Die mail, deren Absender eine „web.de“-Adresse ist, ist brisant, „Mitarbeiter der Deutschen Stiftung Organspende“ (DSO) haben sich darin an den Gesundheitsminister Bahr und an die Gesundheitspolitiker der Bundestagsparteien gewendet um auf ihrer Meinung nach katastrophale interne Verhältnisse in der DSO aufmerksam zu machen: „Leider muss dieser Brief anonym bleiben, da wir sonst von Seiten des Vorstands der DSO mit Repressalien rechnen müssen. Ein offener Dialog wäre uns eigentlich lieber, doch ein Großteil der Mitarbeiter in der Hauptverwaltung und in den Regionen lebt unter ständiger Angst. Die Mitarbeiter werden regelmäßig vom Vorstand eingeschüchtert.“ heißt es in dem dreiseitigen Schreiben, das mir vorliegt, obwohl es anfangs nicht für die Medien gedacht war: „Dieser offene Brief geht bewusst nicht an die Presse, da wir glauben, dass ein weiterer Skandal das Leben der Menschen auf der Warteliste gefährdet.“
Die Mitarbeiter des DSO, wenn das Schreiben denn tatsächlich von solchen stammt, gehen davon aus, dass die gegenwärtigen unzureichenden Spenderzahlen auch Ausdruck von Mißwirtschaft und falschen Prioritätensetzungen in der DSO sind; sie beklagen (ohen dafür Belege anzuführen oder die Vorwürfe detailliert zu benennen) den „dramatische(n) Rückgang der Organspende: die schlechtesten Zahlen seit vielen Jahren – und das trotz des millionenschweren Inhousekoordinationsprojektes. Jedes andere Unternehmen hätte bei solchen Ergebnissen längst seinen Vorstand entlassen. Wer bei der letzten DSO Tagung im 5-Sterne Hotel in Frankfurt genau zugehört hat wie die Zahlen, vorgestellt vom „unabhängigen“ DKI, im Inhousekoordinationsprojekt sind, kann nur feststellen: es wurde alles nur schöngeredet und der Rücklauf und die Datenqualität sind katastrophal. Das Projekt hat bereits Kosten in Millionenhöhe verschlungen und der Vorstand plant eine Weiterführung des Projektes und eine Festschreibung im Transplantationsgesetz. Warum, wenn jetzt bereits feststeht, dass das Projekt keinen einzigen Spender mehr bringt, ja die Organspende sogar zurückgeht? Ist das der Grund warum zum ersten Mal die Halbjahreszahlen nicht veröffentlich wurden?“
Die Einführung fester Koordinatoren, sogenannter Transplantationsbeauftragter in den Entnahmekrankenhäusern ist im Entwurf eines überarbeiteten Transplantationsgesetzes in § 9b TPG geregelt. Allerdings wird damit in erster Linie eine EU-Vorgabe umgesetzt. Die Umsetzung hätte jedoch auch anders erfolgen können, wobei die Autoren des anonymen Schreibens hier leider auch nicht konkreter werden und Alternativen benennen. Auf politischer Ebene hat es aktuell deutliche Kritik an der Tatsache gegeben, dass der Staat in Sachen Organtransplantation einerseits die Gewinnung von Organspendern zu einer prioritären Aufgabe erklärt, andererseits aber maßgebliche Aufgaben an eine private Stiftung wie die DSO oder auch an Eurotransplant delegiert, die nicht in allen Fragen so transparent arbeiten, wie es möglicherweise wünschenswert wäre. Insbesondere hatte vor wenigen Tagen im ZDF vor allem Eugen Brysch, geschäftsführender Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutschen Hospizstiftung mehr Transparenz in diesem Vereich gewünscht und kritisiert: „“Die Politik muss Kriterien für die Entnahme und die Verteilungspraxis festlegen. Die Entscheidungsgewalt hierüber liegt bislang einzig in den Händen von privaten Organisationen. Ein nicht-rechtsfähiger Verein wie die Bundesärztekammer legt die Hirntod-Kriterien fest. Private Stiftungen wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) und Eurotransplant in den Niederlanden entscheiden über die Vergabe von Organen. Und damit über Lebenschancen. Alles ohne parlamentarische und rechtsstaatliche Kontrolle.“.
Nach den von der DSO veröffentlichten, vorläufigen Zahlen sind die Spenderzahlen, die 2009 bis 2010 noch gestiegen waren, in den ersten Monaten 2011 im Vergleich mit den ersten Monaten 2010 gesunken – und zwar sowohl was die Zahl der Spender selbst angeht, als auch was die Anzahl der gespendeten Organe betrifft):
(Quelle: DSO, www.dso.de, eingesehen am 10.10.2011, 23 Uhr)
In dem anonymen Brief wird – auch das leider wieder ohne konkretere Hinweise – spekuliert: „Stehen die schlechten Spenderzahlen vielleicht auch im Zusammenhang damit, dass die Koordinatoren und viele andere Mitarbeiter seit über einem Jahr sich ausschließlich mit dem Inhousekoordinationsprojekt beschäftigen müssen und die andere Krankenhäuser und Aufgaben dadurch vernachlässigt werden?“
Der Vorstand der DSO hat sich bislang wenig ergiebig aber deutlich geäußert: Die Vorwürfe in dem Schreiben seien aus der Luft gegriffen. Die Vorstandsmitglieder Die Vorstandsmitglieder Prof. Dr. Günter Kirste und Dr. Thomas Beck erklärten: „Die DSO ist jederzeit bereit, sich mit klar vorgetragenen Argumenten auseinanderzusetzen.“
Für den Außenstehenden ist der Vorgang befremdlich, auf jeden Fall besteht hier aber offensichtlich erheblicher öffentlicher Klärungsbedarf. Gerade ein Thema wie Organspende verlangt ein Höchstmaß an Klarheit und Transparenz – das gilt gerade wenn der Gesellschaft hier einiges an Einsatzbereitschaft abgefordert wird, mit dem Argument, dass schwerkranken Menschen dringend geholfen werden muss. Das Vorgehen der Autoren des anonymen Schreibens ist da schon irritierend, zumal in dem Schreiben auch die Gemengelage von Kritik an zu teuren Dienstreisen, angeblich von Krankenkassengeldern gekauften „goldenen Füllern“, dem Besuch von „Fünf-Sterne-Hotels“ und transplantations-politischen Entscheidungen überrascht; die wenig aufklärungswillige Abwehrhaltung des Vorstands ist aber mindestens genauso kritisch zu sehen.
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