Wann muss man den Notarzt rufen? In Diskussionen und Veranstaltungen über Sterbehilfe und Sterbebegleitung ist das ein oft erörtertes und vielfach angstbesetztes Thema: Wer den Notarzt nicht ruft, so die verbreitete und unbegründete Sorge, macht sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar…. Allerdings gibt es Konstellationen, in denen es erforderlich ist, lebensrettend tätig zu werden – das unterstreicht eine Entscheidung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofes, die passenderweise kurz vor Weihnachten bekanntgemacht wurde, deren schriftliche Urteilsgründe aber noch nicht vorliegen.
Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision eines 31jährigen Mannes, der gegen seine Verurteilung zu sieben Jahren Haft wegen Totschlags durch Unterlassen durch das Landgericht Trier vorgegangen war. Die 20jährige Freundin des Verurteilten, eine Studentin, hatte im Jahr 2009 in größeren Mengen eine als „Liquid Ecstasy“ bekannte Partydroge getrunken, nachdem sie erfahren hatte, dass ihr Freund, den sie als ihre „große Liebe“ sah sich von ihr trennen wollte. Die Droge hatte ihr Freund mitgebracht. Der versuchte sie noch zu retten, nachdem sie das Mittel geschluckt hatte, indem er sie dazu brachte sich zu erbrechen. Trotzdem wurde die junge Frau aber schnell ohnmächtig. Daraufhin suchte der Mann im Internet nach Tipps, was zu machen sei – jedoch ohne Erfolg. Dann verließ er die Wohnung, ohne weitere Hilfemaßnahmen zu veranlassen, vor allem rief er keinen Notarzt.
Das Landgericht Trier sah hierin nicht nur eine unterlassene Hilfeleistung, sondern einen Totschlag durch Unterlassen (für den es auch noch eine Strafe im oberen Bereich des Strafrahmens ausurteilte). Das begründeten die Richter damit, dass der Mann die Gefahrenquelle selbst geschaffen hatte, weil er die Partydroge mitgebracht hatte – das überdies noch ohne seine Freundin auf deren Gefährlichkeit hinzuweisen. Da er „überlegenes Wissen“ hinsichtlich der Gefährlichkeit der Droge gehabt hatte, war er verpflichtet, alles erforderliche zur Rettung der jungen Frau zu tun. Die Recherche im Internet reichte dazu nicht aus. Er war, das strichen die Richter des Bundesgerichtshofes in ihrer Begründung heraus, auch verpflichtet zur erkennen, dass seine Freundin keinen Suizid beabsichtigt hatte, sonst hätte sie sich nicht entschieden zu erbrechen. Als strafschärfend sahen die BGH-Richter auch an, dass der Verurteilte eine gemeinsame Bekannte über den wahren Zustand des Opfers angelogen habe. Auf eine Frage der Frau habe er geantwortet, seine Freundin schlafe.
Im Ergebnis ist die Entscheidung, auch wenn das Strafmaß ungewöhnlich hoch ausfällt, nachvollziehbar und zu begrüßen. Ein negatives Signal für Sterbehilfe- und Sterbebegleitungsfälle geht angesichts der zahlreichen Besonderheiten dieser Konstellation jedenfalls nicht von ihr aus. Das wäre auch überraschend gewesen, denn der 2. Strafsenat hatte 2010 die wegweisende (aus meiner Sicht im Ergebnis richtige, in der Begründung problematische) Entscheidung zur zulässigen Sterbehilfe getroffen. Aber wie gesagt: Darum ging es hier nicht – es ging darum, dass in einem echten Notfall ein Notarzt hätte gerufen werden müssen um das Leben einer jungen Frau zu retten, die auch weiterleben wollte…..
Az.: BGH Az.: 2 StR 295/11
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Das Problem ist doch weniger,...
Das Problem ist doch weniger, dass KEIN Notarzt gerufen wird.
Vielmehr rufen viele Pflegedienste und Pflegeheime aus Angst vor dem „Staatsanwalt“ und den Angehörigen viel zu häufig einen Notarzt bei Sterbenden.
Viele Patienten werden dadurch ins Krankenhaus gebracht, die viel besser in Ihrer vertrauten Umgebung gestorben wären.
Dieses Urteil wird dazu führen, dass die Häufigkeit dieser Handlungen zunehmen wird.
Wer geht schon gern in den Knast, wenn er mit einem Anruf seine Verantwortung delegieren kann und auch dem Willen des BGH entspricht?
Wieso von dieser klarenEntscheidung KEIN negatives Signal für die Sterbehilfe ausgeht, ist nicht nachvollziehbar. Wieviele Pflegekräfte lesen die Begründung einer Revisionsentscheidung? Was ankommt ist: Kein Anruf = Knast!
Nun - es stand zu befürchten...
Nun – es stand zu befürchten an, dass der BLOG-Eintrag v. O. Tolmein zu Irritationen führen wird, auch wenn klar ist, dass von dieser Entscheidung kein (!) Signal für die Sterbehilfe ausgeht! Was O. Tolmein uns mitteilen will, bleibt einstweilen im Dunkeln, es sei denn, es kam ihm darauf an, auf die aus seiner Feder stammenden Beiträge zu verweisen, in denen er einerseits die Begründung der sog. Sterbehilfe-Entscheidung des BGH aus 2010 rügt und zudem Zweifel anmeldet, ob der seinerzeitige Angeklagte gut beraten war, einen derartigen Rat zu erteilen. In der Tat erscheint es befremdlich, wenn jemand sein „Lebenswerk“ krönen wollte und so in eine Märtyrerrolle hineinschlüpft, die auch hätte in einem persönlichen Fiasko hätte enden können. Denn so klar war seinerzeit die Rechtslage nicht und so verkehrt war das erstinstanzliche Urteil nun auch wieder nicht. Es war wohl dem Gedanken von der Einheit der Rechtsordnung geschuldet, dass es auf einen Freispruch hinauslief, zumal nur wenige Monate vorher das sog. „Patientenverfügungsgesetz“ verabschiedet worden war. Der jetzt vor dem BGH verhandelte Fall ist eher unspektakulär und wirft keine nennenswerten Probleme auf, sehen wir mal von der Höhe des Strafmaßes ab.
Mit „Sterbehilfe“ hat dies wahrlich nichts zu tun – „wie gesagt“!