Das Rhodes Scholarship und das All Souls Fellowship gehören zu den höchsten Auszeichnungen für Studenten an der Universität Oxford. Max Harris hat beide bekommen. Ein Gespräch auch über die dunklen Seiten seiner Stipendien.
***
F.A.Z.: Wie fühlt man sich, wenn man zwei derart begehrte Stipendien zugesprochen bekommen hat – gilt eines allein doch schon als große Auszeichnung?
Max Harris: Ich möchte nicht ausweichend klingen, aber es ist mir wichtig, gleich am Anfang zu vermerken, dass mein Hintergrund es sicherlich einfacher gemacht hat, beide Auszeichnungen zu erhalten. Meine Eltern haben beide eine sehr gute Bildung genossen und ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, den man vermutlich als recht intellektuell bezeichnen würde. Wir waren von Büchern umgeben. Gleichzeitig war unser sozio-ökonomischer Hintergrund dafür verantwortlich, dass ein Studium in Oxford viel mehr auf meinem Radar war als bei anderen. Beide Faktoren haben dafür gesorgt, dass ich mir Letzteres zugetraut habe. Davon jedoch einmal abgesehen bin ich natürlich sehr glücklich über die finanzielle Förderung, die mit beiden Auszeichnungen einhergeht, eine Förderung, die es mir über einen langen Zeitraum ermöglicht, meinen Interessen nachzugehen. Besonders in der Wissenschaft werden viele durch einen Mangel an Sicherheit und Anstellungsmöglichkeiten zurückgehalten. Ich kann mich sehr glücklich über diese absolut ungewöhnliche Unterstützung schätzen.
Wirst du aktuell von beiden Institutionen parallel gefördert?
Nein. Das Rhodes Scholarship beschränkt sich auf zwei Jahre und ich habe damit von 2012 bis 2014 zwei Masterstudiengänge in Oxford finanziert. Auf das All Souls Fellowship bin ich dann, um ganz ehrlich zu sein, eher durch Zufall gestoßen. Eigentlich hatte ich 2014 schon einen Flug zurück in meine Heimat Neuseeland gebucht und hatte gar nicht geplant, das berüchtigte All-Souls-Examen abzulegen. Ich hatte jedoch ein Herzproblem, welches sich zum damaligen Zeitpunkt zu einem recht schwerwiegenden Gesundheitsrisiko entwickelt hatte. Ich musste mich noch in Oxford einer Operation unterziehen. Also strich ich meinen Flug und beschloss danach kurzerhand, die Prüfung mitzumachen. Vermutlich dank meines Hintergrunds habe ich dann, zu meiner großen Überraschung, irgendwie diese Prüfung bestanden und beschloss dementsprechend in Oxford zu bleiben.
Warst du nervös während des Auswahlprozesses? Die Prüfung besteht ja darin, dass man zuerst eine Klausur schreibt und anschließend zu einer mündlichen Prüfung eingeladen wird, bei der “all Fellows” des Colleges Fragen stellen dürfen – Leute, die zur Elite des Landes gehören.

Es ist in jedem Fall nervenaufreibend. Ich erinnere mich daran, wie ich außerhalb des Prüfungsraums saß, bevor die Prüfung begann. Mein Interview sollte direkt nach der Kaffeepause der Fellows stattfinden, und so musst ich allen Fellows dabei zusehen, wie sie einzeln in ihren Gewändern in den Raum zurückkamen – was rund fünf Minuten gedauert hat, weil es so viele waren. Es hatte aber auch einen gewissen Nervenkitzel, dieses Interview. Ich hatte nicht erwartet, es überhaupt so weit zu schaffen und meine damalige Freundin und ich bekamen einen gewaltigen Lachanfall, nachdem ich die Nachricht erhielt, dass ich zum Interview eingeladen worden war.
Die Tatsache, dass sie dir nur Fragen zu dem, was du in der Prüfung geschrieben hast, stellen dürfen, macht es etwas weniger angsteinflößend, aber es war definitiv nicht leicht. Was mir vermutlich am meisten geholfen hat, war, dass ich nur wenige der Fellows kannte. Zum Beispiel wurde ich von einem der Fellows gefragt, was ich von Parlamenten halte und meine Antwort war recht kritisch. Erst später habe ich herausgefunden, dass das John Redwood MP war, ein bekannter konservativer Abgeordneter. Ein britischer Student wäre sich sicherlich darüber im Klaren gewesen, dass er gerade von einem Parlamentarier gegrillt wird.
Lass uns etwas mehr auf die dunkleren Seiten von All Souls und des Rhodes Scholarships eingehen. Beide wurden in der Vergangenheit immer wieder für ihren Bezug zur Sklaverei kritisiert (siehe auch die beiden Erklärtexte am Schluss des Interviews). Wie selbstkritisch gehen diese Institutionen und ihre Mitglieder mit dieser dunklen Vergangenheit um?
In der Geschichte des Rhodes Scholarships gab es immer wieder Zeiten der Reflexion über die Ursprünge des Scholarships, vor allem durch Rhodes Scholars aus Zimbabwe, Namibia, Südafrika und anderen Ländern, in denen Cecil Rhodes aktiv war. Es gab jedoch meiner Meinung nach keine dauerhafte oder systematische Zeit der Reflexion, bis die „Rhodes Must Fall“ Kampagne viele dieser Themen aufgegriffen hat.

Über „Rhodes Must Fall“ wird immer wieder berichtet, viele wissen jedoch nicht genau, worum es sich handelt. Du warst aktives Mitglied – was genau müssen wir darüber wissen?
Die Rhodes-Must-Fall-Kampagne begann an der Universität von Kapstadt in Südafrika, mit dem ursprünglichen Ziel, eine Statue des Politikers und Kolonialherrn Cecil Rhodes zu entfernen. 2015 kam die Kampagne dann auch nach Oxford. Einer der größten Verdienste der Bewegung ist, dass sie Debatten innerhalb Oxfords und der Rhodes Community angestoßen hat, darüber, ob Oxford und seine Institutionen sich genügend mit der Vergangenheit dieser Einrichtungen auseinandergesetzt haben. Hier hat sich seitdem viel verändert. Es stimmt, dass es unter denen, die mit dem Scholarship zu tun haben oder selbst Empfänger waren, noch einige gibt, die eine Verteidigungshaltung an den Tag legen, die ich unbegründet finde. Ich verstehe, dass das Scholarship nicht nur eine akademische Auszeichnung, sondern auch eine Art Marke ist und deshalb viele recht sensibel in Bezug auf den Ruf des Rhodes Scholarships sind. Es gibt immer noch Luft nach oben, wenn es um größere Offenheit geht, und den Willen, sich der Vergangenheit zu stellen.
Wie bist du zu Rhodes Must Fall gestoßen?

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich wenig über Cecil Rhodes’ Verbrechen wusste, als ich das Stipendium erhalten habe. Nachdem ich in Oxford angekommen war, habe ich dann mehr darüber gelernt, besonders von südafrikanischen Akademikern. Mein Engagement bei Rhodes Must Fall war zum einen dadurch motiviert, dass ich das Gefühl hatte, dass alle Rhodes-Stipendiaten sich über die Geschichte des Stipendiums bewusst sein sollten. Zum anderen kannte ich einige, die die Kampagne ins Leben gerufen hatten. Anfangs war ich recht unsicher, ob es angebracht ist, mich als weißer Student in eine Kampagne einzumischen, die sich vornehmlich auf „black voices“ in Oxford konzentriert – wobei ich natürlich nicht behaupten kann, für diese sprechen zu können. Eines der anderen Mitglieder hat mir jedoch erklärt, dass schwarze Studenten nicht die doppelte Last des Rassismus’ schultern sollten – auf der einen Seite Rassismus ausgesetzt zu sein und gleichzeitig auch noch jedes Eintreten dagegen alleine bestreiten zu müssen. Wenn weiße Studenten auf die taktvolle Art und Weise und mit der Erlaubnis der schwarzen Studenten mithelfen, ist dies meiner Meinung nach etwas Positives.
Was hat die Kampagne bisher erreicht?
Rhodes House hat bekräftigt, dass sie sich den Ergebnissen der von Rhodes Must Fall angestoßenen Diskussionen verpflichtet fühlen, also einer Dekolonisierung von Lehrplänen, einem Entgegenwirken bei der Unterrepräsentierung von schwarzen Studenten und Akademikern und der Umsiedlung der Statuen von Cecil Rhodes, dem Kolonialherrn und Gründer des Stipendiums. Sie haben jedoch auch verlauten lassen, dass sie mit den Methoden und der Sprache der Bewegung nicht einverstanden sind. Ich hoffe, dass die Kampagne zu mehr direktem Einsatz vonseiten des Rhodes House führen wird. Es gibt Diskussionen, die geführt werden müssen, zum Beispiel wie viele Stipendien an Südafrikaner gehen und wie Rhodes House mit seiner eigenen Vergangenheit umgeht.
Sind die Rhodes Scholars, die Cecil Rhodes kritisieren, nicht etwas scheinheilig? Und wie hat die Rhodes Community auf die Kampagne reagiert?
Ich finde nicht, dass ein Widerspruch darin besteht, das Scholarship anzunehmen und gleichzeitig gewisse Aspekte des Mannes zu kritisieren, der dieses finanziert hat. Ganz im Gegenteil, ich denke es ist die Pflicht, dass diejenigen, die von diesem Geld profitieren, sich der begangenen Verbrechen bewusst sind und zur Wiedergutmachung derselben beitragen. Die Reaktionen innerhalb der Rhodes Community waren vielfältig. Einige sehen es ähnlich wie ich als ihre Pflicht, für die Sache der Kampagne zu werben. Natürlich gibt es aber auch diejenigen, die Rhodes Must Fall entgegenstehen, und es gab durchaus auch Fälle, die man als scheinheilig bezeichnen könnte.

Was hältst du von Vorwürfen, dass Rhodes Must Fall sogenannte „safe spaces“ schaffen will und Geschichtsklitterung betreibe?
Es wird immer wieder behauptet, dass die Forderung, die Statue von Cecil Rhodes an einen anderen Ort zu bringen, die Geschichte auslöschen oder verzerren will. Rhodes Must Fall hat jedoch immer wieder betont, dass es hierbei nicht um die Auslöschung von Geschichte geht, sondern die Statue in ein Museum verbracht werden soll, in dem der Kontext und die ganze Geschichte von Rhodes und seines Vermächtnisses erklärt werden kann. Wenn überhaupt, dann wurde die Geschichte Oxfords bis vor Kurzem verzerrt und schöngefärbt. Was die „safe spaces“ betrifft: Es stimmt, diesen Vorwurf hat es immer wieder gegeben. Das Argument dabei war, dass es sich bei Rhodes Must Fall um hypersensible Studenten handele, die die Rede- und Meinungsfreiheit einschränken wollen. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass die Universität zuweilen selbst recht restriktiv reagiert hat. Zum Beispiel hat der Kanzler, Lord Patten, öffentlich verkündet, dass Studenten, die sich bei Rhodes Must Fall engagieren, doch lieber woanders studieren sollten. Unser Standpunkt war, dass es, wenn überhaupt die Universität selbst ist, die einen „safe space“ kreieren will, einen Raum, der frei von schwierigen und unangenehmen Debatten ist, die unserer Meinung nach geführt werden müssen.
Würdest du vor diesem Hintergrund sagen, dass Rhodes Must Fall erfolgreich war?
Das Hauptziel wurde bisher nicht erreicht. Die Statue von Cecil Rhodes steht immer noch, was bedauernswert ist. Der Hauptgrund dafür waren die Drohungen von Spendern gegenüber Oriel College, an dessen Fassade die Statue angebracht ist. Ich bin sehr enttäuscht, dass wir den Erfolg der Kampagne nicht hieran messen können.
Andererseits hat Rhodes Must Fall einige sehr wichtige Debatten in Oxford angeschoben, obwohl noch immer zu viel Trägheit und mangelnder Wille bestehen, diese Debatten in konkrete Handlungen umzuwandeln. Was generell positiv an der Rhodes-Must-Fall-Bewegung war, ist die Tatsache, dass sie die Aufmerksamkeit, insbesondere der Medien nicht nur exklusiv auf Rhodes fokussiert hat. Die Bedenken und Kritikpunkte haben auch andere Bereiche der Universität erfasst, zum Beispiel die Codrington Library am All Souls College, wo man sich aktuell eingehend mit der eigenen Vergangenheit befasst.
Lass uns zum Ende unseres Gesprächs noch einmal zu dir zurückkehren. Das All Souls Fellowship gewährt Freiheiten, die viele Akademiker nicht haben. Wie ist das für dich?

All Souls gibt seinen Fellows sehr großzügige finanzielle Unterstützung, ohne viele Bedingungen daran zu knüpfen. Das ist, gerade heutzutage, sehr ungewöhnlich. Es ist auch bemerkenswert, dass die eigene Arbeit nicht unbedingt akademischer Natur sein muss. Einige Fellows haben zum Beispiel Kinderbücher geschrieben, oder Dokumentarfilme produziert. Ich bin dem College sehr dankbar für seine Unterstützung. Durch das Fellowship kann ich mich auf Themen konzentrieren, die mir wichtig erscheinen, und ich weiß, dass nur Wenige solch ein Privileg genießen. Der Umstand, dass es zwar Unterstützung aber keine direkte „Überwachung“ der eigenen Arbeit gibt – wie bei anderen Institutionen oft der Fall – ist sehr wertvoll und gibt Menschen wie mir die Möglichkeit, die Art von großen Fragen zu finden, bei deren Beantwortung sie hoffentlich einen Beitrag leisten können.
Hast du den Eindruck, dass du aufgrund dieser Auszeichnungen anders behandelt wirst?
Ich versuche mir nicht so viel daraus zu machen, aber es wäre unehrlich zu sagen, dass ich nicht von Zeit zu Zeit anders behandelt werde, besonders in Bezug auf das All Souls Fellowship. All Souls Fellows werden gerne, zu Recht oder Unrecht, auf ein Podest gestellt. Ich mag das nicht. Ich fühle mich nicht wie jemand Besonderes und jeder der hofft, dass dies anders sein könnte, wird von mir enttäuscht werden.
***
Das Rhodes Scholarship ist ein Stipendium für ein Studium an der Universität Oxford und gilt als eines der prestigeträchtigsten Stipendien der Welt. Es geht auf den britischen Unternehmer, Politiker und Kolonialherrn Cecil Rhodes zurück und finanziert sich noch heute größtenteils aus dessen Stiftungskapital sowie Spenden. Das Scholarship wird seit 1902 jährlich, jedoch nur an Mitglieder bestimmter Nationen, darunter auch Deutschland, verliehen. Ehemalige Stipendiaten sind unter anderem Bill Clinton, Richard von Weizsäcker, und der Regisseur Terence Malick. Bisher hat der Rhodes Trust rund 8000 Stipendiaten gefördert. Das selbsterklärte Ziel des Stipendiums ist “to identify and develop leaders to achieve public good.” Noch heute steht das Stipendium wegen seiner späten Aufnahme von Frauen (ab 1977) sowie Rhodes’ Glaubens an die Überlegenheit der englischen “Rasse” in der Kritik.
*
All Souls College ist seit seiner Gründung 1438 ein College der Universität Oxford, das nur aus Fellows besteht, also bereits ausgebildeten Akademikern. All Souls ist eines der reichsten Colleges der Universität, mit einem Vermögen von rund 286 Millionen Pfund. Ein Fellowship gilt als eine der höchsten akademischen Auszeichnungen des Vereinigten Königreichs. Jedes Jahr haben Studenten der Universität Oxford die Möglichkeit, an einem Examen teilzunehmen, dass schon als “die härteste Prüfung der Welt” bezeichnet wurde und aus einem schriftlichen Test sowie einer mündlichen Prüfung besteht. Nur die beiden besten Teilnehmer werden anschließend für sieben Jahre als neue “Examination Fellows” gewählt und erhalten ein großzügiges Stipendium sowie einige weitere Annehmlichkeiten, darunter ein eigenes Büro. Berühmte (ehemalige) Fellows sind unter anderen der Philosoph Isaiah Berlin, die Ökonomen Amartya Sen und Joseph E. Stieglitz sowie die Biologin Angela McLean. Die Bibliothek der Institution geht auf eine Spende des Kolonialherrn, Sklavenhalters und Plantagenbesitzers Christopher Codrington zurück.
Titel eingeben
Interessantes Interview, das den Stil aufzeigt, mit dem dekolonialistische Diskussionen überhaupt fruchtbar geführt werden können: kenntnisreich, zurückhaltend im Ton, kluges Abwägen von Verdiensten und Verbechen der Vergangenheit, mit Geduld und Ausdauer.
Etwas schade ist, dass man nicht mehr über den Hintergrund und die akademischen Schwerpunkte von Max Harris erfährt, welche Masterstudiengänge er abgeschlossen hat usw.
ach ja, das ist doch
historismus pur, plus noch der daraus entstehende vorwurf der scheinheiligkeit an die scholars. hier wird ein thema “gemacht” und man erfährt wenig über die gegenwart der beiden einrichtungen. das ganze ist vor allem deshalb abschreckend, weil es durch und durch moralisierend gehalten ist im ton, die bekannte modedroge des modernen journalismus in der brd und vielen anderen entwickelten ländern. als ob es darum ginge in der welt.
Aufarbeitung der Vergangenheit
Ach ja, es ist immer leichter, sich das eigene Urteil vom Diktator und dem Dogma der Wahl abnehmen zu lassen. Wie schwer, und welche moralische Gratwanderung, ein differenziertes Urteil ausmachen, erkennt man an diesem Interview. Wie einfach es ohne “modernen Journalismus” geht, sieht man z.B. in Russland, wo jede Debatte über historische Fehler durch nationalistische Parolenschreier im Keim erstickt wird. Ohne differenzierte Debatte über die Vergangenheit wird die Zukunft unmöglich gemacht. DAS (also das Gegenteil dieses Interviews, wie man es leider oft in weniger sensiblen Regionen der Welt antrifft) ist scheinheilig.
Beeindruckend
Die abwägende, sehr zurückhaltende Art, in der Max Harris sich in diesem Interview ausgedrückt zu haben scheint, gefällt mir gut.
Aber ich habe den Eindruck, dass gerade Menschen, die so klug, gebildet, denkend sind, sich etwas häufiger als andere ihrer und unser aller Beschränkungen bewusst sind. Sie wissen, dass sie nichts wissen.
Toll, dass es immer wieder solche jungen Leute gibt.