Biopolitik

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Salamitaktik für Vegetarier – Ärztekammerpräsident "persönlich" gegen PID

| 3 Lesermeinungen

Unmittelbar nach der Abstimmung des Deutschen Bundestages hat der neue Präsident der Bundesärztekammer Frank-Ulrich Montgomery jetzt in einem Interview...

Unmittelbar nach der Abstimmung des Deutschen Bundestages hat der neue Präsident der Bundesärztekammer Frank-Ulrich Montgomery jetzt in einem Interview klargestellt, dass er ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik(PID)  begrüßt hätte. Montgomery hat seine Statement mit dem Zusatz versehen, er „persönlich“ hätte den Gesetzentwurf für ein Verbot der PID unterstützt. In seiner Funktion als oberster Funktionär der Ärzteschaft hat er also nicht gesprochen – vielleicht erklärt das auch seine Zurückhaltung im Vorfeld der Entscheidung im Parlament, denn die Ärzteschaft selbst hat sich zuletzt auf dem 114. Deutschen Ärztetag eine (begrenzte) Zulassung der PID begrüßt. Nun kann man es ärgerlich finden, dass Montgomery seine Meinung nicht vorher geäußert hat, denn sie hätte möglicherweise auch als „persönliche“ Ansicht Gewicht gehabt in einer Debatte, in der die Abgeordneten selbst auch „persönlich“, nämlich ohne Fraktionszwang entschieden haben. Man kann es aber auch für erfreulich halten, dass Montgomery sich überhaupt noch persönlich zu dem Thema geäußert hat, zumal mit seiner Auffassung derzeit nicht nur wenig Staat zu machen, sondern auch in der Ärzteschaft nur wenig Punkte zu holen sind.

Und Montgomery bleibt ja nicht dabei stehen, sein hypothetisches Abstimmungsverhalten auf Anfrage zur Kenntnis zu geben, er macht auch deutlich, dass mit der Entscheidung über den Gesetzentwurf, die Debatte nicht am Ende ist, da die Umsetzung noch einiger Maßnahmen bedarf. Insbesondere muss die Bundesregierung, deren Chefin Angela Merkel sich zwar gegen die Legalisierung der PID ausgesprochen hat, die aber unmittelbar darauf in beredtes Schweigen verfallen ist, ja eine Rechtsverordnung erlassen, die festlegt, wie viele und welche Zentren die PID durchführen dürfen, wie die Ethikkommissionen zusammenzusetzen sind, die die Anträge zu genehmigen haben etc.pp.

Nach Auffassung des Ärztekammerpräsidenten, der in dieser Hinsicht wiederum nicht ganz so persönlich auftritt, sondern sich zur Verantwortung der Ärzteschaft bekennt, reichen bundesweit drei Zentren völlig aus, in denen die PID durchgeführt werden kann. Das hätte auch zur Folge, dass es nur dreier Ethikkommissionen bedarf, die hier jeweils Entscheidungen treffen – womit auch die Gefahr eines Ethikkomissions-Hoppings (lehnen die Münchner Ethikkommissionäre ab, genehmigen mein Anliegen vielleicht die von Berlin???) minimiert werden würde. Montgomery möchte auch die Interdisziplinarität der Ethikkomissionen betonen. Dort sollen beraten:

Ärzte, die etwas von der Thematik verstehen, die aber nicht unbedingt selbst mit künstlichen Befruchtungen befasst sind, Theologen, Philosophen, Psychologen – wichtig ist, dass eine ausgewogene gesellschaftliche Bandbreite gewährleistet ist.“

Mir scheint wichtig, dass dort auch Menschen mit Behinderungen beratschlagen. Da Behinderung ein Anknüpfungspunkt für viele PIDs ist  und Erfahrung eine wichtige Grundlage für ethische Konzepte sein kann, sind hier wichtige Experten (mit durchaus unterschiedlichen Meinungen) zu finden….

In den Ethikkommissionen wird auch möglicherweise eine Frage verhandelt werden, die im Gesetzgebungsverfahren bedauerlicherweise kaum eine Rolle gespielt hat, die aber von einiger Brisanz ist: Das Gendiagnostikgesetz, das aber für die PID keine Anwendung findet, untersagt die pränatale Untersuchung auf sogenannten spätmanifestierende Erkrankungen, wie die Huntingtonsche Chorea. Das neue Embryonenschutzgesetz hat hier dagegen kein klares Verbot verhängt, sondern sich zu diesem Problem der genetischen Erkrankungen, die erst im dritten oder vierten Lebensjahrzehnt (oder möglicherweise noch später) zu Tage treten, gar nicht geäußert. Grundsätzlich muss man daher wohl davon ausgehen, dass die PID auch in diesen Fällen eingesetzt werden kann, was Montgomery – nach meiner Auffassung zu Recht – kritisiert:

„Ich lehne es völlig ab, auf Erbanlagen für Krankheiten zu testen, die in der Regel erst nach dem 30. Lebensjahr auftreten, etwa die Chorea Huntington. Da wird es wirklich gefährlich, auch weil wir nicht wissen, welche Therapien wir in 30, 40 Jahren haben. Außerdem können die Menschen mit entsprechenden Gendefekten Jahrzehnte ohne Erkrankung leben.“

Ein Ansatzpunkt dafür, die PID in diesen Konstellationen konkret nicht zuzulassen könnte sein, dass man hier davon ausgeht, dass spät manifestierende genetische Erkrankungen nicht „schwer“ im Sinne des Embryonenschutzgesetzes sind.

Etwas zweifelhaft erscheint Montgomerys Feststellung, dass der PID möglicherweise deswegen nicht mehr ganz so entschieden entgegenzutreten sein, weil „der Damm“ schon an andere Stelle gebrochen sei – womit er sich auf die ebenfalls selektierende Pränataldiagnostik bezieht. Das erscheint mir zu undifferenziert: bei der PID findet eine direkt diskriminierende Selektion statt. Es werden „gute“ von „schlechten“ Embryonen selektiert. Eine solche direkte Diskriminierung gibt es in der Schwangerschaft in der Regel nicht mehr: hier entscheidet sich eine schwangere Frau gegen die Fortführung einer konkreten Schwangerschaft, auch wenn die befürchtete Behinderung eines Embryos den Anlaß dafür bieten mag, wird die Schwangerschaft ja doch nicht mit einem anderen, nichtbehinderten Embryo fortgeführt. Außerdem ermöglicht die Pränataldiagnostik nur bestimmte Eigenschaften zu vermeiden. Die PID kann dagegen auch bestimmte Eigenschaften gezielt zu fördern. Es geht hier also nicht darum, ob der Damm nur etwas breiter aufgebrochen wird, als ohnedies schon geschehen. Es handelt sich um eine neue Qualität des Vorgehens.

Überdies bin ich auch kein Freund des Dammbrucharguments, denn das suggeriert eine gewisse Zwangsläufigkeit und entlastet damit spätere Entscheidungen: sie erscheinen nicht mehr als bewußtes Handeln, sondern als geradezu zwangsläufige Folge aus dem Bruch des Damms. Tatsächlich sind es aber doch jedesmal eigenständige Entscheidungen, die von den Parlamentariern oder auch Ärzten bzw. den Paaren, die Kinder oder eben auch nur bestimmte Kinder wünschen getroffen werden. Das von Montgomery gewählte Bild, dass wir uns in einer „Welt der Salami-Ethik“ befänden, in der „Stückchen für Stückchen“ abgeschnitten werde, mag kulinarisch nicht ganz glücklich gewählt sein, hebt aber doch auch hervor, dass es zwar um die Wurst geht, dass aber keineswegs der erste Schnitt schon bedeutet, dass am Ende alles verspeist sein wird: man kann auch nach drei Scheiben auf einen ganz anderen Geschmack kommen oder Vegetarier werden. 

 

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3 Lesermeinungen

  1. Lutz Barth sagt:

    Nun - auch dem Präsidenten...
    Nun – auch dem Präsidenten der BÄK bleibt es gestattet, uns an seiner persönlichen Gewissensentscheidung teilhaben zu lassen, auch wenn kein Zweifel daran bestehen kann, dass eine „Salami-Ethik“ gleichsam durch den Föderalismus auch innerhalb der verfassten Ärzteschaft begünstigt, wenn nicht gar zwingend ist.
    Ob es „ärgerlich“ sein mag, dass Montgomery bereits nicht im Vorfeld sich deutlich geäußert hat, mag ein Jeder für sich selbst entscheiden, mal ganz davon abgesehen, dass mit der Wahl des Präsidenten der BÄK nicht zugleich auch der „Oberethiker“ in unserem Ländle gewählt worden ist; entscheidend ist vielmehr, dass einige Präsidenten der LÄK haben durchblicken lassen, dass es gerade auch im Vorfeld des Memorandums zur PID heftige Diskussionen innerhalb der Ärzteschaft gab. Insofern war wohl kein „Fraktionszwang“ vorgesehen und noch weniger war der autoritative Machtanspruch der BÄK ausschlaggebend, gleichsam eine moralische Instanz in unserer Gesellschaft verkörpern zu wollen.
    Im Übrigen hat Montgomery in einem „Sonntags-Interview“ am 26.06.07 keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass er persönlich, sozusagen als Mensch, gegen die PID ist (FAZ am Sonntag, 26.06.11). Insofern macht es keinen Sinn, über die Frage zu räsonieren, ob seiner „Stimme“ ein besonderes Gewicht auch mit Blick auf die Abgeordneten des hohen Hauses hätte zukommen können, zumal die Abstimmung im Bundestag nach (!) seinem Interview stattgefunden hat und vielmehr sich der Schluss aufdrängt, dass eben Montgomery mit seiner individuellen Gewissensentscheidung zwar gehört wurde, ihm aber nicht „blind“ – bar jeder individuellen Gewissensentscheidung – gefolgt wurde!
    Da könnte dann auch einer auf die Idee kommen, nachzufragen, was „gefährlicher“ ist: Die Visionen einiger Ethiker, die da meinen, eine sittlich annehmbare Ethik und damit verbundener Werte proklamieren zu müssen oder das gebetsmühlenartig vorgetragene „Dammbruch-Argument“, von dem auch der engagierte Blogger O. Tolmein offensichtlich kein Freund zu sein scheint.

  2. ThorHa sagt:

    Nach einigen Stunden...
    Nach einigen Stunden Nachdenkens verstehe ich den Beitrag immer noch nicht. Ein Beitrag zu Biopolitik, der sich sichtbar zustimmend zur Privatmeinung eines Arztes äussert? Wäre es denkbar, dass der Autor der Blog-Versuchung nicht widerstehen konnte, nach Zustimmern zu seiner eigenen Position zu suchen? Dann buchen wir das unter „menschlich“ ab – und warten auf substantiellere Beiträge. Wer hat hier was noch unter Kontrolle? Montgomery den gesetzgeber offenkundig nicht.
    Gruss,
    Thorstzen Haupts

  3. ichhaltne sagt:

    inhalt? scheint wohl auch bei...
    inhalt? scheint wohl auch bei der faz langsam rar zu werden

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