Biopolitik

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Einmal Ausschuss und zurück: Eindrücke von der Anhörung zur Organspende

| 3 Lesermeinungen

Von einem Ausschuss des Deutschen Bundestages als Einzelsachverständiger geladen zu werden ist selbstverständlich eine große Ehre. Es ist auch ein Ehrenamt,...

Von einem Ausschuss des Deutschen Bundestages als Einzelsachverständiger geladen zu werden ist selbstverständlich eine große Ehre. Es ist auch ein Ehrenamt, denn als Sachverständiger bekommt man nichts – mit etwas Pech nicht mal eine Gelegenheit sich sachverständig zu äußern. Vor zweieinhalb Jahren hatten Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke eine Anhörung zum brisanten Thema „Cannabis in der Medizin“ durchgesetzt – 24 Sachverständige mussten ihre Statements in 60 Minuten unterbringen. Da hatte ich Glück eine Frage zu ergattern, auf die ich zwei Minuten antworten konnte. Organtransplantation ist dem Deutschen Bundestag gegenwärtig ein wichtigeres Thema, deswegen wurden diesmal gleich zwei Anhörungen angesetzt: die erste befasste sich drei Stunden lang mit den technisch-organisatorischen Aspekten, die zweite, von der ich gerade zurückkomme, gab vier Stunden Zeit, die rechtlichen und ethischen Aspekte zu erörtern. Etwas unklar blieb allerdings das „Wovon“, denn einen Gesetzentwurf über den wir sachverständig hätten reden können gab es nicht, stattdessen hatten drei Tage vor der Anhörung Meldungen mit kryptischen Alternativen wie „Entscheiden oder Widersprechen“ ihren Weg in die Medien gefunden – als ob ein Widerspruch keine Entscheidung wäre. Ein wenig fragte man sich nach Lektüre der Texte auch, warum eigentlich noch Sachverständige befragt werde sollten, da nun angeblich eine Einigung doch so gut wie erreicht war. Aber gut, wir wollen da nicht kleinlich sein.

Die Medien waren jedenfalls hoch wachsam und die Gesundheitsausschuss-Sitzung auf der Seite der Politik hochkarätig besetzt: Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder war gekommen und der Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Frank Steinmeier sowieso. Interessant wie unterschiedlich das bewertet wurde: Während die Einen im Gespräch am Rande unterstrichen, dass damit dem Thema große Bedeutung zugemessen würde (das hören Sachverständige natürlich gerne), hoben andere hervor, dass für die Ausschussmitglieder damit auch bei den Fragen Fraktionsdisziplin angesagt war (das traf jedenfalls zu, wenngleich es natürlich auch Zufall sein oder als Ergebnis der eindeutigen moralischen Interessenlage bewertet werden kann, dass CDU/CSU und SPD in ihren Fragen recht eindeutig orientiert schienen).

Eröffnet wurde die Sachverständigen-Anhörung jedenfalls informell mit einem Politikerstatement: Wärend die Sachverständigen im arena-artigen Ganzrund Platz nahmen, wurden vor der Tür Frank Steinmeier gute drei Dutzend Mikrofone gereicht und er äußerte sich, wie ich auf der Rückfahrt lesen konnte (so viel zum Thema: wenn man vor Ort ist bekommt man mehr mit…), engagiert für die Entscheidungslösung.

Grundsätzlich ist es natürlich klug und angemessen, sich zu entscheiden und Leben und Tod nicht einfach so unentschlossen an sich vorbeiziehen zu lassen. Wer sich entscheidet packt etwas an, wirkt reif und handelt verantwortungsvoll. Gerade in bioethischen Debatten fallen einem allerdings auch Rechte wie das auf Nicht-Wissen und eben das auf Nicht-Entscheiden ein, die gerade in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben, weil die Erkenntnis reifte, dass angesichts der so vielfältigen und komplexen, zudem mit Erwartungen überfrachteten Entscheidungsmöglichkeiten Freiheitsräume auch anders, eben durch das Recht etwas nicht zu tun, gesichert werden müssen. Es blieb bei der Anhörung allerdings – und auch in den vorangegangenen und darauffolgenden – Politikerstatements offen, wieso man sich nun in besonderem Maße und gerade zum Thema Organspende entscheiden soll. Weil es dabei um Menschenleben, Leiden von Kranken geht und um moralische Pflichten. Das sind durchaus gewichtige Gründe. Allerdings trifft das alles auch für andere Themen zu. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der mir bekanntermaßen nicht sonderlich sympathische Philosoph Peter Singer fordert gegenwärtig mit großem Ernst und einiger Vehemenz, dass jeder sich entscheiden müsste, einen gewissen Teil seines Einkommens zur Bekämpfung des Welthungers zu spenden, dennoch hat der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages in dieser Sache bislang keine Entscheidungslösung propagiert und etwa für das Einkommensteuergesetz eine entsprechende Vorschrift formuliert,derzufolge sich jeder einmal im Leben entscheiden müsse, für die Bekämpfung des Welthungers zu spenden. 

Zudem ist es mit der Entscheidung allein nicht getan, tatsächlich wollen die Protagonisten der Entscheidungslösung ja nachvollziehbarer Weise eine Entscheidung für eine Organspende – würden sich nunmehr alle entscheiden, aber negativ, wäre dem Projekt nicht geholfen, weswegen einer der nachdrücklichsten Verfechter eines neuen Transplantationsgesetzes, der Leber-Chirurg Prof. Dr. Peter Neuhaus von der Charitè, auch kurz vor Schluss der Anhörung verlangte, dass man als Zweck die Steigerung der Organspende ins Transplantationsgesetz schreiben müsste.

Da Anhörungen ja keine Diskurs-Veranstaltungen sind und schon gar keine Teach-Ins, sondern so organisiert, dass wir zur unsere gutbürgerliche Erziehung zur Anwendung bringen können, in deren Verlauf wir ja gelernt haben, nur zu antworten, wenn man gefragt worden ist, konnte ich dazu leider nicht das sagen, was ich jetzt schreiben kann: Gesetzeszwecke zu formulieren ist zwar eine zunehmend gebräuchliche Übung (siehe nur § 1 Erneuerbare Energien Gesetz), in einer so heiklen und den Kern des Persönlichkeitsrechts betreffenden Frage, wie der Organentnahme, würde der Gesetzgeber, der die Erhöhung der Spenderzahlen als Ziel ins Gesetz formulierte, der Freiwilligkeit eine deutliche Grenze setzen. Das wäre angesichts der gegenwärtigen Debatte möglicherweise transparent und ehrlich, angesichts der Vorgehensweise bei anderen kritischen bioethischen Fragen aber schwerlich zu akzeptieren. In § 1901a Abs. 4 BGB, dem sogenannten Patientenverfügungsgesetz, wurde zudem, gar nicht lange ist es her, ausdrücklich formuliert, dass niemand verpflichtet werden kann überhaupt eine Patientenverfügung zu verfassen; geschweige denn wäre dort zu regeln gewesen, dass es Ziel des Gesetzes ist, dass die Zahl der Verfügungen erhöht wird. Nach Auffassung des Sachverständigen Eckhard Nagel, dessen vier von niemandem in Frage gestellten Doktortitel ihn dazu prädestinierten von allen Fraktionen befragt zu werden (üblicherweise neigen die Fraktionen ansonsten dazu, vor allem den von ihnen benannten Sachverständigen Gelegenheit zur Äußerung zu geben, damit die nach Fraktionen verteilten Fragen-Kontingente optimal genutzt werden), gibt es zwischen Patientenverfügungen und Organspende-Entscheidungen allerdings gravierende Unterschiede, vor allem, weil die Organspende-Entscheidung das Leben Dritter tangiert, so dass deswegen, da es um Gemeinschaftsinteressen geht, ein erhöhter Anspruch auf Entscheidung besteht. Das erscheint mir angesichts des besonderen Charakters dieser Pflicht, die immerhin eine sein soll, über den eigenen Körper und dessen Integrität zu entscheiden einseitig gedacht, denn auch der zur Entscheidung berufene potenzielle Spender hat meines Erachtens Anspruch darauf, dass er gerade nicht in irgendeine Pflicht genommen wird – und sei es nur die, eine Entscheidung treffen zu müssen, die er nicht treffen möchte. Leider war die Regensburger Philosophin Weyma Lübbe trotz Einladung nicht zur Anhörung gekommen, die eine höchst lesenswerte und kluge Stellungnahme zur Frage der Freiwilligkeit bei einer Entscheidungslösung formuliert hat und die an diesem Punkt die Debatte philosophisch hätte mit Substanz versehen können.

Ein Schlaglicht auf einen Grund, warum Menschen vielleicht zögern könnten, sich als Organspender zur Verfügung zu stellen, warf überraschenderweise von Professor Angstwurm, der sich damit befasste der versammelten Laienschar der Abgeordneten und der nicht intensiv transplantationsmedizinisch gebildeten Sachverständigen zu erläutern, dass es keinerlei neue Erkenntnisse darüber gäbe, dass der Hirntod vielleicht doch nicht der wirkliche Tod wäre. Der in diesem Zusammenhang viel zitierte Bericht der „Presidents Commission“ stelle keine neuen, sondern eher alte Kritiken zusammen. Und dass in anderen Ländern bei der Organentnahme Schmerzmittel gegeben würden, hinge eben nicht damit zusammen, dass es noch Schmerzempfindungen geben könnte, sondern damit, dass das Rückenmark das vegetative System noch in Betrieb halte, so dass es eben bei einem Eingriff einen Anstieg des Blutdrucks und der Herzfrequenz geben oder zu Reflexen kommen könnte. Und dann folgte der schöne Satz:

„Für das Rückenmark ist der Hirntod nur so etwas wie eine extrem hohe Querschnittlähmung.“

Eigentlich gab es aber einen stillschweigenden Konsens der medizinischen Experten, die Hirntoddebatte, die schon die Verabschiedung des Transplantationsgesetzes 1997 nicht gerade leicht gemacht hatte, nicht erneut aufkommen zu lassen, so dass die Medizinsoziologin Alexandra Manzai hier mit ihren kritischen Anmerkungen, die mit ihren Ausführungen zur „Unanschaulichkeit des Hirntodes“ an die 1997er Debatte anknüpften, weitgehend allein blieb (dass sie als Alternative zu Organspenden nun ausgerechnet den Ausbau u.a. der Stammzellforschung vorschlug blieb ebenfalls unerörtert).

Allmählich kehrten allerdings auch Ermüdungen und Wiederholungen in die Debatte ein. Und da der Bundestag (anders als wir es in der gutbürgerlichen Erziehung gelernt haben) nicht gastfreundlich, sondern sparsam war  es weder eine Kaffeepause gab, noch wenigstens etwas Wasser für die Redenden, sondern man sich von den Saaldienern nur 0,2 Liter Wasser für 1,55 EUR kaufen konnte („das bietet die Gewähr für größtmögliche Unabhängigkeit“ erläuterte mir mein parlamentserfahrener Sachverständigen-Tischnachbar freundlich), verlagerten sich Gespräche nach draußen vor der Tür, die Abgeordneten- und Mitarbeiterreihen waren auch schon gelichtet, so dass dann fast 45 Minuten vor Mikrofonschluss keiner mehr Fragen an uns formulierte und die Sachverständigenanhörung zu Ende war. Wen wundert es, dass die Deutsche Bundesbahn diesen Zeitgewinn dann ganz locker wieder verspielte und ich trotzdem später als geplant in Hamburg ankam….

PS.: Meine Stellungnahme finden Sie hier.

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3 Lesermeinungen

  1. Lutz Barth sagt:

    Hm...was soll die nähere...
    Hm…was soll die nähere Botschaft sein, verehrter Herr Tolmein, die Sie uns als interessierte Blogger näher bringen wollen?
    Dass Sachverständige „gutbürgerlich“ erzogen sind? Das eine „Sachverständigenanhörung“ lediglich nur eine Alibifunktion hat? Oder vielleicht die kritische Erkenntnis, dass auch auch mit Blick auf die Organspende als eine bioethische Grundsatzdebatte in erster Linie Philosophien verbreitet werden, ohne sich den ganz konkreten Fragen des Rechts stellen zu müssen?
    Die Anhörung mag noch so hochkrätig besetzt sein, aber ändert dies etwas an einer besonderen „Märchenstunde“, in denen Experten – gleich wie viele Dr.-Titel diese in ihrer Person vereinigen – ihre individuelle Werthaltung zum Ausdruck bringen können, um hierfür gleichsam um Anschluss zu werben?
    Die „Ethik“ boomt und ein jeder kann ein Statement aus seiner Sicht abgeben. Gerade die professionellen Berufsethiker und Philosophen sind scheinbar gefordert, uns aufzuklären und gegen ihre Botschaften nimmt sich das Verfassungsrecht erkennbar etwas bescheidener aus. Da ist es wenigstens ein stückweit hilfreich zu wissen, dass jedenfalls das BVerfG der „Philosophie“ und der „Ethik“ nicht die Bedeutung beimisst, die diese sich selbst immer wieder bescheinigen.

  2. kcw1 sagt:

    Interessante Einblicke in die...
    Interessante Einblicke in die Details der Sachverständigenanhörung eines Bundestags-Ausschusses. In wieweit sind die politischen Entscheidungsträger fachlich belehrbar bevor sie sich vor Mikrophone und Blitzlichter begeben und ihre Meinung in die Welt posaunen, stellt sich hier die Frage.
    Wichtiges Thema, dem sich Politik und Gesellschaft endlich aktiv stellen müssen. Die derzeitige Zustimmungslösung wird weder dem Mangel an Spenderorganen, besser dem individuellen Schicksal der „Wartelistenkandidaten“ noch der Not der Angehörigen der Verstorbenen (hirntoten Patienten) gerecht. Wenn man als Arzt so einige Male den Angehörigen die Todesnachricht überbringen und, im gleichen Atemzug die Zustimmung zu einer Organspende erbitten musste, erlebt die ungeheuerliche Zumutung, welche dies zumeist bedeutet. Wo hört die individulle Freiheit einer bewussten Nichtentscheidung auf, wo fängt die gesellschaftliche Verantwortung an? Offensichtlich nicht nur ein wichtiges, sondern auch ein gewichtiges und somit schweres Thema. Eine einfache Lösung die allen Beteiligten gleichermaßen gerecht wird gibt es da nicht.

  3. rene talbot sagt:

    Wie man an Ihrer verlinkten...
    Wie man an Ihrer verlinkten Stellungnahme sieht, haben sie, Herr Tolmein, sich ja inzwischen völlig mit dem neuen Patientenverfügungsgesetz versöhnt.
    Das freut mich sehr – Gratulation!
    rene talbot

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