Biopolitik

2011 biopolitisch: Wortreich, aber eher arm an Werten

Mit Blick auf die bioethische Debatte in Deutschland ist 2011 kein allzu glanzvolles Jahr. Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand die Debatte über die Präimplantationsdiagnose, die erheblich darunter litt, dass die Materie höchst komplex ist. In der Öffentlichkeit, aber auch auf der politischen Bühne reichte deswegen die scharfe Ablehnung von „Designerbabies“ um den Eindruck erzeugen, hier werde auf jeden Fall ethisch verantwortlich gehandelt. Was allerdings einen Enbryo zum „Designerbaby“ macht und wieso in einer Welt, in der sonst gutes Design als hoher Wert gehandelt wird, nun gerade bei Babies „Design“ schlecht sein soll, blieb eher offen. Der Bundestag entschied sich dennoch, die Präimplantationsdiagnose in Deutschland künftig zuzulassen – was ethisch vermutlich keinen Dammbruch bewirken wird, aber, so meine ich, die Werteerosion vorantreibt. Zudem ist nach wie vor weitgehend unklar, wie die auch rechtstechnisch nicht besonders gelungene Entscheidung des Bundestages in der Praxis umgesetzt werden soll – das Gesetz ist zwar mittlerweile (am 8. Dezember) in Kraft getreten, die entscheidende Rechtsverordnung, in der unter anderem festgelegt werden muss, wie die Ethikkommissionen zusammengesetzt sein sollen, die über die Anträge zu befinden haben werden, ist aber noch nicht fertig. Das Ministerium, so scheint es, setzt hier eher auf Zeitgewinn und möglichst wenig öffentliche Debatte – auch das ist typisch für gerade diese Kontroverse. Dass das Gesetz noch nicht angewendet werden kann, heißt übrigens nicht, dass es keine PID in Deutschland gäbe – da der Bundesgerichtshof die PID nach geltender Gesetzeslage nicht als verboten ansieht, wird die PID gegenwärtig angewandt, wie es den jeweils handelnden Ärzten richtig erscheint. Auch deswegen sieht sich das Bundesgesundheitsministerium hier nicht unter Druck.

Ganz anders, aber auch nicht erfreulicher ist die Debatte über Organtransplantationen bzw. die Debatte über eine eventuelle Verpflichtung der Bundesbürger sich mindestens einmal im Leben in irgendeiner Weise (möglichst zustimmend) zur Organentnahme zu äußern: nachdem die Parteien schon frühzeitig auch ohne dass auch nur ein Gesetzentwurf vorlag sich für eine solche Erklärungs-Lösung ausgesprochen hatten, erwies sich die konkrete Umsetzung als äußerst schwierig. Nach einigen Aufs und Abs heißt die Erklärungs- nun Entscheidungslösung, es gibt mehrere Gesetzentwürfe, aber keinen, der offiziell vorgelegt worden wäre, alle haben eher haarsträubende Aspekte oder unterscheiden sich von der heutigen gesetzlichen Regelung kaum, so dass man sich fragt, was die Debatte eigentlich soll. Das kann man sich auch fragen, weil mittlerweile bekannt ist, dass die Probleme, die es im Bereich der Organentnahme gibt, keinesfalls durch die Einwilligungslösung gelöst werden können – ein grundlegendes Problem ist, dass sich immer weniger Menschen in der kritischen letzten Lebensphase auf die für Organentnahmen erforderlichen Weise intensivmedizinisch behandeln lassen, weil sie palliative, defensive Behandlungsweisen vorziehen. Obwohl der Konflikt zwischen Patientenverfügungen und Organspendeerklärungen, der auch eine wichtige rechtliche Dimension hat, in der Öffentlichkeit längst angesprochen worden ist, tut der Gesetzgeber so, als gäbe es da nichts zu regeln. Dass es dennoch nicht einfach ist, zu einer politischen Lösung zu kommen zeigt sich allerdings daran, dass trotz einer medienwirksam erklärten Einigung aller Fraktionsvorsitzenden, die durch einen bald vorgelegten Gesetzentwurf flankiert werden sollte, mittlerweile wieder Schweigen herrscht. Die Fachpolitiker, erfährt, wer nachfragt, ringen mit sich und den anderen. Vielleicht gewinnt die Debatte 2012 ja an Substanz. Dann wäre auch zu klären, ob wirklich private Organisationen wie die durch interne Auseinandersetzungen ins Gerede gekommene Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) geeignet sind, die Transplantationsmedizin hierzulande zu strukturieren und zu tragen, oder ob es hier nicht öffentlich-rechtlicher Einrichtungen bedürfte.

Bemerkenswert, wenn auch nicht überraschend, war dagegen eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, die die Patentierbarkeit von Verfahren, die auf der Zerstörung menschlicher Embryonen gründen (der Begriff des Embryos wurde in der Rechtssache C 34/10 definiert), mit deutlichen Worten abgelehnt hat.Gleichzeitig stellten die Richter aber auch fest, dass sie hier eine Entscheidung über die Patentierbarkeit getroffen hätten, die sich nicht auf andere Fragen, wie insbesondere die Abtreibung,übertragen ließe.

Die Stammzellforschung könnte denn auch 2012 nochmal zum Thema werden, da sich die deutsche Forschungsministerin Schavan hier auf eine restriktive Linie der EU-Forschungsförderung festgelegt hat: Die Gewinnung embryonaler Stamm¬zellen darf nach dem Willen der Bundesregierung auch künftig nicht von der EU finanziert werden. „Es darf auf europäischer Ebene keinen Anreiz geben für die verbrauchende Embryonenforschung“, sagte Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU).

Schavan will sich bei den für 2012 angesetzten Beratungen über die EU-Forschungsförderung für die Verlängerung einer Protokollerklärung einsetzen, in der eine Förderung von Forschungstätigkeiten mit EU-Mitteln explizit ausgeschlossen wird, bei denen menschliche Embryonen für die Stammzell-Gewinnung zerstört werden. Brüssel will Forschung und Innovation in der EU von 2014 bis 2020 mit 80 Milliarden Euro fördern.
Bioethisch ist Frau Schavan allerdings, wie sich in der kurzen, aber heftigen Kontroverse um Förderung von Forschung zu Gentests 2011 gezeigt hat, weniger klar, als ich mir das wünschen würde: In der Debatte über Präimplantationsdiagnostik hat Schavan, mit guten Argumenten, lange Zeit für ein grundsätzliches Verbot geworben. 2011 im Spätsommer wurde bekannt, dass ausgerechnet das von ihr geleitete Forschungsministerium mit etwa 230.000 Euro ein Projekt zur „pränatalen Diagnostik genetischer Erkrankungen“ fördert. Das Geld erhielt die Konstanzer Firma GATC Biotech AG für die Entwicklung eines Schwangerschaftsfrühtest, der ermöglicht durch eine Untersuchung des von der werdenden Mutter entnommenen Bluts zu klären, ob das ungeborene Kind eine Trisomie 21, also das Down-Syndrom hat. Der Test soll durch die GATC Tochter Life Codexx AG spätestens im Frühjahr 2012 auf den deutschen Markt kommen.

Liest man in Sachen Bioethik nicht das FAZ-Feuilleton oder mein Blog, sondern schaut man lieber nur die öffentlich-rechtlichen deutschen Krimis, so stand 2011 ganz im Zeichen der Behandlung von Intersexualität und der Bekämpfung von Vorurteilen gegen Transsexualität. Tatsächlich zählte die online-Diskussion des Deutschen Ethikrates zur Situation von intersexuellen Menschen (die wesentlich durch die medizinische Behandlung geprägt ist, die von den Betroffenen als Genitalverstümmelung im Kindesalter scharf kritisiert wird) zu den Highlights der bioethischen Debatte – deutlich gehaltvoller jedenfalls als die bioethischen Bundestagsdebatten des Jahres. Da die Diskussionen eine Erklärung des Ethikrates vorbereiten und die Situation insbesondere intersexueller Menschen durch Menschenrechtsverletzungen geprägt ist, darf man auch hier auf den Fortgang 2012 gespannt sein.

Das Blog hier selbst wurde 2011 kontinuierlicher und regelmäßiger als 2010 in Anspruch genommen, allerdings fehlten auch die Spitzen, die es vor allem 2009 gab (Patientenverfügungsgesetz). Am meisten gelesen und kommentiert wurde übrigens das Blog, das sich mit der Verleihung eines Preises an den australischen (Un-) Moralphilosophen Peter Singer befasste. Das scheint mir nun fats wieder etwas retro, denn für die bioethischen Debatte heute in Deutschland spielt Singer keine nennenswerte Rolle mehr….

Ich wünsche den Leserinnen und Lesern ein gutes Neues Jahr und freue mich auf die nächsten Kommentare.

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