Prinzipienreiterei ist für Politiker, zumal für solche auf herausgehobenen Positionen, kein sonderlich attraktives Hobby. Pragmatisch regiert sichs nicht nur leichter, sondern vermutlich überhaupt nur, Allerdings darf man auch nicht zu beliebig wirken, erscheint man sonst doch leicht zu ersetzen. Nun ist das hier kein Blog, das „Politikberatung für Dummies“ anstrebt. Aber Bioethik wird auch für Politiker zunehmend zu einem Thema mit dem man sich profilieren kann. Annette Schavan die Forschungsministerin aus Süddeutschland hat das schon vor einiger Zeit erkannt. In der Debatte über Präimplantationsdiagnostik hat sie, mit guten Argumenten, deswegen lange Zeit für ein grundsätzliches Verbot geworben. Jetzt wurde bekannt, dass ausgerechnet das von ihr geleitete Forschungsministerium mit etwa 230.000 Euro ein Projekt zur „pränatalen Diagnostik genetischer Erkrankungen“ fördert. Das Geld erhielt die Konstanzer Firma GATC Biotech AG für die Entwicklung eines Schwangerschaftsfrühtest, der ermöglicht durch eine Untersuchung des von der werdenden Mutter entnommenen Bluts zu klären, ob das ungeborene Kind eine Trisomie 21, also das Down-Syndrom hat. Der Test soll durch die GATC Tochter Life Codexx AG spätestens im Frühjahr 2012 auf den deutschen Markt kommen. In einer Pressemitteilung des Unternehmens heißt es stolz:
Im Ergebnis sinkt durch die Möglichkeit eine frühe und sehr risikoarme Testung durchführen zu können, die Hemmschwelle zur Durchführung entsprechender Untersuchungen erheblich. Damit wird gleichzeitig auch der Erwartungsdruck, die nunmehr gebotene Möglichkeit auchzu nutzen spürbar erhöht: Mag angesichts der Gefahr einer Fehlgeburt die Frau, die keine Amniozentese will, obwohl sie zu einer als Risikogruppe definierten Menge gehört, noch auf ein gewisses Verständnis stoßen, wird dieses beim Fehlen einer solchen Gefahr kaum noch anzunehmen sein –insbesondere, wenn angesichts belasteter Sozialversicherungskassen die ökonomischen Erwägungen an Bedeutung gewinnen oder die Bereitschaft zur guten Versorgung von Menschen mit angeborenen Behinderungen sinkt.
Bundesforschungsministerin Schavan hat in einem Interview mit epd angesichts der Kontroverse um ein Verbotsgesetz zur PID erklärt:
Die Gefahren reichen aber auch noch weiter. Zwar betonen die Biotech-Unternehmen, dass gegenwärtig ausschließlich Trisomie 21 ins Visier genommen werden soll. Aber erstens dürfte das ziemlich schwierig zu begründen sein, denn warum sollen zur Fahndung nach Feten mit Trisomie 21 entwickeltere Methoden angewandt werden dürfen, als zur Fahndung nach Feten mit Mukoviszidose? Vor allem aber zeigt die Erfahrung, dass, wenn solche Entwicklungen überhaupt ohne Restriktionen ausgesetzt zu seinRaum greifen können, dann auch weitere Marktsegmente, also Diagnosemöglichkeiten rasch erschlossen werden.
Interessanter wäre also vermutlich, Projekte zu fördern, wie solche Testausweitungen eingegrenzt und ausgehebelt werden können. Aber daran denkt gerade auch Annette Schavan leider nicht.
Damit könnte diese Entwicklungen bald eindrucksvoll etwas anderes vor Augen führen: Wie ein hart erkämpftes und im Grundsatz gut gedachtes Gesetz, wie das Gendiagnostikgesetz, das gerade die besinnungslosen und screenungsgleiche Anwendung pränataler Tests mit seinem § 15 GenDG verhindern sollte, angesichts neuer Entwicklungen in weiten Teilen wirkungslos zerbröseln wird. Zur neuen, Diskriminierung attackierenden, Behindertenrechtskonvention passen Tests und vor allem deren öffentliche Förderung schon garnicht.
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Werter Herr Tolmein,
die...
Werter Herr Tolmein,
die deutsche Politik ist zugegebenermassen schizophren, insbesondere die der Parteien mit dem „C“ im Namen. Da wird also tatsaechlich ein innovatives medizinische Konzept gefoerdert, das a) gefaehrliche (erlaubte!) Fruchtwasseruntersuchungen reduzieren kann, b) Schwangeren die schwierige Entscheidung ein Risiko laut a einzugehen abnimmt, c) keine einzige Koerperzelle aus dem Embrio bzw. Foetus entnimmt und d) in der jetzigen Form nicht im Ansatz dem von Ihnen zitierten Gesetz widerspricht (UND e) potentiell Arbeitsplaetze in einer hochinnovativen und zukunftstraechtigen Branche schaffen koennte).
Das einzige rechtlich relevante Argument, das Sie gegen diese Foerderung aufweisen koennen, ist, dass evtl. eine aehnliche Methode dazu beutzt werden koennte, Krankheiten, die i.d.R. nach dem 18. Lebensjahr erst ausbrechen, zu diagnostizieren, was nun tatsaechlich dem Wortlaut des Gesetzes widerspraeche.
Vermutlich wird es auch irgendwann dazu kommen – und die Leute, die diese Dinge wissen wollen, werden sich die entsprechenden Tests dann eben in Holland besorgen oder im Internet bestellen, falls bis dahin die Gesetze noch nicht der Wirklichkeit angepasst wurden. Aber aus dem potententiellen „Missbrauch“ einer guten Technik zu folgern, dass diese auf keinen Fall gefoerdert werden duerfe, das ist genau die technikfeindliche Einstellung, die Deutschland in mittelbarer Zukunft immer weiter zurueckfallen lassen wird.
"Projekte zu fördern, wie...
„Projekte zu fördern, wie solche Testausweitungen eingegrenzt und ausgehebelt werden können.“
Ehrenwert, aber völlig lebensfremd. Aus gleich drei sehr starken Gründen:
1) Der Drang des Menschen, sich seiner natürlichen Fesseln zu entledigen, war DER Motor menschlicher Entwicklung, solange sie in irgendeiner Form dokumentiert ist. Ziel: Gott sein
2) Es gibt einen nachvollziehbaren, begründbaren und psychisch sehr starken Druck werdender Eltern, mit jedem Mittel sicherzustellen, dass ihr Nachwuchs gesund zur Welt kommt und gesund bleibt. Jede staatliche Massnahme gegen diesen Druck ist nicht nur schwierig, sie ist schlimmer, nämlich nutzlos.
3) Ist die Technik einmal da, allgemein zugänglich (das muss nicht im Inland sein) und nicht unmittelbar nachvollziehbar elementare Menschenrechte gefährdend, kann man jede Massnahme gegen den Einsatz der Technik deshalb vergessen, weil man ihren Sinn nur in den Köpfen einer kleinen Bande von Bedenkenträgern verankern kann. Nun könnte man diesen Einwand beiseitewischen und argumentieren, dann müsste man eben auch gegen eine Bevölkerungsmehrheit … Mag sein. Genauso sinnlos, wenn die Technik im nahen Ausland frei verfügbar ist.
Lassen Sie mich abschliessend noch meine persönliche Wertung abgeben. Ich kann in den Testverfahren keine hinreichende Bedrohung elementarer Menschenrechte erkennen, die ein Verbot oder eine Behinderung überhaupt rechtfertigen würden. Die meisten Argumente gegen ihre Entwicklung und ihren Einsatz sind genaugenommen starke Argumente gegen die Gesellschaft, die Menschenrechte ja schützen soll: Wir wollen verbieten/behindern/Nichtfördern, weil der gesellschaftliche Druck könnte sonst … Preisfrage – wer soll denn dann mit welchem Recht verbieten, wenn die vorherrschende Meinung in einer Gesellschaft die befürchtete ist?
Es ist ein Gebot der...
Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, vorhersehbares Leid zu verhindern, DAS ist wahre Ethik. Jede technische Entwicklung, die dabei hilft, ist zu begruessen. Gluecklicherweise werden die Ethikapostel (die in Wirklichkeit eine pervertierte Ethik vertreten) den Fortschritt und die Anwendung der praenatalen Diagnostik nicht verhindern koennen.
Nun - ich denke, man/frau...
Nun – ich denke, man/frau sollte nicht allzu streng mit den Ethikern ins Gericht gehen, zumal es sie in der Gänze nicht überzeugen wird. Jedwede Argumentation ist insoweit entbehrlich, strebt doch der wohlmeinende Ethiker stets nach dem „Guten“; Missbrauchsgefahren zu behaupten, ist mittlerweile in Mode gekommen und von daher scheint es aus der Sicht der Ethiker und vor allem Moralisten unumgänglich, den medizinischen Fortschritt zu behindern.
Der gute Ethiker ist eben immer ein „Überzeugungstäter“, der nach kognitiver Stabilität strebt. Dies sei den Ethiker auch zugestanden, offenbaren diese doch in aller Regel eine individuelle Gewissensentscheidung, die nicht selten untrennbar mit dem „Glauben“ oder der religiösen Einstellung verbunden ist. Übern wir also Toleranz gegenüber denjenigen, die da eine andere Werthaltung eingenommen haben, freilich wohlwissend darum, dass keiner einen Anspruch darauf erheben kann, „höhere Werte“ zu proklamieren.
Auch künftig wird es keinen Hinweis nach dem Motto „Frage nicht Deinen Arzt oder Apotheker, sondern Deinen Ethiker“ geben und von daher sollten wir den Patienten die Möglichkeit einräumen, selbst darüber zu entscheiden, ob diese ggf. eine schonungsvollere Variante der pränatalen Diagnostik in Anspruch nehmen wollen. Weshalb hier nun wieder einem „Erwartungsdruck“ das Wort geredet wird, bleibt einzig das Geheimnis der Ethiker und Hobbyphilosophen, abgesehen davon, dass das Beschwören von Horrorszenarien zur gängigen Argumentationslinie in bioethischen „Hochdiskursen“ geworden ist.
kranke oder behinderte...
kranke oder behinderte Menschen und deren Angehörige brauchen Unterstützung und verdienen Respekt. Dies ist wohl unstrittig und ein Gebot der Menschlichkeit.
Was hat aber dieses Ziel damit zu tun, schwere Erbkrankheiten und damit absehbares Leid durch verbesserte Methoden zu verhindern?
Meiner Meinung nach ist es in ethischer Hinsicht ein großer Fortschritt, wenn ein immer höherer Anteil der Kinder gesund zur Welt kommt.
Kurz: Kranke und behinderte Menschen brauchen unsere Unterstützung, aber es ist ethisch Krankheit und Behinderung durch medizinischen Forschritt seltener zu machen. Denn wohl alle Menschen sind lieber gesund als krank. Dies mindert nicht den Respekt für Menschen, die dennoch z.B. unter einer Behinderung leiden.
@greenorest:
Das haben Sie...
@greenorest:
Das haben Sie falsch verstanden. Kurz und brutal zusammengefasst – es gibt „Ethiker“, für die es ein Gebot der Menschlichkeit ist, mehr behinderte Menschen auf die Welt kommen zu lassen, solange die Chance besteht, einer käme noch auf die Welt. Damit der eine sich nicht alleine fühlt und nicht diskriminiert wird. Das korrespondiert mit dem Beharren mancher Behindertenvertreter darauf, ein Blinder sei nicht behindert, sondern „besonders“ begabt. Verirrungen der Menschlichkeit.
Gruss,
Thorsten Haupts
Hoppla: „Sprache ist...
Hoppla: „Sprache ist manchmal verräterisch“ und vor allem irritierend, wenn man/frau es kurz und „brutal“ auf einen Nenner zu bringen versucht. In der Tat wird hier zu differenzieren sein, zumal es nicht von der Hand zu weisen ist, dass von ethischen Neopaternalisten manche Krankheiten geradezu „verklärt“ werden und so die berühmten „Dammbruch- resp. Lastargumente“ angesichts der unsäglichen deutschen Geschichte vermeintlich zum Tragen kommen. Indes gibt es keine Pflicht zum sozialverträglichen Sterben oder Frühableben gemessen an der Kategorie des „lebenswerten Lebens“; hiergegen ist unsere Verfassung – auf alle Ewigkeit hin – im wahrsten Sinne des Wortes verfassungsfest (Art. 1 i.V.m. Art. 79 III GG).
Gleichwohl muss gefragt werden, wie viel „Moral“ und „Ethik“ uns die Verfassungsordnung zumutet, die wir letztlich als verbindliche Sollensmaßstäbe individuell zu internalisieren haben und welche Bedeutung kommt hier den Grundrechten zu?
Reicht es zu, sich auf unsere unsägliche deutsche Vergangenheit und der Euthanasie-Praxis zu berufen, um einem Diskurs den Wind aus den Segeln zu nehmen und dadurch vor entscheidenden Fragen kapitulieren zu können, ohne dass auch nur im Ansatz von den Lebensschützern in einen verfassungsrechtlich gebotenen (Güter-)Abwägungsprozess eingetreten wird?
Meines Erachtens nach liegt das Dilemma darin begründet, dass die moderne Gegenwartsethik den medizinischen Fortschritt mit der unsäglichen deutschen Vergangenheit zu kontextualisieren versucht und hierbei geflissentlich übersieht, dass das Grundgesetz selbst einen ethischen Grundstandard verbürgt und im Übrigen dieser stets einer Ausbalancierung angesichts eines möglichen Wertewandels bedarf.
Gerade der Fraktion der Lebensschützer sei hier ein Blick in den verfassungsrechtlich gesicherten Fundus anbefohlen, denn so wie die Philosophie im Allgemeinen ersetzt auch die Ethik im Besonderen nicht das geltende Verfassungsrecht! Ethikdiskurse zeichnen sich derzeit leider mehr durch ihre Mittelmäßigkeit, denn durch einen „herrschaftsfreien Diskurs“ aus. Ob die Ursache hierfür in einer Ignoranz gegenüber der Verfassungsdogmatik zu erblicken oder schlicht dem Unvermögen einiger Diskutanten geschuldet ist, ist letztlich solange ohne Belang, wie nicht die wissenschaftliche Abstinenz und damit Abneigung führender „Ethik-Experten“ gegen eine handfeste Verfassungsdogmatik und Interpretation über ihre Botschaften im Begriff sind, so etwas wie die „herrschende Le(e)hre“ zu produzieren.
Nicht ganz unwesentlich scheint mir ferner der Hinweis zu sein, dass künftig auch der Arzt gehalten sein wird, über weniger belastende und risikoärmere Diagnoseverfahren aufklären und informieren zu müssen – es sei denn, wir wollen in der Gänze von einer Gendiagnostik Abstand nehmen.
In gewisser Hinsicht kann aber...
In gewisser Hinsicht kann aber auch eine vermittelnde Position eingenommen werden. Doch Zuerst: Die „Behindertenvertreter“ sind eine austerbende Spezies. Sie haben meist die Pensionsgrenze überschritten und gehören als konservative Rechte (CDU, GUENE) oder Linke (SPD, GRUENE) in „ethische“ politischer immer mehr zur Minderheit. Das ist gut so. Immerhion leben wir in der Postmoderne. Und wer will sich als „Behinderter“ in der Zeit der Inklusion noch in Nischen aufhalten? -> Vorläufiges Ende meiner soziologischen Überlegung!
Aber: Natürlich wäre es schön, wenn man alle Behinderungen verhindern könnte. Das würde Leid für Menschen reduzieren und ein wenig (!) die Sozialkassen entlasten. Nur, das Behinderungen gehören zum Leben. Wenn eine Behinderung „ausgerottet“ worden ist, kommen 100 neue. Das wird nichts. Deshalb ist es volkswirtschaftlich betrachtet vermutlich nicht von Vorteil, wenn die Gesellschaft allzu viel in diese Forschung investiert.
Letztendlich ist das jeweils nur ein Steckenpferd hilfloser Helfer (Helfersyndrom). Manche Forschungen werden von Ärzten durchgeführt, die eigentlich genau wissen. dass das so ist.
Behinderungen haben einen anthropologischen Wert.
Ein funktionsgestörtes Herz...
Ein funktionsgestörtes Herz wechseln wir bedenkenlos aus, Nieren und andere Organe genauso. Wir nutzen alle Errungenschaften der Medizin ohne dass wir dabei in Verdacht geraten die Erkrankten möglicherweise heimlich töten zu wollen. Ich verstehe nicht warum es ein Problem sein soll, wenn man weder selbst an Down erkranken, noch seine Kindern mit einer solchen Krankheit ins Leben schicken will. Ich halte die Debatte daher für scheinheilig und wäre froh wenn wir alle menschlich vertretbaren Möglichkeiten nutzen würden um Behinderungen und Leiden in der Zukunft zu verhindern
Dazu fällt mir nur noch...
Dazu fällt mir nur noch Sancho Pansa und Sisyphos ein. Dumm, der Begriff Behinderung ist in der deutschen Sprache erstaunlich unscharf. Die unterschiedlichen englischen Begriffe, mit denen sich Behinderung in die DE Sprache übersetzen lassen, sind da wesentlich verständlicher.
Falsch ist es, eine Behinderung grundsätzlich und ohne Ausnahme mit Leid zu verbinden. Würde man auf dem Standpunkt beharren, würde man den Menschen mit einer Behinderung nicht gerecht (auch nicht ihren Angehörigen).
Medizintechnisch ist es nicht möglich alle „Behinderungen“ auszurotten. Der Mensch und das Tier ist keine Maschine oder Computerprogramm, denen man nach langen Jahren der Entwicklung alle Fehler nehmen kann.
Und welche „Behinderung“ oder welchen Fehler wollen Sie aus notwendig auszurotten denn nehmen?
Warum haben viele Menschen immer noch ein Menschenbild im Kopf, das genormt ist?