Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Studieren mit Depression

| 22 Lesermeinungen

Martin ist 24 und steht kurz vor dem Abschluss seines Masterstudiums. Was die Sache erschwert: Er leidet an Depression, hat immer wieder Panikattacken. Jeder Tag ist eine doppelte Herausforderung für ihn.

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Meistens kommt es plötzlich, ohne jede Vorwarnung. Martin* wacht dann morgens auf und alles ist grau – selbst wenn draußen die Sonne scheint. An solchen Tagen will er am liebsten nur im Bett bleiben, die Decke über den Kopf ziehen und schlafen. Schlafen, solange bis die Leere verschwindet und die Farben zurückkehren. Es gibt nur ein Problem: An der Universität interessiert es niemanden, ob Martins Depression zurück ist. Die Vorlesung beginnt trotzdem pünktlich um 9 Uhr, der neue Stoff wird trotzdem durchgenommen, egal ob er anwesend ist oder nicht. Das Mühlrad dreht sich weiter, ob mit oder ohne ihn.

Martin weiß das und es macht seine Situation nicht besser. Im Gegenteil, es verstärkt eher noch den Gedanken, in ein gigantisches Loch zu starren. Mit jedem Tag den er versäumt, wird die Angst größer, wächst das Gefühl zu versagen, nutzlos zu sein, für niemanden etwas wert. Sein Kopf wird dann zu seinem schlimmsten Feind. Anstatt ihm zu helfen, sich auf sein Studium zu konzentrieren, für Klausuren zu lernen, oder ihn einfach wie viele anderen Studenten die Zeit an der Universität genießen zu lassen, terrorisiert er ihn mit einem Gefühl der tiefen Hoffnungslosigkeit – einer Hoffnungslosigkeit, vor der es, so sagt Martin, scheinbar kein Entrinnen gibt. „Ich hasse meine Depression. Und gleichzeitig ist sie ein Teil von mir.“ Sich selbst nicht dafür zu hassen, dass man so ist wie man ist? „Es gelingt mir nicht immer“, gesteht Martin.

Wie alles begann

Er kann sich noch gut daran erinnern, wie alles begann. „So richtig los ging es eigentlich im dritten Bachelorsemester. Was der genaue Auslöser war, weiß ich bis heute nicht.“ Die Klausuren standen vor der Tür, Martin war gut vorbereitet. Er ist ohnehin ein guter Student, eigentlich keiner, der sich um Klausuren Sorgen machen müsste. Sein Abitur hat er damals mit 1,3 bestanden, der Notendurchschnitt im Studium war immer überdurchschnittlich. Geholfen hat ihm das alles im dritten Semester nicht. Je näher die Klausuren kamen, desto mehr wuchs in ihm das Gefühl, diesmal zu versagen. Gleichzeitig wurde die Welt um ihn herum immer grauer. „Es hat sich angefühlt wie die Einfahrt in einen langen, dunklen Tunnel, bei dem man das Ende nicht sieht, sich schnell aber auch nicht mehr daran erinnern kann, wie es bei der Einfahrt draußen aussah“, erzählt er.

Zwei Wochen vor den Klausuren, sagt Martin, schaffte er es morgens dann kaum noch aus dem Bett. Ans Studieren war schon gar nicht mehr zu denken. Stellenweise lag er stundenlang einfach nur da, bis er überhaupt aufstehen konnte. Mit jedem Tag, der verging, wurden gleichzeitig das Gefühl schlimmer, die Verzweiflung größer, die Gedanken dunkler.

Dass es Hilfsangebote gab, habe er noch aus den Einführungsveranstaltungen im ersten Semester gewusst, erklärt Martin. Zum Arzt oder zur psychologischen Beratungsstelle seiner Universität sei er damals trotzdem nicht gegangen – ein Fehler, wie er heute sagt, doch das Gefühl der Scham überwog. Auf keinen Fall wollte er den offiziellen Stempel „psychisch krank“ aufgedrückt bekommen. Gleichzeitig sei da auch die Sorge gewesen, dass ihn keiner richtig ernst nehme oder er sich, noch schlimmer, alles nur einbilde. Am Ende, so Martin, seien es seine Eltern gewesen, die ihn durch die Klausurzeit gebracht hätten. „Ohne sie hätte ich es nicht geschafft. Ich weiß nicht einmal genau, was sie gemacht haben. Wahrscheinlich hat es geholfen, dass sie einfach stur versucht haben, mich abzulenken und mich auf positive Gedanken zu bringen.“

Bis heute wissen außer seinen Eltern nur einige engste Freunde Bescheid, wie es wirklich in ihm aussieht. An der Uni, sagt Martin, sind sie ahnungslos – er will es so. Die Vorstellung, dass jemand von seinen Problemen wissen könnte, sei ihm peinlich. Außerdem, erzählt Martin, seien psychische Erkrankungen und besonders eine Depression, von der er in seinem Fall sicher ausgeht, in der Gesellschaft seiner Meinung nach oft immer noch mit einem Stigma belegt. „Ich will nicht, dass mich Leute komisch anschauen und mich nur noch als ‘den mit der Depression’ wahrnehmen“. Mindestens ebenso unangenehm ist ihm der Gedanke, dass hinter vorgehaltener Hand über ihn gelästert werden könnte. „Selbst mein bester Freund hat mir in schwachen Momenten einmal an den Kopf geworfen, ich sollte mich doch einfach mal zusammenreißen und mehr lachen, dann würde es mir bestimmt besser gehen.“ Hilfreich seien solche Aussagen nicht, doch Martin macht anderen keinen Vorwurf. Er wisse, wie schwer es für Freunde oder die Familie oft sein könne, mit einem Depressiven umzugehen. Auch deshalb möchte er in der Öffentlichkeit nicht durch diese Brille gesehen werden.

Studieren mit Depression

„Studieren mit Depression und Angststörungen ist eine gewaltige Herausforderung“, erklärt mir Martin, als ich ihn nach seinem Alltag an der Universität frage. „Selbst Dinge, die anderen als vollkommen natürlich erscheinen, können mich wie lähmen.“ Einen Dozenten nach der Vorlesung ansprechen sei zum Beispiel so etwas oder nach der Uni mit der Vor- und Nachbereitung beginnen. „Wenn es mir nicht gut geht, dann kann ich oft stundenlang nicht anfangen, manchmal auch gar nicht. Es kommt mir dann alles so sinnlos vor und ich frage mich, warum ich überhaupt noch etwas tue.“

Am schlimmsten seien die „Attacken“, wie er sie nennt, wenn sie urplötzlich unter dem Tag aufträten. Wie aus dem Nichts überkomme ihn dann eine Wolke aus negativen Gedanken, mitunter kämen ihm die Tränen. „Mein Gehirn macht dann einfach zu.“ Sein ganzes Leben erscheine ihm in solchen Momenten hoffnungslos. „Du bist unnütz, du hast keinen Platz auf dieser Welt verdient“ – das seien die Gedanken, die ihm dann durch den Kopf schössen. Oft helfe ihm in solchen Situationen nur, schnell das Weite zu suchen und nach Hause zu gehen. Der Anblick normaler oder glücklicher Menschen – für Martin in diesen Momenten eine Überforderung.

Medikamente gegen die Depression möchte er nicht nehmen, er habe Angst vor den Nebenwirkungen und davor, ein Leben lang Tabletten nehmen zu müssen. Immerhin, im Laufe der Zeit hat Martin einige Strategien entwickelt, die ihm den Alltag erleichtern.  „Sport hilft, da komme ich auf andere Gedanken oder kann gar nicht groß nachdenken, weil es so anstrengend ist.“ Auch Freunde treffen oder Meditationsübungen könnten dazu beitragen, dass es einem besser gehe. Ein Allheilmittel sei dies alles jedoch nicht. „Es gibt Tage, da kann ich machen, was ich will, und nichts hilft.“

Die Zeit danach

Sein Masterstudium will Martin auf jeden Fall noch beenden, wie es danach weitergeht, weiß er noch nicht. Eigentlich wäre es für ihn längst an der Zeit, sich auf Jobs zu bewerben oder nach einer Promotionsstelle umzusehen. Er sehe ja, was seine Kommilitonen um ihn herum machten. Doch dafür, erzählt er, fehle ihm aktuell die Kraft: „Meine oberste Priorität muss es gerade sein, dass ich mein Studium gut beende, ohne dabei wahnsinnig zu werden.“

Was noch dazu kommt: Martin hat Angst vor der Zeit nach dem Studium. Wie soll er im Job bestehen oder mehrere Jahre Promotion hinter sich bringen, wenn er schon im Studium so schwer mit sich selbst zu kämpfen hat? „Ich kann mir nicht richtig vorstellen, wie das gehen soll. Natürlich ist es dumm, wenn man während des Studiums immer wieder ausfällt, weil im Kopf irgendwas nicht richtig tickt. Aber es ist halt auch kein Problem, wenn ich mal für ein oder zwei Wochen nicht auftauche. In der Vorlesung merkt das niemand.“ Im Berufsleben sei das jedoch nicht mehr so einfach möglich. Die Vorstellung, wegen seiner Erkrankung nicht nur andere, sondern vor allem sich selbst zu enttäuschen, nagt dabei schwer an ihm. „Klar wäre ich gerne so wie alle anderen, also optimistisch und sorgenfrei. Ein Typ, der Bock auf die Zeit nach der Uni hat.“ Doch was er auch tue, es gelinge ihm im Moment nicht.

„Vielleicht fahre ich nach dem Master auch erst einmal lange in den Urlaub und beginne dann eine Therapie“, überlegt er gegen Ende unseres Gesprächs. Eine Freundin hätte ihm dazu geraten, auch seine Eltern fänden die Idee nicht schlecht. Jetzt sei ein guter Zeitpunkt, die Lücke im Lebenslauf lasse sich dann schon erklären. Entschieden hat Martin sich noch nicht.

* Der Name wurde von der Redaktion geändert, inzwischen liegt auch ein ärztlicher Befund über Martins Krankheit vor.

 

Lesen Sie im Uniblog auch: Auf der Campus-Couch psychologische Beratung von Studenten für Kommilitonen


22 Lesermeinungen

  1. Jens sagt:

    Guter Ratschlag der Familie
    Hallo Martin,
    meine Frau ist Psychotherapeutin, Schwerpunkt Verhaltenstherapie.
    Ihr enges soziales Umfeld hat Ihnen einen sehr guten Ratschlag gegeben.
    Depression ist eine Krankheit, die Sie phasenweise stark oder weniger stark im Leben begleiten wird. Sie hat ganz unterschiedliche Ausprägungen. Eine professionelle Begleitung (besonders in anspruchsvollen Lebensumbruchsphasen wie z. B. Studiumsende, Jobwechsel, Scheidung, Geburt & Tod, etc.) durch einen Psychotherapeuten ist sehr sinnvoll.
    Ich persönlich würde Ihnen empfehlen sofort damit anzufangen. Man nimmt ja die Grippemedizin nicht auch erst nach der Grippe und die Wartelisten bei Psychotherapeuten sind aufgrund des staatlichen Kassensitzlizenzsystems (es gibt zu wenig Sitze) besonders für Kassenpatienten oft lang.

    Ich wünsche Ihnen gute Besserung, viel Freude und Erfolg auf Ihrem weiteren Lebensweg.

    Ein kleiner Buchtipp, die auf liebevolle Art die Gefühlswelt der Depression beleuchtet:
    Matthew Johnstone & Ainsley Johnstone: Mein schwarzer Hund

    Und für Ihre Familie & Freundin:
    Matthew Johnstone & Ainsley Johnstone: Mit dem schwarzen Hund leben

  2. Cora sagt:

    Medikation
    Ein guter und wichtiger Text, vielen Dank dafür. Eines muss ich dazu aber anmerken. Dass er keine Medikamente einnimmt, halte auch ich für einen Fehler. Ich selbst habe es jahrelang ohne versucht, doch als ich endlich einen Versuch wagte, war die Erleichterung enorm. Ich kann ihn nur dringend ermutigen, so etwas zu testen.

  3. tobiasschmitz sagt:

    Studium als Ursache?
    Wenn sein Studium in Martin die Empfindung hervorruft das sein Leben hoffnungslos seine Person unnütz ist wieso sollte diese Empfindung als Krankheit behandelt werden und das Studium fortgesetzt? Diese Empfindung der Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit kann auch psychische Reaktion auf das Studium sein. Schließlich waren solche Empfindungen Martin in seinem Leben vor der Universität unbekannt.
    Meiner Ansicht nach Behandlung der Symptome nicht der Ursachen. Martin ignoriert wichtige psychische Signale sein Leben in eine andere Richtung zu lenken. Dort liegt auch langfristige Besserung.

  4. Prof sagt:

    So ist es
    Solche Geschichten sind echt und verursacht durch das verschulte Studium mit hohen Anforderungen an Konformität und Schnelligkeit.

    Solche Leute stützen und bestärken!

  5. Tom sagt:

    gut beschrieben
    Ein guter einfühlsamer Artikel, vielen Dank! Es wird immer schwer bleiben die Probleme unserer Mitmenschen zu verstehen oder “nachzuempfinden”, aber um so mehr wir wissen umso besser können sich die Betroffenen und ihre Umwelt damit zurechtfinden und Linderung ermöglichen. Akzeptanz ist der erste und wichtigste Schritt und oft können weitere folgen.

  6. PHolzwarth sagt:

    Was die Seele essen will...
    … von Julia Ross – Buchempfehlung! Wird nicht jedem helfen, aber manchen bestimmt!

  7. happyduck sagt:

    Antidepressive Medikation
    Martin macht einen gravierenden Fehler, indem er sich nicht auf eine oft wirksame, in der Regel auch gut verträgliche antidepressive Medikation einlässt. Eine solche ist bei der Schwere der geschilderten Symptome in der Regel wirksamer als eine Psychotherapie.

  8. Paul Panther sagt:

    Generation x y und z
    Die heutige Jugend hechelt heute einem gefährlichen, sie selbst zerstörendem Irr-Glauben hinterher …
    Abi, Bachelor, Master …
    Irr-Glaube = jetzt gehts los
    Realität = Schlecht bezahlter SACH-Bearbeiter
    Folge = Un-Zufriedenheit, wenns ganz schlimm kommt Depressionen

    Schon im Studium beginn die Selbst-Täuschung. Knapp 50% werfen sich Pillen ein um durchzuhalten

    Das STUDIUM war mal der Elite vorbehalten. In Fankreich immer noch so
    Da “schaffen” sie den gnadenlos brutalen (Lern-) Stoff oder fliegen raus.
    In Deutschland glauben die meisen mit Anfang 20, sie wären zu höherem berufen. Folge = Überlaufene UNIS. Abschlüsse über deren Wert sich die freie Wirtschaft “totlacht”. Unabhängig von der Qualität des Studiums regulieren Angebot und Nachfrage den Preis … eine Tatsache die bereits im ersten Semester Tod-Geschwiegen wird. Folge: Deutschland akademisiert die SACH-BEARBEITUNG. End-Punkt = Psychische Erkrankung eines überwiegenden Teils der Studenten … lebensange Ausführung vonArbeiten, die ein Abiturient + Berufsausbidung genau so gut, wenn nicht besser hinbekommen hätte … WAS FÜR EIN SELBST-BETRUG

    • working Poor sagt:

      Heute immerhin bessere Transparenz
      Aktuell gibt es hinsichtlich Studien- und Arbeitsbedingungen sowie zu erwartende Bezahlung immerhin eine bessere Transparenz durch Universitäts-, Professoren- und Arbeitgeberbewertungsportale im Internet, während man in der internetlosen Zeit am Anfang der 90er Jahre noch quasi blind in die Fallen von Studiengangsanbietern und Arbeitgebern in Form von geschönten Selbstdarstellungen sowie scheinbare Erhabenheit in Form von gemieteten Gebäuden und Kraftfahrzeugen getappt ist.

      Zudem gab es in den 80er und 90er Jahren eine stark steigende Prosperität in Westeuropa als Anschauungsbeispiel, auf welche man für sich selbst durch das eigene Studium hingearbeitet hat, was sich ab den 00er Jahren jedoch nicht mehr fortgesetzt hat.

  9. Christian sagt:

    Problem erkennen
    Martin hat anscheinend nie gelernt, zu versagen. Er hat nie gelernt, eine 4 zu schreiben. Man darf fallen, muss dann aber wieder aufstehen. Er hat anscheinend seine Erkrankung noch nicht zur Kenntnis genommen, den sonst würde er offener damit umgehen. Er wird akzeptieren müssen, dass der ein oder andere ihn dafür komisch anguckt.

    Eine Arbeit zu finden, solange er seine Probleme mit sich selbst nicht gelöst hat, erscheint mir unmöglich.

    Man darf scheitern. Sobald er das verstanden hat, ist der erste Schritt getan.

  10. sgasch sagt:

    Depression und Alltag
    Als erstes mal allen respekt an ihn das er es dennoch auch mit depressionen schafft zu studieren. Ich denke dass das Problem in der heutigen Gesellschaft ist die niedrige Akzeptanzschwelle von Personen die noch nie mit so etwas zu tun haben. Fakt ist das leben einer depressiven Person ist nicht leicht und erst recht wird es nicht leichter wenn der Druck an den Unis und auch auf der Arbeit staendig waechst. Die Gesellschaft sollte eher daran arbeiten den Druck auf Arbeitnehmer/Student zu verringern als ihn immer weiter zu erhoehen und die Leute die es nicht schaffen weil sie schlichtweg nicht koennen auszugrenzen und zu Diffamieren.

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