Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Dissertations-Horror als Comic

| 10 Lesermeinungen

Das Schreiben einer Doktorarbeit ist der reine Horror. Doch immer wieder gelingt es jungen Menschen, ihn zu verdrängen. Tiphaine Rivière hat aus dem Verdrängungswettbewerb jetzt einen Comic gemacht.

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© Tiphaine RivièreSo fängt es an

Jeder kennt sie, die Leidensgeschichte eines Doktoranden. Entweder hat man sie am eigenen Leib erfahren, oder es finden sich im Bekannten- und Freundeskreis Exemplare dieser bemitleidenswerten Spezies. Das Deprimierende dabei ist, das wirklich jedes Vorurteil zutrifft. Im Wintersemester 2015/2016 arbeiteten laut dem Statistischen Bundesamt knapp 200.000 Menschen an einer Promotion – im Jahr 2015 schlossen davon 29.000 erfolgreich ab. Die Promotions-Depression ist eine weit verbreitete Krankheit, jeder Doktorand bekommt sie irgendwann. Dann erscheint alles Geschriebene banal, Freunde und Familie sind längst genervt von dem Thema.

Es gibt nicht einen Promovierten, der nicht wenigstens ein Kapitel zum großen Sammelwerk „Dissertations-Horror“ beitragen kann. Sei es nun die ewige Suche nach dem richtigen Titel, die Schwierigkeiten beim Eingrenzen des weitreichenden Themas, die nicht vorhandene Rückmeldung oder das häufige Nachhaken vom Professor, das ständige Erklären seines Forschungsvorhabens oder die dauerhaften Motivationsprobleme – irgendwas ist immer. Natürlich leidet auch das Privatleben enorm. Kalkweiß, fahrig, gereizt oder überhaupt nicht anwesend, so erscheinen die Doktoranden im Freundeskreis. Nicht selten geht während dieser drei- bis sechsjährigen Phase eine Beziehung in die Brüche, weil der Partner nur schwer diese besondere Mischung aus abwechselnd tiefem Selbstmitleid und enormer Überschätzung ertragen kann, die jedem Doktoranden früher oder später zu eigen wird. Das Internet ist voll von Foren, in denen sich Leidensgenossen gegenseitig Hilfe zu sprechen oder einfach nur richtig Dampf ablassen.

© Tiphaine RivièreWörterekel gefolgt von Lustlosigkeit

Auch Tiphaine Rivière kann vom Dissertationsgrauen ein Lied singen. Die Französin hat diesen Leidensweg als humorvolle Graphic Novel festgehalten, die manch einem die Augen öffnen dürfte. Hinter dem etwas plumpen deutschen Titel „Studierst Du noch oder lebst Du schon“ (den man hierzulande sofort mit dem Werbespruch des schwedischen Möbelgroßhauses in Verbindung bringt) versteckt sich die Promotionsgeschichte von Jeanne Dargan. Die Story beginnt damit, dass Jeanne ihren (sehr anschaulich dargestellten) nervtötenden Job als Grundschullehrerin aufgibt, als sie eine E-Mail von Professor Alexandre Karpov, dem ausgewiesenen Kafka-Experten Frankreichs, erhält: „Liebe Mademoiselle Dragan, ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir für Ihre Doktorarbeit kein Stipendium gewährleisten können. Ihr Projekt ist jedoch äußerst vielversprechend, ich würde mich daher sehr freuen, Ihre Arbeit zu betreuen, wenn Sie diese selbst finanzieren können.“

Alle Einwände ihres Freundes Loic, sich die Kündigung noch einmal zu überlegen, schlägt Jeanne aus, als Lehrerin könne man sich bis zu drei Jahre Auszeit nehmen, länger werde sie für ihrer Doktorarbeit sowieso nicht brauchen – trotz Loics Warnung (und – der Leser ahnt es bereits – Prophezeiung): „Deine Cousine Mélanie steckt schon seit sieben Jahren in ihrer Dissertation fest“.

Die nächsten Stationen in Jeannes Leben unterscheiden sich wenig vom deutschen Promotionsalltag. Er handelt von überfüllten Sprechstunden, in denen sich der Professor mehr mit sich selbst als mit den Problemen der Studenten beschäftigt oder von der (großartig gezeichneten) stoischen Sekretärin des Promotionsbüros für Geisteswissenschaften, deren Taktik „so inkompetent wie möglich zu erscheinen, bis die, die etwas von einem wollen, erschöpft aufgeben“ lautet. Doch Jeanne kann nichts abschrecken, auch nicht die angelegte Kartei mit den Vorher-Nachher-Fotos, die eindrücklich den körperlichen Zerfall der Doktoranden belegt. Nach dem offiziellen Einschreiben folgt die Euphorie samt diverser Tagträume: Endlich Wissenschaftlerin, endlich etwas Großes für die Menschheit beitragen! Das Thema ihrer Dissertation ist „Das labyrinthische Muster im Werk Kafkas“ (im Laufe der Geschichte immer wieder schön dargestellt durch riesige Gebäudekomplexe, die die kleine Jeanne zu durchdringen versucht).

Doch die Ernüchterung kommt schnell. Um sich zu finanzieren, übernimmt die junge Frau eine – wie sich später natürlich herausstellt: unbezahlte – Stelle als Aushilfsdozentin zur „Literatur des Mittelalters“. Es folgt die mühsame und zeitintensive Einarbeitung ins völlig fachfremde Thema und der verzweifelte Versuch, Dissertation und Unterricht unter einen Hut zu bekommen. Beim ersten Weihnachtsfest erzählt Jeanne noch begeistert von ihrem Forschungsvorhaben, die Familie reagiert erwartungsgemäß mit einer Kombination aus völligem Unverständnis und totaler Überforderung. Die folgenden Weihnachtsfeste werden zum Dilemma zwischen Totalbesäufnis und Dauermelancholie. Die Eltern trauen sich nicht mehr nach dem Fortschritt der Arbeit zu fragen und hinter vorgehaltener Hand wird über das „nicht erwachsenen werden wollende“ Familienmitglied gelästert.

Weitere Jahre gehen ins Land, Jeanne arbeitet mittlerweile im Promotionsbüro zusammen mit der stoischen Sekretärin und organisiert Universitätsveranstaltungen. Immer mehr wird die Aufgabe zu ihrem Hauptjob, Kollegen und Studenten reagieren erstaunt, wenn sie von ihrem andauernden Promotionsvorhaben erfahren. Jeanne schafft es kaum, beide Arbeiten unter einen Hut zu bekommen, und die Beziehung zu Loic ist am Tiefpunkt angelangt…

Ein mickriges Lob des Professors

Mit viel Witz, Charme und originellen Zeichnungen schafft es Tiphaine Rivière den Werdegang ihrer Protagonistin nicht nur für Leidensgenossen anschaulich darzustellen, sondern auch Fachfremde zu fesseln. Es fällt auf, dass es eigentlich keine Unterschiede zwischen dem französischem und deutschem Promotionsalltag gibt. Jeder Doktorand wird sich problemlos in den zahlreichen Situationen wieder erkennen, der mühsame Weg zum Doktorhut scheint in vielen Ländern ähnlich zu verlaufen. Kurzweilig und amüsant erzählt Rivière die Geschichte einer (Anti-)Heldin, die man sofort ins Herz schließt. Nur allzu bekannt sind dem Leser die Reaktionen der Freunde, die zu Beginn noch freundlich nach dem Forschungsstand fragen, jedoch mit der Zeit verstummen, aus Angst vor der schlechten Laune oder dem enthusiastischen Antwortschwall. Gleichzeitig kann man sich hineinfühlen in die Wahnvorstellungen von Jeanne, die glaubt, das Leben rinne an ihr vorbei, alle anderen heiraten, bekommen Kinder oder beginnen neue, spannende Jobs, während sie selbst zwischen Büchern begraben in ihrem Arbeitskabuff vor sich hin vegetiert. Mit einer ordentlichen Portion Selbstironie nimmt die Autorin auch den (anfänglichen) Selbstbetrug ihrer Protagonistin auf’s Korn: Jeanne kann sich alles schönreden, vom unentgeltlichen Nebenjob, über das mickrige Lob des Professoren bis hin zum diskussionslosen Fachvortrag. Auch das entspricht der Promotionsrealität, in der man sich ständig von Aufsatz zu Vortrag entlang hangelt – jedoch die Dissertationsseiten stets leer bleiben.

Tiphaine Rivière weiß, wovon sie erzählt: Nach dem dreijährigen Versuch, ihre Doktorarbeit in Literatur abzuschließen, startete sie den illustrierten Blog „Le bureau 14 de la Sorbonne“, aus dem 2015 ihre Graphic Novel „Carnets de Thèse“ bei Éditions du Seuil, Paris entstand. In ihrem Nachwort dankt sie ihren Eltern, „die die Ruhe bewahrt haben, als ich meine Doktorarbeit abgebrochen habe, um mich dem Zeichnen zu widmen…“.

Wie ihre Heldin Jeanne mit der schwierigen Situation umgeht, ob sie es ähnlich wie die Autorin handhabt oder die Sache „durchzieht“, das soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Denn dieses Buch ist zu wahr und amüsant, um verkürzt zu werden.


10 Lesermeinungen

  1. hubertf sagt:

    Siehe auch
    Siehe auch: https://phdcomics.com/

    Online-Comic der seit langem laeuft und das Leben an der Hochschule aus der Sicht von (US) Doktoranden recht lebhaft beschreibt.

  2. BenderM sagt:

    ... genau, ...
    … total spannende Berufswelt…, klingt eher so, als habe sich Mademoiselle Chante Le Bleu nicht das richtige Fach oder Thema ausgesucht…
    Wenn man für sein Fach brennt und sich den richtigen Betreuer SORGFÄLTIG aussucht, geht es in der Regel nicht schief.

  3. hansglueck sagt:

    Sehr schön auch...
    Sehr schön auch der Gegensatz zwischen der hübschen Akademikerin und den fetten, doofen Nicht-Akademikerinnen im Sekretariat und an der Kasse. Schöner kann man den Blick aus der akademischen Blase auf die nicht-akademische Welt kaum darstellen. Leider entlarvt der Autor damit seinen eigenen Blick, was ihn mir nicht gerade sympathischer macht.

  4. verdi55 sagt:

    Wahrscheinlich hätte die Autorin keine Doktorarbeit beginnen sollen.
    Denn wer so von sich auf ALLE anderen schließt, und wirklich JEDES Vorurteil plump auf die ganze Welt verallgemeinert, der wird kaum in der Lage sein, eine differenzierte, halbwegs ausgewogene wissenschaftliche Darstellung zu schreiben. Und wenn man nicht geeignet ist, dann ist es vielleicht kein Wunder, wenn man dabei depressiv wird.

  5. Der Speedy sagt:

    Meistertitel
    Tja, warum sollten Doktoranden es auch leichter haben als angehende Handwerksmeister? ?

  6. CGollina sagt:

    Promotion mit Hindernissen
    Als ich vor vielen Dekanden promoviert wurde hatte ich meine sämtlichen Promotionsunterlagen im Kofferraum meines zusammen geschweißten (selbst gemacht) Autos vergraben, und in einer West-Berliner WG übernachtet. Leider falsch geparkt, abgeschleppt am nächsten morgen. Verzweifelte telefonische Nachfrage bei der Polizei wegen geklauter Autos mit nüchternem Kommentar, dass Automarken dieser Bauart grundsätzlich nicht mehr auf dem Begehrlichkeits-Radar stünden. Endlich das Objekt mit den 5-jährigen Mühen des Lohnverzicht, Sozialverzicht und Konsumverzicht gesichtet (2 Jahre später einen Strafzettel in Asien nachgeschickt bekommen für falsch parken), und erleichtert. Hin zur Promotionsprüfung, alles summa cum laude – und dann auf die Transitstrecke in den Westen. Dort tobte der Warschauer Packt mal wider seine Panzerattacken aus – auf der Transitstrecke, konnte gerade noch eine Strassensperre hinter mir lassen – war das letzte durchgelassene KFZ – und ab in den Westen. An dem Promotionstag gab es alles nur vom Feinsten.

  7. Dr. sagt:

    Irreführend
    Der Text ist völlig falsch. Bitte nicht glauben. Die Promotion war die schönste Zeit meines Lebens. Spannend von Anfang bis Ende. Ganz im Gegensatz zum nervigen Beruf.

  8. Doktor sagt:

    Dr.
    Meine Dissertation hat mir zu jeder Zeit sehr großen Spaß gemacht und eine schöpferische Kraft freigesetzt, an die ich mich noch heute – 33 Jahre später – sehr gerne erinnere.
    Es war eine schöne Zeit, die ich nicht missen möchte.

  9. Name abgeben sagt:

    Doktor Guttenberg, bitte in den OP
    Lösung: Keine Doktorarbeit schreiben.

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