Biopolitik

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Der Humor des Bundesgesundheitsministers und die Transplantationsmedizin

| 7 Lesermeinungen

  Ein schöneres Wort als „Organspendenkrisengipfel“ wird es 2012 wohl nicht mehr geben. Noch beeindruckender finde ich allerdings den...

 

Ein schöneres Wort als „Organspendenkrisengipfel“ wird es 2012 wohl nicht mehr geben. Noch beeindruckender finde ich allerdings den eigenwilligen Humor, den Bundesgesundheitsminister Bahr bei diesem Treffen von 17 Experten heute (am 27. August) bewiesen hat. „Der Gemeinsame Bundesausschuss würde es nicht besser machen“ wird der Bundesgesundheitsminister zitiert, der damit bei etwas veränderten Rahmenbedingungen der Prüfkommission, die bei der Bundesärztekammer angesiedelt ist, das Vertrauen ausgesprochen hat. In der Tat, der „Gemeinsame Bundesausschuss“, diese graue Eminenz des Gesundheitswesens, die von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen im Verborgenen wirkt und das Leistungsgeschehen im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung technokratisch und in der Regel nicht zum Besten der Patienten steuert, würde es nicht besser machen. Der FDP-Parteivorstand übrigens auch nicht und vermutlich nicht einmal der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Aber soll man, weil es andere dafür nicht besonders geeignete Gremien nicht besser machen würden, auch keinen Gedanken darauf verwenden, wer denn geeignet wäre es besser zu machen?

Geht es nach dem Bundesgesundheitsminister ist die Antwort klar: Nein! Er möchte Entschlossenheit demonstriert haben und sich gleichzeitig nicht mit dem System Transplantationsmedizin in Deutschland anlegen. Das ist durchaus auch eigennützig gedacht. Kurz bevor der gegenwärtige Skandal mehr durch Zufall als durch Kontrolle und gezielte Aufklärung bekannt geworden ist, trat die Reform des „Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben“  in Kraft, das eine überwältigende Mehrheit des Deutschen Bundestages beschlossen hatte und an dessen Erarbeitung auch der Bundesgesundheitsminister maßgeblich beteiligt  war. Selten wurde ein biopolitischer Gesetzentwurf so einmütig im Parlament durchgeboxt, obwohl er in der Gesellschaft und vor allem auch unter Experten hoch umstritten war. Die Kritiker hatten viele, auch durchaus unterschiedliche Einwände. Die öffentlich geäußerte Kritik richtete sich aber auch gegen genau die Strukturen, die jetzt auch auf dem Prüfstand stehen. Die Abgeordneten haben dem wenig Bedeutung beigemessen. Sie waren getrieben von der Sehnsucht, die Wartelisten derer verkürzen zu können, die verzweifelt auf Organe warten. Diese Hoffnung hat sich blamiert.  Und die Bundespolitik mit ihr, der selten so rasch vorgeführt worden sein dürfte, dass sie ihre parlamentarische Aufgabe wenig überzeugend erfüllt haben.

Das schafft aber auch Probleme für die Kritiker der privatrechtlichen Kontrollstrukturen der Transplantationsmedizin, denn in den Jahren seit der Schaffung des Transplantationsgesetzes haben sich auch die staatlichen Stellen, die dann doch einmal in laufende Prüfungen oder eben in die Debatte über die Perspektiven der Transplantationsmedizin eingeschaltet wurden, als nicht besonders kontrollwillig und kontrollfähig erwiesen. Allenfalls bleibt, dass man staatliche Stellen zu größerer Transparenz zwingen kann – aber auch das bleibt ein relativer Begriff. Dazu muss man nur die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken zu Transplantationsmedizin und den Verstößen gegen die rechtlichen Regelungen seit 1998 lesen: „Die Bundesregierung wird den weiteren gesetzgeberischen Handlungsbedarf im Lichte der Erkenntnisse aus den laufenden Ermittlungsverfahren prüfen.“ Wie schön: die Politik setzt ganz auf die Staatsanwaltschaft, die allerding (so hofft man still) ein anderes Vollzugsprogramm hat, als man es von Politikern erwarten sollte.

In Sachen Transparenz hat auch die Bundesärztekammer nun nachgelegt und 141 Seiten „Prüfberichte von Allokationsauffälligkeiten“ veröffentlicht über die sie in einer Pressemitteilung wissen lässt: „In den Jahren 2000 bis 2011 wurden in Deutschland 50.739 Organtransplantationen an Eurotransplant gemeldet (43.536 Postmortalspende, 7.203 Lebendorganspende). In diesem Zeitraum hat die Prüfungskommission, in gemeinsamer Trägerschaft von GKV-Spitzenverband, Deutscher Krankenhausgesellschaft und Bundesärztekammer, in 119 ihr zur Kenntnis gebrachten Fällen Allokationsauffälligkeiten überprüft. In 31 Fällen wurden Verstöße unterschiedlichen Schweregrades festgestellt, davon sind bis dato 21 Verstöße weiteren Institutionen zugeleitet worden.“ Die Zahlen klingen beruhigender als sie sind, denn die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospizstiftung hat darauf hingewiesen, dass von allen etwa 50.000 Transplantationen nicht mehr als fünf Prozent überprüft wurden: “Somit sind bei durchschnittlich 1200 Untersuchungen 121 Auffälligkeiten festgestellt worden. Das sind rund zehn Prozent der Fälle.“

In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken erfahren wir, dass es zwischen 1998 bis 2009 insgesamt 13 gerichtlichen Entscheidungen und eine Verwarnung mit Strafvorbehalt wegen Verstößen gegen das Transplantationsgesetz gab, dabei wurden 2 mal Freiheitsstrafen und 9 mal Geldstrafen verhängt, es gab einen Freispruch und eine Verfahrenseinstellung. Über die Art der Verfahren erfahren wir nichts. Und ist es denn ein Zufall, dass auch keine der Entscheidungen in der Rechtsprechungsdatenbank von juris veröffentlicht ist?

Aber auch die Veröffentlichung der abgeschlossenen Prüffälle durch die Bundesärztekammer ist nur sehr begrenzt aussagekräftig, denn veröffentlicht wird nur eine knappe tabellarische Übersicht der Fälle. Die Faktenlage ist so dürr, dass man sich kaum ein eigenes Bild machen kann.

So wird dort beispielsweise für den Vorgang mit der laufenden Nummer 16 festgehalten, dass Eurotransplant einen Verstoß gegen die Allokationsregeln angezeigt habe, weil ein Transplantationszentrum eine Leber für den auf der Warteliste stehenden Empfänger A akzeptiert, sie dann aber dem nicht gelisteten B eingepflanzt und damit auf der Warteliste stehende Empfänger übergangen habe. Resumee: „Die Kommission beurteilt den Vorgang als einen Verstoß gegen die Allokationsregeln. Von einer Meldung des Vorgangs an die Bußgeldstelle wird in Anerkennung der medizinischen Hintergründe und der ärztlichen Beweggründe abgesehen.“ Wo sich das Geschehen abgespielt hat, wie es genau zu dem Wechsel beim Empfänger kam, warum man der Bußgeldstelle nicht selbst überlassen hat, den Fall zu bewerten – das alles erfahren wir nicht.

Und so wird es wohl auch in Zukunft bleiben, denn die beabsichtigte Einbeziehung von weiteren Gremien, Institutionen und der Politik in die im Kern unveränderten Kontrollstrukturen (siehe Mitteilung) wird dort auch wenig Grundlegendes verändern. Wie vorgegangen werden müsste, was auf den Prüfstand gehörte hat vor kurzem in der FAZ Jürgen Strehl, ein Insider der Universitätsmedizin, offen gelegt. Bemerkenswerterweise haben diese Anregungen bislang weder die Politik noch die Ärzteschaft aufgegriffen……

 

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7 Lesermeinungen

  1. ThorHa sagt:

    Mich würde als alter...
    Mich würde als alter Projektpraktiker einfach einmal interessieren, woher das fast blinde Vertrauen kommt, dass externe oder interne Kontrolle eine potentiell unbefriedigende Situation automatisch verbessert? Nach meiner Lebenserfahrung, clevere Leute vorausgesetzt, erhöht sie nur den Dokumentationsaufwand für das, was man im Kern unverändert weiter macht.
    Ausserdem ist der „Skandal“ der „falschen“ (lies: nicht listenreihungsgerechten) Zuweisung von Organen völlig unvermeidbar, solange Organe knapp sind. Anstatt sich für Kontrollstrukturen zu verkämpfen, sollte man alle Anstrengungen darauf richten, die Organknappheit zu mindern. Nur solange sie knapp bleiben, ist jedem das Hemd näher als die Jacke. Und ein Organ, das gebraucht wird, kann gar niht falsch vergeben werden, nur nach den jeweils geltenden Regeln ungerecht. Was mich als betroffenen Patienten nicht daran hindern würde, fast alles zu tun, um mir das Organ zu sichern …
    Gruss,
    Thorsten Haupts

  2. skeptiker01 sagt:

    Nach dem, was ich hier und...
    Nach dem, was ich hier und nicht nur hier lese, halte ich es für unwahrscheinlich, dass die Organspendenbereitschaft in absehbarer Zeit zunimmt. Im Gegenteil. Das verantworten die Bundesregierung und in hohem Maß die Bundesärztekammer, die in ihrer abgehobenen Bräsigkeit jede Transparenz verhindern (Krähenaugenschonungsprinzip) und vertuschen, was zu vertuschen geht (Alles im Interesse des Patienten. Doch! Ehrlich! Hippokrateseid. Und Narhallamarsch!).
    Die Sterbenden auf den Wartelisten für die Organvergabe können einem leidtun ob der kontraproduktiven Proklamationspolitik der verantwortlichen Gremien und Verbände. Insbesondere des neoliberalen Gesundheitsministers. Wie heißt es doch so bezeichnend bei den FDP-Brüderles: »Wir vertrauen auf die heilenden Kräfte des Marktes.«
    Und da kritisieren wir den tüchtigen Implantationschirurgen, der mit vollem Einsatz aller Kräfte eine ziemlich geklaute Leber außer Landes schafft, um sie im vorderen Orient völlig uneigennützig zu implantieren? Das ist doch nur die marktgerechte Umsetzung neoliberaler Gesundheitspolitik. Vorauseilend sozusagen.

  3. wenn man die debatte ein...
    wenn man die debatte ein bisschen verfolgt hat, gewinnt man den eindruck dass viel öfter spenden als gammelfleisch deklariert werden damit man die eigenen patienten/taschen vollstopfen kann. stoppt diesen wahn! weidet jugendliche aus!

  4. Vermutlich werden die...
    Vermutlich werden die Spenderzahlen in absehbarer Zeit auch nicht sehr ansteigen, so lange der Organspender – gesetzlich abgesichert – keine Vollnarkose erhält. Denn langsam spricht es sich herum, dass die „toten“ Organspender nicht ganz so tot sind, wie man uns seit Jahren weiszumachen versucht. Die Definition „Hirntod“ ist jedenfalls keine naturwissenschaftliche. Denn Dank neuer und sensiblerer Untersuchungsmethoden weiß man jetzt, dass Stresshormone bei der Organentnahme enorm
    ansteigen und wohl auch die für Schmerzempfindung zuständigen Hirnareale heftig reagieren. Und wer will sich das antun?
    Natürlich möchte man helfen.
    Aber man spricht ein wenig zu viel über die Organempfänger und so gut wie überhaupt nicht über den Organspender. Und es geht auch hier in erster Linie – wie bei der Verteufelung der Sterbehilfe – ums Geld. Um sehr viel Geld, weshalb das eine hochgepuscht wird und das andere wortreich diffamiert wird. Die kranken Menschen sterben nicht, weil es keine Organe gibt, sondern weil sie krank sind. Sehr krank.
    Und jeder weiß, welch unsagbares Leid Familien und Freunde der vor ihrer Zeit Verstorbenen trifft. Und unter diesem Aspekt ist jedem Menschen ein zweites gesundes (Spender-)Organ zu wünschen!

  5. Ambivalenz sagt:

    Stoppt die geistigen...
    Stoppt die geistigen Brandstifter!
    Das neue Transplantationsgesetz hat mich veranlaßt, den Dingen etwas auf den Grund zu gehen. Dabei stieß ich immer wieder auf den Begriff Bioethik. Anfangs glaubte ich, das sei so eine Art moderner Ehrenkodex im medizinischen Bereich – z.B. : “ Dem Leben verpflichtet “ oder so – wäre doch schön. Außerdem hatte der Begriff so etwas Vertrauenserweckendes. Bald aber kamen mir Zweifel an meiner eigenen edlen Definition. Dutzende Artikel, Beiträge und Leserkommentare später war mir klar, daß es sich hierbei um eine äußerst bedenkliche Philosophie handelt, die vor allem die Verwerfungen der Gesellschaft erforscht und sie zu korrigieren versucht. Bioethik ist ein Forscherverbund, der mit natur – und lebenswissenschaftlichen sowie medizinischen Forschungen befaßt ist. Schwerpunkte sind dabei ethische, rechtliche und politische Probleme und deren Lösungen. Sie betreiben gewissermaßen “ Gesellschaftshygiene „.
    Der harte Kern dieser Philosophen diskutiert mit krudem Gedankengut und sucht nach Patentlösungen für überalterte Gesellschaften.
    Arme, Alte, dauerhaft Kranke, Behinderte – kurz, kostenintensiver, nutzloser Ballast der Gesellschaft, soll keines natürlichen Todes mehr sterben dürfen, sondern sie alle erleiden, ginge es nach denen, den „sozialen Tod „.
    Wenn wir in ein Zeitalter eingetreten sind, in dem Ethik zur Kosten – Nutzenfrage geworden ist und Menschen als wertvoll oder minderwertig klassifiziert werden dürfen, dann stehen wir nicht mehr weit von einem Abgrund entfernt, in dem alle bisherigen Werte – und Moralvorstellungen versinken werden. Es wird dann schlimmer als in der bösartigsten Affenhorde zugehen.
    Aber lassen wir sie einmal kurz zu Wort kommen, diese Bioethiker:
    “ Individuen im dauerhaften Koma sollten als Organspender
    verwendet werden; da sie keine Person mehr seien, sei ihre
    Tötung nicht verwerflicher als das Töten einer Pflanze „.
    Es ist unschön, so von Vater und Mutter zu reden. Aber die meinen sie ja auch nicht, denn sie selber und ihre Lieben sind natürlich außen vor. Sie meinen immer nur die anderen, nämlich dich und mich.
    Es liegt an jedem von uns, daß diese Saat nicht aufgeht.
    In einem Beitrag von Sabine Müller / Charite – könnt ihr noch mehr darüber erfahren .
    “ Wie tot sind Hirntote? Alte Frage – Neue Antworten „

  6. brain sagt:

    Wenn die bisher ergangenen...
    Wenn die bisher ergangenen Urteile oder die von den Staatanwaltschaft nach
    § 153 a eingestellten Verfahren im j u r i s überhaupt nicht erwähnt sind, spricht das doch ganz klar dafür, dass niemand einen Überblick über das bisher Geschehene haben soll. Das war dann aus meiner Sicht eine Verabredung, um der „heiligen“ Transplantationsmedizin nicht zu schaden. Wenn es so ist, wäre das wirklich empörend. Offenbar kamen in der Vergangenheit Hinweise auf „Unregelmäßigkeiten“ nur aus der Szene selbst, von besorgten Insidern, die das fragwürdige Tun ihrer Kollegen nicht länger dulden wollten. Man denke nur an den früheren Leberpapst aus NRW und seinen Kumpanen aus den neuen Bundesländern.
    Beide konnten jahrelang schalten und walten , ohne dass sie jemand gestoppt hätte. Wenn es um soviel Geld geht wie bei Transplantationen, ist Transparenz unerlässlich. Eine Lebertransplantation kostet einen selbstzahlenden Ausländer immerhin bis zu 300.000 Euro. Und dieses Geld muss bar bezahlt werden. Wer da trickst , muss mit dem Entzug der Approbation und einem Strafverfahren
    rechnen. Das wäre der erste Schritt .

  7. Ambivalenz sagt:

    "Sie können dieses Blog gerne...
    „Sie können dieses Blog gerne kommentieren.Sie müssen sich dafür nicht anmelden.“
    Das hat mir gut gefallen, schade, daß es in dieser Form vorbei ist.
    Nicht jeder lebt in Verhältnissen, die ihm erlauben, mit Namen und Adresse seine Meinung zu vertreten.
    A u s d i e M a u s !

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