Wenige Zutaten und einfache Handgriffe verbinden sich in dieser Nachspeise mit sensorischer Raffinesse. Auf Omas Pflaumenmus braut sich Rock ’n’ Roll für die Zunge zusammen.
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Video: Jürgen Dollase vs. Einheitsgeschmack, Ort: die eigene Küche, Rezept: “Obsttatar”
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Liebe Freunde,
mit diesem Dessert habe ich in der letzten Zeit viele unserer Gäste erfreut, und zwar ganz besonders wegen des überraschenden Geschmacksbildes. Am größten war die Überraschung allerdings, wenn ich ihnen nach dem Essen gesagt habe, dass dieses Dessert ohne Schwierigkeiten und ohne irgendwelche Vorkenntnisse zubereitet werden kann. Warum es so gut schmeckt, liegt an der sehr variantenreichen sensorischen Struktur – mit allerlei Texturen, mit der Süße – Fruchtsäure-Balance, mit Zitrusnoten und dem in diesem Zusammenhang irrlichternden Aroma der Rote Bete. Es liegt aber auch am assoziativen Kontext, also an dem, was sich so im Kopf beim Identifizieren von Aromen abspielt – an dem immer etwas traditionell schmeckenden Pflaumenmus, am Marzipan oder dem Hauch von Mandelplätzchen. Außerdem: der Gaumen will amüsiert werden und reagiert auf ein differenziertes, vielfältiges Angebot sozusagen immer mit viel Aufmerksamkeit.
Hier nun die Details zur Herstellung – mit Produktinformationen und Alternativen bei Produkten und Herstellung.
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Vorab: Mandelteig
Zutaten: 1 Eiweiß, Mandelpulver, Zucker
Zubereitung: Das Eiweiß mit soviel Mandelpulver vermischen, dass eine pastöse Masse entsteht. Mit etwa 1 TL Zucker verrühren. Dann die Masse auf einem Backpapier glatt ausstreichen und im Backofen bei 130° (Umluft) so lange backen, bis die Masse an den Rändern dunkler wird. Entnehmen und abkühlen lassen.
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Elemente:
Pflaumenmus: am besten eines mit traditionellem Aroma. Ein solches Mus hat oft noch ein paar Gewürzzutaten und im besten Falle einen hinreißend altmodischen Geschmack. Meines stammt von der Familie Kuntz/Schlindwein von der „Krone“ in Herxheim in der Pfalz. Dort wird es nach einem alten Familienrezept zubereitet.
Beeren/Früchte: pro Portion etwa 8 – 10 Stücke von 2 – 3 verschiedenen Sorten. Die Sorten können je nach Saison (und Geldbeutel) variieren. Hier sind es Brombeeren und Weintrauben. Wichtig ist, dass sie ein ähnliches Volumen haben, um als Frucht und Fruchtsäure wirksam werden zu können. Damit die Beeren besser stehen, kann man sie an einer Seite etwas abschneiden.
Physalis: pro Portion drei leicht abgeflachte Physalis-Früchte
Granatapfelkerne: pro Portion etwa die Menge von 1 geh. TL, aus der halbierten Frucht mit einem Löffel ausgelöst
Rote-Bete-Kugeln: Pro Portion 5 – 6 Rote-Bete-Kugeln, mit einem Parisienne (halbkugeliges Ausstechmesser zur Gewinnung von Kugeln, gibt es in verschiedenen Größen) ausstechen. Das Produkt sind vorgegarte Rote Bete, die in vorgekochter und eingeschweißter Form fast überall zu bekommen sind. Man kann statt Kugeln natürlich auch Würfel benutzen, diese sollen wie die Kugeln etwa eine Dicke von 10 – 12 mm haben.
Orangenzesten: Pro Portion etwa 10 kleine, mit einem Zestenreißer von einer ungespritzten Orange gewonnen. Alternativ zum Zestenreißer kann man auch Stücke von der obersten (farbigen) Schicht der Orangen mit einem scharfen Messer hauchdünn abschneiden und sie dann in feine Streifen schneiden. Aber Achtung! Die weiße Haut darunter schmeckt bitter!
Mandelsplitter: Von der Mandelzubereitung (s.o.), etwa 6 – 8 unterschiedlich kleine Stücke pro Portion abbrechen.
Marzipanwürfel: aus Marzipanrohmasse. Pro Portion etwa 5 – 6 Würfel von ca. 8 mm Kantenlänge schneiden.
Aceto Balsamico: pro Portion etwa ein knapper TL, tropfenweise unregelmäßig verteilt. Im Prinzip eignet sich dieses Rezept für den besten Balsamico, den Sie zu Hause haben. Alternativ kann man einen Sherry-Essig oder auch einen Fruchtessig benutzen – auch da möglichst von guter Qualität
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Anrichten:
Zum Anrichten verwende ich Anrichteringe (sie stammen zwar aus dem professionellen Bereich, waren aber auch schon einmal – für wenig Geld – bei einem Discounter im Angebot). Wenn Sie so etwas nicht haben, gibt es einen kleinen Trick. Geben Sie (mit dem Finger) etwas von dem Pflaumenmus auf den Rand einer entsprechend großen Glas- oder Plastikschüssel, drehen Sie sie um und markieren Sie so eine runde Fläche auf dem Teller.
Streichen Sie eine Pflaumenmus-Schicht von etwa zwei bis drei Millimeter Dicke vollflächig auf. Verteilen Sie dann zuerst die Früchte, dann die Rote Bete und die Granatapfelkerne. Es folgen die Marzipanwürfel, die Mandelstückchen und obenauf die Orangenzesten. Den Abschluss machen die Balsamico-Tropfen.
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Degustation:
Benutzen Sie einen Teelöffel. Ein Esslöffel wäre kontraproduktiv, weil unter Umständen zu viele Elemente auf einmal auf dem Löffel sind. Wenn Sie die Elemente gut verteilt haben, brauchen Sie beim Essen auf keine spezielle Reihenfolge zu achten. Fast jeder Löffel wird anders schmecken, aber durch den „Katalysator“-Effekt vom Pflaumenmus einen leicht harmonisierenden, konstanten Hintergrund und Zusammenhang bekommen.
Ich wünsche einen guten Appetit,
Ihr Jürgen Dollase
P.S. Das Prinzip dieses Desserts ist natürlich übertragbar. Es besteht aus einem Hintergrund (also dem Pflaumenmus) mit einem sensorisch variantenreichen Vordergrund und einem aromatisch harmonisierenden Zusammenhang zwischen Hintergrund und den anderen Elementen.
PPS. Schicken Sie uns Ihre Erlebnisse beim Kochen und Essen! leserdialog@faz.de
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Dieses Rezept findet sich auch in Jürgen Dollases neuem Buch “Pur, präzise, sinnlich: Ganzheitlicher Genuss – die Zukunft des Essens”, AT Verlag 2017, 280 S.
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