Das erfreulichste an der Debatte über den Gesetzentwurf aus dem Hause Leutheusser-Schnarrenberger über das Verbot der gewerblichen Suizidbeihilfe ist, dass es ein wenig Energie von der Debatte über die Beschneidung der männlichen Vorhaut abzieht. Warum das so ist weiß ich nicht. Ich verstehe überhaupt nicht besonders gut, warum sich die Menschen über manche bioethischen Fragen mit einem Höchstmaß an Engagement und Erbitterung (grundsätzlich immer ohne auch nur den leisesten Hauch von Ironie) auseinandersetzen, andere, in meiner unmaßgeblichen Einschätzung weitaus relevantere Fragen aber konsequent mit Schweigen übergehen. Pflege ist so ein Thema, das keine allzugroßen Wellen der Empörung schlägt, zumindest nicht, wenn nicht gerade irgendein unerhörter Skandal in einem Altenpflegeheim angeprangert wird. Dabei ist die Lage der Pflege wirklich nicht so, dass man sie hinnehmen könnte. Zurück zum Gesetzentwurf über gewerbsmäßige Sterbehilfe – im Internet kann man ihn mittlerweile nachlesen, obwohl er sich noch in der Abstimmung zwischen den Ressorts befindet, 14 Seiten lang, wenig inspiriert, politisch nicht überzeugend, rechtlich durchaus aber auch nicht der Skandalgesetzentwurf, als den ihn manche wegen der Erwähnung von Ärzten und Pflegekräften auf Seite 13 unten sehen.
Vor allem bleibt mir rätselhaft, was der Entwurf für eine Debatte ausgelöst hat. Wir erinnern uns: Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag ist auf ausdrücklichen Wunsch der CDU/CSU vereinbart worden, dass die gewerbsmäßige Sterbehilfe unter Strafe gestellt werden soll. Das ist vor dem Hintergrund der Aktivitäten von Roger Kusch (pikanterweise ein ehemaliger CDU-Politiker) und den Expansionsbestrebung des Schweizer „Dignitas“-Vereins nachvollziehbar – wenngleich es schon nachdenklich stimmen sollten, dass es in der Schweiz trotz etlicher Skandale und Enthüllungen nie gelungen ist einen organisierten Sterbehelfer wegen Verstoß gegen Artikel 115 Schweizer StGB vor Gericht verurteilen zu lassen. Dort heißt es:
„Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.“
Der deutsche Gesetzentwurf stellt nicht auf die „Selbstsüchtigkeit“ ab, die finanziell und ideell begründet sein kann, sondern auf die Gewerbsmäßigkeit, die eine materielle Motivation voraussetzt. Reine Gesinnungstäter bleiben privilegiert. Warum eigentlich? Mit dem Tod macht man keine Geschäfte? Da dürften Bestattungsunternehmer ganz anderer Auffassung sein. Mit dem Sterben mach man keine Geschäfte? Das dürfte nicht im Sinne der Pharmaindustrie sein. Der Gesetzentwurf führt in seiner Begründung aus:
„Gleichzeitig nehmen auch in Deutschland die Fälle zu, in denen Personen auftreten, deren Anliegen es ist, einer Vielzahl von Menschen in Form einer entgeltlichen Dienstleistung eine schnelle und effiziente Möglichkeit für einen Suizid zu ermöglichendar. Anstatt den Leidenden und Lebensmüden Hilfe im Leben und im Sterben anzubieten, wird das aktive und vermeintlich „einfache“ Beenden des Lebens selbst zum Gegenstand geschäftlicher Tätigkeit gemacht. Diese Entwicklung lässt befürchten, dass sich Menschen zur Selbsttötung verleiten lassen, die dies ohne ein solches Angebot nicht tun würden. Denn durch die Kommerzialisierung der Suizidhilfe und ihre Teilnahme am allgemeinen Marktgeschehen kann in der Öffentlichkeit nicht nur der Eindruck entstehen, hierbei handele es sich um eine gewöhnliche Dienstleistung, sondern auch für die Selbsttötung selbst kann der fatale Anschein einer Normalität erweckt werden. Ein solches kommerzielles Angebot, zumal wenn es einen vermeintlich „einfachen“ Suizid verspricht, kann z. B. Menschen in einer momentanen Verzweiflungssituation veranlassen, sich für ihre Selbsttötung zu entscheiden und aus einer nur vermeintlich ausweglosen Lage unumkehrbar in den Tod zu gehen“
Ich halte den empirischen Befund nicht für zutreffend: Es sind in den letzten Jahren nicht immer mehr Menschen aufgetreten, die im Sinne einer entgeltlichen Dienstleistung schnelle und effiziente Suizidbeihilfe versprochen haben. In den 1980er Jahren gab es um die „Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben“ und den Krebsmediziner Hackethal ein paar solcher notorischen organisierten und organisierenden Sterbehelfer, heute sind Roger Kusch und ein, zwei weitere an deren Stelle getreten. Das ist ärgerlich, aber nicht unbedingt Grund genug, gleich ein Strafgesetz zu verabschieden, wenngleich man einräumen muss: Dass sich beispielsweise „Sterbehilfe Deutschland“ von Roger Kusch derzeit bemüht zurückhält, hat natürlich auch damit zu tun, dass angesichts des geplanten Gesetzes möglichst wenig juristische Angriffsfläche geboten werden soll….
Gestritten wird öffentlich aber bezeichnenderweise auch gar nicht über den Kernpunkt des Gesetzes, das strafrechtliche Verbot der gewerbsmäßigen Suizidbeihilfe, sondern über die Frage, welche Rolle Ärzte und Pflegeperpersonal in dem Gesetz zugewiesen bekommen: eigentlich, im Gesetzeswortlaut selbst, gar keine, denn der geht so:
(1) Wer absichtlich und gewerbsmäßig einem anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.(2) Ein nicht gewerbsmäßig handelnder Teilnehmer ist straffrei, wenn der in Absatz 1 genannte andere sein Angehöriger oder eine andere ihm nahestehende Person ist.
In der Begründung dann aber doch. Und zwar mit Blick auf Absatz 2 der geplanten Strafvorschrift, die vorsieht, dass Angehörige und sonstige nahestehende Personen, die auf selbst nicht gewerbsmäßige Weise einem suizidwilligen Menschen den Kontakt mit gewerbsmäßigen Sterbehelfern vermitteln, straffrei bleiben sollen. Als „sonstige nahestehende Personen“, heißt es dort,
„kommen in Betracht etwa Lebensgefährten, langjährige Hausgenossen oder nahe Freunde. Auch Ärzte oder Pflegekräfte können darunter fallen, wenn eine über das rein berufliche Verhältnis hinausgehende, länger andauernde persönliche Beziehung entstanden ist, wie dies z. B. beim längjährigen Hausarzt oder einer entsprechenden Pflegekraft der Fall sein kann.“
Das ist ja menschenfreundlich gedacht, mag man sich beim ersten Durchlesen denken, nur: wieso bringt der Arzt seinen Patienten mit gewerbsmäßig handelnden Personen in Kontakt? Und wann ist der Arzt kein Arzt mehr, sondern quasi ein Angehöriger? Nie, sagt das ärztliche Berufsrecht mit Recht – denn auch der langjährige Hausarzt beispielsweise haftet, wenn er seinen Freund den Sterbewilligen nicht lege artis behandelt. Es ist halt kein Freundschaftsdienst, sondern seine Arbeit – und die muss er entsprechend den ärztlichen Berufsregeln erledigen, die gerade vorsehen, dass ärztliche Suizidbeihilfe, wie immer man sie auch anlegen mag, berufsrechtlich nicht ok ist. Wusste das Bundesjustizministerium das nicht? Schwer vorstellbar. Warum also schreibt es sowas? Um den eigentlich ungeliebten Gesetzentwurf zu torpedieren? Aus Trotteligkeit? Wir werden es wohl nicht erfahren. Mal sehen, ob wir in dieser Legislaturperiode überhaupt noch erleben, dass es einen Gesetzentwurf zu diesem Thema gibt. Manche Abgeordneten wollen jetzt das Thema selbst in die Hand nehmen und haben dafür das beliebte Instrument des Gruppenantrages ins Visier genommen.
Wir sind gespannt. Aber wenn ich ehrlich sein soll: lieber wäre es mir, die engagierten Abgeordneten würden stattdessen einen Gesetzentwurf konzipieren, der es Palliativpatienten und Schmerzpatienten für die es keine ausreichend wirksamen Standardtherapien gibt, die bei ihnen anschlagen, endlich ermöglicht, dass sie Medikamente auch außerhalb des regulären Indikationsgebietes im Off-Label-Use von den Krankenkassen bezahlt erhalten, wenn sie die benötigen. Gegenwärtig leiden diese Patienten, wenn sie sich die ca 800 bis 2000 EUR/Monat nicht leisten können, nämlich oftmals Qualen – unnötigerweise.
PS.: Schön aber, dass das BMJ seinen Referentenentwurf auch noch für nachhaltig hält:
4. Nachhaltigkeitsaspekte
Der Gesetzentwurf steht im Einklang mit dem Leitgedanken der Bundesregierung zur nachhaltigen Entwicklung im Sinne der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Er verfolgt das Ziel, den mit einer Kommerzialisierung der Suizidhilfe verbundenen Gefahren entgegenzuwirken. Die damit verbundene Vorgabe, womöglich suizidgeneigte Personen, insbesondere schwer kranke und sehr alte Menschen, nicht einem solchen Angebot zu überantworten, kann gleichzeitig den sozialen Zusammenhalt zwischen den Bürgerinnen und Bürgern fördern.“
So solidarisierend können Strafgesetze wirken
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Spätestens bei der...
Spätestens bei der Verabschiedung des „Familienpflegezeitgesetzes“ – quasi das erste Gesetz ohne Rechtsanspruch – war klar, daß in dieser „Legislaturperiode“ nicht mehr zu erwarten ist. Ob „Pflegereform“ oder die bis heute ausstehende Reformierung nationalen Rechts hinsichtlich UN-Behindertenrechtskonvention, man gewinnt zunehmend den Eindruck, daß die Legislative ähnlich arbeitet wie Schüler im morgendlichen Schulbus: schnell noch ein paar Hausaufgaben hinschmieren und was man nicht schafft: „ tant pis!“ – mogeln wir uns durch.
Das gelegentlich „notorische...
Das gelegentlich „notorische Sterbehelfer“ seit geraumer Zeit unterwegs sein mögen, mag in gewisser Weise Zweifel nähren, ob es nicht der „Ehre zu viel“ ist, wenn nunmehr der parlamentarische Gesetzgeber beabsichtigt, mehr oder weniger unausgesprochen eine „lex Kusch &. Co.“ zu verabschieden.
Nun – der Gesetzgeber sollte den Mut zur Regelung des Gesamtkomplexes der „Sterbehilfe“ aufbringen und endlich eine seit Jahrzehnten leidenschaftlich geführte Debatte beenden. Die Sterbehilfe-Aktivisten selbst mögen sich derzeit geschickt im Hintergrund halten; welche Motive sie zu dieser „vornehmen Zurückhaltung“ veranlassen, ist eigentlich ohne Belang, glänzen diese doch seit geraumer Zeit eher durch Kommentare, die gemessen an der Dringlichkeit der Thematik doch eher „unterbelichtet“ sind und letztlich belegen, dass auch die Sterbehilfe-Aktivisten dazu übergegangen sind, Botschaften zu verkünden, die nun wahrlich keinen an einer ernsthaften und aufrichtigen Debatte Interessierten aus der Reserve locken.
Mit anderen Worten: Das gelegentlich initiierte Medienspektakel nervt zusehends und es reicht beileibe nicht aus, in allgemein gehalten Botschaften über das allgemeine Selbstbestimmungsrecht zu philosophieren, ohne sich der verfassungsrechtlichen Realität zu stellen.
Gleiches muss allerding auch für die Gegner der Liberalisierung der Sterbehilfe-Regelungen im Allgemeinen und des ärztlichen Berufsrechts im Besonderen gelten. Auch hier werden die Positionen entsprechend pathetisch vorgetragen und man/frau könnte in der Diskussion langsam den Eindruck gewinnen, als stehen namhafte Ärztefunktionäre ob ihres scheinbar verdienstvollen Einsatzes für das hohe Rechtsgut des Lebens kurz vor der „Seligsprechung“. Ein „neues Gebot“ wurde geschrieben, getreu der Botschaft des ethischen Zuchtmeisters der verfassten Ärzteschaft: „Du sollst keine andere Ethiker neben mir haben“.
Nun – hier offenbart sich erkennbar eine Machtversessenheit eines eloquent daher kommenden „Vollblut-Berufspolitikers“, der da meint, dass die Ärzteschaft ethisch und moralisch sich entschieden hat und hierbei glaubt, an das Demokratieprinzip erinnern zu müssen. Mit Verlaub: Mit dem rechtsethischen Standard unseres Grundgesetzes hat dies alles nichts mehr zu tun und es bleibt letztlich nur noch eine allgemeine Ratlosigkeit und sicherlich auch die Frage, wie es angehen kann, dass eine handverlesene Zahl von „ethischen Überzeugungstätern“ sich das exklusive Recht ausbedingt, über ihr ärztliches Berufsrecht derart gravierend in Grundrechte nicht nur der Ärzte, sondern letztlich auch in diejenigen der Patienten eingreifen zu können?
Keine guten Aussichten in einem liberalen Verfassungsstaat, wenn „Dünnbrettbohrer“ glauben, offenen Wortes Grundrechte versenken zu können.
Dagegen nehmen sich doch die Sterbehilfe-Aktivisten etwas bescheidener aus: sie vermeiden bereits im Ansatz eine Argumentation, auf die es sich lohnt, in einem Diskurs entsprechend wissenschaftlich zu reagieren. Die Strafrechtslage ist hinreichend klar und es wäre wünschenswert, wenn nunmehr die aktuelle Debatte dazu dient, für eine allgemeine Liberalisierung den Weg zu ebnen.
Sollte dies nicht gelingen, bleibt Deutschland nach wie vor einer der arztethischen Schlusslichter in Europa.
Das Gesetz ist albern. Wo es...
Das Gesetz ist albern. Wo es einen Bedarf gibt, gibt es einen Markt. Dieser ist entweder legal und damit offen für Regulierung, Kontrolle und Qualitätssicherung. Oder er ist illegal und damit offen für organisiertes Verbrechen, miese Qualität und fragwürdige Mittel.
Und da – wie der Autor selbst richtig feststellt – Menschen auch deshalb zum Suizid greifen können, weil andauernde unerträgliche Schmerzen nicht jedermanns Sache sind, ist ein gesetz gegen gewerbsmässige Suizidbeihilfe nichts anderes als versuchte Menschenquälerei. Auch wenn nicht intendiert, dann vom Ergebnis her betrachtet.
Nach Grundsätzen frage ich schon gar nicht mehr. Denn wenn Selbstmord legal ist (die Legitimität beurteilen kann nur der Selbstmörder selbst), mit welchem Recht masst sich dann der Staat an, Anbieter von Hilfen für ein perfekt legales Anliegen zu kriminalisieren?
Allerdings freut es auch mich, dass damit die hysterische Debatte über einen Hautfetzen abebbt. Sterben und Sterbehilfe hat doch eine etwas andere Bedeutung, weshalb es ja bidher auch genau einen Kommentar gab.
Gruss,
Thorsten Haupts
Sehr geehrter Herr...
Sehr geehrter Herr Tolmein,
ich beginne gradaus mit der offenen Feststellung, dass ich Ihre Art zu schreiben nicht mag. Für meine Begriffe denken Sie all zu selbstgefällig und überheblich. Wie kann es sein, dass über ein Organ der ehrenwerten FAZ die Frage in den Raum gestellt wird, ob ein Gesetzentwurf eines Ministeriums „aus TROTTELIGKEIT“ heraus entstanden sein könnte?! Ein derartiger Stil bringt keinerlei Inhalt, zeugt aber um so mehr davon, wes Geistes Kind derjenige ist, der diese Frage in den Raum stellt. Zum Inhalt Ihrer Anmerkungen zum Gesetzesentwurf möchte ich die Frage in den Raum stellen, ob Sie diesen wirklich vollständig erfasst haben. Sie stellen andauernd den Sterbehilfeverein um Roger Kusch auf eine Stufe mit der Schweizer Organisation Dignitas. Warum ist es Ihnen entgangen, dass der Gesetzentwurf gerade nicht beide über einen Kamm schert, vielmehr darauf abzielt, nur das Wirken von Dignitas zu verbieten, das Wirken von Kusch aber gerade weiterhin straffrei zu belassen? Denn Dignitas handelt „gewerblich“, nämlich gegen Entgelt. Kusch dagegen mag zwar geschäftsmäßig handeln, aber nicht gewerblich, denn der Verein von Kusch „hilft“ zwar organisiert, nimmt aber kein Geld. Warum also, fragt man sich, haben Sie als Jurist diese entscheidende Differenzierung übersehen? …
@zoon politikon: Meine Art zu...
@zoon politikon: Meine Art zu schreiben nicht zu mögen, ist Ihr gutes Recht. Wenn Sie sorgfältig lesen, müssen Sie allerdings zur Kenntnis nehmen, dass ich nicht frage, ob „der Gesetzentwurf“ aus Trotteligkeit entstanden ist, es geht in diesem Zusammenhang um eine Formulierung in der Begründung. Aber sei’s drum. Wichtiger ist etwas anderes: Der Gesetzentwurf schert „Dignitas“ und „SterbehilfeDeutschland“ weder über einen Kamm, noch tut er das nicht – und das ist gut so: die Anwendung des Rechts ist nämlich später einmal Sache der Gerichte. Und der Befund, den Sie so selbstgewiss mitteilen, dass Kusch Organisation nicht, „Dignitas“ aber doch gewerbsmäßig handelt, muss erstmal gerichtsfest gemacht werden. In der Schweiz jedenfalls ist es bislang nie gelungen „Dignitas“ „selbstsüchtige“ Motive nachzuweisen – zugegebenermaßen sagt das nichts zuverlässiges darüber aus, ob das auch für „gewerbsmäßig“ gilt, aber es signalisiert doch, dass es hier ein erhebliches Problem geben wird. Für Kuschs Verein wird das ebenfalls gelten. Geld nimmt der übrigens sehr wohl: nämlich Mitgliedsbeiträge. Ob das reicht, hängt von einigen Faktoren ab. Und ob das alles ist, weiß ich nicht, denn einen genauen Einblick in die Aktivitäten und Finanzen des Vereins habe ich zumindest nicht. Immerhin hat Kusch mit seinen Aktionen aber, auch das sollte man nicht vergessen, eine wichtige Bedingung dafür gesetzt, dass die Koalition sich überhaupt auf ein solches Gesetzesprojekt verständigt hat.
Ich teile zwar nicht die...
Ich teile zwar nicht die Position von O. Tolmein in der Sterbehilfe-Debatte, da ich mich vielmehr von der hohen Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts leiten lasse und insbesondere zwischen der stets bemühten Palliativmedizin und etwaiger Sterbehilfe kein Widerspruch sehe, mal ganz davon abgesehen, dass ein Rekurs auf die „Würde“ als ranghöchstes Gut nicht erforderlich – aber seine gelegentlich geäußerte Kritik werden wir zu akzeptieren haben.
Wir benötigen keine „lex Kusch &. Co.“, auch wenn diese mit ihren Aktionen überhaupt erst den Gesetzgeber auf den Plan gerufen hat. Der „Tötungsautomat“ war möglicherweise der Stein des Anstoßes so wie wohl auch das „selbstbestimmte Sterben“ auf einem „Parkplatz“.
Und in der Tat: Hier ist dann auch die Kritik berechtigt, denn ein solches Vorgehen wird der Problematik um ein frei verantwortliches Sterben insbesondere eines schwersterkrankten Patienten nicht gerecht, und zwar gerade auch unter dem Aspekt betrachtet, ob hier das Sterben noch als „würdevoll“ bezeichnet werden kann.
Ich halte den Medienhype um „Kusch &. Co.“ allerdings für maßlos übertrieben und eine „lex Kusch &. Co.“ für überflüssig. Der parlamentarische Gesetzgeber sollte sich vielmehr der Problematik grundsätzlicher annehmen und sofern dies der Fall sein sollte, wären solche „Sterbehilfe-Organisationen“ hierzulande überflüssig, und zwar ungeachtet der Frage, was die Herren „Kusch &. Co.“ eigentlich antreibt, „aktiv“ zu werden. In der Sache selbst bleiben fundierte Stellungnahmen eher die Seltenheit und man/frau sonnt sich in teilweise „unflätigen“ Kommentaren auf der Webseite so mancher Sterbehilfeorganisationen, ohne allerdings einen nennenswerten Beitrag zur inhaltlichen Debatte geleistet zu haben.
Hier stellt sich im Gegenteil die Frage, ob die „Sterbehilfeorganisationen“ und so manche „Sterbehilfeaktivisten“ nicht eher schweigen sollten, um eine ernsthafte Debatte nicht über Gebühr zu belasten. Die zurückliegenden und aus meiner Sicht abenteuerlichen Selbstinitiierungen mancher Sterbehilfeaktivisten haben m.E. dazu beigetragen, dass die Debatte über Gebühr belastet worden ist und im Übrigen „alle“, die für eine Wahrung des Selbstbestimmungsrechts am Ende des Lebens eintreten, gleichsam über einen „Kamm geschert“ werden.
Indes aber gilt: „Kusch &. Co.“ können nicht der Maßstab für eine gesetzliche Regelung sein, sondern einzig die Interessen der schwersterkrankten und sterbenden Menschen.
Sehr geehrter Herr...
Sehr geehrter Herr Tolmein,
nachdem ich bisherige Äußerungen von Ihnen kenne, bin ich doch überrascht über Ihre obige, in meinen Augen vernünftige und abgewogene Äußerung. In der Suizid-Beihilfe ist es eine bittere Erfahrung, dass Menschen aus dem Miterleben in ihrer Bekannt- und Verwandtschaft den Weg in einen Suizid dem Weg aus ihrer eigenen Wohnung in ein Altenpflegeheim vorziehen. Zur allgemeinen Kenntnis füge ich meine persönliche Stellungnahme zum Referentenentwurf (1) an, die nach meiner Kenntnis nicht offiziell akzeptiert, nicht einmal mit einer Empfangsbestätigung des BMJ beantwortet worden ist:
Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung (18.5.12)
Sehr geehrte Frau Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger,
sehr geehrter Herr Dr. Bösert, sehr geehrte Frau Bezjak,
auch wenn es gegenüber dem politischen Machtgetriebe für den Einzelnen sinnlos erscheinen mag, möchte ich mich als Privatperson zu dem Gesetzentwurf zu Wort melden.
Seit vielleicht 20 Jahren beschäftige ich mich mit Fragen des anthropologischen Verständnisses des Hirntodes, des Patientenwillens, der Berechtigung der Sterbehilfe und von Suizid-Beihilfe-Ansinnen. Ich bin mir darüber klar, dass für ein Gesetz ein Anspruch der Allgemeingültigkeit erhoben wird; trotzdem ist doch offensichtlich, dass es sich bei dem geplanten Gesetz in der Absicht vieler seiner Väter um ein Gesetz gegen zwei in Deutschland tätige Vereine handelt. Zugleich sehe ich, dass ein neu zu verfassendes Gesetz in den Kontext des Grundgesetzes und der weiteren bestehenden Gesetze einzufügen ist.
An irgendeiner Stelle muss es doch sinnvoll und möglich sein, aus dem Verfahrensautomatismus heraus zu treten und den Gesamthorizont in den Blick zu nehmen. Sonst besteht die Gefahr, dass sinnvolle Freiheitsrechte unterdrückt werden.
Zu meinem Erfahrungs-Hintergrund:
Bei dem Sturz von Herrn Atrott, des ehemaligen Präsidenten der DGHS, – ich weiß nicht mehr, wann das war – bin ich in bescheidenem Rahmen aktiv beteiligt gewesen – eine für mich bleibend präsente Erfahrung.
Im Jahr 2002 habe ich mich das erste Mal eingehend (über 14 Monate) mit einem Suizid-Beihilfe-Ansinnen auseinandergesetzt und eine Frau dazu in die Schweiz begleitet (Film: “Isoldes letzter Sommer”, ZDF 21.1.2003).
Im Verlauf meiner ärztlichen Tätigkeit bin ich zahlreichen Menschen mit einem nachdrücklich geäußerten Suizid-Beihilfe-Ansinnen begegnet. Ich habe viele Details dieser Lebens- und Leidensgeschichten in einer Datenbank erfasst und statistisch analysiert. Bei vielen von ihnen habe ich formale ärztlich-psychiatrische Gutachten zur Frage der “Wohlerwogenheit” erstellt – so der entsprechende Terminus in der Schweiz seit dem Urteil des dortigen obersten Bundesgerichts 2006. Die Begründung für einen Teil der Gutachten liegt in der vom obersten schweizerischen Bundesgericht geforderten “vertieften” psychiatrischen Begutachtung bei Menschen mit psychischen Störungen; andere Gutachten wurden ohne Einschränkung der Diagnosen erstellt; in allen Fällen wurde das Angebot einer Beihilfe von der Feststellung einer erhaltenen selbstbestimmten Willensbildung abhängig gemacht. Über diese gutachterliche Tätigkeit habe ich in 2 wissenschaftlichen Arbeiten in der Zeitschrift Nervenheilkunde berichtet (2004 und 2006); eine weitere Arbeit wurde von der Zeitschrift Nervenarzt mit formalen Begründungen abgelehnt (2010), eine Vortragsanmeldung für die diesjährige Tagung der Akademie für Ethik in der Medizin ist angenommen.
Zu der Begründung des Gesetzentwurfes:
Soweit aus dem Entwurf zu ersehen, stützt sich dieser auf Angaben, die von der über die Suizid-Hilfe entrüstet und skandalisierend berichtenden Presse kolportiert wurden. Dem Gesetzentwurf werden Argumente zugrunde gelegt, die aus Mutmaßungen bestehen; zugleich werden Fakten ignoriert und verdrängt, obwohl sie erreichbar wären. In meiner Schulzeit, in den fünfziger Jahren – noch in frischer Erinnerung unserer Lehrer an die Nazizeit – hat unser Lateinlehrer uns den Grundsatz beigebracht: Audiatur et altera pars! Was ist das für eine “rechtsstaatliche” Gesetzgebung, die sich auf in der Presse kolportierte Meinungen, statt auf erreichbare faktische Informationen stützt!
Für eine besonnene Gesetzgebung:
In der derzeitigen unsäglichen öffentlichen Diskussion wird weder danach gefragt, warum nach den Umfragen seit Jahren 60-80% unserer Bürger für eine freie Selbstbestimmung zu einem Suizid plädieren; noch wird danach gefragt, welche Argumente und Begründungen diejenigen Menschen vorbringen, die ganz unmittelbar für sich selbst nach einer Hilfe zu einem Suizid suchen. Aus meinen Zahlen kann ich belegen, dass praktisch alle Argumente gegen die Hilfe in mangelhafter Kenntnisnahme der Realität formuliert werden oder seltene (sicherlich besonders zu diskutierende) Ausnahmefälle betreffen oder insbesondere in der Zusammenarbeit eines Juristen und eines Psychiaters am ehesten erkannt und berücksichtigt werden können – besser als in der einsam individuellen Situation zwischen einzelnem Arzt und Patient.
Mit ihrem Beschluss zur Musterberufsordnung hat sich die verfasste Ärzteschaft aus einer Hilfe zu einem Suizid entzogen. Aus psychiatrischer Sicht sind die hehren ethischen Argumente ein Verbrämen des eigenen Unwillens, sich den Grenzen medizinisch möglicher Hilfe zu stellen. Unbotmäßigen wird das Argumentieren für die Selbstbestimmung geradezu wie ein Schimpfwort vorgeworfen. Jedenfalls hat sich die Ärzteschaft in ihrer Gesamtheit aus einer Beteiligung bei einem Suizid verabschiedet. Aus der Begutachtung der Menschen mit Suizid-Beihilfe-Ansinnen habe ich Verständnis für eine solche Abwehr. Die Begleitung eines Menschen in seinen Suizid erfordert sehr viel gründliches Nachdenken und ist – erheblich – belastend.
Wer soll in Zukunft dem einzelnen Bürger unseres Gemeinwesens in seinem ernstlich begründeten Ansinnen helfen? Ist es nicht geradezu notwendig, dass sich freiwillige, organisierte Helfer finden? Wie sichert der Gesetzentwurf die Ziele: Auf geschäftlichen Gewinn ausgerichtete Unternehmen – wie im Altenheimwesen üblich geworden – sollten an einer Betätigung in der Suizid-Hilfe gehindert werden; auf eine freie Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts gerichteten, sorgfältig und wissenschaftlich begleitet arbeitenden Vereinigungen sollte die Tätigkeit nicht verwehrt werden; unnötig belastende Ermittlungs- und Gerichtsverfahren sollten um der Nachsuchenden wie um der Helfenden willen vermieden werden.
Die Mehrzahl der Beihilfe-Aspiranten will sich aus eigenem Miterleben mit Verwandten oder Bekannten dem Betrieb in einem heutigen Altenheim und auch der einen Suizid ablehnenden Bevormundung in einem Hospiz nicht ausliefern müssen. Sie bezeichnen es als mit ihrem eigenen Verständnis ihrer Menschenwürde für unvereinbar, fremde Menschen in ihren Intimbereich eindringen lassen zu müssen. Es kann doch wohl nicht wahr werden, dass infolge der Weigerung der verfassten Ärzteschaft und infolge einer kurz greifenden Gesetzgebung den Bürgern unseres Staates auf dem individuell und absichtsvoll gesuchten Ausweg die Tür vor der Nase zugeschlagen wird.
Einschätzungen:
Ein Suizid-Beihilfe-Verunmöglichungs-Gesetz – diesen Effekt sehe ich für Menschen in Deutschland – wird der berühmte “Schuss in den Ofen”: ungute Nachwirkungen sind für die Protagonisten beider Seiten voraussehbar. Ein die Realität ignorierendes, auf phantasierte Mutmaßungen zielendes Gesetz wird sinnlose Ermittlungs- und Gerichtsverfahren produzieren und am Ende eine Blamage für die Verfasser. Es wird immer wieder Menschen geben, die das vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anerkannte Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende einfordern werden. Die für Menschen in Deutschland erreichbaren Vereine werden vielleicht mit Ermittlungen und gerichtlichen Verfahren zum resignierten Aufgeben genötigt werden können. Werden noch mehr solche Gerichtsverfahren unausweichlich, ehe eine sinnvolle Wahrnehmung dieses ureigensten, allerprivatesten Wunsches nach Selbstbestimmung am Lebensende möglich wird?
Ich nehme an, dass gesetzliche Regelungen zu den Verfahrensmodalitäten – etwa entsprechend den derzeit bereits praktizierten Regularien – längerfristig nicht zu umgehen sind. Schon eine videodokumentierte Befragung und ein ärztlich-psychiatrisches Gutachten zur Selbstbestimmtheit der Willensbildung sind schwer akzeptable Zumutungen für einen selbstbewussten Bürger unserer “freiheitlich-demokratischen” Grundordnung. Gegenwärtig ist ein solches Verfahren für die Einschätzung der „Wohlerwogenheit“ vielleicht überzogen, zur Absicherung von uns Helfenden aber unumgänglich. Eine gesetzliche Regelung wird die Balance wahren müssen zwischen einer staatlichen Beaufsichtigung eines immerhin mit dem Tod eines Menschen endenden Verfahrens und auf der anderen Seite der Gewährleistung einer sinnvollen Freiheit.
Wenn Sie einen aus meiner Sicht diskussionswürdigen Punkt in eine Gesetzgebung einbringen wollen, dann den folgenden: Für eine Beihilfe zu einem Suizid kann man eine staatliche Beaufsichtigung für sinnvoll halten. Das wäre auf dem Weg über eine Meldepflicht – nach dem Modell des Niederländischen Verfahrens – vorstellbar. Diese müsste Vorgaben für die Voraussetzungen enthalten, unter denen eine für den prospektiven Suizidenten wie für den Helfenden möglichst wenig belastende Überprüfung ermöglicht würde. Eine solche Regelung wurde in der Schweiz einzelvertraglich zwischen der Oberstaatsanwaltschaft Zürich und der Vereinigung Exit ausgearbeitet, aber aus formalen Gründen von einem Gericht für ungültig erklärt. In einer solchen Richtung wäre in meinen Augen ein sinnvoller Weg, der den Respekt vor der individuellen Gestaltung des Lebensendes ebenso wie den Schutz vor Missbrauch ermöglichen könnte. Eine Suizid-Beihilfe-Organisation würde sich einer solchen Regulierung deutlich weniger leicht entziehen können als ein einzelner helfender Arzt (aus den Niederlanden bekannte Problematik). Die Gefahr aus der Sicht der Beihilfe-Suchenden: Die Verbots-Protagonisten werden versuchen, die Anforderungen unzumutbar zu machen. Der Nachteil aus der Sicht der Verbots-Protagonisten: Das Verfahren würde das Recht auf einen organisiert assistierten Suizid offiziell anerkennen. Die deutliche Mehrheit der Bevölkerung stimmt dem zu, warum – gegen diesen eindeutigen Willen – nicht die Herrschenden?
Ein Gedanke zum Schluss:
Sollen wir den vom Bundesjustizministerium herausgehängten Wahlspruch von Thomas Dehler “Recht ist, was der Freiheit dient“ als Hohn empfinden?
Unter der gesellschafts-öffentlichen Skandalisierungs- und Ausgrenzungskampagne und unter staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren kommt auch ein Erschrecken über die illiberale obrigkeitliche Machtausübung auf.
Die Begegnungen mit um Hilfe zum Suizid nachsuchenden Menschen in ihrem Leiden – und in ihrer Authentizität und selbstbewussten Souveränität – sind beeindruckend, überzeugend und motivierend.
Hochachtungsvoll?
So weit meine Stellungnahme. Ich habe dem auch heute nichts hinzuzufügen.
J.F.Spittler