Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Corona ist trotzdem eine Chance

Nach eineinhalb Jahren in Göttingen wollte unsere Autorin ein Semester in Japan studieren. Jetzt hat Corona ihre Pläne durchkreuzt. Tokio ist abgesagt, das deutsche Studentenzimmer zwischenvermietet. Und jetzt?

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Auf dem Campus der Universität Tokio im Februar

Der Plan, das Sommersemester im Ausland zu verbringen, stand seit einem Jahr fest. In diesem Frühjahr sollte es losgehen, zusammen mit meinem Freund in die japanische Hauptstadt Tokio. Unheimlich gespannt zählte ich in den vergangenen Wochen die Tage runter, bis es endlich losgehen würde, raus aus der beschaulichen Studentenstadt Göttingen in die asiatische Weltmetropole, die im Juli dieses Jahres sogar die olympischen Sommerspiele ausrichten sollte. Doch dann kam letzte Woche alles anders. Mit der Ausbreitung des Corona-Virus, das im Januar scheinbar schleichend in China begann und inzwischen auf allen Kontinenten grassiert, wurde unserem Auslandssemester ein breiter Strich durch die Rechnung gemacht. 

Am Montag vergangener Woche waren wir noch der festen Überzeugung, dass schon etwas Schlimmes passieren müsse, damit wir unser Auslandssemester nicht antreten können. Zwar hatte mich die E-Mail einer japanischen Freundin aus Tokio erreicht, die erzählte, die japanische Regierung könnte Einreisebestimmungen verschärfen, aber im selben Atemzug berichtete, dass die Situation aus ihrer Perspektive noch einigermaßen entspannt und die Japaner insgesamt vorsichtiger im Umgang miteinander seien. Doch da das japanische Außenministerium in den folgenden Tagen weiterhin nur Menschen die Einreise verweigerte, die sich in den stark betroffenen Regionen Chinas, Südkoreas und Italiens aufgehalten hatten, beschlossen wir, uns vorerst nicht verrückt zu machen und an unserem Plan festzuhalten. Schließlich war die Situation in Japan den Nachrichten zufolge vergleichbar mit der deutschen, und als gesunde junge Menschen fanden wir, der Ort, an dem wir uns aufhalten, spiele keine allzu große Rolle.

Am Mittwoch verloren wir jedoch allmählich den Glauben an das Auslandssemester, nachdem wir feststellten, dass die Airline unseren Flug nach Japan gestrichen hatte. Doch es sollte Ersatzflüge geben, und es hieß, eine Umbuchung sei kein Problem. Am Donnerstagmorgen kam dann das böse Erwachen: Unsere E-Mail-Postfächer der Uni-Adresse waren voller Nachrichten über die neuesten Ereignisse in Japan. Das japanische Außenministerium hatte entschieden, bis etwa Ende April keine EU-Bürger mehr einreisen zu lassen, bereits ausgestellte Visa sollten für ungültig erklärt werden. Damit war uns die Entscheidung, ob wir nach Japan reisen sollten oder nicht, rasch aus den Händen genommen worden.

Jetzt ist Verhandlungsgeschick gefragt

Das Chaos war programmiert. Nun stehen wir nicht nur ohne Auslandssemester da, sondern auch ohne Wohnung – die ist nämlich schon seit einiger Zeit untervermietet, und wir müssen sehen, wo wir in den nächsten Monaten unterkommen. Zusätzlich müssen wir unser WG-Zimmer in Tokio kündigen und Flüge stornieren ­– das ist nicht nur lästig, sondern auch nervenaufreibend, weil die Rückzahlung von viel Geld auf dem Spiel steht. So sind wir nicht nur gefragt, im Umgang mit der Situation unsere Nerven zu behalten, sondern auch, Verhandlungsgeschick im Umgang mit der Reiseagentur zu beweisen. Alles in allem keine ganz einfache Lage.

In Anbetracht der Tatsache, dass es bei der Ausbreitung der Pandemie um die Gesundheit unserer Weltbevölkerung geht, ist unsere Enttäuschung über den gescheiterten Plan etwas gemildert. Schließlich tragen wir mit dem Daheimbleiben auch dazu bei, das Risiko einer größeren Ansteckung zu minimieren. Aber es ist ein seltsames Gefühl, wenn man bereits im Begriff ist, den Überseekoffer für die große Reise zu packen, um dann doch in der kleinen Stadt zu bleiben, deren Straßen und Plätze man zur Genüge kennt. Zu unserem Glück dürfen wir das Auslandssemester im Herbst nachholen, sofern die globale Situation rund um Corona sich bis dahin entspannt hat.

Zierkirschblüte auf dem Campus der Georg-August-Universität Göttingen in belebteren Zeiten

Derzeit erfahren wir, was wohl allen Studenten in Deutschland erleben – eine ungeahnte Ruhe, und eine scheinbar unbegrenzte Menge an Zeit, die uns frei zur Verfügung steht. Sämtliche Einrichtungen der Universitäten haben geschlossen, und nicht einmal die Bibliothek bietet die Möglichkeit, Bücher auszuleihen. Klausuren werden verschoben, Abgabetermine von Hausarbeiten und Essays gelten nicht mehr, weil das Prüfungsamt bis auf Weiteres geschlossen bleibt. Auf dem Campus herrscht gähnende Leere, und niemand ist da, um die Kirschblüten zu bewundern, die im März auf dem Platz der Göttinger Sieben in voller Blüte stehen.

Helfen, wo wir gebraucht werden

Obwohl wir nun viele E-Mails schreiben müssen, umbuchen, stornieren und umorganisieren, bin ich dankbar, gerade jetzt Studentin sein zu dürfen. Das Corona-Virus stellt den Unibetrieb auf den Kopf, setzt ihn zeitweise aus und bringt Chaos in die Semesterpläne, aber die Situation ist auch eine Chance. Eine Chance, bestehende Strukturen der Lehre und Forschung zu überdenken und zu erkennen, wie wichtig und hilfreich die Digitalisierung in allen Bereichen sein kann. Selbstverständlich sind Vorlesungen über Online-Dienste wie Skype keine Dauerlösungen, und als Geisteswissenschaftlerin habe ich es leicht im Vergleich zu Naturwissenschaftlern, die auf Labore und Gerätschaften zur Forschung vor Ort angewiesen sind, während ich nur meine Bücher brauche, um arbeiten zu können. Aber es ist dennoch möglich, pragmatisch mit der aktuellen Situation umzugehen und kluge Übergangslösungen für die Aufrechterhaltung des Studiums zu finden.

Die freie Zeit, die wir Studenten im Moment haben, können wir ebenso klug nutzen – indem wir dort helfen, wo wir gebraucht werden, etwa indem wir für ältere Menschen einkaufen oder im Supermarkt mit anpacken, wenn es ums Befüllen der Regale geht. Wir können uns auch Gedanken um unsere eigene Forschung machen – warum studieren wir unser Fach? Welche wissenschaftlichen Fragen brennen uns noch auf der Seele? Was wollen wir noch erreichen? Die Zeit, die uns jetzt gegeben wird, bis die Universitäten ihre Türen öffnen, können wir also vielseitig nutzen – und Corona nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Chance sehen. Als Chance, den Blick auf das zu richten, was hier und jetzt, an dem Ort, an dem wir uns jeweils befinden, verändert werden kann. Statt sehnsüchtig an Japan zu denken, versuchen wir jetzt also, uns Gedanken um die Masterarbeit zu machen und zu überlegen, wo wir unsere Kapazitäten in Göttingen sinnvoll einsetzen können.