Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Demokratie auf der Straße lernen

| 28 Lesermeinungen

Die freitäglichen Schülerproteste stoßen auf ein geteiltes Echo nicht nur in Deutschland. Ihr Potential wird oft nicht gesehen. Wie “Fridays for Future” zum Demokratieverständnis von Schülern beiträgt.

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Fridays-for-Future-Demonstration in Elmshorn

Die schwedische Schülerin Greta Thunberg hat eine Massenbewegung ausgelöst. Seit Monaten folgen ihr Abertausende Schüler auf die Straßen der Welt, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. „Ihr zerstört unsere Zukunft“, so der Tenor der Jugendlichen, die die Politik zum Handeln auffordern. Doch gegen die Bewegung formiert sich Protest – nicht nur aus den Sphären der Klimaleugner. Denn immerhin verbringen die Schüler ihre Freitage – mit Protestschildern ausgestattet und Sprechchöre skandierend – auf den Straßen und Plätzen der Bundesrepublik, statt in den Schulen. Doch es gibt auch Kritik an der Bewegung, der Vorwurf des Schulschwänzen bestimmt nicht selten die Argumentation.

Tatsächlich, rein formal betrachtet handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, gilt in Deutschland doch die Schulpflicht. Die didaktische Sichtweise auf die Bewegung aber bleibt dabei unterrepräsentiert und verhindert, deren Potenzial für die Schule zu erkennen. Denn der Bildungsauftrag umfasst mehr, als dass Heranwachsende am Ende ihrer Schullaufbahn Wissen in verschiedenen Disziplinen erworben und sich Kulturtechniken angeeignet haben. Bildung hat auch einen gesellschaftlichen Auftrag, und zwar junge Menschen fürs demokratische System zu begeistern. Ihnen zu vermitteln, dass die Herrschaftsform allgemein gültige Rechte garantiert, Freiheit und Partizipation.

Namhafte Vertreter der politischen Bildung wie Gerhard Himmelmann oder Sibylle Reinhardt befürworten das sogenannte „Demokratie-Lernen“. Demokratische Werte sollen nicht bloß besprochen, sondern erfahren werden. Die Lebensrealität der Schüler steht bei Vertretern dieser Position politischer Bildung im Vordergrund. Obgleich nicht auf grundlegendes Fachwissen verzichtet wird, soll der Politikunterricht zu keiner reinen Institutionenkunde ausarten. Sozialwissenschaftliche Terminologie soll demnach nicht nur gepaukt werden wie eine Vokabelliste – Demokratie ist ein erfahrbares Erlebnis.

Idealismus als Triebfeder

Schüler sollen nicht bloß herunterbeten können, wie das Gesetzgebungsverfahren in Deutschland aufgebaut ist oder in der Lage sein, eine chronologische Auflistung deutscher Bundeskanzler abzugeben. Sie sollen sich in den politischen Diskurs einbringen. Politische Handlungsfähigkeit ist eine der wesentlichen Kompetenzen, die Schüler im sozialwissenschaftlichen Unterricht erwerben sollen. Im Idealfall gelingt es, den Heranwachsenden zum Aktivbürger zu erziehen. Er verfolgt nicht bloß im stillen Kämmerlein politische Debatten, sondern bringt sich selbst ein.

Fridays for Future hat aus demokratiepädagogischer Sicht das Potenzial, genau dazu einen Beitrag zu leisten. Das Interesse der Schüler, an den wöchentlichen Demonstrationen teilzunehmen, reißt nicht ab. Auch in den Sommerferien brach die Teilnehmerzahl nicht ein, junge Aktivisten hielten sogar ein Sommercamp ab, in dem sie mit dem Vorsitzenden der Wirtschaftsweisen diskutieren. Damit entkräften die Protestierenden den Vorwurf, nur auf die Klima-Barrikaden zu gehen, um sich den unliebsamen Mathematikstunden zu entziehen. Lange schon gab es keine derart politisch aktive Jugend mehr.

Das zeigen auch Umfragen. Forscher der Universität Koblenz haben Demonstrationsteilnehmer nach ihrer Motivation befragt. Das Ergebnis: Eine große Mehrheit von 95 Prozent gibt als wichtigsten Grund an, zu glauben, mit dem eigenen Engagement etwas bewegen zu können.

Demokratie hautnah

Lehrer sollten nicht unterschätzen, wie sehr die Fridays-for-Future-Bewegung ein Demokratiemotor sein kann. In so manchem Lehrerzimmer gehen die Pädagogen allerdings auf Distanz, wollen sie das freitägliche Fernbleiben doch nicht unterstützen. Aus Sicht der Demonstrierenden hingegen ist genau dieser Widerstreit eine Bedingung für ihren Erfolg. Die gesellschaftliche Debatte, die dadurch ausgelöst wurde, war für die Schüler ein Erfolgserlebnis.

Aus didaktischer Sicht hingegen wäre es sinnvoll, wenn sich die Schule den Glauben der Schüler an demokratische Prozesse zu eigen machte. Demokratie-Lernen kann nämlich nicht nur in der Schule geschehen. Klassensprecherwahlen, Beteiligung der Schüler an den Unterrichtsinhalten oder offenere Diskussionsformate sind zwar Momente, in denen die Lernenden Mitbestimmung erhalten. Mit realen Debatten über gesellschaftlich relevante Themen haben diese oft durch die Lehrkraft stimulierten Demokratie-Bröckchen aber kaum etwas zu tun.

Fridays for Future und den sozialwissenschaftlichen Unterricht aneinander vorbeiziehen zu lassen, ist eine vertane Chance. Bei den Klimaprotesten handelt es sich um ein kontroverses Thema, das auch als solches in der Schule abgebildet werden muss. Es ist Aufgabe der Lehrer, andere Sichtweisen miteinzubeziehen, Positionen zu präsentieren, die das Gros der Schüler eigentlich ablehnt, zum Beispiel Sichtweisen der Energiebranche oder der Automobilindustrie, von der in Deutschland immerhin mehr als 800.000 Arbeitsplätze abhängen. Natürlich sollen Pädagogen nicht als Missionare der Unternehmen auftreten, genauso wenig wie sie ihre Schüler zur Teilnahme an den Demonstrationen anstacheln dürfen.

Sibylle Reinhardt, eine bekannte Fachdidaktikerin für Sozialwissenschaften schrieb kürzlich in einem Kommentar der Fachzeitschrift „Gesellschaft. Wirtschaft. Politik“ zur Fridays-for-Future Bewegung: „Daraus ergibt sich die Chance der Förderung von Demokratie als Konflikt-System, das Kontroversen zulässt, sieht und vielleicht sogar sucht.“ Nicht zuletzt können Lehrkräfte den Politikunterricht dazu nutzen, um über die Konsequenzen, aber auch die politische Umsetzung von Schülerforderungen zu debattieren. Welche Maßnahmen müssten getroffen werden, um die Klimaziele noch zu erreichen – und zu welchem Preis? Und wie ließen sie sich gesetzlich manifestieren? Grundlage für all diese Überlegungen ist die Motivation der Schüler. Und die ist ungebrochen.


28 Lesermeinungen

  1. mdew sagt:

    Als Greta AKWs als Übergangslösung ins Spiel brachte
    wurde sie niedergebrüllt.
    Diskutieren? Fehlanzeige. Mit Demokratie hat das wenig zu tun. Was soll das denn für ein Streik sein, bei dem die Kids nicht zur Schule gehen? Wo ist das Opfer? 1 Monat Verzicht auf Internet wäre ein Opfer. Aber das wäre der Jugendgeneration mit dem höchsten CO2 Verbrauch aller Zeiten nicht zuzumuten?

  2. heinrichkonrad sagt:

    Lieber Herr Frohn,
    was Sie da referieren, hatten wir schon mal (alt68igermäßig) mit der curricularen Implementierung von „Außerparlamentarischer Opposition“ in den Unterricht.
    An den Universitäten klang das damals so „nur die allergrößten Kälber wählen ihre Metzger selber“ oder „unter den Talaren Muff von tausend Jahren“.
    Frau Sibylle Reinhardt wird sich als Studentin erinnern, und deren akademische Sozialisation bei Theodor W. Adorno, Iring Fetscher, Jürgen Habermas, Max Horkheimer, et. altera..schlagen in Ihren Ausführungen durch.
    Summa summarum: Schnee von gestern.

  3. anonimuss sagt:

    Auf der Straße lernt man keine Demokratie
    Wer sich schon einmal Berichte über die Klimahüpfer angesehen hat, der hat dort keine Demokratie gesehen. Man sieht Kinder, welche darauf getrimmt wurden, vorgefertigte Sprüche rhythmisch in die Kameras zu schreien. Genau so, wie man sich die verblendeten jungen Menschen zur Nazizeit vorstellt. Die Kinder wollen dabei sein, sei es bei #WirSindMehr oder bei #JudenRaus. Das ist keine Demokratie, das ist Kindesmissbrauch. Lehrer, welche die ihnen anvertrauten Kinder zu solchen Veranstaltungen schleppen, haben in diesem Beruf nichts verloren.

  4. Michael Vogel sagt:

    Falsch!
    Dem Beitrag muß entschieden widersprochen werden. Mit ihren Freitagsdemonstrationen lernen die Schüler nicht Demokratie, sondern Anarchie.

    Demokratie heißt, das muß wieder einmal gesagt werden, Volksherrschaft. Diese Volksherrschaft ist nach dem Grundgesetz nur als “abgespeckte” installiert, nämlich als parlamentarische (was gut ist). Und selbst diese abgespeckte Volksherrschaft wird von der Verfassung weiter eingeschränkt: durch Föderalismus, Gewaltenteilung, Rechtsstaat, Grundrechte. Was die Schüler wahrnehmen, sind die Grundrechte auf Versammlungsfreiheit und auf Demonstration. (Diese Rechte sind – vorsorglich sei’s wiederholt – nicht Ausfluß der Demokratie, sondern begrenzen diese.) Diese Rechte werden – leider – ausgeübt unter Verletzung des Rechts. Die Schüler lernen also nicht Volksherrschaft, sondern folgenlose Verletzung der Regeln. Regeln sind aber erforderlich; sie ermöglichen das gedeihliche Zusammenleben der unterschiedlich denkenden Menschen. Dürfen diese mit staatlicher Billigung mißachtet werden, ist die Folge – zu Ende gedacht – Terrorismus. Und alle diejenigen, die die Regeln als sinnvoll einhalten, werden sich vom Staat, welcher Hüter der Regeln sein muß, abwenden. Muß daran erinnert werden, daß die Entstehung der AfD Folge der Verletzung von Maastricht war und später von der Verletzung von Dublin befeuert wurde? (Das hilflose Geschwätz von Populismus etc. hilft nur dem Verständnis der Unbedarften.)

    Wenn man den Schülern etwas wünschen darf, dann dieses: die Freude über durchsetzbare Grundrechte – bei Wahrung des Rechts. Das muß offenbar noch gelernt werden.

    • Detlev Walker sagt:

      Titel eingeben
      Dem Beitrag Vogel kann ich nur beipflichten: Demokratie lernt man nicht auf der Strasse durch das Brüllen von Parolen sondern durch sachbezogene Information und Mit-Arbeit in dafür geschaffenen Gremien wie Gemeinderat, Landtag o.a.; SED-u. Nazi-Sprechchöre haben mir immer Angst gemacht – wenn auch viele Schreier damals nicht so genau wußten, welche Verbrecher sie damit unterstützten – und deshalb ist Sach-Information immer das Beste.

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