Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin aus Anlaß einer Falles von geplanter und untersagter ärztlicher Suizidbeihilfe ist die mediale Verwirrung groß. Vermutlich weil der Anwalts des Klägers so nachdrücklich von einem „Musterprozess“ gesprochen hat, suchen die meisten Journalisten nun das Allgemein – und übersehen dabei mehr oder weniger geflissentlich, dass es im deutschen Recht keine Musterprozesse gibt. Und der Einzelfall, der hier entschieden wurde weist so viele Besonderheiten auf, dass zwar Teile der veröffentlichten Meinung darin einen Präzedenzfall sehen wollen, die Richter haben aber keinen entschieden.
Eindeutig falsch ist die Schlagzeile von „Bild“, die über den dort mit Bild und vollem Namen genannten Urologen behauptet: „Dieser Arzt darf Kranken Todes-Cocktail geben.“ In dem Verfahren, das 2007 begonnen hatte war es um einen konkreten Fall von assistiertem Suizid gegangen, gegen den die Ärztekammern Thüringen und Berlin eingeschritten waren. Die konkrete Untersagungsverfügung der Ärztekammer Thüringen ist 2008 vom Verwaltungsgericht Gera als rechtmäßig bezeichnet worden (die Entscheidung ist nicht rechtskräftig geworden, das zuständige Oberverwaltungsgericht hat noch nicht entschieden). Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin wurde über diesen Aspekt nicht entschieden, weil die Frau – ohne Zutun des Arztes – mittlerweile gestorben war, der Fall hatte sich in juristischer Hinsicht also erledigt. In der mündlichen Urteilsbegründung machten die Berliner Richter aber deutlich, dass auch sie die Untersagung dieser konkreten Suizidbeihilfe nicht rechtswidrig fanden.
Davon, dass diesem Arzt erlaubt worden wäre Suizidbeihilfe zu leisten kann also keine Rede sein. Das wäre auch deswegen schon nicht ganz naheliegend, weil dieser Arzt gerade kein niedergelassener Mediziner ist, den seine Patienten in der Praxis aufsuchen und um Assistenz beim Suizid bitten könnten – er hat nämlich keine Niederlassung, sondern ist im arbeitsmedizinischen Bereich tätig udn zum Zeitpunkt seiner hier erörterten Aktivitäten war er zudem 2. Vorsitzender des deutschen Dignitas-Ablegers.
Allerdings war die Berliner Ärztekammer noch weiter gegangen. Sie hatte dem Arzt zusätzlich zur konkreten Sterbehilfe durch assistierten Suizid ganz allgemein untersagt „Substanzen, die allein oder in Verbindung mit anderen dazu geeignet sind den Tod eines Menschen herbeizuführen, an Patienten abzugeben oder in sonstiger Weise zum Gebrauch für deren beabsichtigten Suizid zu überlassen“ Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 50.000,- € angedroht.
Mit dieser generellen Verfügung haben sich die Verwaltungsrichter kritisch auseinandergesetzt. Endgültig bewerten kann man ihre Aussagen wohl erst, wenn die schriftliche Begründung der Entscheidung vorliegt. Der Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts, die mit den Richtern der Kammer abgestimmt worden ist, kann man folgende Überlegung entnehmen:
„Die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts hielt das ausnahmslose berufsrechtliche Verbot in der Untersagungsverfügung, eine ärztliche Beihilfe zum Suizid durch Überlassen von Medikamenten zu begehen, im konkreten Fall für zu weitgehend und hat es deshalb aufgehoben. Die Ärztekammer dürfe die Berufsausübung ihrer Mitglieder zwar auf der Grundlage des Berliner Kammergesetzes überwachen und bei drohenden Pflichtverstößen Untersagungsverfügungen erlassen. Zu den Berufspflichten der Ärzte gehöre die gewissenhafte Ausübung ihres Berufs u. a. nach den Geboten der ärztlichen Ethik. Die ärztliche Ethik umfasse die durch den Ärztestand anerkannten, den einzelnen Standesgenossen bindenden Grundregeln des Berufs. Diesen Grundregeln sei ein allgemeines Verbot des ärztlich assistierten Suizids zu entnehmen. Hiergegen verstoße die Überlassung todbringender Medikamente an sterbewillige Personen. Gemessen am verfassungsrechtlichen Maßstab der Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 GG) und der Gewissensfreiheit des Arztes (Art. 2 Abs. 1 GG) habe aber kein uneingeschränktes Verbot des ärztlich assistierten Suizids ausgesprochen werden dürfen. Mit den genannten Grundrechten unvereinbar sei es nämlich, die ärztliche Beilhilfe zum Suizid auch in Ausnahmefällen unter Androhung eines Zwangsgeldes zu verbieten, in denen ein Arzt aufgrund einer lang andauernden, engen persönlichen Beziehung in einen Gewissenkonflikt geraten würde, weil die Person, die freiverantwortlich die Selbsttötung wünsche, unerträglich und irreversibel an einer Krankheit leide und alternative Mittel der Leidensbegrenzung nicht ausreichend zur Verfügung stünden. Der Kläger habe dargelegt, dass ein solcher Ausnahmefall für ihn außerhalb seiner Tätigkeit für den Sterbehilfeverein keine bloß theoretische Möglichkeit darstelle.“
Dass sich aus der (weitgehend wirtschaftlich zu verstehenden) Berufsfreiheit des Arztes und seiner individuellen Gewissensfreiheit ergeben soll, dass man ihm mit einer Untersagungsverfügung Suizidbeihilfe nicht generell verbieten dürfe, erscheint mir wenig überzeugend, denn die Gewissensfreiheit hat ja auch sonst Grenzen und erlaubt dem Arzt die Durchbrechung ethischer Grenzen nicht zwingend. Im konkreten Fall ist aber noch etwas anderes wichtig: Zum Zeitpunkt der Entscheidung der Ärztekammer gab es das ausdrückliche berufsrechtliche Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung, wie es seit 2011 der Paragraph 16 der Musterberufsordnung formuliert, in Berlin nicht. Es macht rechtlich gesehen auch einen wichtigen Unterschied, ob ein konkreter, mit einem Zwangsgeld bedrohter Verwaltungsakt ein individuelles ärztliches Handeln verbietet, oder ob eine von der Ärzteschaft mit deutlicher Mehrheit verabschiedete berufsrechtliche Bestimmung ohne zwingende und konkrete Sanktion ein bestimmtes Verhalten als berufsrechtswidrig beurteilt. Ob sich also aus der Entscheidung der Berliner Verwaltungsrichter Aussagen über Paragraph 16 der 2011 verabschiedeten Musterberufsordnung herauslesen lassen, ist erst nach Veröffentlichung der schriftlichen Urteilsgründe zu ersehen. Es spricht aber einiges dafür, dass das nicht so sein wird.
Die Ärztekammer Berlin wird davon wahrscheinlich auch abhängig machen, ob sie die Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin durchführt oder nicht. Bundesärztekammerpräsident Montgomery hat bereits signalisiert, dass die Bundesärztekammer einerseits ein Interesse daran habe festzustellen, ob Berufsrecht strikter sein darf als das Strafrecht. Andererseits ist er auch der Auffassung, dass die Medien das Urteil stark überhöht interpretierten.
Der Mannheimer Medizinrechtler Jochen Taupitz, auch im Vorstand der Zentralen Ethikommission bei der Bundesärztekammer und im Ausschuss für ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen, hat sich dagegen auch in Zusammenhang mit der aktuellen Entscheidung dafür ausgesprochen, die ärztliche Suizidbeihilfe auch berufsrechtlich zu legalisieren: Taupitz äußerte aus seiner Sicht sei die Ärzteschaft nicht gut beraten, wenn sie das Verbot der Beihilfe zum Suizid standesrechtlich festschreibe. Denn es spreche viel dafür, dass gerade Ärzte diese Aufgabe übernehmen sollten. Nun, in den Niederlanden ist man der Auffassung, dass Ärzte auch besonders gut qualifiziert seien, auf Patienten-Verlangen direkt zu töten. Vielleich stellt sich auch die Frage, ob die Bundesärztekammer in ethischer Hinsicht von Professor Taupitz so gut beraten ist.
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