Biopolitik

"Tatort": Intersexuelle war kein Gärtner – die Mörder arbeiten im Team

 

Nun hat „Intersexualität“ also auch den „Tatort“ erreicht, was aus geschlechter- und damit auch biopolitischer Sicht auf jeden Fall erstmal erfreulich ist. Themen, die es in den „Tatort“ geschafft haben, gelten als irgendwie relevant. Aus Sicht des „Tatort“-Zuschauers ist die Entwicklung weniger erfreulich, weil „Themen“-Tatorte zumeist nicht die besonders gelungenen sind. Relevanz schlägt meistens Dramaturgie und gerade der Münsteraner „Tatort“ gefällt mir sonst eigentlich deswegen besonders gut, weil er sich, seinen Protagonisten und den Zuschauern bemühte Erklärungen weitgehend erspart, weil die Drehbuchauotren Geschichten erzählen und niemanden zum Beackern von Problemfeldern zwingen. 

Ausgangspunkt des aktuellen Münsteraner „Tatorts“ dürfte die Geschichte eines Shootingstars in der westfälischen Tennisszene gewesen sein, deren weibliches Geschlecht 2008 in Frage gestellt wurde. Die Affaire um die südafrikanische Weltklasse-Läuferin Caster Semenya wird in dem Krimi auch ausdrücklich erwähnt. Aber zu viel mehr als kurzen Verweisen, verknüpft mit schlichten Erklärungssätzen (Prof. Börne: „Es gibt etwa 100000 Menschen mit Merkmalen beider Geschlechter“) reicht es nicht. Dazu trägt bei, dass die Themen-„Tatorte“ sich ihrem Gegentand immer auf breiter Front nähern müssen: die intersexuelle Tennisspielerin, nach der Beschreibung im Film wohl eine xy-Frau, also ein Mensch mit männlichem Chromosomensatz, deren Zellen aber Testosteron abblocken, bekam also einen mehr oder weniger transsexuellen Gegenspieler, eine Motorradfahrerin und Platzwartin, die Testosteron schluckte und als Mann auftretend mit einer offen frauenfeindlichen Motorradgang unterwegs war. Die Situation intersexueller Menschen ist aber grundsätzlich anders, als die transsexueller Menschen; schon die im „Tatort“ nahegelegte Ebene eines besonders intensiven Verständnisses der beiden stigmatisierten Gruppen ist eher selten zu beobachten: während intersexuelle Menschen damit zu kämpfen haben, dass ihre Besonderheit nicht akzeptiert wird, dass sie nämlich nicht eindeutig zu einem der beiden Geschlechter gehören, ist charakteristisch für Transsexuelle, dass sie selbst im Geschlechterdualismus leben, leider aber den „falschen“ Körper haben.

Echte Männer, wahre Männer: Kommissar und Verdächtigte (c) WDR/ Thomas Kost 

Dass im Münsteraner „Tatort“ die Protagonistinnen nicht nur mit den „normalen“ Problemen von biologischem, chromosomalen, zugewiesenem und sozialem Geschlecht zu kämpfen hatten, sondern die transsexuelle Frau nur in der Motorradgang als Mann lebte, die Möglichkeiten des Transexuellen-Gesetzes auf Vornamensänderung oder gar eine geschlechtszuweisende Operation mit vollständiger Personenstandsänderung nicht in Anspruch nahm und die intersexuelle Person gleichzeitig Leistungssportlerin war, hat es der Geschichte und damit den Zuschauern auch nicht leichter gemacht (und bitte: geschlechtszuweisungskritisch aufzutreten, dann aber über die transsexuelle Motorradfahrerin äußern zu lassen „sie war schon immer ein Wildfang“ und die intersexuelle Tennisspielerin dadurch zu individualisieren, dass sie jähzornig ist, ist auch nicht gerade originell). Die dozierenden Erklärstücke von Professor Börne über große und kleine Lösungen des Transsexuellen-Gesetzes und über das Problem geschlechtszuweisender Operationen im Kleinkindalter, die angeblich nicht mehr Behandlungsstandard wären, konnten die Schwächen der Story nicht ausbügeln, zumal sie fachlich immer knapp daneben lagen – auf der Webseite „zwischengeschlecht“, die von Interessengruppen bestückt wird, kann man nachlesen, dass gerade an diesem Wochenende wieder Aktionen gegen Genitalverstümmelungen bei intersexuellen Kindern stattfanden, die eben durchaus noch Praxis sind. Und mit den Problemen der „großen“ und „kleinen“ Lösung des Transsexuellengesetzes hat sich zuletzt im Januar 2011 das Bundesverfassungsgericht befasst, das hier gundlegende Einwände gegen die gesetzliche Lösung formuliert hat. Das muss ein „Tatort“ natürlich nicht erklären, aber wenn er die Probleme schon zum Ausgangspunkt einer Geschichte nimmt und sogar Erläuterungssätzchen einbaut, sollte er versuchen, dass diese auch treffen.

Eigentlich beklagenswert ist aber, die Abstufung von Unterhaltungswert und Lust an der politischen Inkorrektheit: Während Professor Börne über seine kleinwüchsige Assistentin immer lästern darf, wenn sich eine Gelegenheit bietet, bot den „Tatort“-Machern ihr Themenschwerpunkt dagegen vor allem Anlaß zu eher moralinsauren Statements, die hier in erster Linie bei den Eltern und dem Mananger der intersexuellen Protagonistin abgeladen wurden, denen vorgehalten wurde, dass sie Leben und Karriere der Sportlerin durch ein gezielt in Auftrag gegebenes falsches Gutachten, das bestätigte, dass sie Frau sei, verpfuscht hätten. Hier geriet die Geschichte aber ohnehin ins Trudeln. Zwar ist es immer wieder für Gerüchte und einen Aufschrei in den Medien gut, wenn eine Frau als xy-Frau „enttarnt“ wird und dann anschließend eine Debatte darüber entbrennt, ob sie nicht ein Mann wäre und der Wettkampf mit Frauen unfair;tatsächlich ist aber weithin, wenn auch eher stillschweigend akzeptiert, dass xy-Frauen bei den Fraun starten können: Durch die Androgenresistenz ihrer Zellen haben sie gegenüber Frauen mit dem xx-Chromosomensatz nämlich keinerlei biologischen unlauteren Vorteil. Weder war es also erforderlich ein falsches Gutachten in Auftrag zu geben, noch erscheint plausibel, dass die Protagonisten so erpressbar war, wie hier behauptet wurde. Deswegen erscheint auch eher unwahrscheinlich, dass die Familie der Sportlerin diese und damit ihre Einkommenschancen durch einen Mord an der Motorradfahrerin hätte retten müssen.

Staatsanwältin nach gescheitertem Geschlechtstest: Pullover falsch ausgezogen (c) WDR/Thomas Kost

Um keine Mißverständnisse zu provozieren: „Tatorte“ müssen nicht plausibel sein, im Gegenteil, die Langeweile des Plausiblen plagt einen ja schon an den Werktagen, sonntagsabends darf es dann auch gerne mal so zynisch, schlagfertig und phantastisch sein, wie man dem beruflichen Gegner auch Mittwochmorgens gerne gegenüber treten würde. Aber wenn man nun schon auf dem Sendeplatz ein kleines Seminar in Sachen „Intersexualität“ offeriert bekommt, dann doch bitte etwas präziser und vielleicht weniger bemüht aufbereitet. Auch „Tatort“-Macher können ja gerne richtig recherchieren….

PS.: Lucie Veith vom Bundesverband Intersexuelle Menschen e.V. sieht den „Tatort“, wie sie im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur erläutert hat, positiver: „Für Menschen, die in diesem Tabu leben, kann so ein Film der Aufbruch zu sich selbst sein. Raus aus der dunklen Höhle, in das Leben hinein, in die Gesellschaft zurück.“

 

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