Biopolitik

Biopolitik

Dieses Blog ist geschlossen. Es ist als Archiv über die biopolitische Debatte 2008 bis 2012 hier weiter einzusehen. Aktuelle Entwicklungen zum Thema

Kinder, Kyrokonservierung und die Kosten: Streit über geplanten Bundeszuschuss zu In-vitro-Fertilisation

| 19 Lesermeinungen

Familienministerin Schröder will künftig, genauer: ab April 2012, mit Steuergeldern bezahlen, was die Gesetzlichen Krankenversicherungen aus ihrem Etat zu...

Familienministerin Schröder will künftig, genauer: ab April 2012, mit Steuergeldern bezahlen, was die Gesetzlichen Krankenversicherungen aus ihrem Etat zu erheblichen Teilen eingespart haben: Die Kosten von künstlichen Befruchtungen oder, wie so manches Blatt phantasieanregend titelte, „Retortenbabies.“ Damit zielt Ministerin Schröder in dieselbe Richtung wie das von einer großen Koalition regierte Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, das im Spätsommer einen Entwurf mit dem idyllisierenden Namen „Kinderwunschförderungs-Gesetz“ (KiwunschG) in den Bundesrat eingebracht hat, der bewirken soll, dass „der Bund die Kinderwunschbehandlung zukünftig zu 25 Prozent mitfinanziert und damit die bisherige Kostenbeteiligung der Paare von 50 auf 25 Prozent sinkt.“ (nicht etwa, dass der Kinderwunsch gefördert werde). In der Union hat der Vorstoß von Frau Schröder für erhebliches Grummeln gesorgt; ein lautstarker öffentlicher Streit hat sich aus dem kürzlich so medienwirksam wie inhaltsarm angekündigten Vorhaben aber (noch) nicht entwickelt – dabei birgt die Frage, wer warum wieviel Geld in reporduktionsmedizinische Behandlungen steckt ja einiges an Konfliktpotenzial und auch die Frage, was die gesetzliche Krankenversicherung bezahlen kann und soll ist nicht gerade ein Thema, das für hohe Konsenswerte gut ist.

Um es vorweg festzustellen: Mir behagt der Schrödersche Vorstoß nicht. Die Gründe dafür, dass ich dagegen bin, sind allerdings recht andere als die der familienpolitischen Sprecherin der Unionsfraktion Dorothee Bär oder der Vorsitzenden der Christdemokraten für das Leben (CDL), Mechthild Löhr.

Frau Bär (deren Website geradezu augenbetäubend grell-lila ist) ist, kurzgesagt, der Auffassung, dass „ungewollt Kinderlose“ (es gibt in dieser Debatte nur gräßliche Wortschöpfungen) in erster Linie „viel umfassender beraten“ werden müssten, das gelte auch für die Fälle, in denen sich „der Kinderwunsch nicht erfüllt“. Bär regt in diesem Zusammenhang eine Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) an, „in der deutlich wird, dass künstliche Befruchtung kein ‚Allheilmittel‘ für betroffene Paare ist“. Hm. Das läßt einen selbst dann etwas irritiert zurück, wenn man, wie ich, grundsätzlich ein Verfechter von viel und guter Beratung ist. Dass „IVF“ ein „Allheilmittel“ wäre, behauptet meines Wissens niemand und wieso soll „umfassende Beratung“ über IVF eine Alternative zur finanziellen Unterstützung der Behandlung selber sein? Auch Frau Löhr (drei Frauen aus CDU/CSU streiten – dabei ist das Thema „Zeugungsunfähigkeit“ durchaus alles andere als ein reines Frauenthema) ist der Auffassung, dass mehr aufgeklärt und geforscht werden sollte. Nur: Was hilft es Paaren, wenn Sie wissen, dass der Mann wegen eines frühkindlichen Hodenhochstandes und die Frau wegen erhöhten Kontakts mit Umweltgiften wie Blei oder Cadmium auf Maßnahmen der assistierten Reproduktion angewiesen sind? Frau Löhr verweist dann auch noch darauf, dass IVF-Behandlungen nicht gefördert werden sollten, weil „die IVF ( für die Frau) eine extrem belastende und keineswegs ungefährliche Behandlung (ist), da sie sich auf eine über viele Monate, manchmal über Jahre laufende hormonelle Hyperstimulation einlassen muss, die sogar schon häufiger nachweislich zum Tod der Frauen geführt hat. Dafür sollte also staatlicherseits – auch wegen der hohen Risiken und Belastungen – tunlichst nicht geworben werden.“ Nun ist die Gefahr der Überstimulation ein Thema, das auf kaum einer „Kinderwunschseite“ fehlt, und medizinischen Behandlungen wohnt nahezu immer ein erhebliches Risiko inne – würde der Staat deswegen verfügen, dass entsprechende Behandlungsmaßnahmen nicht mehr von der GKV finanziert werden dürfen, würde das die gesundheitliche Lage kaum verbessern. Bleibt die Forderung, dass der Staat, wenn er Abtreibungen nicht verhindert, auch keine IVF bezahlen soll, oder – etwas anders gewendet: Wenn man die zehn Millionen Euro in Kampagnen gegen Abtreibung oder Programme für die Förderung von ungewollt schwangeren Frauen, die bereit sind, ihr Kind dennoch auszutragen, investieren würde, wäre die Kinderbilanz insgesamt besser. Das mag für strenggläubige Utilitaristen ein überzeugender Ansatz sein, ich finde es eine aus zwei Gründen wenig gelungene Argumentation: Die wenigen tausend Euro, die pro Paar in die reproduktionsmedizinische Behandlung investiert werden würden, helfen einer Frau, die sich beispielsweise mit einem Kind auch finanziell völlig überfordert sieht, auf mittlerer Sicht wenig weiter; vor allem aber sind die Konfliktlagen so unterschiedlich, dass es schon recht pikant ist, diese beiden Gruppen gegeneinander ausspielen zu wollen.

Im sozialen Rechtsstaat Deutschland sollte meines Erachtens beides gut möglich sein: Die Förderung von wirtschaftlich schlecht gestellten schwangeren Frauen, so dass die sich wenigstens nicht aus finanziellen Gründen in einen Abbruch gedrängt sehen und die Übernahme der Kosten der Behandlung, so dass Paare, die Kinder haben wollen, nicht schon durch die Behandlung, die dorthin führen könnte, ausgeblutet werden. Das gilt übrigens auch für das Forschungs- und Beratungsargument: natürlich soll mehr über Einschränkungen der Zeugungsfähigkeit geforscht werden und auf jeden Fall müssen Paare darüber aufgeklärt werden, wie schwerwiegend sich z.B. eine erfolglose IVF-Behandlung psychisch auswirken kann.

Mein Einwand gegen den Schröder-Vorschlag ist, dass mir bedenklich erscheint, wie hier eine medizinische Behandlung aus dem Behandlungskatalog der GKV teilweise herausgenommen wird – nur damit sie dann später als steuerfinanzierte Maßnahme teilweise wieder angeboten werden soll. Zum einen erscheint es mir aus sozialrechtlicher und sozialpolitischer Sicht systemwidrig: da es sich um eine medizinische Leistung bei einem recht klar definierten Symptombild handelt, sollte auch die GKV die Behandlungskosten tragen (und zwar voll) – und nicht der Staat. Denn so wandelt sich der Charakter der Behandlung unter der Hand: Aus einer medizinischen Maßnahme wird ein Geburtenförderungsprogramm. Der Staat nimmt damit auch bedenkliche Wertungen vor: wieso werden beispielsweise die Kosten für die Behandlung von Schmerzpatienten, deren Behandlung mit Off-Label-Use Medikamenten von den Kassen auch oft nicht übernommen werden, nicht vom Steuerzahler übernommen, wohl aber Behandlungskosten bei IVF-Maßnahmen? Kurz: Wer – mit meines Erachtens guten –Gründen will, dass Paare, die auf IVF angewiesen sind, nicht auf Basis einer de facto sozialen Indikation wegen fehlenden Geldes keine Kinder bekommen können, sollte die Lösung dort suchen, wo 2004 die Probleme geschaffen wurden: Im SGB V, dem Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung. In § 27a SGB V muss einfach die 50 Prozent-Klausel gestrichen werden – und wenn man dabei ist, kann man die Vorschrift auch sonst entschlacken, denn so wie Menschen, die zeugungsfähig sind, auch Kinder bekommen dürfen, wenn sie unverheiratet sind oder schon 51 Jahre ( als Mann) bw. 41 Jahre (als Frau) oder erst 24 Jahre (als Mann und Frau), sollte das auch für Menschen möglich sein, die sich einer assistierten Reproduktion unterziehen müssen. PS.: Details zu den geplanten Kostenverteilungen finden sich hier.

Sie können dieses Blog gerne kommentieren. Sie müssen sich dafür nicht anmelden.

 


19 Lesermeinungen

  1. Danke für diesen Artikel....
    Danke für diesen Artikel. Sehr gute Analyse, bedauerlicherweise findet man so etwas aktuell selten in den Medien. Sie haben sich aber auch an guter Stelle informiert 😉
    Die Verschiebung der Kosten in das Budget des Familienministeriums ist sicherlich eine „unsaubere Lösung“ und die Rückbesinnung auf die Kostenübernahme bis 2003 (komplett GKV) wäre in der Tat zu bevorzugen. Da bin ich ebenfalls völlig Ihrer Meinung.
    Nur sind saubere und klare Lösungen nur selten das Ergebnis eines politischen Kompromisses. Und in Österreich (IVF-Fonds) werden Solche Modelle bereits mit recht gutem Erfolg praktiziert

  2. Anja K. sagt:

    Ihr Wort in Gottes Ohren. Eine...
    Ihr Wort in Gottes Ohren. Eine volle Kostenübernahme wie vor 2004 wäre ein Traum den wir Kinderwunschpaare nicht zu träumen wagen.
    Vielen Dank für Ihren Artikel, sie sprechen mir aus der Seele.

  3. Prima sinkende Löhne durch...
    Prima sinkende Löhne durch noch mehr Überangebot auf dem Arbeitsmarkt!

  4. Sehr einverstanden!

    Es ist...
    Sehr einverstanden!
    Es ist eben die Behandlung einer gesundheitlichen Einschränkung, einer Krankheit und gehört voll in den Leistungskatalog der GKV.
    Einen dritten Kostenträger, neben der GKV und der PKV, schafft mehr Probleme, als gelöst werden.
    Beraten werden muss und wird. Aber eben nicht im Bärschen Sinne von ‚Abraten‘.
    Noch ist Zeit es wieder richtig zu machen. Nicht nur um der Paare willen, die nur so ihren Kinderwunsch erfüllen können.

  5. Morphine

    Groß ist die...
    Morphine
    Groß ist die Ähnlichkeit der beiden schönen
    Jünglingsgestalten, ob der eine gleich
    Viel blässer als der andre, auch viel strenger,
    Fast möcht ich sagen viel vornehmer aussieht
    Als jener andre, welcher mich vertraulich
    In seine Arme schloß – Wie lieblich sanft
    War dann sein Lächeln und sein Blick wie selig!
    Dann mocht es wohl geschehn, daß seines Hauptes
    Mohnblumenkranz auch meine Stirn berührte
    Und seltsam duftend allen Schmerz verscheuchte
    Aus meiner Seel – Doch solche Linderung,
    Sie dauert kurze Zeit; genesen gänzlich
    Kann ich nur dann, wenn seine Fackel senkt
    Der andre Bruder, der so ernst und bleich. –
    Gut ist der Schlaf, der Tod ist besser – freilich
    Das beste wäre, nie geboren sein.

  6. ThorHa sagt:

    Eine einfache Frage: Warum ist...
    Eine einfache Frage: Warum ist eingeschränkte Zeugungs- bzw. Gebärfähigkeit automatisch eine Krankheit?
    Gruss,
    Thorsten Haupts

  7. tolmein sagt:

    Es ist eine ggf....
    Es ist eine ggf. behandlungsbedürftige Abweichung vom „Normalzustand“ – automatisch ist da nichts, aber im ICD-10 Katalog sind die Sterilität bei Frau und Mann auch mit eigenen Schlüsseln als Krankheiten verzeichnet.

  8. Anonymus sagt:

    Die Antwort ist ganz einfach....
    Die Antwort ist ganz einfach. IVF und ICSI gelten in Deutschland als versicherungsfremnde Leistung. Deshalb wird das BMG hier keine Änderung wollen. Schröder will aber den Paaren helfen. Also entweder man streitet sich jetzt noch bis zur Wahl oder die Familienministerin macht ein eigenes Programm. Your Choice.

  9. Beate T. sagt:

    Mir ist es herzlich egal, ob...
    Mir ist es herzlich egal, ob die Kosten nun von der GKV oder von Bund bzw. den Ländern übernommen werden. Es kommt für die Betroffenen doch nur darauf an, DASS die Kosten übernommen werden.
    Und wenn die Politik es nicht schafft, dass das Geld wieder zu 100% von der GKV kommt, dann kommt es eben nun aus Steuergeldern.
    Wir haben seit Jahren das Familienministerium kritisiert, weil es Milliarden Euro in die Förderung von mehr Geburten steckt und die wenigen Millionen Euro die Kinderwunschbehandlungen, die so effektiv zur Geburtenrate beitragen könnten, nicht ausgeben wollten. Nun endlich tut sich was, da will ich nicht meckern, dass man das aber hätte doch noch aus anderer Quelle hätte finanzieren müssen. Wenn Frau Schröder den Vorschlag, wie er im Moment steht, durchbekommt (oder vielleicht auch noch ein bisschen mehr), können wir ihr dankbar sein.
    Ich sähe dann den nächsten Schritt eher darin, auch die Paare mit in die Kostenübernahme einzubeziehen, die bisher ausgeschlossen sind. So z.B. homosexuelle Paare und Paare, die wegen der Unfruchtbarkeit des Mannes auf Spendersamen zurück greifen müssen, wenn sie eine Familie gründen wollen.
    Die Verteilung der Kosten auf verschiedene Kostenträger ist für mich eher deshalb zu hinterfragen, weil bei jedem Kostenträger ein Sachbearbeiter erstmal den Fall prüfen und genehmigen muss. Das ist ein unnötiger bürokratischer Aufwand.

  10. ThorHa sagt:

    @Oliver Tolmein - Abweichung...
    @Oliver Tolmein – Abweichung vom Normalzustand:
    Wer definiert „normal“? Und völlig unabhängig von der Antwort – ich muss eben nicht jede Korrektur einer „Abweichung“ vom Normalzustand über die Krankenversicherung absichern. Ich kann es auf Dauer nicht einmal, soviel ist jetzt schon klar. Und wenn ich Leistungen ausschliessen muss, dann scheint es mir durchaus plausibel, dass man damit erst einmal mit den Leistungen anfängt, die keine unmittelbare Auswirkung auf die Lebensfähigkeit eines Menschen haben.
    Gruss,
    Thorsten Haupts

Kommentare sind deaktiviert.