Biopolitik

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Dieses Blog ist geschlossen. Es ist als Archiv über die biopolitische Debatte 2008 bis 2012 hier weiter einzusehen. Aktuelle Entwicklungen zum Thema

Schweiz: In Sachen Suizidbeihilfe konservativ

| 4 Lesermeinungen

In der Schweiz ist das Thema „Beihilfe zum Suizid", anders als es imAUsland, also auch in Deutschland wahrgenommen wird, höchst umstritten. Vielen sind...

In der Schweiz ist das Thema „Beihilfe zum Suizid“, anders als es imAUsland, also auch in Deutschland wahrgenommen wird, höchst umstritten. Vielen sind die Regelungen, die es gibt zu unklar und, je nach Sichtweise, zu liberal oder nicht weitgehend genug. Deswegen hatte der Bundesrat zuletzt 2009 einen Anlauf genommen, eine rechtliche Regelung zu finden, die dieSuizidbeihilfe konkret regelt und Organisationen wie „Dignitas“ und „Exit“ dabei schärferen Kontrollen unterwirft. Dieser Versuch, der in einer sogenannten Vernehmlassung auf viel Kritik stiße, ist nunmehr offiziell ad acta gelegt.

Die letzte Fassung des Vorschlage für eine Änderung von Artikel 115 Schweizer Strafgesetzbuch hatte so gelautet:

Art. 115 Verleitung und Beihilfe zum Suizid
1
Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Suizid verleitet oder
ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Suizid ausgeführt oder versucht wird, mit
Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2
Wer im Rahmen einer Suizidhilfeorganisation jemanden zum Suizid verleitet
oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Suizid ausgeführt oder versucht wird,
mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft, es sei denn, die
folgenden Voraussetzungen sind erfüllt:
a. Die suizidwillige Person wendet sich innerhalb von vier Wochen vor der
Verschreibung der letalen Substanz an eine Beratungsstelle.
b. Ein von der Suizidhilfeorganisation unabhängiger Arzt stellt fest, dass die
suizidwillige Person im Hinblick auf den Suizidentscheid urteilsfähig ist.
c. Die suizidwillige Person entscheidet frei und nach umfassender Aufklärung
durch den in Buchstabe b genannten Arzt.
d. Die suizidwillige Person verwendet eine letale Substanz, welche der in
Buchstabe b genannte Arzt verschrieben hat.
e. Der Suizidhelfer handelt unentgeltlich.
3
Der Kanton bezeichnet Beratungsstellen, welche die Voraussetzungen erfüllen,
um Personen mit Suizidabsichten zu beraten.

Diese Bestimmung sollte aber nicht verabschiedet werden, weil sie weitgehend der gegenwärtigen Praxis entspricht, zudem die Schweizer Ärzteschaft dagegen opponiert hatte, die Suizidbeihilf ezu einer gesetzlich geregelten ärztlichen Tätigkeit zu machen und, last but not least, der Gesetzgeber befürchtete, dass eine entsprechende Normierung die Akzeptanz der Sterbehilfeorganisationen erhöhen könnte.

Stattdessen sollen nun in Zukunft Palliativmedizin und Suizidprävention stärker gefördert werden. Und Artikel 115 Schweizer Strafgesetzbuch lautet weiterhin:

Art. 115

Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord

Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe1 bestraft.

Mit Blick auf die deutsche Debatte, ist das Ergebnis der schweizer Diskussion eher förderlich. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung des ärztlich assistierten Suizids im Strafrecht ist so unterblieben,die wünschenswerten positiven Aktionen des Gesetzgebers bieten Gelegenheit deutlich zu machen, dass insbesondere die organisierte Unterstützung des Suizids Gesellschaft unerwünscht ist.

Angesichts des transparenten und nachvollziehbaren Vorgehens des Schweizer Gesetzgebers (umfassende Informationen auf dieser regierungsoffiziellen Seite) fragt man sich allerdings, warum der deutsche Gesetzgeber nicht annähernd so klar und nachvollziehbar handelt. Ein Beispiel dafür ist das in der Koalitionvereinbarung festgeschriebene Vorhaben organisierte Suizidbeihilfe zu verhindern – bis heute gibt es diesbezüglich keinen Gesetzentwurf und schwarz-gelb, die Prognose sei gewagt, wird das auch nicht mehr schaffen.

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4 Lesermeinungen

  1. ExKontingent sagt:

    Suizidbeihilfe oder...
    Suizidbeihilfe oder Sterbehilfe ist ja schon lange ein großes Thema hier in Deutschland wie in vielen anderen Ländern auch.
    Jedoch stellt sich nicht nur die Frage danach wie man dies gesetzlich regeln kann. Ein Gesetz das die Suizidbeihilfe erlaubt zieht einen riesigen „Rattenschwanz“ nach sich.
    Wer meint in der Praxis würde die so oft beschriebene Theorie funktionieren der irrt.
    Die Theorie besagt, dass der Suizidwillige von einem unanhängigen Arzt auf seine „Entscheidungsfähigkeit“ hin untersucht werden solle. Genau da versteckt sich schon der erste Denkfehler. Welcher Arzt solle das bescheinigen in einer Zeit in der sich kaum ein gerichtlich bestellter Arzt traut einem Patienten die Mündigkeit zu entziehen?
    Nundenn, angenommen das funktioniert. Was wenn der Patient selbst nichtmehr entscheiden kann? Könnte man dies in einer Patientenverfügung gleich mitverfügen? Auch das müsste das Gesetz mit einbeziehen.
    Patientenverfügungen enthalten meist auch namentlich genannte Personen die die Entscheidungen des Patienten tragen sollen. Sollten diese dann darüber entscheiden dürfen ob Sterbehilfe geleistet wird oder nicht?
    Stellt sich weiter die Frage, wenn es eine solche Sterbehilfe geben wird, wie wird sie durchgeführt? Wie in gewissen Nachbarländern mit Betäubungsmitteln die in überdosiert zu einem „friedlichen und würdevollen“ Tode führen?
    Für die meisten dieser Fragen wird man gewiss eine Antwort finden wenn man sich die Mühe machen will.Aber wer finanziert das alles? Beratungsstellen, Krankenhäuser, Ärzte, Psychologen, evtl. Gerichte die sich damit befassen müssen. Was wenn auch noch ein Erbe dabei eine Rolle spielt? Zahlt die Lebensversicherung bei Sterbehilfe?
    Übrig bleibt die Frage, was bitte ist ein friedlicher und würdevoller Tod?
    Es ist eine Sache einem Leiden ein Ende zu setzen, wer aber nun erwartet, dass der Tod würdevoll währe oder so friedlich wie Hollywood es uns manchmal zeigt der irrt gewaltig.
    In meinem vergleichsweise noch kurzen Leben habe ich viele Menschen sterben gesehen und so würdevoll wie man dank der Medien meinen mag war es nie. Bislang hat noch jedem die Muskulatur versagt und noch jeder der starb zeigte auch die typischen Merkmale auf welche ich nun nicht weiter eingehen will. Wer schonmal eine Leiche gesehen hat oder die traurige Erfahung gemacht jemanden sterben zu sehen der weiß wovon ich hier schreibe.
    Ob sterben friedlich sein kann weiss ich nicht. Das können wir wohl erst dann beurteilen wenn wir den Tod selbst „erleben“.
    Sterbehilfe sollte daher gesehen werden als das was es ist. Schmerzen und Leiden ein Ende setzen, weil das Leben sonst nurnoch eine Qual sei.
    Mit Würde, Stolz oder Friede, den Wörtern die die parareligiösen Befürworter der Sterbehilfe gerne nutzen, hat es nichts zu tun.

  2. Olaf Sander sagt:

    Es ist nicht wahr, dass die...
    Es ist nicht wahr, dass die Debatte in der Schweiz so umstritten ist, wie es in diesem Beitrag dargestellt wird. Um das herauszufinden reicht eine kurze Anfrage bei Google. Da kann man gut sehen, wie die Schweizer ticken und das es dort durchaus eine nicht unerhebliche Anzahl an Zustimmung für die assistierte Suizidbeihilfe gibt.
    Bei der Gelegenheit möchte ich gerne auf die BBC-Dokumentation „Choosing To Die“ von Terry Pratchett aufmerksam machen, der zwei sterbewillige Briten auf ihrem Weg in die Schweiz begleitete, wo sie sich mit Hilfe der Organisation Dignitas selbstbestimmt ihr Leben nehmen. Einer davon, der Hotelier Peter Smedley, lässt sogar zu, dass Pratchett zeigt, wie er das todbringende Barbiturat einnimmt und stirbt.
    Ausgestrahlt wurde die sehr authentische und, wie ich finde, tief berührende Dokumentation im Juni 2011 in der BBC. Gerade auch weil das Sterben von Peter Smedley gezeigt wurde, lösten Pratchett und die BBC in Großbritannien ein politisches Erdbeeben aus und stießen eine nachhaltige Debatte über die assistierte Sterbehilfe an. Die ist in Großbritannien, im Gegensatz zu Deutschland und der Schweiz, verboten und kann mit bis zu 14 Jahren Haft bestraft werden.
    So traurig und bewegend vor allem auch die Sterbeszene ist, so sehr ist sie auch ein Plädoyer für das sanfte und selbstbestimmte Sterben, das überhaupt nicht abschreckend, sondern vielmehr beruhigend wirkt, weil es eine weitere Tür im Leben zeigt durch man gehen kann, wenn es nicht mehr geht.
    https://youtu.be/slZnfC-V1SY
    Mit freundlichen Grüßen
    Olaf Sander

  3. Lutz Barth sagt:

    Verehrter Herr Tolmein.
    Sie...

    Verehrter Herr Tolmein.
    Sie mögen es mir nachsehen, aber Ihr aktueller BLOG-Beitrag wird im Ansatz der bisher geführten Diskussion nicht gerecht und es steht zu vermuten an, dass auch Sie trotz Ihres ansonsten lobenswerten Engagements in Sachen Menschenrechte gelegentlich einen Blick in die ethische Glaskugel statt ins Verfassungsrecht werfen.
    Sie haben es bisher vortrefflich vermieden, die hier ab und an im BLOG aufgeworfenen Fragen bezüglich der ärztlichen Suizidassistenz zu beantworten resp. auf die vorgetragenen Argumente einzugehen. Allein der Umstand, dass Sie beharrlich „schweigen“, führt nicht dazu, dass Ihre wenig gehaltvolle Argumentation überzeugt, zumal es Ihnen doch hoffentlich bewusst ist, dass gerade auch das BVerfG wenig bis rein gar nichts davon hält, fundamentale Verfassungsrechtsfragen über und durch die Philosophie geschweige denn durch einige Standesgenossen ethisch abklären zu lassen. Ob die Koalition es schafft, einen Gesetzentwurf zu verabschieden, ist solange ohne jedweden Belang, in dem in dem Gesetzentwurf nicht zugleich sich auch die Thesen des 66. Juristentages widerspiegeln, obgleich es angesichts der derzeitigen strafrechtlichen Rechtslage eigentlich keiner Regelung bedarf. Wie Ihnen gegenwärtig, hat sich zumindest die BÄK mit ihrer unsäglichen „Verbotsnorm“ aus der aktuellen Debatte verabschiedet, auch wenn es sinnvoll gewesen wäre, hier an den Appell des 66. DJT anzuknüpfen.
    Eine gesetzliche Regelung ist allerdings deshalb wünschenswert, weil einerseits der BGH auf Dauer nicht die Kompetenz zukommt, „gesetzesvertretendes“ Recht zu produzieren und andererseits die Landesgesetzgeber aufgefordert sind, den Oberethikern gerade in den LÄK deutliche Vorgaben in den jeweiligen Heilberufsgesetzes der Länder zu machen. Es ist – mit Verlaub – unerträglich, dass sich hier die hinlänglich bekannten Funktionäre einer Berufsgruppe als oberste Moralisten gerieren und dabei unversehens nicht nur die Grundrechte ihrer Berufsangehörigen zu Grabe tragen, sondern auch die der schwersterkrankten und sterbenden Patienten. Insofern ist der Hinweis auf den Ausbau der Palliativmedizin und der Hospize durchaus zynisch, soll doch hierdurch offensichtlich von einer fundamentalen Debatte abgelenkt werden – die insbesondere deshalb „fundamental“ ist, weil hier Hobbyphilosophen eine Art von Verfassungsinterpretation zelebrieren, die mich persönlich an eine „Märchenstunde“ erinnert und es von daher oberstes Gebot ist, endlich einmal Tacheles zu reden und zu schreiben.
    Gerne sende ich Ihnen nach Fertigstellung meine verfassungsrechtliche Expertise zu, auf die Sie dann ggf. reagieren können. Entscheidend ist und bleibt der Wettbewerb um das bessere Argument und zwar jenseits einer Hobbyphilosophie, in der auch allzu gerne der ohne Frage große Philosoph Kant zitiert wird, ohne dabei zu erkennen, dass auch Kant einem folgenschweren Irrtum erlegen ist!
    Dass gerade aktuell die Senioren-Union ein Manifest zur „Kultur des Lebens“ verabschiedet hat und dabei größten Wert auf das „C“ in dem Parteinamen legt, dürfte wohl nur reiner Zufall sein, auch wenn insoweit der Ruf nach dem „Gesetzgeber“ erhallt, endlich sich der geplanten Regelung im Koalitionsvertrag anzunehmen. Dass die JU dem folgt, ist nicht sonderlich überraschend, wenngleich doch symptomatisch für den nach wie vor irrigen Glauben, dass das „geistig-moralische Fundament“ insbesondere durch die Parteien mit einem „C“ in ihrem Namen in einer säkularen Gesellschaft stellvertretend für das Staatsvolk „gegossen“ wird. Theologen mögen dies gerne hören, aber es ist eindringlich davor zu warnen, hier entsprechende Taten folgen zu lassen, denn das „Leben“ ist nicht für alle „ein Geschenk“ Gottes und ein jeder ist nicht unbedingt „Kantianer“!
    Der ethische Grundstandard unseres Grundgesetzes ist schlicht ein anderer! Punkt um!

  4. tolmein sagt:

    <p>@Sander: Google ist zwar...
    @Sander: Google ist zwar hilfreich, aber doch nicht allwissend….manchmal hilft es mehr Originalquellen zu lesen oder, noch besser, mit Menschen im Land zu sprechen. Der Bericht zum Ergebnis der Vernehmlassung (Anhörung) des Schweizer Justizdepartements ist da sehr differenziert und aufschlussreich:
    @Barth:Hm., ich dachte ich hätte mich zum Thema ärztlich assistierter Suizid sehr deutlich und klar geäußert, daqss ich nicht auf jedes Ihrer Argumente eingehen kann,mögen Sie mir bitte nachsehen, es würden den Rahmen des Blogs und mein Zeitbudget ganz entschieden sprengen. Von Kant war bei mir dagegen, so weit ich mich erinnere, nicht die Rede. Welches Grundrecht des Arztes allerdings verletzt werden soll, wenn man ihm berufsrechtlich untersagt beim suizid Hilfe zu leisten, würde mich bei Gelegenheit mal interessieren.
    Schönen Gruß
    Oliver Tolmein

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