***

F.A.Z. Camille, wenn man dich fragt, wie du zu der Geschichte über Asmelash Zeferu kamst, verweist du stets auf die einjährige Reise, die dich für deine Abschlussarbeit mit dem Fahrrad von Paris an die Elfenbeinküste führte. Wie kamst Du nach Afrika?
Camille Szklorz: Ich wollte immer schon nach Afrika reisen, aber ich war der Meinung, ich sollte erst mein Studium beenden. Außerdem fand ich nie Freunde, die mit mir reisen wollten (lacht). Schließlich brachte mich meine Abschlussarbeit an der Kunsthochschule Valence 2013 nach Afrika. Ich hatte mir vorgenommen, mich mit Kunstwerken zu beschäftigen, die aktuell in afrikanischen Kulturen entstehen und kaum bekannt sind. Ich wollte nach Westafrika fahren und Do-it-yourself-Kulturen beobachten, bei denen Recycling und Kreativität im Vordergrund stehen. Ich fing dann an zu dokumentieren, wie technologische Artefakte aus westlichen Ländern in Afrika zu Skulpturen umfunktioniert wurden, die sich als Wegweiser in der Wüste herausstellten. Dabei bewegte ich mich ausschließlich mit dem Fahrrad fort – der beste Weg, sich dazu zu zwingen, langsam zu reisen, Dinge detailliert anzuschauen, ein Gefühl für die sich verändernde Umwelt zu entwickeln und im besten Fall auch ein paar Dinge zu verstehen.
Was genau wolltest du zeigen mit dem “Afrika Projekt”?

Es ging mir um die Wahrnehmung einer Veränderung: weg von einer geografischen, hin zu einer digitalen Wüste, von der High- zur Low-Technologie sozusagen. Ich wollte zeigen, wie unterschiedlich Technologie genutzt werden kann, die in ihrer Komplexität für uns inzwischen eine völlige Normalität darstellt.
Was von deinem Projekt hast du bei dem Fotofestival “Rencontre d’Arles” gezeigt, wo du einen Nachwuchspreis gewannst?
Ich habe nur einen sehr kleinen Teil des Projektes gezeigt. Es ging dabei speziell um Leitsysteme in der Wüste. Dort ist es so, dass niemand vorbeikommt, um Müll einzusammeln, jeder hinterlässt einfach das, was er nicht mehr benötigt. Da sich landschaftlich keine auffälligen Orientierungspunkte abzeichnen, benutzen die Menschen das, was sie umgibt, um Marker als Orientierungshilfen zu setzen. Das ermöglicht ihnen, Wege wiederzufinden, zu wissen, wann sie die Sandstraße zu verlassen haben, um an ihr Ziele zu kommen. Meist werden Steine benutzt, doch man benötigt andere Gegenstände, um seinen Steinhaufen von anderen unterscheidbar zu machen. Also werden Plastiküberreste oder Dosen hinzugefügt, wobei sich weitere Techniken entwickeln, die sicherstellen, dass die entstehenden Marker gegen Wind beständig sind. Diese sehen dann aus wie zeitgenössische Skulpturen in Museen. Wenn man dort entlang fährt, kann man sich gut vorstellen, wie Archäologen irgendwann das Plastik und die Steine dem Mauretanien unserer Zeit zuordnen werden. Irgendwann wird viel Zeit darauf verwendet werden, diese Kunststoffe in ihrer Zusammensetzung zu untersuchen und Rückschlüsse auf verschiedene Jahreszahlen zu ziehen – um unsere Plastik-Kultur zu verstehen.

Was kann man an diesen Markern noch erkennen?
Sie sind ein Spiegel der Gesellschaft. Man findet auf den Skulpturen Indizien dafür, welche Personen zu welchem Zweck die Marker konstruiert hat, zum Beispiel Angelhaken oder ähnliches. Die stammen dann wahrscheinlich von einem marokkanischen Fischer, der seinen Weg gekennzeichnet hat. Oder Benzinkanister, die vielleicht einem Lastwagenfahrer bei seinen Wegmarkierungen halfen – oder Soldaten, die ihren Weg zum Militärcamp wiederfinden wollten.
Wo bist du untergekommen auf deiner Reise?
Ich hatte ein Zelt bei mir. Je weiter ich auf meiner Reise vorankam, desto leichter wurde es für mich, Unterkünfte zu finden. Die Menschen wurden immer gastfreundlicher. Zunächst kam Spanien, dann Marokko und so weiter. Ich wurde oft eingeladen, um bei den Menschen zu übernachten. In Nordafrika angekommen, hätte ich keine einzige Nacht mehr im Zelt verbringen müssen. Den ganzen Tag traf ich Menschen, die mich ununterbrochen einluden. Manchmal wollte ich aber einfach allein sein, in dem Fall bin ich einfach in ein kleines Hotel gegangen.
Seither bist du immer wieder an verschiedene Orte in Afrika zurückgekehrt.
Ja, im Juni 2014 habe ich mit meinem Bruder Lászlò an einer Kunstbiennale in St. Louis in Senegal ausgestellt. Der Organisator war ein Mann, den ich kennengelernt hatte, weil er Skulpturen aus Fahrrädern herstellte. Lászlò und ich haben die Fotografien und Collagen neben seinen Fahrradskulpturen ausgestellt. Die Anwohner haben uns dabei geholfen, sie anzubringen. Es war toll, open air auszustellen, die Dinge auf die Straße zu bringen. Die Anwohner haben uns sogar regelrecht darum gebeten, ihre Hauswände mit unseren Werken zu bekleben, und es war schön zu sehen, wie Leute jeden Tag davor standen und sich über unsere Arbeiten unterhielten.

Wie hast du Asemlash Zeferu kennengelernt?
Asmelash lebt 40 Kilometer entfernt von Addis Abeba, der Hauptstadt von Äthiopien. Ich habe ihn kennengelernt, nachdem ich zurück in Paris war und finanzielle Unterstützung sowie ein Flugzeugticket für meine Fotografien gewonnen hatte. Das Ticket war bis Ende des Jahres 2015 gültig, und ich habe meine Zeit mit Nachdenken darüber verbracht, welcher Schritt der nächste sein sollte. Irgendwann stieß ich über Freunde und Facebook auf Asemlash. Ich beschloss ihn zu besuchen und flog schließlich zu einem Mann, der selbst noch nie geflogen war, was ihn aber nicht davon abhielt, fünfzehn Jahre damit zu verbringen, selbst ein Flugzeug zu bauen. Es war sein Traum. Wir waren in konträren Situationen.

Wie seid ihr euch begegnet?
Wir trafen uns in seinem kleinen Dorf. Er hat dort eine Werkstatt. Der Standort ist sehr praktisch für ihn, er liegt direkt neben der Hauptstadt und verfügt zugleich über ausreichend freie Flächen, auf denen Asmelash sein Flugzeug testen kann. Er bewegt sich zwischen Hauptstadt und Dorf stetig hin und her, um Bauteile auf Outdoor-Märkten zu erstehen. “Mercato” ist der größte Markt dieser Art in Ostafrika, es ist wie eine Stadt in der Stadt mit Bergen von weggeworfenen Dingen, die auseinandergenommen und wiederverkauft werden. Dort kann man wirklich alles finden. Geordnet sind die Dinge nach Material, auch Essen wird dort wiederverwertet. Alles läuft über Tauschgeschäfte, deren Gegenwert nicht zwangsläufig materieller Natur sein muss. Auf den ersten Blick wirkt es sehr chaotisch dort, aber auf den zweiten versteht man, wie gut das System in sich organisiert ist und funktioniert. Wenn man genau hinsieht, bemerkt man, dass die Menschen dort über sehr viel Wissen verfügen, das sich sehr von dem unterscheidet, was wir in westlichen Ländern besitzen. Ich spreche von technischem Wissen mit einem komplett anderen Verständnis. Nichts wird so verwendet, wie wir es uns vorstellen würden.

So wie bei dem Flugzeug von Asemlash.
Ja genau. Er baut ein Flugzeug, aber es gibt keine Flugzeugteile in Äthiopien, die recycelt werden könnten, um ein neues daraus zu bauen. Darum ist es so interessant. Er verwendet zum Beispiel Bauteile alter Autos. Den Propeller hat er aus Teilen einer alten Kreissäge hergestellt, die er mit behandeltem Holz kombiniert. Er erfindet nichts Neues, aber er entwickelt etwas auf einer Low-Tech-Ebene. Er arbeitet seit Jahren an dem Flugzeug, bisher ist es noch nicht geflogen. Viele Menschen aus seinem Dorf halten ihn für verrückt, aber einige, vor allem die Jüngeren, haben begonnen, seinen Traum nachzuträumen. Mittlerweile ist er in ganz Äthiopien für seinen Traum vom Fliegen bekannt und wirklich viele Menschen reisen zu ihm und unterstützen ihn dabei, sein Flugzeug zu bauen. Kürzlich sprach ich mit ihm und er erzählte, dass selbst die Menschen in seinem Dorf ihn mittlerweile akzeptieren. Vermutlich haben sie die Leidenschaft und Hartnäckigkeit hinter seiner Arbeit erkannt, zumal sie ihn sowieso nicht von ihr abbringen könnten. Ich meine, das Flugzeug ist so oft abgestürzt oder vor dem Start zerstört worden – er wird niemals aufhören.

Woher kommt diese Obsession?
Er ist sehr intelligent, er weiß was er tut und warum. Als er ein Kind war, herrschte die große Hungersnot in Äthiopien. Er sah eines Tages ein Flugzeug von der Hilfsorganisation Rotes Kreuz vorbeifliegen, die gekommen war, um zu helfen. Das war das erste Mal, dass er ein Flugzeug sah. Es hat ihn schwer beeindruckt, vermutlich rettete es sein Leben, sicher aber veränderte es sein Leben. Bemerkenswert ist auch, dass sich diese Flug-Obsession schon durch drei Generationen in seiner Familie zieht.
Asmelash bewarb sich dann bei der äthiopischen Flugakademie, aber er wurde wegen seiner Größe abgewiesen. Also studierte er Physik und arbeitete lange im Labor eines Krankenhauses. Er schaute viele Youtube-Tutorials über Flugzeugbau an und bildete sich im Ingenieurwesen weiter. Mittlerweile ist das Außenteil des Flugzeuges fertig gebaut. Er hat aber noch Probleme mit der Motorenkraft. Sein erster Motor war der eines alten Käfers von Volkswagen. Er war viel zu schwer und musste gegen einen anderen ausgetauscht werden. Jetzt wartet er und testet. In westlichen Ländern bestellt man sich alles, was man will und bekommt es vor die Türe geliefert. Auch er könnte einen Flugzeugmotor kaufen, aber er könnte niemals angeliefert werden. Äthiopien ist ein großes Importland, aber eben nicht für alles.

Was ist aus den anderen Studenten seines Jahrgangs geworden?
Ich habe zufällig mit einem früheren Kommilitonen von Asemlash gesprochen. Er hat einen Job in der Schweiz, arbeitet in einem Labor, das sich mit Bestrahlung beschäftigt. Es leben einige von Asemlashs früheren Kommilitonen in Europa, aber er wollte das nie. Seine Meinung ist, dass sein Land vielleicht größere Herausforderungen zu bewältigen hat, dass es sich aber lohnt sie anzunehmen und für seine Träume einzustehen, egal unter welchen Umständen. Man trifft sehr oft Leute in West- und Ost-Afrika, die einen sehr hohen Bildungsgrad besitzen. Ich habe viele Menschen mit einem Doktortitel getroffen, allerdings gehen sie oft Berufen nach, die ihrer Ausbildung nicht entsprechen. Sie arbeiten zum Beispiel in Supermärkten, weil es kein großes Angebot an Jobs für sie gibt.

Hast du dich in deinem Studium frei gefühlt?
Ja und nein. Man konnte sich ausprobieren, aber irgendwie hielt es mich auch vom Reisen ab. Ich wollte schon nach meinem Abitur losgehen. Aber ich war vernünftig. Vielleicht war das ganz gut. Zumindest habe ich viel gelernt, viel abgewogen und auch gelernt, mich zu entscheiden. Im Zweifelsfall auch gegen eine Sache. Mit meinen Fotografien habe ich eine Art und Weise gefunden, Geschichten zu teilen, ein anderes Bild von “Afrika” und den so unterschiedlichen Menschen auf diesem Kontinent zu zeigen. Es gibt so viele motivierte, coole Leute dort. Es ist lebendig, auch technologisch entwickelt sich vieles. Sehr viele Menschen dort besitzen inzwischen Smartphones. Es ist mir wichtig, zu zeigen, dass Afrika ein riesiger, vielseitiger Kontinent ist, der nicht gänzlich getränkt ist von Krieg und Hunger. Ich möchte die Dinge zeigen, die gerade entstehen, die Kultur im Kleinen. Ich möchte zeigen, dass diese Menschen und ihre Perspektiven inspirierend für uns sein können. Ich wünsche mir Respekt gegenüber den Dingen, die sich in diesen Ländern entwickeln und auch für die jungen Menschen, die Dinge in ihren Ländern verändern.
Man muss sich das vorstellen: Die größten Probleme während meiner Reisen nach Afrika hatte ich in Frankreich. Dort versuchten nachts Menschen, in mein Zelt einzubrechen, ich musste mich richtig verteidigen. In Afrika habe ich mein Fahrrad niemals abschließen müssen, ich ließ mein Essen darauf, meinen Computer, meine Kamera. Mach das mal in Paris.

Warum Fotografie?
Ich mag das Narrative. Es geht um Momente, um Perspektiven, es geht um das, was wirklich in diesen Momenten passiert.
Die Fragen stellte Ann-Katrin Gehrmann.

***
Sämtliche Folgen unserer Reihe “Feldforschung”
Hier gibt es weitere Fotos von Camille Szklorz
Wundervoll
Ein wunderbarer Artikel, der von Lebenskraft und Freude zeugt!
Einen Gruß noch an den Herrn mit dem Höhenruder….Meckern geht doch immer noch besser als anerkennen
Titel eingeben
Wie wundervoll. Danke für das Interview mit dieser tollen, wagemutigen, wahrlich kreativen Person, die sich durch intuitive Intelligenz auszeichnet. Es liegt so vieles vor unseren Füßen und wir steigen drüber und beschweren uns in der westlichen Welt über mangelndes Lebensgefühl. Macht es einfach, verzichtet auf Komfort und Luxus und ihr werdet das Leben finden bei Menschen, die nichts besitzen – aber – und das ist wichtig – sich und ihre Träume. Ich bin viel in ‘armen’ Ländern gereist und habe mich nirgends so sicher und willkommen gefühlt wie dort. Toll Camille, mach weiter.
Titel eingeben
Vielen Dank für die an-und aufregende Sonntagmorgenimbett-Lektüre.
Afrika mal ganz anders…
Ich hoffe auf weitere interessante Berichte.
Viele Grüße aus Königstein
Schrott
wenn man sich das Seitenruder ansieht, wir einem schlecht. Das hat nichts mit den verwendeteten Materialien zun tun, sondern ist einfach Schlamperei. Der Bericht ist schlicht kitschig
Titel eingeben
Dieser Bericht ist wirklich sehr gut. Ihr dümmlicher Kommentar zeugt von
mangelnder Reiseerfahrung und von fehlendem Humor. Kann es sein, dass Sie den Sinn des Berichtes nicht verstanden haben?
Sie haben recht
es ist einfach eine tickende Zeitbombe für den Piloten und die Reisenden, wenn es überhaupt auch nur einen Meter fligen sollte. Dass diese Träumerei in Afrika nichts neues ist beweisen schon die früheren Versuche fliegende Maschinen zu bauen. Wie der der Versuch in Bulawayo, Zimbabwe einen Helikopter zu bauen. Es gibt ein Videoaufzeichnung davon, welches sehr amüsant ist.
Klasse!!
auch ich habe in Afrika immer wieder Kinder mit Autos aus Draht und Plastik spielen sehen! Mit Flugzeugen und Schiffen! Alles selbstgebaut. Wenn wir in Europa so viel Innovationsfähigkeit entfalten würden! Diese Begeisterung ist toll.
Aber es gibt auch in Europa solche Leute. Ich wohne in Spanien Nähe Alicante. Hier gibt es eine große Stadt Elche. Und ein Raumfahrtunternehmen! Dieses wurde von Begeisterten aus der Region gegründet, die einen bestimmten Raketentyp verkaufen! Mit unglaublicher Begeisterung!
danke
Für den Artikel!