Biopolitik

Kein Menschenrecht auf Sterbehilfe – aber 29236,25 EUR Schadenersatz

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist auch für Überraschungen gut. Ich war mir sicher, dass er in dem Sterbehilfeverfahren Koch v. BRD. die Klage zurückweisen wird, weil nach seiner üblichen Rechtsprechung in diesen Fällen er entscheiden würde: In ethisch heiklen Fragen wir Sterbehilfe haben die europäischen Staaten erhebliche Entscheidungsspielräume. Denkste. Oder zumindest: Ein bißchen denkste! Stattdessen muss die Bundesrepublik Deutschland jetzt 2500 EUR Ersatz für immaterielle Schäden an Herrn Koch zahlen und knapp 26.000 EUR für Gerichts- und Anwaltskosten. Gewonnen hat der Kläger aber dennoch nicht. Die sieben Richter der Kleinen Kammer, zu denen auch die frühere deutsche Verfassungsrichterin Renate Jäger gehört, haben dem Kläger in der entscheidenden Frage aber dennoch nicht recht gegeben: Es ging um die Entscheidung des Bundesinstitutes für Arzneimittel, der nach einem Unfall schwerbehinderten und kümstlich beatmeten Frau keinen Anspruch auf Abgabe von 15 g Natrium-Pentobarbital zum Zwecke der Durchführung ihres Suizids zu gewähren, weil nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 6 Betäubungsmittelgesetz Betäubungsmittel nur zum Zwecke der notwendigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung abgegeben werden dürften, worunter nur lebenserhaltende oder lebensfördernde, nicht jedoch lebensvernichtende Anwendungen verstanden werden könnten. .Diese Entscheidung, so der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, müssten deutsche Gerichte überprüfen. Sie hätten sie aber auch überprüfen müssen – und nicht, wie bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht geschehen – die Klage des Witwers wegen fehlender Klagebefugnis abweisen dürfen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am 22. Juli 2007 entschieden die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig:

Für die Berufung auf Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG fehlt dem Beschwerdeführer die Beschwerdebefugnis. Bereits das Oberverwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt, dass aus dem grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie kein Recht auf Beendigung der ehelichen Gemeinschaft durch Suizid eines Ehepartners folgt.

Diese Sichtweise hält der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für zu eng. Weil der Witwer so lange mit der Frau zusammengelebt und sie bei ihrem Suizid unterstützt hat, nimmt es an, dass auch der Witwer selbst einen Anspruch darauf hat, zu erfahren, ob die Verwaltungsentscheidung nun rechtmäßig oder unrechtmäßig war. Das ist eine nachvollziehbare, wenngleich vielleicht nicht zwingende Auffassung. Der Deutschen Hospizstiftung, die nicht im Verdacht steht, den assistierten Suizid vorantreiben zu wollen, hat die Entscheidung jedenfalls gefallen. In einer Pressemitteilung teilt sie justizkritisch mit:

„Die Praxis deutscher Obergerichte grundsätzlich erst einmal Argumente zu suchen, um eine Zulässigkeit zu verneinen, hat heute eine schwere Niederlage erleiden müssen. Das Urteil besagt ganz deutlich, dass Deutschland sich nicht länger vor der Verantwortung drücken darf, eine klare Position zum assistierten Suizid zu beziehen. Organisierte Sterbehelfer können hierzulande ihr politisches Süppchen, gewürzt mit Halbwahrheiten, weiter kochen, während Bundestag und Justiz eine Antwort auf die Fragen, wie in Deutschland mit dem assistieren Suizid umgegangen werden soll, seit Jahren vor sich herschieben. Aussitzen kann keine Lösung sein. Obergerichte und Politik lassen damit die schwerstkranken Menschen im Stich. Denn die Sterbehelfer werden wieder einen leidenden Menschen finden, der den Schweizer Tod wählt. Doch: Schwerstkranke Menschen müssen weder in die Schweiz fahren, noch benötigen sie die Erlaubnis für ein tödliches Gift. Die bereits rechtlich vorhandenen Möglichkeiten, wie beispielsweise die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen und die Inanspruchnahme der Palliativmedizin, sollten stärker genutzt werden. Wenn nur zehn Prozent der sterbenden Menschen dieses hospizliche Angebot tatsächlich erhalten, ist ein Ausbau der menschenwürdigen Sterbebegleitung dringend erforderlich. “ 

Dass die Entscheidung den Humanistischen Verband dagegen etwas betrübt zuücklassen wird hatte ich erwartet. Der rügt:„Vor dem EGMR wurde immerhin ein Teilerfolg erzielt, indem die Ignoranz der deutschen Gerichte gerügt wurde. Wir bedauern allerdings, dass sich der Gerichtshof nicht zur Frage der Zulassung von Natriumpentobarbital geäußert hat“, so Erwin Kress, Vize-Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands. „Wir sind der Meinung, dass das Bundesamt für Arzneimittel die Verschreibung von Natriumpentobarbital in bestimmten Fällen zulassen sollte.“

 „Es kann nicht sein, dass Deutschland Suizidwillige im Stich lässt. Diese Menschen werden von unserem Staat in ihrer Not allein gelassen. Was ist mit denen, die nicht über genügend Mobilität, ein unterstützendes Umfeld und genügend finanzielle Mittel verfügen, um eine professionelle Sterbehilfeorganisation in Anspruch zu nehmen?“

Ob die Entscheidung dazu führt, dass die Regierung und Obergerichte nun die Palliativmedizin und die Hospizversorgung weiter ausbauen oder Natriumpentobarbital künftig allen, die sich keine Sterbevilla im Tessin leisten können, in Deutschland zu Verfügung stellen lassen wird, erscheint fraglich. Wahrscheinlich stärkt das Urteilrechtlich im Ergebnis künftig mehr die Rechte von Hinterbliebenen bei der Durchsetzung irgendwelcher Ansprüche, als dass sie die Debatte um Sterbehilfe und assistierten Suizid voranbringt. Aber das muss ja auch nicht sein.

Der Kläger hat jetzt wenigstens sein Geld zurück. Was er eigentlich wollte, könnte er nun erneut versuchen vor den deutschen Gerichten zu erstreiten.„In jedem Fall werden wir die Sache weiterverfolgen“, teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers diesem Blog hier mit. Allerdings ist die Entscheidung noch nicht gefallen, auf welchem Weg das erfolgen soll, eine Tendenz gehe allerdings dahin, die Entscheidung durch die Große Kammer des EGMR überprüfen zu lassen.

Damit ist auch noch nicht klar, ob diese Entscheidung des EGMR überhaupt rechtskräftig wird: Die Bundesrepublik hätte die Möglichkeit Beschwerde bei der Großen Kammer dagegen einzulegen. Aber auch der Kläger selbst könnte die Große Kammer anrufen, da er ja nicht bekommen hat, was er wollte. Dann wird der Rechtsstreit auf Europaebene, zu dem bereits Dignitas und die Aktion Lebensrecht für alle als interessierte Dritte Stellungnahmen abgegebenem haben, voraussichtlich weitere Jahre benötigen…..

 

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