Biopolitik

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Nach drei Abtreibungen kam das Glück mit der PID – Lübeck sieht sich vorn

| 4 Lesermeinungen

Die Lokalzeitung titelt begeistert „Lübecks PID-Baby – das pure Glück.“ Eine ganze Zeitungsseite ist dem Ereignis gewidmet, mit der...

Die Lokalzeitung titelt begeistert „Lübecks PID-Baby – das pure Glück.“ Eine ganze Zeitungsseite ist dem Ereignis gewidmet, mit der hoffnungsvollen Bildunterschrift „Künftig die Nummer eins in Deutshcland? In der Lübecker Uniklinik kam Deutschlands erstes PID-Baby zur Welt.“ Das ist so zwar nicht ganz zutreffend, weil ja gerade die Selbstanzeige eines Gynäkologen, der die Präimplantationsdiagnose (PID) erfolgreich durchgeführt hatte, Anstoß für den Gesetzgeber war, das Embryonenschutzgesetz um eine Bestimmung zu erweitern, die die PID unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt – aber sei`s drum.

Bild zu: Nach drei Abtreibungen kam das Glück mit der PID - Lübeck sieht sich vorn

Liest man den Artikel, ist sowieso nicht zu verstehen, warum es eigentlich eine ethische Debatte zum Thema gegeben hat, denn in dem mit Fotos reich garnierten Beitrag, wird konsequent eine Erfolgsgeschichte erzählt. Allein ein Statement der glücklichen Eltern am Ende des Artikels läßt die Problematik einmal kurz aufflackern: „Wir haben uns kein blondes, blauäugiges Kind mit Super-IQ zusammenbasteln lassen. Wir wollten nur ein Kind ohne Desbuquois-Syndrom.“ Nun hat das äußerst seltene Desbuqois-Syndrom meist recht schwere körperliche Behinderungen zur Folge – es gehört zur Gruppe der Osteochondrodysplasien. Das sind Wachstums- und Entwicklungsstörungen des Knorpelknochengewebes, die hier zu Kleinwuchs, orthopädische Besonderheiten und  untypischen Gesichtszügen, aber bisweilen auch geistigen Behinderungen unterschiedlichen Schweregrades führen können. Die Erkrankung hat sehr unterschiedlich starke Ausprägungen. Details werden im Artikel der „Lübecker Nachrichten“ und in einer einige Monate zurückliegenden Pressemeldung der Universitätsklinik Schleswig-Holstein, Campus Lübeck nicht erwähnt. Immerhin fällt auf, dass im Artikel davon berichtet wird, dass die drei Schwangerschaften, die das Paar vor der durch In-Vitro-Fertilisation und unter Anwendung der PID herbeigeführten, erlebte allesamt nach Pränataldiagnosen abgebrochen wurden – nach Aussage der Eltern, weil man davon ausging, dass das Kind die Geburt nicht überlebt hätte. Die Pressemitteilung des Lübecker „Kinderwunschzentrums“ behauptet dagegen, dass „das Paar hatte bereits drei Schwangerschaften hinter sich (hatte), bei denen der Fötus im Mutterleib gestorben war.“ (Eine Darstellung, die auch im Widerspruch zur ersten Pressemitteilung der Lübecker Reproduktionsmediziner steht).

Bezogen auf den neuen § 3a des Embryonenschutzgesetzes, handelt es sich um die in der Debatte weniger umstrittene Konstellation des § 3a Abs. 2 1. Variante: Die PID wird durchgeführt um Paaren, die nach durchgeführter humangenetischer Beratung mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Kind mit einer schweren Erbkrankheit gebären würden, die Möglichkeit zu geben, ein nichtbehindertes Kind zu bekommen. Die „hohe Wahrscheinlichkeit“ betrug im Lübecker Fall 25 Prozent.

Die Geburt des Lübecker PID-Kindes ist gegenwärtig vor allem deswegen bemerkenswert, weil der neue § 3a ESchG vorsieht, dass die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates eine Rechtsverordnung erlässt, die alle wesentlichen Fragen beantwortet, die das eher unklar formulierte Gesetz aufwirft und Regelungen trifft

„1.zu der Anzahl und den Voraussetzungen für die Zulassung von Zentren, in denen die Präimplantationsdiagnostik durchgeführt werden darf, einschließlich der Qualifikation der dort tätigen Ärzte und der Dauer der Zulassung,

2. zur Einrichtung, Zusammensetzung, Verfahrensweise und Finanzierung der Ethikkommissionen für Präimplantationsdiagnostik,

3. zur Einrichtung und Ausgestaltung der Zentralstelle, der die Dokumentation von im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik durchgeführten Maßnahmen obliegt,

4.zu den Anforderungen an die Meldung von im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik durchgeführten Maßnahmen an die Zentralstelle und den Anforderungen an die Dokumentation.“

Diese Rechtsverordnung ist allerdings obwohl die veränderten Bestimmungen bereits Ende letzten Jahres in Kraft getreten sind, noch nicht erlassen worden. Insbesondere die Zusammensetzung der Ethikkommissionen, die alle PID-Entscheidungen genehmigen müssen, ist aber von erheblicher Bedeutung, denn wenn hier Humangenetiker und Reproduktionsmediziner tonangebend sind, werden die Genehmigungen anders ausfallen, als wenn sie offen pluralistisch zusammengesetzt sind und beispielsweise auch Menschen mit Behinderungen Sitz und Stimme haben. Weder in der Pressemitteilung des Lübecker „Kinderwunschzentrums“, noch im Artikel der „Lübecker Nachrichten“ wird übrigens eine Ethikberatung oder Entscheidung eines Ethikkomittees auch nur erwähnt.

Bei meinen Recherchen über des Desbuqois-Syndrom bin ich übrigens auf eine Geschichte aus den USA gestoßen, die deutlich macht, dass auch Menschen mit dieser Behinderung ganz „normale“ Probleme haben können: Wenn ihnen nämlich als Flüchtlingen das Aufenthaltsrecht in einem westlichen Industriestaat nicht erteilt wird und sie abgeschoben werden sollen…. In diesem Fall nach Kenia.

 

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4 Lesermeinungen

  1. seelenlos sagt:

    interessant, wie in lübeck...
    interessant, wie in lübeck auch in sachen pid ohne ethische transparenz „pionierhaft“ tatsachen geschaffen werden, um den scheints gefährdeten standort hochzujubeln. auch bei kosmetischen genitaloerationen an kindern a.k.a. „intersex-forschung“ profiliert sich die „EuroDSD“-zentrale lübeck ja gern als ethisch herausgeforderte, aber fördegeldertechnisch erfolgreiche „unerschrockene pionierin“.
    im oben beschriebenen fall, gibt es keine möglichkeit, die „Universitätsklinik Schleswig-Holstein, Campus Lübeck“ zur einhaltung wenigstens minimaler ethischer transparenz und rechenschaft zu verpflichten?!
    allein und von selbst haben die lübecker verantwortlichen offenschichtlich chronisch gewisse schwierigkeiten mit sowas …

  2. Prometheus sagt:

    <p>Werter Herr...
    Werter Herr Tolmein,
    kann man Ihren „25%“-Kommentar so deuten, dass Sie, im uebertragenen Bilde, ein Risiko, das einer einfachen Wette beim Roulette (z.B. Rouge) entspricht als zumutbar ansehen, wohingegen es unzumutbar waere, sein ganzes Glueck auf ein Cheval setzen zu muessen?
    Gruss, P.

  3. tolmein sagt:

    @Prometheus: Hm. Ich bin ja...
    @Prometheus: Hm. Ich bin ja kein Roulette-Spieler (das geben weder Zeilenhonorar noch Gebühren nach dem RVG her), vor allem aber sehe ich das hier Diskutierte nicht als Gewinn-/Verlust-Spiel an. Der Gesetzgeber hat in § 3a EschG die PID für Konstellationen erlaubt, in denen aufgrund der jeweiligen Voraussetzungen ein „hohes“ Risiko für eine Erbkrankheit besteht – im konkreten Fall betrug das Risiko genau 25 Prozent. Geht man davon aus, dass der Lübecker Fall die Voraussetzungen des ESchG für eine PID erfüllt, gilt ein Risiko von 25 Prozent als hoch. Das möge nun jeder Einzelne mit sich klären, ob er das auch so empfindet. Wenn ich Mandanten über das Risiko in einem Rechtsstreit zu unterliegen aufkläre, bewerte ich ein 25%iges Risiko eher nicht als hoch (dann wäre jeder Prozess mit einem hohen Risiko behaftet) – aber das ist natürlich auch was Anderes.

  4. lillifee sagt:

    3 Schwangerschaften dreimal...
    3 Schwangerschaften dreimal die 25 % ,dreimal die schreckliche Diagnose und dreimal zusehen wie sich das Baby mit der schweren Form der Erbkrankheit entwickelt ,dreimal wissen das Kind wird nicht „leben“ können und dann entscheiden müssen es wieder herzugeben. was für eine Belastung, ich wünsche keinem Paar mit Kinderwunsch das durchmachen zu müssen. Ich freue mich über meine süße Nichte.

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