit solchen Statements ist einer aufrichtigen Debatte nicht geholfen – mehr noch, sie schaden dieser vielmehr. Als ein Beleg mag ein Bericht in einer Berliner Tageszeitung dienen, bei dem der Autor bereits den Suizidhelfern einen neuen Namen gegeben hat: „Dr. Selbstmord“!
Ich denke, O. Tolmein hat zu recht Kritik an der Sendung geübt, da diese den Zuschauer mehr als „ratlos“ zurücklässt und der Eindruck entstehen könnte, als gäbe es „nur“ einige Auserwählte, die da den Stein des Weisen verkünden und nicht zugleich der eigentliche Kern der aktuellen Wertedebatte benannt wird.
Ob so „viele Rechtsfragen ungeklärt“ seien, vermag ich aus intraprofessioneller Perspektive nicht bestätigen zu wollen. De lege lata ist die Rechtslage klar; der Wertediskurs problematisiert hingegen primär Rechtsfragen, die ggf. als rechtspolitisch wünschenswert erscheinen, also de lege ferenda, mal abgesehen von der Kardinalfrage, ob das „Verbot“ im ärztlichen Berufsrecht, wenn es denn von den LÄK übernommen wird, einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhält.
Andererseits mag ThorHA nicht allzu streng mit „Gabriele“ sein, hat diese doch im Kern ein Problem benannt, dass zumindest einer näheren Betrachtung bedarf. In der Wertedebatte um die Patientenverfügung wurde u.a. von Ethikern die These vertreten, dass von einem Abfassen insbesondere deshlab einstweilen Abstand genommen werden möge, weil ansonsten die Gefahr bestünde, dass die palliativmedizinische Forschung nicht voranschreite und im Zweifel nicht mehr mit der erforderlichen Notwendigkeit betrieben werde. Sehen wir von den monetären Aspekten mal ab, stellt sich gleichwohl die Frage, ob hierin nicht eine Instrumentalisierung des schwersterkrankten Patienten im Interesse eines Gelingens einer Profession zu erblicken ist, wonach an die Patienten gleichsam der Wunsch herangetragen wird, das „Leid“ zu tragen und diesem nicht zu entfliehen – wohlgemerkt: um der weiteren Schmerzforschung und des Ausbaus palliativmedizinischer und hospizlicher Einrichtungen willen.
<p>@Puppe: Nun, da haben Sie...
@Puppe: Nun, da haben Sie als ehrenamtlicher Mitarbeiter der DGHS und als Arthur Koestler Preisträger (ein Preis, den die DGHS verleiht) und ich, als Journalist und Rechtsanwalt möglicherweise ganz unterschiedliche Auffassungen. Überprüfbare Fakten sind für mich als Journalist das A und O einer Debatte. Informantenschutz ersetzt das nicht, sondern muss ggf. zusätzlich gewährleistet werden. Und das dann immer im Rahmen des Gebotenen. Im konkreten Fall: Herr Dr. Arnold drängt sich ja mit seinem Bekenntnis in die Öffentlichkeit – der Selbstdarsteller ist als Informant aber nicht zu schützen, schon gar nicht ersetzt hier der Informantenschutz die Recherche, ob denn das stimmt oder stimmen kann, was Dr. Arnold so behauptet. Die Krebspatientin wiederum setzt sich keinem Risiko aus, ihr droht einfach gar nichts – was also soll dann die geheimnisvolle Anonymisierung. Und selbst wenn man das Tamtam machen möchte, weil es so schön investigativ und authentisch wirkt: Die relevanten Fragen könnte der interessierte Interviewer ja dennoch ruhig stellen…
Zitat: "Dass Menschen aus dem...
Zitat: „Dass Menschen aus dem Fenster springen, sich vor den Zug werfen müssen, ist den Heuchlern geschuldet“, nein es ist einer Gesellschaft geschuldet die solche Menschen alleine gelassen hat, so dass sie keinen anderen Ausweg sahen. Aber diese polemische Diktion bestärkt mich in der Ansicht, dass Helfen statt Töten doch der besser Weg ist.
Aber zurück zu den Fakten: Die weitaus größte Zahl der geretteten Selbstmordkandidaten hat, nachdem die Gesellschaft ihren Hilferuf gehört hat, keinen weiteren Versuch unternommen. Gut, dass es hier keinen (bei)helfenden Ärzte gab …
@SGS
Klar, die PR Maschine...
@SGS
Klar, die PR Maschine läuft hervorragend. Jedem Tier seine Tränke.
Und immerhin investieren die Sparkassen hervorragend in Hospize, denn die sind angeblich krisensicher und deren Geschäfstmodell ist wenigstens noch verständlich. Gell? Das ekelhafte Geschäft mit dem Tod beginnt erst gerade und die Kirchen hoffen auf gute Geschäfte. Für Christen eine bombensichere Investition. Mich ekelt eine solche Einrichtung an. Und ich kenne genug Menschen in meiner Generation, denen es genau so geht.
Sehr geehrter Herr...
Sehr geehrter Herr Tolmein,
Unsere Sprache ist verräterisch. Das fällt, so finde ich, in Ihrem Blog-Beitrag ganz besonders auf. Man muss nur mal versuchen die von Ihnen angeführte Argumentation von der Propaganda zu trennen, in die sie eingepackt ist.
Bereits in den ersten beiden Absätzen stimmt mich Ihr Text nachdenklich, denn auf emotionaler Ebene verschafft sich Unbehagen Raum. Sie konstruieren Klischees, nur um anderen Klischees vorzuwerfen (z. B. befürchten ließ, Wahrheit ans Tageslicht, reihenweise flotte[n] Schlagzeilen, betroffene[r] Gedankenlosigkeit, Tabuthema Sterbehilfe). Man muss ja das was Sie sagen im Kontext zur Debatte sehen.
Und da nehmen Sie die verbale Keule und machen schon im ersten Absatz klar auf welcher Seite der Diskussion Sie stehen. Das ist in Ordnung. Aber warum so populistisch? Müssen Sie das so tun um sich Gehör zu verschaffen oder wollen Sie andere nur übertönen? Emotional betrachtet haben Sie bei Ihrer Einleitung jedenfalls vollkommen daneben gegriffen.
Aber wie sieht es mit dem Informationsgehalt in den ersten beiden Absatz aus? Ist der besser, als das emotionale Gedöhns? Nein. Das ist er nicht. Mehr als dass Report Mainz einen Beitrag zur Sterbehilfe gesendet hat, sagen Sie nicht. Im Gegenteil, Sie mißinterpretieren den Titel des Beitrages („Sterben in der Grauzone“) vollkommen falsch, gerade so als wäre in der Gesellschaft und vor allem bei den Betroffenen alles in bester Ordnung.
Aber da setzen Sie noch einen drauf und ziehen die ersten Worte der Anmoderation tief hinab ins Tal ihrer eigenen Klischees. Diese vermeintlich bewusste Falschaussage Fritz Freys belegen Sie mit einer ganzen Reihe Beispielen und schlussfolgern daraus, dass das Tabu lediglich Tamtam ist.
Ich bin nicht in der Situation, dass der Freitod eine Option für mich bedeutete. Aber ich stelle mir die Frage, was ich denken und fühlen würde, wenn ich jetzt in einer solchen Situation wäre und Ihren Artikel läse? Ist der geäußerte Wunsch eines Menschen zu sterben wirklich nur Tamtam?
Natürlich ist das Thema ein gesellschaftliches, politisches, religiöses und ökonomisches Tabuthema – gleichwohl die von Ihnen genannten Beispiele richtig sind. Man könnte sagen, dass das einer dieser überall in unseren Zeiten zu findenden Widersprüche ist, den Sie, nebenbei bemerkt, nicht aufzulösen versuchen, sondern lediglich für Ihre Argumentation instrumentalisieren.
Man könnte aber auch in die Tiefe gehen und sagen, dass da seit zwanzig Jahren eine Debatte unter den Ärzten und den Betroffenen, und – das ist ganz entscheidend – nur auf einer ganz bestimmten intellektuellen Ebene, stattfindet, die längst noch nicht in der Gesellschaft, der Politik, der Kirche und bei den Finanzvorständen angekommen ist.
Die Politik ignoriert das Problem mit den Sterbewilligen weitestgehend, denn rein rechtlich gesehen ist für die Politik alles klar.
Die Institution Kirche, ein eifriger, oft offensichtlicher, aber noch viel öfter versteckter Mitdiskutant in den vielen Debatten, Artikeln, Talk Shows und Büchern, folgt ihren Dogmen und lässt nichts unversucht, damit ihr der Mythos Tod innerhalb ihrer vermeintlichen Meinungsführerschaft erhalten bleibt.
Auf die Finanzvorstände in den Krankenhaus- und Pflege AG gehe ich jetzt nicht weiter ein, da gibt es genügend parallele Diskussionen.
Der gesellschaftliche Aspekt zeigt sich ganz schnell, wenn man versucht, die Welt aus den Augen der Patientin zu betrachten. Gerne möchte ich an Stelle dieser Patientin versuchen, Antworten auf Ihre Fragen zu finden und übernehme von Ihnen die Lampe, um die Causa von einer anderen Seite zu beleuchten.
Denn es stimmt nur bedingt, dass man keine Angst vor Schmerzen zu haben braucht, weil es Befunde gibt, bei denen die Schmerzen grenzenlos sind, die Schmerztherapie aber begrenzt ist. Viele der sterbewilligen Menschen haben nur die Wahl, unaushaltbare Schmerzen auszuhalten und zu ertragen oder sich das Bewusstsein mit Opiaten abschießen zu lassen, um wenigstens ein paar Stunden schmerzfrei zu sein. Das ist für diese Patienten eine Wahl zwischen Pest und Cholera und wenn man mit ihnen über ihr Leben spricht, dann muss man im Einzelfall auch akzeptieren und es aushalten, dass diese Menschen ein solches Leben nicht mehr aushalten und es als nicht mehr lebenswert empfinden.
Selbstverständlich schildert die Patientin ihre persönlichen Erfahrungen, denn dieser Krebs ist für sie ganz sicher etwas elementar persönliches. Und sehr wahrscheinlich ist die Frau keine Expertin für ihren Krebs aus wissenschaftlicher bzw. medizinischer Sicht. Aber sie ist sehr wohl die einzige Expertin auf diesem Planeten, die sich mit ihren Leiden in allen seinen Facetten auskennt.
Die Frage, warum sie nur anonym ihre Meinung sagt ist relativ leicht zu beantworten.
Denn ihr droht zwar keine Strafe vom Gesetzgeber, wenn sie Suizid begeht, darüber spricht, ihn plant oder um Hilfe dafür bittet. Vielmehr erwartet sie eine „Strafe“, die stehenden Fußes, und ohne jemals von der Gerichtsbarkeit veranlasst worden zu sein, erfolgt.
Es ist die gesellschaftliche Strafe, die verhindert, dass diese Frau ihre Identität Preis gibt. Denn fast immer sind es die Menschen im Umfeld der Sterbewilligen die verhindern wollen, dass diese ihren Wunsch äußern.
Das fängt in der Familie an, geht über Ärzte, Pflegepersonal, Freunde und Bekannte, bis hin zu Leuten aus der Gemeinde und der Nachbarschaft, im Fernsehen und, so wie Sie, im Internet. Fast alle diese Menschen haben gute und oftmals absolut nachvollziehbare Gründe, gegen den Suizid eines Menschen zu sein.
Das Problem hierbei ist aber, dass keiner dieser real existierenden Protagonisten im Leben der Sterbewilligen den Wunsch und Willen von eben jenen wirklich ernst nimmt. Die Ablehnung basiert auf einer Melange aus anerzogenen Dogmen, persönlichen Werten, subjektiven Ansichten, Halbwissen, Vorurteilen und oftmals handfesten emotionalen Bindungen. Das ist in Ordnung, aber man sollte sich dessen doch bitte schön bewusst sein.
Der Selbstbestimmung des Menschen beim Sterben eine Absage zu erteilen ist, und das ist das Schlimmste daran, eine Folge mangelnder Empathie. Das gilt leider viel zu oft sowohl für den Einzelnen als auch für die gesamte Gesellschaft.
„Das schaffst Du schon noch!“, „Ach komm, so schlimm isses doch gar nicht…“, „Sag sowas nicht! Wir wollen doch noch Deinen 80sten feiern, nicht wahr?“ usw. usf. sind genau die Aussagen, bei denen sich ein Sterbewilliger meiner Meinung nach nicht anders als verhöhnt vorkommen kann. Auch Ihre Zeilen über die Patientin, also Ihre doch sehr offensichtlich gefärbte und verächtlich wirkende Meinung, ist blanker Hohn. Und der Hohn, das bitte ich Sie zu beachten, ist seit Menschengedenken eine der wirkungsvollsten und subtilsten Strafen überhaupt.
Das Sie dieser Frau jegliche Kompetenz bei der eigenen Krankheit abzusprechen versuchen ist schon vermessen genug. Sie aber als unglaubwürdig darzustellen, weil sie ihre Identität verbirgt, ist menschenverachtende, verbale Brandstifterei. Wegen genau solchen Menschen wie Ihnen, Herr Tolmein, zeigt diese Frau nicht ihr Gesicht.
An dieser Stelle möchte ich auf Ihre, wie ich finde, missverständliche Interpretation der Beitragsüberschrift zurück kommen, denn nur auf dieser baut Ihre einleitende Argumentation gegen Dr. Arnold auf.
Am Anfang Ihres Artikels unterstellen Sie der Redaktion für die Auslösung der Klischee-Warnanlage verantwortlich zu sein, weil diese„den Beitrag voll betroffener Gedankenlosigkeit „Sterben in der Grauzone““ betitelt, benutzen aber bei Dr. Arnold eben genau diese betroffene Gedankenlosigkeit um zu beweisen, dass Dr. Arnold seiner Vita wegen kein Arzt in der Grauzone ist. Damit haben Sie zweifelsohne Recht, was Sie aber, gewollt oder ungewollt, verschweigen, ist, dass nicht der Arzt und die Person im Mittelpunkt steht, sondern seine Handlungen. Dr. Arnold bewegt sich nicht mit dem was er ist in der Grauzone, sondern weil tut, was er macht. Das ist ein ganz entscheidender Unterschied. Warum also spannen Sie den Bogen vom Sterben in der Grauzone zum Arzt in der Grauzone, der ja eigentlich gar kein Arzt in der Grauzone ist?
Dr. Arnold muss auch kein Meister der deutschen Sprache sein, um Sterbenden und Sterbewilligen Hilfe zu leisten. Dieses, da haben wir es wieder, Klischee, welches Sie ohne ersichtlichen Grund bemühen bzw. konstruieren, zeigt vor allem zwei sehr entlarvende Dinge bei Ihnen; Ihre Verachtung gegenüber Dr. Arnold und Ihr Wunsch, ihn zu diskreditieren. Nebenbei bemerkt stimmt es mich tröstlich, dass Sie argumentativ so weit ins Unterholz kriechen mussten. Dadurch wird nämlich ersichtlich, wie wenig Substanz und wie viel Populismus Ihr Beitrag hat.
Die Verachtung gegenüber Dr. Arnold kann Ihnen keiner nehmen. Die ist Ihr gutes Recht, aber auch Ihre Privatsache. Die Diskreditierung dieses Mediziner in der Öffentlichkeit steht Ihnen aber nicht zu. Genau so wenig, wie ein Urteil über die Patientin. Und schon gar nicht in dieser Tonart.
Was Sie von Dr. Arnold fordern um ihm die nötige Glaubwürdigkeit attestieren zu können, ist nichts weiter als die Forderung zur Offenlegung seines Handelns und damit eine Selbstdiskreditierung mit allen Konsequenzen, die Sie danach, davon bin ich felsenfest überzeugt, vehement einfordern würden, damit an diesem renitenten Netzbeschmutzer der deutschen Ärzteschaft endlich ein Exempel statuiert werden kann. Dass Sie das tun würden, meine ich daran zu merken, dass Sie ihn und die anderen Befürworter der ärztlichen Suizidbeihilfe am Schluss Ihres Artikels mit Todesengeln gleichsetzen, die rechtskräftig verurteilt wurden.
Wegen genau solchen Menschen wie Ihnen, Herr Tolmein, hält sich Dr. Arnold mit seinen Aussagen so sehr zurück. Und das ist alles andere als dumm.
Mit freundlichen Grüßen
Olaf Sander
"depressiver Patient",
wie Sie...
„depressiver Patient“,
wie Sie ihn nennen, tatsächlich im
naturwissenschaftlichen Sinne eine
Krankheit hat, dann bekommen Sie
bald einen Nobelpreis.
Blödsinn, warum sollte für längst publizierte Erkentnisse irgendwer einen Nobelpreis verliehen bekommen? Depression verursacht charakteristische Veränderungen in den Aktivierungsmustern unter anderem soweit ich das erinnere im präfrontalen Cortex und im limbischen System. Nicht gerade breaking news aber recht teuer zu testen, vor allem wenn das Vergleichsverfahren ein 50 Cent teurer Fragebogen ist. Verlangsamte Pupillenreagibilität ist auch gerade aktuell mit ersten Ergebnissen publiziert aber immer noch überflüssig, außer um uninformierten Personen wie Ihnen noch ein paar Ergebnisse mehr um die virtuellen Ohren hauen zu können.
Aber ich weiß schon, die ganzen an Depresion erkrankten „müssen nur mal den A… hochkriegen“ in ihren Augen…
Mit dem neuen Präsidenten...
Mit dem neuen Präsidenten scheint ja der „große Wurf“ gelungen zu sein.
Wir Deutschen brauchen immer Persönlichkeiten die uns sagen, was gut für uns ist.
Unsere Geschichte ist gespickt mit Beispielen.
Wichtig ist, das wir einfach gehorchen, nicht auf begehren und uns bervormunden lassen, wenn es geht ohne zu denken, eben blind Gehorsam bleiben.
Mit meinen 65 Jahren kommt irgendwann auch eine schwierige, für nicht nicht
mehr erträgliche Situation zu,
Was ich in meinem bishergien Leben mit Schwerstkranken erfahren habe, macht mich äußerst besorgt.
Im Ernstfall bleibt nur die HOFFNUNG auf einen verständigen, menschlich fühlenden Arzt – oder Angehörigen.
Meine Gedanken schweifen immer häufiger zu diesem schwierigen Thema und ich mache mir Gedanken, wie ich „vorsorgen“ könnte.
Immer drängender wird die Frage: Kannst du dir dann noch selbst helfen, oder bist du diesem selbtherrlichen System schutzlos ausgeliefert.
Ob ich mir dann auch kurz vor meinem Ende sagen lassen muß: Ich kann Sie doch nicht süchtig machen? Als Antwort auf die Frage nach schmerzstillenden Medikamenten, wenn dann nur noch der unsägliche Schmerz gelindert
werden sollte.
Was im Namen dieses wohlklingenden Eides schon den Menschen angetan wurde!?
Und wenn ich dann noch an unsere fähige Politiker-Elite denke…..