Auf dem Leipziger Antik- und Trödelmarkt gibt es Nazi-Uniformen und Eiserne Kreuze zwischen 250 und 2.500 Euro. Die Hakenkreuze gehen meist abgeklebt über die Theke. Eine Recherche in der braunen Grauzone.
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Die Tankstelle neben der “Eigenheimstraße” in Leipzig hat noch nicht einmal geöffnet, um den dämmerungsaktiven Jägern Kaffee zu verkaufen. Statt der digitalen Benzinpreis-Anzeige leuchten die Bremslichter unzähliger Autos und Kleintransporter, die in kürzestem Abstand im Reißverschluss auf das rund 190 Hektar große, noch aus DDR-Zeiten stammende “agra”-Veranstaltungsgelände drängen. Uhrzeit: 4:45 Uhr.
Es ist der letzte Samstag des Monats. Egal welcher: Der Antik- und Trödelmarkt auf dem Gelände im Süden der Stadt lädt Trödler aus ganz Europa ein. Die meisten Händler sind auch Käufer. Sie kommen aus den Benelux-Ländern, aus Frankreich, Italien, Tschechien, Polen und aus ganz Deutschland. Teilweise verbringen die Trödler seit 25 Jahren die letzten Wochenenden jedes Monats in Leipzig. Dieser Kreis, der in den Anfangszeiten aus 20 bis 30 Leuten bestand und für den Veranstalter Matthias Seifert mittlerweile „wie eine große Familie“ ist, wächst in den Sommermonaten auf 800 bis 1000 Händler an. Die Idee zu diesem Markt stammt direkt aus der engeren Familie. 1990 blühen mit der Wende die Straßengeschäfte für Trödel und DDR-Plunder auf: „Die wilden Händler mussten zusammengebracht und ihre Aktivitäten kanalisiert werden“, erinnert sich Seifert. Sein Vater organisiert den ersten Trödelmarkt in Leipzig, Standort: Stadion. Zwei Jahre später steigt der Sohn, studierter Physiker, mit ein. Seit 1996 ist der Antik- und Trödelmarkt auf dem “agra”-Gelände heimisch.

Ist die Außenwelt vor fünf Uhr noch im Zwielicht, herrscht in Halle 1 und Halle 2 des “agra”-Flohmarktes eine konzentrierte Energie. Geschmierte Mett- und Marmeladen-Brötchen gibt es im Durchgang. Der Duft von Kaffee, aus großen Kannen gepumpt, mischt sich mit dem Geruch von erhitztem Fett – die große Bratplatte für Thüringer Würste wird vorbereitet. Weiße Tischtücher bedecken die ersten Stände, auf ihnen wird Porzellangeschirr in eine bestimmte Ordnung gebracht. Nebenan stehen geputzte Schaukästen. Die hier in aller Ruhe zu Gange sind, wissen, was sie tun. Der wahrscheinlich umsatzstärkste Handel des ganzen Wochenendes findet gerade statt: der zwischen den Händlern untereinander. Einige, die ihre Stände aufbauen, zeigen sich redselig, sind es aber nur oberflächlich. Die Tür zur Nazi-Wunderkammer im Kofferraum oder zum Keller mit den uniformierten Puppen bleibt verschlossen. Das Milieu der Devotionalien-Händler versperrt sich genauso wie es keinen Zugang zu den Hobbyräumen der Käufer gibt: „Auf dem Markt werden Sie niemanden treffen, der mit ihnen spricht“, sagt die Inhaberin einer örtlichen Antik- und Trödelhalle kurz angebunden. Auch sie macht samstags auf dem “agra”-Flohmarkt ihre Geschäfte. Ein Musikinstrumente-Verkäufer betont: „Das ist Kodex, dass man da nichts weiter erzählt.“
Unter die Trödler mischen sich jetzt unbemerkt die Sammler. Sie sind nicht minder auf der Pirsch. Unauffällig und zielstrebig – jagende Sammler also. Den Blick konzentriert schweifen lassen, diejenigen Stände ansteuern, von denen man schon weiß, dass es eventuell etwas zu holen gibt. Abwägen, überprüfen, der instinktiven Erfahrung vertrauen, zuschlagen. Das alles, bevor die bunten Menschenmassen kommen.
Die Raritäten verschwinden schnell
Das Verborgene ist das Verbotene, nämlich nationalsozialistische und damit verfassungswidrige Symbole: Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke und Parolen, die diesen zum Verwechseln ähnlich sind. Wer solche Propagandamittel „im Inland verbreitet oder zur Verbreitung im Inland oder Ausland herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt“ oder eben „öffentlich […] verwendet“, heißt es in den Paragraphen 86 und 86a des Strafgesetzbuches, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe belegt. Im Verwenden liegt dabei die Lücke. Denn verwendet wird ein Kennzeichen erst, wenn es wahrnehmbar gebraucht wird. „Ist ja verboten, so was musste abkleben“, erklärt der Händler, der hauptsächlich Geigen verkauft – außer in den frühen Morgenstunden. Er weiß, was er nicht darf oder wie er sich zumindest nicht unmittelbar strafbar macht. Dabei zeigt er an seinem Stand auf einen großen metallenen Reichsadler mit Hakenkreuz und ein gusseisernes Porträt von Adolf Hitler, ebenfalls mit Hakenkreuz. Es ist noch keine 5:30 Uhr. Diese Raritäten wird er bald in seinem Autoanhänger verschwinden lassen. Die Sortimente werden später am Morgen vornehmlich aus Orden bestehen, die in den meisten Fällen tatsächlich abgeklebt sind und damit in eine Grauzone fallen.

Ist das Hakenkreuz überklebt, wähnt man sich auf der sicheren Seite. Was nicht zu sehen ist, ist auch nicht da. Alles darf, sofern es nicht öffentlich verwendet und zur Schau gestellt wird. Diese Praxis ist nicht neu, ebenso wenig wie der Umstand, dass die Polizei gelegentlich sämtliche Augen zudrückt, so Joachim Renzikowski vom Lehrstuhl für Strafrecht, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Universität Halle. Die Paragraphen seien unklar, man bleibe „auf die Kasuistik der Gerichte” angewiesen.
Geschichtsbelebung, das Erinnern an etwas, das nicht selbst erlebt wurde und doch Teil der eigenen geschichtlichen Herkunft ist, das ist uralt. Geschichtsinteresse ist übrigens auch die am häufigsten bemühte Begründung, mit der sich Besucher des “agra”-Flohmarkts mit Orden und dergleichen eindecken. Aber können solche Gedächtnisbehälter, die dem Nationalsozialismus entstammen, einfach nur geschichtliche Zeugnisse sein, die auf eine längst vergangene Ideologie verweisen, aber keine mehr bewahren? Ungefährlich und uninteressant? All diese Fragen können wir vergessen. Zumindest zeugt davon der “agra”-Flohmarkt.
Ein ominöser Kodex
Der Markt für Militaria und Nazi-Devotionalien ist lebendig. Leider, bedauert ein Händler und weist mit seinem Blick auf ein Hitler-Porträt. Sichtlich betroffen ist er nicht, denn mit der Nachfrage klingelt seine Kasse. Die Rede ist von horrenden Preisen für Zeugnisse, die in ihrer Bedeutung nach wie vor Menschheitsverbrechen ehren: Uniformen für 600 bis 2000 Euro, Eiserne Kreuze für 250 bis 2.500 Euro.
Einer der Trödler – im Verkaufsgespräch mit einem Interessenten wirft er lachend ein, dass er nur an der Spitze der SS nach Polen einmarschieren würde -, lässt sich zeichnen wie ein Seebär: weißer Vollbart, Kapitänsmütze und dunkelblaue Winterjacke. „Das ist eine Leistung, die mit Orden geehrt wurde. Dafür dass die soundsoviele gegnerische Angriffe in der Luft oder mit dem Panzer abgewehrt haben“, erklärt er. Besonders gefragt? Dem Geigen-Mann zufolge Offiziersdolche: „Wenn man etwas in der Hand hält, von dem man weiß, dass es Hitler oder Göring schon in der Hand hatten…“. Das ist dann mehr Verherrlichung als Geschichtsinteresse.

Ein anderer Verkäufer gibt zu bedenken, dass die Sammler die eigentlichen Kulturbewahrer seien. „Kein Mensch weiß mehr, dass man Bügeleisen früher mit Kohle füllen musste.“ Doch dürfen Bügelkultur-Bewahrer und Uniform-Sammler in einer Reihe stehen? „Ich habe einen Freund, der hat einhundert Uniformen“, erzählt der Instrumente-Händler. „Alle mit Hakenkreuz am Oberarm. Die hängen in zwei Zimmern schön an der Wand. Und dann schaut er die an und freut sich.“
Wie groß darf das Unbehagen sein, wie groß ist die Toleranz und an welcher Stelle sind wir bereit, den Grundsatz der freien Meinungsäußerung einzuschränken? Nach Matthias Kaufmann, Philosoph aus Halle, muss man auch in dieser Frage den Einzelfall betrachten. Doch sei man in Deutschland bei Nazisymbolen eher zur Beschränkung des Rechts bereit als in anderen Ländern.
Je hartnäckiger und konfrontativer man sich dieser Thematik nähert, desto unschärfer werden ihre Konturen. Ein ominöser Kodex, an den sich alle halten, soll das Zwielichtige schützen. Lediglich die saftigen Preise der Angebote bestätigen die große Nachfrage. Die Gesetzeslage ist löchrig und seit der letzten Gesetzesänderung durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 längst überarbeitungsreif. Gerade werden die Kasernen der Bundeswehr nach Wehrmachtsdevotionalien durchforstet. Wird der Fall des Oberleutnants Franco A. etwas ändern? Wann reagieren Staat, Stadt und Veranstalter?
Mitarbeit: Florian Franze, David Knapp und Julia Müller
Es ist böse. Fasst es nicht an!
Deutschland sollte einen etwas weniger ideologisch geprägten Umgang mit seiner Geschichte pflegen. Es gibt sicherlich schlimmere Taten als das Sammeln von “Nazidevolutionalien”. Denn nur menschliche Handlungen sind gut oder böse. Gegenstände sind hierzu nicht in der Lage. Selbst Staaten, die Millionen von Toten während des zweiten Weltkriegs zu beklagen hatten, pflegen einen entspannteren Umgang mit diesen Gegengeständen.
Wer sich als denkender Mensch mit der Geschichte des “Dritten Reiches” auseinandersetzt, wird diesem Regime nur ein barbarisches Gesamturteil ausstellen können. Daher ist jede Identifizierung mit dem Regime als Zeugnis einer intellektuellen Minderleistung oder als bewusste Provokation anzusehen. Aber ist das Sammeln von Orden oder Devotionalien überhaupt als Identifikation mit dem “Dritten Reich” zu verstehen? Ich kann ich die Köpfe der Devotionaliensammler/innen nicht hineinschauen, aber meines Erachtens basiert das Sammeln dieser Gegenstände häufig nicht (vorrangig) auf einer Identifikation. Vielmehr sind diese häufig Ausdruck einer Bewunderung von militärischen Erfolgen und eben keine Identifikation mit der Ideologie des “Dritten Reichs”. Die Bewunderung von militärischen Erfolgen kann man mit guten Gründen als bescheidene Geisteshaltung ansehen. Aber etwas besonders Verwerfliches oder strafbares kann ich darin nicht erkennen.
Sammeln für was?
Was machen denn die Käufer solcher Teile?
Es geht hier glaube ich mehr um das Geschäft und Wertsteigerungen, denn gerade das Verbot in D macht es für Sammler wohl noch interessanter.
Teile aus dem WK 1 werden, obwohl älter, günstiger sein.
Das ist eine hausgemachte farce, denn Verbote erzeugen oft das Gegenteil. So finden diese Utensilien nur noch mehr Beachtung.
Oder hängt sich jeder im Osten heute noch ein “Honecker” ins Wohnzimmer?
Übertrieben
Schon ewig sind wird doch alle genug aufgeklärt und unterrichtet das wir solche Sachen sehen/kaufen können ohne sofort zu einem Hardliner Nazi zu werden! Achja, die Nazis und Mao z.B. haben auch alles verbannt was nicht in ihr Weltbild passte. Alles aus dem 3.Reich zu verbieten ist auch eine geschichtliche Verfälschung. Das Thema wird viel zu sehr aufgebauscht!!
Braune Grauzone
Auch ich habe den alten Offiziersdolch meines Großvaters, dazu seine Offiziermütze bei mir zuhause. Soll ich die einfach wegschmeißen oder beim Verfassungsschutz einsenden, weil da ein Hakenkreuz drauf ist? Mein Großvater hat von 1941 bis 1945 in der Wehrmacht gedient, er hat sein Leben eingesetzt und schwerste Verletzungen davongetragen. Das ist ein bestimmender Teil seines Lebens gewesen, und die Erinnerung an diese Zeit hat er sich in diesen Gegenständen bewahrt.
Natürlich gibt es Rechtsextreme, die sich für solche Gegenstände interessieren, aber es gibt auch schlicht und einfach Sammler. In den USA gibt es eine sehr aktive Szene, die für authentische Ausrüstungsgegenstände der Wehrmacht oder der Roten Armee Unsummen bezahlen. Sind das jetzt alles Nazis (und Kommunisten gleichzeitig)? In England und den USA werden manche Wehrmachtsoffiziere wie z. B. Michael Wittmann geradezu verehrt wie Popstars, oder eben wie ehrwürdige ehemalige Gegner. Das muss man hierzulande ja nicht tun, aber diese Nazijägermentalität, die in jedem als Blumentopf genutzten Stahlhelm den Rechtsterrorismus wittert, ist doch völlig absurd.
Händler
Auf einem anderen Trödelmarkt hatte ich den Eindruck, dass solche Devotionalien vorzugsweise von ostrutopäischen Händlern (Polen, ev. Tschechen) angeboten wurden.
Seitdem
die Händler dort immer stolzer darauf werden, Deutsche zu sein, gehe ich da nicht mehr hin.
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Das Problem sind nicht die Sammler von Nazi-Kram – es gibt da übrigens eine Menge Fälschungen und Nachbauten – sondern die neuen Rechten, gern aus der Dresdner Ecke, da wanzt sich Pegida an die AfD und umgekehrt.
Führer & Duce, Stalin, Berija et al.
Wenn Sie nach Norditalien kommen, dann machen Sie einmal einen Abstecher nach Predappio gar nicht weit von der Adriaküste, da können Sie richtig was erleben! Oder in Georgien: Stalin an vielen Wänden.
Lasst sie sammeln, ...
… denn Hunde, die sich verkleiden, beißen nicht.
"Devotionalien" bei der BW
Völlig aufgebauscht das Alles. In der Kaserne, in der ich Wehrdienst leistete, gab es auch noch ein paar Ausstellungsstücke aus verschiedenen Zeiten, auch 3. reich. An denen wurde dann erklärt, wie militärisches Gerät sich verändert mit der Zeit und warum. Hier gehts schliesslich um eine Armee, da darf so was nicht fehlen. Das Wort Devotionalie beinhaltet ja Verehrung und Begeisterung. Die gabs da definitiv nicht. Aber egal, es muss ja momentan eine Rechtsradikale Sau durchs Dorf getrieben werden und die Nachrichten füllen, so in Wahlzeiten… Wahrscheinlich werden demnächst auch Kâfer und Porsches von den Strassen getilgt, da Abstammung vom KdF Wagen…
Dann waren Sie
also an der fraglichen Kaserne und wissen daher, dass es sich lediglich um die Ausstellung militärischen Geräts handelt?
Egal
Es ist eine unglaubliche Infantilisierung erwachsener Menschen, diesen lächerliche Symbole per Gesetz zu verbieten, so, als erzeuge der alleinige Anblick dieses Trödels in den schwachen Gemütern des Volkes bereits braungefärbte Revanchegedanken.