Jahrelang hat man studiert, gar promoviert – eine feste Anstellung aber ist nicht in Sicht. In dieser Situation liebäugeln viele Hochschulabsolventen mit dem Job als Lehrer. Wie stehen die Chancen für Quereinsteiger?
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Frank Hombergs Lebenslauf kann sich sehen lassen. Nach einem „übrigens richtig schlechten“ Hauptschulabschluss absolviert der heute 47-Jährige eine Ausbildung zum Koch und arbeitet einige Jahre in diesem Beruf – „und zwar gerne“, wie er betont. Auf dem zweiten Bildungsweg holt er das Abitur nach und studiert danach an der Bergischen Universität Wuppertal Geschichte, Soziologie und Wirtschaftswissenschaften. An der Heinrich-Heine-Universität promoviert er 2008 zum Thema „Retterwiderstand in Wuppertal während des Nationalsozialismus“ – aus Interesse, aber auch, um seine Chancen auf eine Anstellung in einem Museum zu erhöhen.
Doch nach dem Studium arbeitet Homberg meist auf Basis von Zeit- oder Werkverträgen, wird oft nicht gerade üppig bezahlt. Etwa 120 Bewerbungen auf eine feste Stelle schickt er ab, wird allerdings nur zwei Mal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Darunter leidet nicht nur seine Motivation, auch die existentiellen Sorgen wachsen, hat er doch eine Familie zu versorgen. Seine Frau arbeitet zwar ebenfalls, doch als Erzieherin verdient sie nicht gerade viel. Homberg arbeitet daher an seinem Wohnort Wülfrath auch wieder als Koch und gibt Kurse für junge Erwachsene an der Volkshochschule in verschiedenen Fächern. 2013 übernimmt er an einer Hauptschule eine Vertretungsstelle. „Dabei habe ich gemerkt, dass es mir total Spaß macht, Menschen etwas beizubringen“, sagt er heute.

Frank Homberg beginnt, sich über die Möglichkeiten des Quereinstiegs ins Lehramt zu informieren. Als politisch interessierter Mensch, nicht zuletzt aber auch als Vater dreier schulpflichtiger Kinder, weiß er: An vielen deutschen Schulen herrscht bereits seit Jahren ein fast schon chronischer Lehrermangel, vor allem an Hauptschulen. Eine Mitte Juli vorgestellte Studie der Bertelsmann-Stiftung unterstreicht das – und verspricht Lehramtswilligen, ob frisch gebackenen Abiturienten oder Quereinsteigern, glänzende Zukunftsaussichten. Denn laut Berechnung der Stiftung wird die Schülerzahl allein in den Regelschulen bis zum Jahr 2025 auf 8,26 Millionen ansteigen.
Echte Chance oder Schweinezyklus?
Die letzte Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK), die auf Modellrechnungen der Länder zur Schülerentwicklung beruht, hatte ein Absinken der Schülerzahl auf gut 7,2 Millionen vorausgesagt. Diese Prognoselücke wird nach Einschätzung der Stiftung natürlich als erstes an den Grundschulen zu spüren sein. Sollen die Klassengrößen gleich bleiben, würden bis 2025 etwa 2400 zusätzliche Grundschulen gebraucht. Insgesamt würden bis 2030 etwa 28.100 zusätzliche Klassen und 42.800 zusätzliche Vollzeitlehrkräfte benötigt, Länder und Kommunen müssten dann pro Jahr 4,7 Milliarden Euro mehr in die Bildung investieren als bisher berechnet.
Dirk Zorn, Soziologe und Schulexperte bei der Bertelsmann-Stiftung, hat die Studie mit dem Bildungsforscher Klaus Klemm erstellt. Er erklärt die Differenz zwischen beiden Prognosen dadurch, dass die Studie der KMK im Frühjahr 2013 veröffentlicht wurde und auf Zahlen aus dem Jahr 2012 fußt. Seitdem sei aber die Geburtenrate fünf Jahre in Folge unerwartet stark gestiegen. Zudem sei die Zuwanderung durch die Flüchtlingskrise und die Binnenwanderung in der EU als Folge der Finanzkrise gestiegen.

Das sei nicht absehbar gewesen, auch die Bertelsmann-Stiftung sei 2009 für das Jahr 2025 noch von sinkenden Schülerzahlen ausgegangen. Zorn legt der KMK nahe, regelmäßiger Szenarien für Schülerzahlen zu entwerfen, um flexibler auf Schwankungen reagieren zu können. Bei einem Überangebot an Lehrkräften könnten, je nach Lage der Dinge, zum Beispiel auch Projekte gefördert werden, die über die Regelversorgung hinausgehen, etwa individuelle Förderung oder spezielle Inklusionsprogramme.
Doch was bedeutet das alles für Abiturienten oder Quereinsteiger, die Lehrer werden wollen – bietet sich ihnen eine echte Chance oder ist die Prognose nur der Beginn eines Schweinezyklus’? Laut Zorn zeigen seine Zahlen, dass Lehramt ein Beruf mit Zukunft ist. Zumal für seine Studie nur der Bedarf an Halbtagsschulen berechnet worden wäre. Neue Bildungskonzepte tendierten aber stark in Richtung Ganztagsschule, wodurch weitere Lehrer gebraucht würden.
In Berlin ist fast alles anders
Gute Zeiten also für Quereinsteiger, da durch ihren Einsatz aktuelle Engpässe in der Unterrichtsversorgung schneller ausgeglichen werden können? Die KMK reagiert auf den von der Bertelsmann-Stiftung ausgewiesenen Lehrermangel auf Nachfrage gelassen. Ihr Sprecher Torsten Heil weist darauf hin, dass die einzelnen Bundesländer ihre Prognosen jährlich individuell aktualisieren, um den Lehrerbedarf akut aber auch langfristig zu decken. So veröffentlicht zum Beispiel das bayerische Kultusministerium jährlich seine „Prognose zum Lehrerbedarf in Bayern“, die derzeit bis ins Jahr 2030 reicht. Sie gibt allen am Lehrerberuf interessierten Abiturienten und Studenten die Möglichkeit, ihre Chancen, beim Freistaat in Lohn und Brot zu kommen, einigermaßen abschätzen zu können. Im vergangenen Schuljahr 2016/2017 wurden gut 4000 neue Lehrkräfte eingestellt, um den aktuellen Bedarf abzudecken. Für das kommende Schuljahr sehe es ähnlich aus, so das Kultusministerium auf Nachfrage. Wie viele Quereinsteiger unter den neu beschäftigten Lehrern seien, würde jedoch statistisch nicht erfasst.
Die Kollegen am anderen Ende Deutschlands schauen in Sachen Quereinstieg etwas genauer hin. Der Stadtstaat Hamburg könne seinen aktuellen Lehrerbedarf bis auf wenige Ausnahmefälle voll und ganz mit Fachlehrkräften decken, so die Behörde für Schule und Berufsbildung. In Hamburg gab es 2015 an den allgemeinbildende Schulen nur 15 Quereinsteiger, was einem Anteil von 1,7 Prozent entspricht, 2016 waren es mit 22 Quereinsteigern zwei Prozent. Ganz anders sieht es im größten deutschen Stadtstaat aus. Im vergangenen Schuljahr 2016/2017 waren mit 667 in Berlin mehr als ein Drittel der neu eingestellten 1900 Lehrer Quereinsteiger. Und auch im Westen der Republik sieht es gut für Quereinsteiger aus. In Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland, in dem sich Historiker Homberg derzeit für das Lehramt nachqualifiziert, wurden 2016 584 Quereinsteiger eingestellt, im Jahr zuvor waren es erst 290.

Wer sich für einen Quereinstieg ins Lehramt interessiert, muss also genau hinschauen, in welchem Bundesland er später unterrichten möchte. Der Föderalismus schafft derart unterschiedliche Bedingungen, dass manche Schulen offene Lehrerposten sogar selbst besetzen. Auch Abschlüsse werden, obwohl viele Bildungsforscher und Lehrergewerkschaften das seit Jahren fordern, nach wie vor nicht ohne weiteres gegenseitig anerkannt.
Auch die Anstellungsbedingungen sind überall anders. Bayern zum Beispiel verbeamtet derzeit – auch Quereinsteiger – in der Regel bis zu einem Alter von 45 Jahren, in Nordrhein-Westfalen wird die Altersgrenze mit 42 erreicht, in Brandenburg und Thüringen liegt sie bei 47 Jahren, in Hessen werden Lehrer sogar bis zum Alter von 50 Jahren verbeamtet. Das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern wiederum legt die Grenze bei 40 Jahren fest; in Sachsen und Berlin werden Lehrer nur noch im Angestelltenverhältnis beschäftigt, egal ob sie regulär oder durch Nachqualifizierung ausgebildet wurden. Ein weiterer Sonderfall aus Berlin: Dort war der Lehrermangel im Schuljahr 2016/2017 so groß, dass sogar auf Seiteneinsteiger zurückgegriffen wurde.
Geisteswissenschaftlern fällt der Quereinstieg leichter
Diese kommen meist direkt aus dem Berufsleben und haben, anders als Quereinsteiger, ihre berufliche Praxis nicht in einem zweijährigen Referendariat absolviert. Sie erwerben ihr pädagogisches Wissen direkt „on the job“ oder in einem mehrwöchigen Crashkurs und haben auch nicht notwendigerweise das Fach, das sie unterrichten, studiert. Lediglich ein universitärer Abschluss muss vorliegen – wobei auch hier die Details je nach Bundesland variieren können. Viele Bundesländer, aber auch die KMK, definieren den Seiteneinstieg nur als allerletztes Mittel, um ganz akuten Lehrermangel temporär auszugleichen – was wiederum dazu führt, dass die Seiteneinsteiger meist nicht dauerhaft beschäftigt werden und sich teilweise als Kräfte zweiter Klasse fühlen.
Der erklärte Königsweg, an dem sich alle Länder in ihrer Lehrerausbildung in der Regel orientieren müssen, ist für die KMK nach wie vor das reguläre Lehramtsstudium mit anschließendem Referendariat und Staatsprüfung. Ende 2013 hat sie allerdings auch einen Beschluss zur „Gestaltung von Sondermaßnahmen zur Gewinnung von Lehrkräften zur Unterrichtsversorgung“ gefasst. Darin ist der Quereinstieg ins Lehramt klar umrissen. Zunächst muss sichergestellt sein, dass offene Stellen auf längere Sicht nicht mit regulär qualifizierten Kräften besetzt werden können. Interessenten müssen dann einen universitären Masterabschluss oder einen diesem gleichgestellten Hochschulabschluss vorweisen, aus dem sich mindestens zwei lehramtsbezogene Fächer ableiten lassen. Eines dieser Fächer ist durch fachwissenschaftliche Studienanteile, die mit denen im Lehramtsstudium vergleichbar sind, nachzuweisen, das zweite muss anteilig vergleichbar sein.

Ohne diesen Abschluss ist für mindestens ein lehramtsbezogenes Fach eine Qualifizierungsmaßnahme möglich. Die pädagogischen Fähigkeiten muss der Bewerber bei beiden Wegen über einen Vorbereitungsdienst, sprich ein Referendariat, absolvieren, nach dessen Abschluss er eine Staatsprüfung ablegt. Allerdings kann jedes Bundesland eine gleichwertige staatlich zertifizierte Qualifikation beurkunden. Klingt sehr bürokratisch, deshalb ein Beispiel: Ein Diplomphysiker, der im Nebenfach Mathematik studiert hat, kann sich in der Regel für das Lehramt Gymnasium für die Fächer Mathematik und Physik durch den Vorbereitungsdienst nachqualifizieren lassen, nach bestandener Staatsprüfung darf er in den Schuldienst eintreten.
Frank Homberg qualifiziert sich derzeit an der Martin-Luther-King-Gesamtschule in Velbert für die Fächer Geschichte, Arbeitslehre und Wirtschaft. Er unterrichtet bereits, leitet außerdem eine AG in Hauswirtschaft. Parallel absolviert er an einem Tag in der Woche mit anderen Quereinsteigern das Lehrerseminar. Bei regelmäßigen Unterrichtsbesuchen muss er beweisen, wie gut er in der Praxis zurechtkommt. Im Juli hatte Homberg Bergfest, nun stehen ihm noch ein Jahr Seminar und die abschließende Staatsprüfung bevor. In seinem ersten Seminarjahr hat er beobachtet, dass sich Geisteswissenschaftler mit dem Quereinstieg etwas leichter tun als die Kollegen aus der Naturwissenschaft. „Wir müssen unsere Arbeit ständig dokumentieren, viele Unterrichtskonzepte schreiben. Wer Erfahrung mit geisteswissenschaftlichen Hausarbeiten hat, dem fällt das etwas leichter.“
Die Entscheidung, Lehrer zu werden, war für ihn rückblickend kein reiner Verzweiflungsakt wegen der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt, mit der er als Historiker konfrontiert war, stellt Homberg noch einmal klar. Der Kontakt mit Kindern und Jugendlichen bereite ihm vor allem viel Freude. Wer nur auf die sichere Stelle schiele, sei als Lehrer falsch, sagt er. Der Beruf, vor allem das Referendariat, in dem man sich ständig beweisen müsse, sei herausfordernd, oft stressig. „Das hält man nur durch, wenn man wirklich gerne unterrichtet.“ Diese Maxime gelte natürlich für jeden Lehrer – egal ob „Regelfall“ oder Quereinsteiger.
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Als Lehrer gewöhnt man sich mit der Zeit daran, dass einem in einem Atemzug unterstellt wird, zu gut bezahlt zu sein, für einen Job, der ,bis mittags’ geht, zu viele Ferien zu haben und außerdem zwangsläufig schlechter ausgebildet zu sein als Ärzte, Ingenieure und co. Mittlerweile frage ich nur noch freundlich zurück, ob diese Menschen nicht auch einfach diesen supereasy Job ergreifen wollen. Kann ja eigentlich jeder. Es hätte ja Auch jeder mal Lehrer.
@A. Hauder
Bei einem einschlägigen Studium ist die SEK II, also die Gynmasien und Gesamtschulen bzw. entsprechende Berufskollegs der präferierte Einsatzort für die Seiteneinsteiger, denn diese sind mit ihrem Fachwissen den Lehrämtern deutlich überlegen und der pädagogische Anteil spielt in den höheren Klassen eine immer geringere Rolle.
Aber auch Sie folgen dem Irrsinn der deutschen Bildungspolitik. Gerade die Schulformen, die ein sehr hohes Maß an sozialen und pädagogischen Fähigkeiten erfordern, haben das schlechteste Ansehen. Das Fußvolk der Lehrergilde, die Lehrer der Primarstufe vergurken erst einmal kräftig die Kinder und der Rest darf sich dann damit herumschlagen. Aber in der SEK II sind dann ja schonmal die ganzen Zwangs- und Verwahrschüler weg. Zumindest in NRW wird der Unterrichtsstoff so vorgekaut, dass fast jeder Akademiker diesen unterrichten können sollte.
Genau so...
…isses. Ich kenne das aus 1. Hand.
Glückwunsch
Sie müssen es ja wissen. Die Schuld einfach den Lehrern zu geben ist natürlich einfach,gut dass es so kluge Akademiker gibt wie sie. Ach,wo arbeiten Sie nochmal und wieviel verdienen Sie? Augen auf bei der Berufswahl
@ Bauernfeind
Vielen Dank für Ihren Kommentar zu meiner Antwort.
Es tut mir leid, wenn ich mich missverständlich ausgedrückt haben sollte. Ich erliege dem von Ihnen beschrieben Irrtum keineswegs. Sie haben Recht, die Grundschulen, Real- und Hauptschulen genießen keinen guten Ruf. Dies mag auch ein Grund sein, warum es mehr Gymnasiallehrer gibt. Aktuell geht es ja darum, den Bedarf zu decken und der Bedarf besteht dringend in diesen Schulformen. Warum sollte man dann Quereinsteiger für die Schulform einstellen, in der es bereits mehr als genug Lehrer gibt (mit Ausnahme einzelner Fächer selbstverständlich)?
Dass Quereinsteiger „deutlich überlegen“ sind, ist eine in meinen Augen Recht zweifelhafte Pauschalaussage. Ein Biologe der keinen Job findet, weil er schlecht im Studium war und/ oder schlecht in seinem Beruf ist nicht automatisch den „klassisch ausgebildeten“ Lehrer überlegen, nur weil er nicht Lehramt studierte. Es gibt gute Lehrer und es gibt schlechte Lehrer, es gibt gute Seiteneinsteiger und es gibt schlechte Seiteneinsteiger. Als ehemaliger Berufsschüler gebe ich Ihnen aber Recht, dass Personen mit Berufserfahrung in Berufsschulen ein Plus für die Ausbildung bedeuten. Aber auch hier gilt: es gibt gute Lehrer mit Berufserfahrung und es gibt schlechte….
Im Übrigen widersprechen Sie sich. Sie sagen, dass Seiteneinsteiger für die SEK II eher geeignet sind, weil sie ein viel größeres Fachwissen hätten. Danach geben Sie an, dass der Lehrstoff der SEK II ohnehin von jedermann geleistet werden könnte. Wozu also die “überlegeneren”?
Ich hatte übrigens nach einigen Jahren in leitender Position (Wirtschaft) das Gefühl, dass mich diese Tätigkeiten nicht mehr erfüllen. Ich habe dann noch einmal studiert – Lehramt, komplett. Danach Referendariat. Aber vielleicht irre ich mich mit meinen Erfahrungen, so wie Sie es sagen…
Schweinezyklus und Lehrereinstellung
In der Tat: Die Lehrereinstellung folgte in der Vergangenheit fast immer dem Schweinezyklus. Also wenig vorausschauend. Bei aktuell niedrigen Schülerzahlen, wurden Lehrerstellen “abgebaut” bis auf einen minimalen Personalbestand, und bei steigenden Schülerzahlen die Unterrichtsverpflichtung für Lehrkräfte erhöht, Überstunden angeordnet etc..
Zumindest in Hessen. In gleicher Weise wurde bei der Lehrerausbildung verfahren.
Die Konsequenzen einer solchen Politik, die allein am “Sparen” orientiert ist, dürften bekannt sein. Hinzu kommt, dass, zumindest in Hessen, nichts unternommen wird, die Attraktivität des Berufs zu erhöhen – im Gegenteil: Bezahlung, “Aufstiegschancen”, Arbeitsbedingungen haben sich in den letzten zwei Dekaden verschlechtert, besonders im Vergleich zu Bayern.
Es ist deshalb zu befürchten, dass bei steigendem Lehrerbedarf keine Bestenauslese möglich sein wird, sondern fast jeder/jede eine Anstellung findet und sei es auf Zeit – die Flüchtlingskrise hat einen Vorgeschmack erkennbar werden lassen.
Das ist sehr bedauerlich, wenn Qualifikation nur noch wenig zählt, auch für z. T. hochqualifizierte Seiteneinsteiger, weil deren Qualifikation dann eben nicht hinreichend gewürdigt wird und deren Zeugnisse, Vorleistungen, Vorerfahrungen rein bürokratisch überprüft werden. Wie das derzeit ja häufig leider der Fall ist und sich wohl auch nicht ändern wird.
Unter dieser rein bürokratisch-formalen Prüfung haben insbesondere berufliche Schulen zu leiden, die z.B. Handwerksmeister für ihre fachpraktische Ausbildung benötigen oder hochqualifizierte Theorielehrer in Elektrotechnik, Fertigungstechnik usw..
Seiteneinsteiger sind für berufliche Schulen genauso unverzichtbar wie Lehrkräfte, die das Lehramt an beruflichen Schulen studiert haben. Umso bedeutsamer ist es, durch vorausschauende Personalplanung der Kultusministerien dafür zu sorgen, dass immer eine Bestenauslese möglich ist, ansonsten leidet die Qualität von Schule und Unterricht.
Das, so scheint es, ist leider noch nicht zum grundlegenen Prinzip der Bildungspolitik – unabhängig von jeweiligen regierenden Parteien – geworden.
Lehrermangel? Bei uns?
Vor zwei Jahren hatte ich (Geisteswissenschaftlerin) in der Berliner Morgenpost einen verzweifelten Artikel (Akuter Lehrermangel!) gelesen. Daraufhin habe ich bei der Berliner Schulverwaltung angerufen. Der Anruf verlief ungefähr so:
– Heute früh habe ich in der Berliner Morgenpost gelesen, dass akuter Lehrermangel blabla
– Lehrermangel? Bei uns? Welche Zeitung! Warten Sie, ich verbinde Sie.
Das ungeführ drei Mal. Als ich beim Leiter von irgendwas angekommen war: Geisteswissenschaftlerin? Da haben Sie aber ganz, ganz schlechte Karten. Und das wissen Sie auch selbst!
Ende der Geschichte.
Vorbild Finnland
In Finnland werden, nach einer phoenix- Reportage, nur die, Achtung: charakterlich Besten zum Lehramtsstudium zugelassen.
Die so ausgewählten Persönlichkeiten genießen aufgrund dieser Auslese ein hohes Ansehen in der finnischen Gesellschaft. Sie werden, Achtung: nicht besonders gut bezahlt.
Das ist der gegenteilige Ansatz zu den beschriebenen hiesigen Entwicklungen, und er zeitigt Lehr-Erfolge.
Wir sollten den Finnen folgen.
Ahnungslos durch die Nacht ...
Sie haben allem Anschein noch nicht davon gehört, dass der Finnland-Erfolg bei PISA 2003 ein Fake war…
Dann sollten wir schlechter bezahlen
Ihre Meinung ist gut. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann sollten wir es machen wie die Finnen? Das bedeutet auf unsere Verhältnisse übertragen:
1. Die besten Akademiker sollen Lehrer werden, nicht Wissenschaftler, Ingenieur, Arzt, Selbstständiger
2. Weil zu viel Gehalt den Charakter bzw. die Einstellung zum Beruf verdirbt, sollte man den Lehrern einfach weniger bezahlen
Hierzu kommen mir folgende Gedanken:
Wenn die besten Akademiker somit Lehrer werden, was sollen dann die schlechteren machen? Die müssten Ihrer Logik nach Wissenschaftler, Arzt oder Ingenieur werden.
Wenn man mit schlechterer Bezahlung/Besoldung die Besten gewinnt, dann lässt sich das doch auf die anderen Akademiker übertragen. Ein Arzt, der zurzeit 240000 € im Jahr verdient, wird mit Sicherheit wesentlich leistungsfähiger sein, wenn er nur noch 120000 € im Jahr verdient.
Abschließend würde mich noch interessieren, wie viel denn arbeitende Menschen, die kein Hochschulstudium haben, verdienen sollten, wenn die Besten, die künftig als Lehrer arbeiten und nunmehr weniger verdienen, im Vergleich zu einem Lehrer erhalten sollten?
@ Frau / Herrn Kampf
Auch wenn ich einige Ihrer Argumente nachvollziehen kann, so verstehe ich andere wiederum nicht ganz.
Wo liegt das Problem Ihrer Bekannten, dass sie ihr Studium selbst finanzieren muss? Das müssen andere Personen, ob Lehramststudierende oder nicht, auch tun.
Ich habe selbst mal in Frankreich im Rahmen des Sokrates-Programms als „Aushilfe“ gearbeitet. Da wurde ich in manchen Klassen auch als Lehrer eingesetzt, obwohl ich eben nur als Unterrichtshilfe vorgesehen war. Dies ist jedoch ebenso ein persönliches Erlebnis, wie dies Ihrer Bekannten. Beides sind jedoch „Einzelfälle“ und für eine sachliche Argumentation meiner Meinung nach ungeeignet.
Ihrer Idee, dass man im Lehramt toleranter gegenüber universitären Studiengängen sein soll, die nicht in den klassischen Kanon der Schulfächer passen, stehe ich ablehnend gegenüber. Zum einen ist es meiner Meinung nach nicht die Aufgabe von Schulen alle Geisteswissenschaftlicher aufzufangen (das sage ich, als Geisteswissenschaftler!), zum anderen hat es einen Sinn, wenn eine Person 10 Semester Biologie und Politik studiert. Das kann eben nicht einfach so von einem Germanisten übernommen werden. Das würde den Beruf des Lehrers in unserer Gesellschaft vollends der Beliebigkeit preisgeben und dessen Ruf weiter schmälern.
Außerdem ist es eher unwahrscheinlich, dass Quereinsteiger in Gymnasien eingesetzt werden würden, denn da besteht, bis auf einzelne Fächer, ein deutlicher Lehrerüberhang. Ein Mangel besteht in den Grundschulen, Realschulen und Hauptschulen. Warum sollten die von Ihnen beschriebenen Akademiker sich die Rosinen picken dürfen, und (nur) an die Gymnasien kommen? Hinzu kommt, woran man einen „hochqualifizierten Akademiker“ erkennt? An einem Titel? In der Schule kommt es auch auf Zwischenmenschliches an. Davon hat ein Hausmeister manchmal mehr als ein Lehrer. Wenn ich an mein Studium denke, dann hatte der Hausmeister auch mehr als mancher Professor…
H4 in den Sommerferien
Man sollte auch bedenken das es noch solche Mätzchen gibt wie die Lehrer so kurzfristig einzustellen das diese keinen Anspruch auf ALG I erwerben und sie regelmäßig zu den Sommerferien zu entlassen. Das führt dazu das diese sich dann regelmäßig zum Jobcenter begeben dürfen. Wirkt natürlich auch Wunder für die langfristige Familienplanung. Ebenso das bspwl. in Hessen solche Verträge nach 5 Jahren zu einer Sperre bei der Anstellung führen.
Anmerkung
Als Anmerkung zum Text sei gesagt, dass in Sachsen noch nie Lehrer verbeamtet wurden. Lediglich die Schulleitung wurde verbeamtet und das wird bis heute so gehandhabt. Insofern impliziert die Aussage im Text, dass Lehrer nur noch im Angestelltenverhältnis beschäftigt werden, leider etwas Falsches.
Quereinstieg - derzeit undurchdacht und teils ohne Sinn und Verstand
Eine international hochqualifizierte Verwandte durfte in Berlin Bekanntschaft mit dem Quereinsteiger-“Programm” machen: sie wurde informiert, dass sie mit ihren Geisteswissenschaften schon noch Mathe oder Informatik dazu bräuchte, ansonsten wäre sie vollständig unbrauchbar. Zeugnisse, obwohl amtlich übersetzt und beglaubigt, wurden mit regelrecht mutwilliger Dümmlichkeit falsch verstanden. Oder die Dokumente gingen trotz Versendung mit Einschreiben gar ganz verloren (“Ja, das hatten wir hier im Haus schon öfter.”)
Eine andere Bekannte, ebenfalls in Berlin, wurde als anfängliche Aushilfe einfach die Klassen geworfen und war völlig überfordert. Sie entschied sich dann, ein Studium zu absolvieren – das sie nun vollständig selbst bzw. mit Hilfe ihrer Familie finanzieren muss.
Mit solch kafkaesken Mätzchen vergrault man selbst die motiviertesten möglichen Quereinsteiger.
Es braucht deshalb ein nationales, übersichtliches, pädagogisch fundiertes, *durchfinanziertes* Quereinsteiger-Programm. Es braucht ein spezielles Programm bzw. eine Anlaufstelle für hochqualifizierte Akademiker ohne universitäre Stellen, um sie aufzufangen und *sinnvoll* z. B. als Gymnasiallehrer einzusetzen. Außerdem müssen gerade auch die universitären Fächerkombinationen in den Geisteswissenschaften akzeptiert werden, die eben gerade nicht mit Blick aufs Lehramt gewählt wurden.
Zeit, es anzupacken!
Land oder Stadt?
Was mich noch interessieren würde, treten die Lücken in der Lehrerversorgung zumeist auf dem Land/in Kleinstädten oder in Großstädten auf, oder sogar in beiden. Was ist mit Gymnasien, gibt es da ebenfalls so große Lücken, wie bei den anderen Schulformen? Der Text gibt Antworten, lässt aber viele noch unbeantwortet. Das mag am Thema liegen, wie gut lässt sich unsere zukünftige Unterrichtsversorgung prognostisieren?