Biopolitik

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Der Gesetzentwurf ist da: Gläserne Schwerstkranke – Datenschutz und Organentnahme

| 14 Lesermeinungen

Mittlerweile gibt es nun tatsächlich den" Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz", der als Gruppenantrag on den...

Mittlerweile gibt es nun tatsächlich den“ Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz“, der als Gruppenantrag on den Fraktionsvorsitzenden aller Parteien in den Bundestag eingebracht werden wird. Gegenwärtig kursiert der Entwurf im Parlament, damit Abgeordnete ihn unterstützen. Die erste Lesung ist, damit auch nicht zu viel Zeit für Diskussionen bleibt, auf den 22. März gelegt worden.
Gleichzeitig haben die Grünen einen Änderungsantrag eingebracht, der moderat formuliert ist, damit er auch von Abgeordneten anderer Fraktionen unterstützt werden kann. Ziel dieses Antrages ist es, den Datenschutz bei der elektronischen Gesundheitskarte zu erhalten und nicht durch ein weitreichendes Recht der Krankenkassen selbst (wenn auch im Auftrag der Versicherten) Daten auf die elektronische Gesundheitskarte zu schreiben zu beeinträchtigen.

Diese datenschutzrechtliche Problematik ist auch deswegen von besonderer Brisanz, weil die jetzt im Zuge der Änderung des Transplantationsgesetzes vorgenommenen Änderungen des § 291a SGB V auch Patientenverfügungen betreffen. Auch Hinweise auf deren Vorhandensein und Aufbewahrungsort sollen künftig auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden können. Zwar sieht die neue Bestimmung nicht vor, dass auch der Inhalt einer Patientenverfügung auf der elektronischen Gesundheitskarte enthalten sein soll. Es ist aber nicht allzu gewagt anzunehmen, dass sich hier Begehrlichkeiten entwickeln werden, die rasch zu Taten drängen werden: wenn die Speicherung von inhaltlichen Aussagen zur Organspende auf der elektronischen Gesundheitskarte als „bewährt“ beurteilt werden wird, wird die Frage aufgeworfen werden, warum dann nicht auch Inhalte der Patientenverfügung dort gespeichert werden sollen. Das Datenschutzniveau dafür wird nicht höher angesetzt werden, als das für die Organspende-Daten – und das ist im gegenwärtigen Entwurf ausserordentlich niedrig bestimmt.

Da diese Materie rechtlich und datentechnisch äußerst kompliziert ist, ist kaum anzunehmen, dass hier rechtliche Barrieren gegen den „gläsernen Sterbenden“ aufgestellt werden. Die Unterstützung des Antrages der Grünen könnte hier ein Indikator sein.

Der Gesetzentwurf zur Entscheidungslösung ist ansonsten bemerkenswert, weil er in Paragraph 1 einen Absatz 1 formuliert, der eine klare Vorgabe des Gesetzgebers an die Bürgerinnen und Bürger macht:

„Ziel des Gesetzes ist es, die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zu fördern. Hierzu soll jede Bürgerin und jeder Bürger regelmäßig im Leben indie Lage versetzt werden, sich mit der Frage seiner eigenen Spendebereitschaft ernsthaft zu befassen und aufgefordert werden, die jeweilige Erklärung auch zu dokumentieren. Um eine informierte und unabhängige Entscheidung jedes Einzelnen zu ermöglichen, sieht dieses Gesetz eine breite Aufklärung der Bevölkerung zu den Möglichkeiten der Organ- und Gewebespende vor.“

Wie diese Zielsetzung mit der später formulierten „Ergebnisoffenheit“ der Aufklärung zusammenpasst oder der Feststellung, dass niemand zur Abgabe einer wie auch immer gearteten Erklärung zur Organspende verpflichtet werden kann, wird nicht deutlich.

Die Begründung des Gruppenantrages macht ebenfalls deutlich, dass die Vorstellungen des Gesetzgebers von „Freiwilligkeit“, „ergebnisoffener Information“ und Entscheidung ohne Druck eher formaler Natur sind.

„Ziel der Einführung der Entscheidungslösung, verbunden mit einer Erweiterung der Verpflichtungen der Behörden, Krankenkassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen, ist die
Förderung der Organspendebereitschaft, um mehr Menschen die Chance zu geben, ein lebensrettendes Organ erhalten zu können. Eine Studie der BZgA belegt, dass Menschen, die gut informiert sind, eher einen Organspendeausweis ausfüllen und der Organspende positiv gegenüberstehen. Mit den vorgeschlagenen Regelungen soll der bestehende Abstand zwischen der hohen Organspendebereitschaft in der Bevölkerung (rund 75 Prozent) und dem tatsächlich dokumentierten Willen zur Organspende (rund 25Prozent) verringert werden, ohne die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen durch eine Erklärungspflicht einzuschränken.
Der Gesetzentwurf sieht Regelungen vor, jeden Menschen in die Lage zu versetzen, sich mit der Frage seiner eigenen Spendebereitschaft ernsthaft zu befassen. Durch den neu eingefügten § 1 Absatz 3 wird dieses Ziel im Gesetz verankert und klargestellt, dass es jeder Bürgerin und jedem Bürger ermöglicht wird, eine informierte und unabhängige Entscheidung zu treffen. Die allgemeinen Aufklärungspflichten in § 2 Absatz 1 Satz 1 des Transplantationsgesetzes (TPG) werden insoweit konkretisiert, als ausdrücklich aufgefordert wird, freiwillig eine Entscheidung zur Organspende abzugeben; deshalb wird auch auf das Entscheidungsrecht der nächsten Angehörigen für den Fall hingewiesen, in dem keine Erklärung zur postmortalen Organspende zu Lebzeiten abgegeben wird. Die bisher geltende erweiterte Zustimmungslösung wird in eine Entscheidungslösung umgewandelt. Im Zusammenhang mit der allgemeinen Aufklärung soll die Konsequenz eines Unterlassens der Abgabe einer Erklärung zur postmortalen Organspende zu Lebzeiten für die nächsten Angehörigen im Todesfall klarer herausgestellt werden. Darüber hinaus soll im Rahmen der allgemeinen Aufklärung auch über das Verhältnis der Organspendeerklärung zu einer Patientenverfügung informiert werden.“

Dass dieser Antrag in seinem Kern von allen Fraktionen getragen werden wird, wirft ein eher düsteres Licht auf die bioethische Diskussionskultur in der Bundesrepublik.

Auch dass die in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit von Medien und Organisationen deutlich geäußerte Kritik an der Infrastruktur der Organentnahme und Organverteilung in dem Entwurf keinerlei Niederschlag findet, ist nicht gerade ein Zeichen für eine an diesem Punkt besonders reflektierte Politik.

Dass just in diesen Tagen die DAK eine Umfrage veröffentlicht, derzufolge die meisten Deutschen zur Organspende bereit sind kann die Bundespolitiker freuen. Der lesende Kritiker allerdings fragt sich, warum niemand die vielen „grundsätzlich“ zur Spende bereiten Menschen fragt, warum sie denn ganz konkret trotzdem keine Organspendeerklärung nicht ausgefüllt haben. Am Mangel an Formularen kann es nicht liegen. Neuerdings liegen sie sogar in Buchhandlungen aus und mein Apotheker fragt mich auch schon ständig danach…..

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14 Lesermeinungen

  1. bertholdIV sagt:

    sehr schön und danke....
    sehr schön und danke. wenigstens einer der aufpasst, in den zeitungen geht das ja fast unter.
    „Im Zusammenhang mit der allgemeinen Aufklärung soll die Konsequenz eines Unterlassens der Abgabe einer Erklärung zur postmortalen Organspende zu Lebzeiten für die nächsten Angehörigen im Todesfall klarer herausgestellt werden. Darüber hinaus soll im Rahmen der allgemeinen Aufklärung auch über das Verhältnis der Organspendeerklärung zu einer Patientenverfügung informiert werden.“
    jetzt macht auch das jahrelange werben für die juristisch nullaussage (?) einer patientenverfügung sinn.
    wenn der neuen gesetzentwurf nicht genügend organspender bringt, geht es dann wie z.b. in aut? – defaultmäßig organspender ohne rückfrage, außer bei mitteilung ans widerspruchsregister (gilt auch für ausländer in aut).

  2. Alatheia sagt:

    Danke - endlich mal...
    Danke – endlich mal Information statt kurzes Bla

  3. Letztendlich ist das...
    Letztendlich ist das Nötigung. Ich muß doch nicht aller Paar Jahre NEIN sagen
    müssen wenn ich nicht Spenden will. Irgendwann kommt dann eine Änderung
    das wenn man nicht NEIN sagt man Automatisch Spender wird.
    Das nenne ich Vergewaltigung!
    Denn:
    Schon klingelt es in Vielen Kassen. Alle Verdienen Geld an meinen Organen.
    Ärzte, Pharmakonzerne, Krankenhäuser und Andere. Auch der Staat kassiert
    noch an der Mehrwertsteuer für alles was damit zusammenhängt Fleissig mit.
    Und ich? Mir gibt keiner was zum Leben dazu! Ich soll immer nur Zahlen
    und Spenden. Dazu mein Klares NEIN.
    Eventuell eine Spende – aber nur für meine Familienangehörigen.

  4. Ingo sagt:

    Nichts, aber auch garnichts...
    Nichts, aber auch garnichts hat sich geändert, es ist einfach nur ein Trauerspiel. In fast ganz Europa gilt die Widerrufsplicht und wir Deutschen profitieren davon. Nur bei uns stehen immernoch „ethische“ Bedenken dagegen.
    Lieben Gruss, ein Profiteur.

  5. Caroline sagt:

    Das ist erst der Anfang. So...
    Das ist erst der Anfang. So wird es weitergehen: „Sie haben unsere Anfrage noch nicht beantwortet. Möchten Sie nicht spenden? Warum nicht? Ach so, Sie hatten eine Hepatitis. Ja, wieso? Was haben Sie getan, um sich diese Krankheit zuzuziehen? Alkohol, im Urlaub nicht aufgepasst? Das geht natürlich nicht. Da müssen wir Sie leider von der Liste der potentiellen Organempfänger streichen. Rechtsmittel dagegen? zur Zeit nicht vorgesehen, die rechtliche Situation der Spender und Empfänger ist noch ungeklärt. Ach so, eine Hepatitis im Alter von sechs Jahren. Bitte übersenden Sie uns den entsprechenden Nachweis. Vielen Dank.

  6. Alfons Grau sagt:

    Sehr geehrter Herr Dr....
    Sehr geehrter Herr Dr. Tolmein,
    danke! für Ihren Blog-Beitrag: „Der Gesetzentwurf ist da: Gläserne Schwerstkranke – Datenschutz …“.
    Schon die Eingangssätze im Gruppenantrag und Gesetzentwurf lassen erkennen, dass Lügen und Verschweigen weitergehen werden um mehr Menschen unter dem Deckmantel von Solidarität und (christlicher) Nächstenliebe in die „Hirntod-Falle“ zu locken. Das Ziel müsste doch sein, ergebnisoffen über (die Grausamkeit der) Organentnahme und (die Brutalität der) Hirntod-Diagnostik aufzuklären. Das ist jedoch weder von der BZgA noch von der DSO, noch von den Krankenkassen zu erwarten.
    Um eine tragfähige Entscheidung fällen zu können muss jeder Mensch wissen, dass sogenannte Hirntote allenfalls Sterbende im möglicherweise irreversiblem Hirnversagen sind. Bei der allogenen Transplantation auf Hirntod-Basis werden Organe zur Transplantation den „Spendern“ bei lebendigem Leib entnommen und diese dadurch getötet. Das ist gesicherte und weltweit anerkannte wissenschaftliche Erkenntnis (z.B. Harvard-Mediziner Robert D. Truog). Kein Mensch – auch kein Arzt – weiß, ob Hirntote bei der Explantation etwas wahrnehmen und empfinden, aber Anzeichen sprechen dafür. In der Schweiz ist deshalb für diesen Akt des „kontrollierten Zuendesterbens“ Vollnarkose vorgeschrieben. Das muss jeder Mensch wissen, ob potentieller „Spender“ oder Empfänger. Wer unsicher ist und der elektronischen Gesundheitskarte misstraut sollte den Brief der Krankenkasse ignorieren.

  7. Dorothea sagt:

    Danke für den ausgezeichneten...
    Danke für den ausgezeichneten Artikel. Mein Lieblingssatz ist dieser:
    „Dass dieser Antrag in seinem Kern von allen Fraktionen getragen werden wird, wirft ein eher düsteres Licht auf die bioethische Diskussionskultur in der Bundesrepublik.“
    Traurig finde ich auch, dass über die sehr kritische Stellungnahme zum Hirntod-Konzept des Fuldaer Bischofs Algermissen (Fuldaer Zeitung 05.03.2012)in der Presse nicht berichtet wird.

  8. Abigail sagt:

    Danke für diesen Artikel....
    Danke für diesen Artikel. Mutig, Herr Tolmein!
    Es ist geradezu beängstigend, wie der Journalismus, der sonst hinter jedem Skandal her ist, zu den Skandalen, die jetzt schon im Zusammenhang mit Organtransplantationen passieren, schweigt. Meine Hoffnung ist, dass die Betroffenen (Angehörige der „Spender“, Lebendspender und selbst die Transplantierten, die ja zum Teil unter erheblichen Nebenwirkungen zu leiden haben) auf Dauer nicht mehr schweigen werden. Sie alle müssten zur Aufklärung beitragen, damit die Schönrederei aufhört.

  9. sil sagt:

    Die Frage ist: Was hat der...
    Die Frage ist: Was hat der Staat eigentlich von dieser Art der Nötigung? Nur um „Nächstenliebe“ geht es ihm doch sonst auch nicht.
    Bei Nierentransplantationen können die Krankenkassen wohl ersteinmal im Gegensatz zur Dialyse Geld sparen, das wäre für mich noch nachvollziehbar. Und die Medikamente für Nierentransplantierte kosten wohl auch nur um die 30.000 Euro im Jahr. Ganz anders aber verhält es sich z.B. bei Leber- und Herztransplantationen . Da sind die Ausgaben für die Krankenkassen immens. Ein Lebertransplantierter braucht im Jahr für rund 180.000 Euro Medikamente- dabei handelt es sich um Immunsuppressiva, Medikamente gegen Bluthochdruch , u.U. monoklonale Antikörper und vieles andere mehr. Für die Pharmafirmen sind diese Patienten höchst lukrativ.
    Nicht, dass ich Schwerkranken diese Ausgaben nicht gönnen würde. Aber das Rätsel ist doch: Worum geht es dem Staat? Um Hilfe für Schwerkranke, die Ankurbelung der Umsätze der pharmazeutischen Industrie oder um eine gesicherte Finanzierung der transplantierenden Kliniken? Diese versorgen natürlich bis zu einem bestimmten Prozentsatz Ausländer mit neuen Organen . Ausländer, z.b. Russen und Araber müssen OP und Nachsorge cash an der Klinikkasse bezahlen. Bei einer Lebertransplantation immerhin rund 250.000 Euro. Das ist ein schönes Zubrot.
    Neben den anderen wichtigen Punkten sollten diese Fragen der Politik einmal gestellt werden.

  10. Opferlamm sagt:

    Das neue...
    Das neue Transplantationsgesetz läuft auf eine Umkehr der bisherigen Regelung hinaus.D.h., alle sind erst einmal automatisch Organspender,wenn sie nicht in schriftlicher Form widerrufen haben.Das alles bleibt der Eigeninitiative überlassen, denn es gibt keine amtlichen Vordrucke für Verweigerer und auch kein Widerspruchsregister, wie in anderen Ländern üblich.Die Krankenkassen sollten nicht ins Spiel kommen,denn sie haben dabei eigene Interessen, die nicht zum Vorteil der betroffenen Patienten gereichen.Die Diagnose „Hirntod“ = Tod und Tote werden nicht mehr behandelt – Kostenfaktor geklärt.Danach geht es nur noch um Gewinnoptimierung.Sollten die heißbegehrten Organe – zum Nulltarif – einmal „aus Versehen“ entnommen worden sein, gehen Klinik und Ärzte, Dank entsprechender Gesetze straffrei aus, obwohl eine Straftat begangen wurde(StGB § 34).Die italienische Sängerin M I L W A singt das Chanson : Alle Menschen sind gleich, doch einige sind gleicher, denn die sind etwas reicher (Text sinngemäß wiedergegeben).

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