Was ist Krankheit? Wer ist krank? Und wer hat Anspruch auf welche Behandlung? Die Fragen mögen merkwürdig klingen, sie sind aber höchst brisant. Es geht um die Vorstellungen von Normalität und Regelhaftigkeit, vor allem aber auch um Geld. Ein Punkt an dem der Streit politische Brisanz entfaltet ist die Künstliche Befruchtung. Eine aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Mannheim, die einer Oberfeldwebelin der Bundeswehr gegen ihren Dienstherren Recht gegeben hat, bringt das Thema wieder auf die Tagesordnung. Die 33jährige Zeitsoldatin leidet an einem beiderseitigen Verschluss der Eileiter und beantragte deswegen die Übernahme der Kosten für eine Fertilisationsbehandlung. Das zuständige Sanitätszentrum lehnte den Antrag unter Verweis auf eine Verwaltungsvorschrift ab: die Bundeswehr stelle nur die truppenärztliche Versorgung, Maßnahmen der Familienplanung fielen nicht darunter.
Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim (2 S 786/12) gab der Klage statt, denn die Klägerin habe eine behandlungsbedürftige Krankheit. Krankheit sei „ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Zustand des Körpers oder des Geistes, der ärztlicher Behandlung bedarf. Eine Krankheit kann auch dann zu bejahen sein, wenn der regelwidrige, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichende Zustand des Körpers oder des Geistes die Wehrdienstfähigkeit nicht berührt.“ Bezogen auf die Situation der Soldatin sieht der Senat in der organisch bedingten Sterilität einen regelwidrigen Körperzustand, der von der generell bestehenden Fortpflanzungsfähigkeit erwachsener Menschen als Normalzustand abweiche. Dieser regelwidrige Körperzustand sei einer Behandlung bedürftig und einer Therapie zugänglich. Die Fertilitätsbehandlung habe den Charakter einer Heilbehandlung, da dadurch ein „Funktionsausgleich“ geschaffen werde, indem die Fortpflanzung auf einem anderen als dem natürlichen Wege erfolgen könne.
Das knochentrockene Juristendeutsch klingt nicht elegant aber überzeugend. Allerdings wirft die Entscheidung ein Problem auf. In der Gesetzlichen Krankenversicherung gelten medizinischen Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft gerade nicht als Behandlung einer Krankheit. Der Bundestag hat den § 27a SGB V zwar im Krankenversicherungsrecht geregelt, hat hier aber Anforderungen gestellt, die mit Fragen von Gesundheit und Krankheit nichts zu tun haben: wer die Leistungen in Anspruch nehmen will, muss verheiratet sein, es dürfen nur Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden, es dürfen bestimmte Altersgrenzen nicht über- oder unterschritten werden. Das Bundessozialgericht und das Bundesverfassungsgericht haben die entsprechenden Bestimmungen alle legitimiert – und dabei deutlich gemacht, dass diese Maßnahmen einen eigenständigen Versicherungsfall darstellen. „Die in § 27a SGB V geregelten medizinischen Maßnahmen dienen nicht der Beseitigung einer Krankheit. Der Gesetzgeber hat medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach § 27a SGB V nicht als Behandlung einer Krankheit angesehen, sondern nur den für Krankheiten geltenden Regelungen des SGB V unterstellt“(BSG vom 19.9.2007).
Wir lernen: was für Soldaten (und übrigens auch privat Versicherte) eine Krankheit darstellen kann, muss für Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung noch längst keine Krankheit sein. Die Gründe dafür sind nicht gut, aber komplex: Einerseits geht es dem Gesetzgebe darum, Kosten zu sparen. Selbst im günstigsten Fall werden für IVF-Behandlungen nur 50 % der Kosten erstattet. Ob es nun besonders schlau ist, gerade in diesem Bereich zu sparen, ist bereits ausgiebig diskutiert (und verneint) worden. Auch wichtig ist es dem Gesetzgeber aber gerade bei dieser reproduktionsmedizinischen Leistung, die – ähnlich wie die Pränataldiagnostik oder Präimplantatiosndiagnostik oder der Schwangerschaftsabbruch – in ethisch heikle Regionen vorstößt, Anforderungen für eine Kostenübernahme stellen zu können, die bei anderen Krankenbehandlungen schwerlich vorstellbar sind. Allerdings gibt es heute schon weiter gehende normativ begründete Ausschlüsse von der Kostenübernahme, die so genannten „Lifestyle“-Medikamente (die für manche Menschen durchaus therapeutisch von einiger Bedeutung sind) gehören dazu – wir bewegen uns hier am Rand von gesetzgeberischen Maßnahmen einer offenen Rationierung, die nur dadurch kaschiert wird, dass der Anschein erweckt wird, es gehe hier nicht um medizinisch notwendige Maßnahmen, sondern um eine Art Luxusbehandlung.
Wenn nun allerdings das Bundesverwaltungsgericht, das in der Revision über den Rechtsstreit um die Fertilitätsbehandlung der Zeitsoldatin entscheiden muss, auch zu dem Ergebnis kommt, dass es sich hier um eine ganz normale Krankheitsbehandlung (nicht der Kinderlosigkeit, sondern der Fertilitätsstörung – weswegen ich mich mit dem heute so gern verwendeten Begriff der „Kinderwunschbehandlung“ nicht anfreunden kann) handelt, könnte die Debatte auch für die gesetzliche Krankenversicherung erneut auf die Tagesordnung gesetzt werden. (Das Bundesverwaltungsgericht hat einen solchen Fall bereits 2003 zugunsten der Klägerin entschieden, damals war die Rechtslage allerdings noch etwas anders).
Oder soll man die Devise ausgeben: Wer Kinder will, sollte sicherheitshalber in die Bundeswehr. Auch eine Lösung für den Nachwuchsmangel in der Armee.
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Falscher Vergleich!
So...
Falscher Vergleich!
So ärgerlich es ist, dass der Gesetzgeber ins SGB V hineinschreiben kann, ob und in welchem Umfang Fertilitätsstörungen (zu erheblichen Kosten) von der GKB getragen werden dürfen, ist der Vergleich hier falsch. Maßstab der beamtenähnlichen Soldaten müssen die Beamten sein. Deren privaten Krankenversicherungen tragen natürlich auch die Kosten dieser Heilbehandlung.
@beckstein: Falscher...
@beckstein: Falscher Vergleich, denn klassische Beamte sind nicht mit Polizeibeamten und Soldaten vergleichbar. Polizeibeamten und Soldaten haben Anspruch auf freie Heilfürsorge; das klassische Beamtentum sieht die Beihilfe vor.
@Dinsch, Beckstein: Sie haben...
@Dinsch, Beckstein: Sie haben beide recht, aber darauf kommt es mir eigentlich nicht an: Soldaten sind hinsichtlich der Krankenversorgung den Beamten ähnlicher als den gesetzlich Versicherten, aber die Regelungen sind dennoch andere. Ihr Anspruch richtet sich nach der 2009 neu gefassten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes (VwV zu § 69 Abs. 2 BBesG), deren § 1 regelt: „(1) Soldatinnen und Soldaten erhalten unentgeltliche truppenärztliche Versorgung, solange sie Anspruch auf Besoldung haben.“ Aber mir kommt es darauf an, dass es unterschiedliche Krankheitsbegriffe gibt: IVF wird von den einen als Krankenbehandlugn gesehen, von den anderen als Mittel zur Familienplanung. Diese Sichtweise ist bemerkenswert und macht deutlich dass unsere Vorstellungen von Krankheit stärker normativ geprägt sind, als man sich das vorstellt. Krankheit ist eben kein „natürlicher“ Zustand.
wenn die truppe richtig...
wenn die truppe richtig entscheidet, muss es die restliche gesellschaft, und wäre es nachholend, am ende auch. nichts neues unter der sonne.
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dazu – auch – kann truppe da sein. (wir sehen es ja in den usa gegenwärtig ebenlfalls, salopp gesagt: und wenn die ganze gesellschaft in politische und soziale trümmer ginge, sie hätte am ende aber immer noch eine (hoffentlich relativ) intakte usa-army als womöglich fast letzt-verbliebenen kristallisationskeim, aus dem sie sich regenerieren, an der sie, die gesellschaft, sich orientierend neu schaffen könnte.)
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dass es aber tatsächlich auch be uns womöglich wieder eionmal soweit kommen könnte, wer hätte das gedacht?
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und die qualität einer armee hängt von leuten ab, man weiß, nicht von monetärer größe. den einzelner sollte ich aber schon überdurchschnittlich gut bezahlen. sinnstiftend gut zumal.
Die Verwaltungsvorschrift zum...
Die Verwaltungsvorschrift zum §69 BBesO ist in einer ZDv umfassend konkretisiert und kommentiert in der Bundeswehr verfügbar.
Das Ziel der „unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung“ (früher sprach man von „freier Heilfürsorge“) ist die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der (wennmöglich vollen) Verwendungsfähigkeit. Deswegen sind zum Beispiel Medikamente gegen bestimmte Erkrankungen ( etwa Heuschnupfen) für Soldaten der Bw uneingeschränkt verordnungfähig und werden entweder vom Dienstherren bereitgestellt (der Truppenarzt hat ein Dispensierrecht) oder per Rezept übernommen. Der Soldat soll halt auch im Frühjahr bei Birkenblüte den gegner im Visier des G 36 klar erkennen können.
Ob nun die Behandlung einer die Krankheitsdefinition der WHO unzweifelhaft erfüllenden Fertilitätsstörung zur Verwendungsfähigkeit einer Soldatin gehört, lasse ich hier dahingestellt. Das gäbe sicher reichlich Anlass zu unernsten Kommentaren.
Aber die Einschränkungstendenz sowohl im SGB V als auch bei den Verordnungen zur Beihilfefähigkeit bzw. der Übernahme durch die Heilfürsorgebetreiber (im Bund BMVg -> Soldaten, BMI -> Bundespolizei) berührt einen doch merkwürdig. Dabei ist es merkwürdig, dass Beihilfeempfänger immer vergleichsweise am günstigsten gestellt sind. Man sollte vielleicht die Bundestagsverwaltung fragen, wie viele der Damen und Herren MdB bei Annahme des Mandats die Variante „freiwillig gesetzlich krankenversichert“ und wie viele die Variante „Beihilfe entsprechend den gesetzlichen Regelungen“ (in der Regel mit privater Restkostenversicherung) gewählt haben.
Honni soit qui mal y pense.
Beim Lesen dieses Blogs fühle...
Beim Lesen dieses Blogs fühle ich mich sofort sehr viel gesünder :p
@tricky1: dann bleiben Sie...
@tricky1: dann bleiben Sie dabei…. gegenüber welcher Krankenkassen dürfen wir für unsere Bemühungen liquidieren?