Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Du hier? Quarantäne im Elternhaus

In Zeiten der Ungewissheit und Isolation sind viele Studenten zurück in die Heimat gezogen. Wieder bei den Eltern zu wohnen, hat seine Vorteile – bringt aber auch einige Herausforderungen mit sich.

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Zeit für andere Dinge: Das Studienlager zu Hause bringt neue Pflichten mit sich.

Das Klingeln des Festnetztelefons, Kindergeschrei aus den Nachbargärten, Rufe aus dem Erdgeschoss und schließlich das Klopfen an der Zimmertür. Ach richtig, heute bin ich an der Reihe, mit dem Hund zu gehen. Aber muss das denn wirklich um 7:30 Uhr sein?

Zahlreiche Studenten verbringen die Zeit der Ungewissheit und Isolation in ihrer Heimat. Dort tauschen sie erkämpfte Freiheiten und selbst entwickelte Gewohnheiten gegen Familienleben im Ausnahmezustand, haben dafür aber auch wesentlich mehr Platz und manchmal sogar einen Garten. „Meine Eltern wohnen ziemlich ländlich, haben hier ein Haus mit Garten. Dadurch fühle ich mich viel weniger eingesperrt als in meiner WG ohne Balkon“, berichtet Tom. Sein ehemaliges Kinderzimmer wurde nach seinem Auszug zum Büro umfunktioniert. „Es fühlt sich nicht mehr an wie früher“, sagt er. Wohl fühle er sich trotzdem. Anders als in der Stadt lasse sich hier ein Spaziergang machen, ohne dabei einer großen Menge von Menschen zu begegnen.

Auch um Einkäufe für Großeltern zu erledigen oder jüngere Geschwister zu bespaßen, sodass die Eltern in Ruhe im Homeoffice arbeiten können, ziehen Studenten in Zeiten von Corona ins Elternhaus zurück. Julia leidet an einer Vorerkrankung und hat sich auch deshalb entschieden, die Quarantäne im Elternhaus zu verbringen. Hier können ihre Eltern für sie mit einkaufen, sie kann unnötige Kontakte im Supermarkt vermeiden. Für ihr Studium ist sie vor einiger Zeit in eine Einzimmerwohnung ohne Balkon gezogen. „Mein altes Kinderzimmer ist größer als die ganze Wohnung“, sagt sie – ein weiterer Grund vorerst zurück zu kommen.

Kollidierende Tagesabläufe

Trotz aller Vorteile bringt das Zusammenleben aber auch Herausforderungen mit sich. Es kollidieren die Tagesabläufe verschiedener Generationen. Wer kann schon um zwölf Uhr zu Mittag essen, wenn man doch erst vor einer Stunde aufgestanden ist und wieso sollte man schon um 23 Uhr schlafen gehen, wenn man nachts doch erst so richtig produktiv wird. Plötzlich muss man sich wieder absprechen, sich anpassen. Für Luisa ist das die größte Umstellung. Feste Essenszeiten hat sie normalerweise nicht: „Ich esse dann, wenn ich Hunger habe, von der Uni oder der Arbeit komme“, erzählt sie. Seit sie wieder bei ihrer Mutter wohnt, esse sie dann, wenn es ihre Mutter tut, damit sie nicht alleine am Tisch sitzen muss.

Natürlich sind Studenten im Normalfall auch unter gewöhnlichen Umständen ab und zu in der Heimat. Nur eben als Gast auf Zeit. Diesmal ist das anders: „Ich war immer nur für wenige Tage hier. Zum ersten Mal muss ich nicht schon bei der Ankunft über den Abschied nachdenken“, freut sich Luisa. Weil Besuche bei alten Freunden und Verwandten dieses Mal wegfallen, bleibt Zeit für andere Dinge. In Julias Fall: Yoga im Garten, ihrer Mutter beim Kochen helfen und den nah gelegenen Wald erkunden. „Ich habe in den letzten Wochen schöne neue Ecken in meiner Heimat entdeckt“, erzählt sie.

Eltern bleiben immer Eltern

Wer fester Bestandteil eines Haushalts ist, der muss auch wie ein solcher mithelfen. Denn da wo mehr Menschen sind, entsteht nicht nur mehr Wäsche und schmutziges Geschirr, sondern auch mehr Unordnung. Das ist auch Julias Mutter in letzter Zeit aufgefallen. Schließlich haben sich nicht nur die Studenten an einen eigenen Haushalt gewöhnt, sondern auch die Eltern an einen ohne Kinder. Trotzdem fühlt sich nach einer gewisser Zeit fast alles so an wie früher. Aber das ist es nicht: Aus Kindern sind Erwachsene geworden. Nur Eltern bleiben für immer Eltern und verfallen deshalb schnell in alte Muster. „Meine Eltern weisen mich noch immer darauf hin, ob ich nicht mal das machen wolle oder dies tun sollte“, berichtet Tom aus dem neuen Alltag. Im Elternhaus gelten oft andere Regeln als in den eigenen vier Wänden: Nirgendwo darf etwas rumliegen, das nicht dort hingehört. Statt das Geschirr mal ein bis zwei Tagen stehen zu lassen, wird hier die Spülmaschine ausgeräumt, sobald sie gelaufen ist.

Eine ungewöhnliche, aber auch unvergessliche Zeit

Aber trotz allen anfänglichen Schwierigkeiten und zusätzlichem Konfliktpotential sind sich die drei Studenten einig: „Es ist schön zu Hause zu sein.“ Es ist schön zu wissen: Egal wann, hier wird immer Platz für mich sein. Schön zu wissen, dass es Eltern noch immer interessiert, wohin man geht und genauso, wann man wiederkommen wird. Diesmal brauchte es eine Pandemie, um eine solch ungewöhnliche Zeit mit der Familie verbringen zu können. An dessen schöne Aspekte wird man sich wohl für immer erinnern und über das gelegentliche Aneinandergeraten später gemeinsam lachen.

Als ich das Haus verlasse, ist es bereits neun Uhr. Der Hund ist leicht unruhig, die Eltern sind schon etwas kurz angebunden. Der Nachbar blickt über den Gartenzaun und fragt erstaunt: „Du hier?“ Es ist, als wäre ich nie weggewesen.