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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Gegen falschen Gruppenzwang

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Die Studenteninitiative Dare To Care bringt Psychologie in die Klassenzimmer. Ihre Gründerin, Helene Wittek, erklärt, warum das Projekt in Zeiten von Social Media so gefragt ist.

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Das “Team Berlin” von Dare To Care, Helene Wittek ist die Zweite von links.

„Man kann junge Menschen nicht vor Herausforderungen schützen, man kann sie jedoch darauf vorbereiten und ihnen die richtigen Fähigkeiten mitgeben.“ Mit diesem Motto beschreibt Helene Wittek, Psychologiestudentin der Universität Lübeck, Dare To Care (DTC). Kaum ein Jahr ist es her, seit sie die Studenteninitiative ins Leben rief und schon darf sie sich über die zweite Auszeichnung freuen – den deutschen Arbeitgeberpreis für Bildung. „Es ist krass, wie viel Unterstützung und Zuspruch wir bekommen“, sagt sie, „aber das zeigt auch, wie groß die Nachfrage in der Gesellschaft nach diesem Thema ist.“ Ergänzend zur Schulbildung bietet Dare To Care kostenlose Workshops zum Thema Sozialpsychologie und psychische Krankheiten an, die für Schüler von der 8. Klasse an geeignet sind.

Die Idee kam Wittek während einer Vorlesung über Sozialpsychologie. Die Professorin erzählte von dem so genannten Milgram-Experiment aus dem Jahr 1961. Bei dem Experiment wurde getestet, inwieweit Menschen den Anweisungen einer Autoritätsperson Folge leisten, selbst wenn diese Anweisungen dem eigenen Gewissen widersprechen. In dem Versuch musste die jeweilige Versuchsperson einem Schüler auf Anweisung lebensgefährliche Stromschläge verpassen, obwohl dieser nichts Unrechtes getan hatte. Gut 75 Prozent der Versuchspersonen gaben dem Unschuldigen Stromschläge in einer Größenordnung von bis zu 450 Volt , nur ein Drittel brach das Experiment vorher ab. „Ich hatte noch nie etwas von dem Experiment gehört“, sagt Wittek, „und fragte mich, wieso mir das nicht in der Schule beigebracht wurde.“ Schließlich seien Gruppenzwang und Gehorsam für Jugendliche relevante Phänomene, die es zu hinterfragen gälte. Sie entschloss sich, Psychologie in Schulen zu bringen und fand in ihrem Studienfach schnell Mitstreiter für ihre Idee.

Mittlerweile arbeiten über 70 Studenten, auch aus anderen Studienrichtungen, ehrenamtlich bei DTC. Es gibt mehrere Initiativen in Deutschland, die sich mit psychologischen Erkrankungen, Depressionen oder Suizidhilfe beschäftigen, doch DTC ist die einzige, die von Studenten geleitet wird. „Wäre uns allen das Projekt nicht wirklich wichtig, wäre das alles nicht möglich“, sagt Wittek. Teams sind jeweils in Lübeck, Berlin, Würzburg und Hamburg unterwegs. Die Workshops sind allesamt kostenfrei. Dennoch sind es vor allem Gymnasien, die sich bei DTC melden.

Jeder Schultypus habe seine eigenen Probleme, sagt Helene Wittek. Während in Gymnasien vor allem Themen wie Leistungsdruck und Essstörungen behandelt würden, möchte Wittek die Kurse für Gesamtschulen eher auf das Stärken von respektvoller Kommunikation und auf die Prävention gegen körperliche Gewalt ausrichten. Unabhängig davon ist eine genaue Absprache mit den Lehrern wichtig, um sich auf die jeweilige Klasse einzustellen. „Idealerweise treffen wir uns vorher mit den zuständigen Lehrern“, erklärt Wittek, „besprechen den Workshop und lassen uns Hinweise geben.“ Schüler, die in der Klasse eher ausgegrenzt werden, sollten zum Beispiel bei den Experimenten nicht noch als Versuchsperson hinhalten müssen.

Beeinflussung durch Social Media

„Die Relevanz außerschulischer Aktivitäten bietet den Schülern eine Brücke in die reale Welt“, sagt Gabriel Kurz, Ethiklehrer der 10A des Europäischen Gymnasiums Bertha-von-Suttner in Berlin. Dort werden, wie an anderen Schulen auch, regelmäßig Wandertage abgehalten, um den Stundenplan aufzulockern, das Klassenklima und den Zusammenhalt unter den Schülern zu stärken. Zuletzt hielt DTC in der 10 A einen Workshop zur sozialen Verantwortung, nachdem es im Klassenchat mehrfach zu Situationen gekommen war, die Gruppendruck erzeugt hatten.. Das brachte die Klassenlehrerin Meike Kimmel auf die Idee, Dare To Care als Wandertag-Projekt ins Spiel zu bringen. Die Initiative war ihr zuvor von einer Kollegin empfohlen worden. Zudem überschnitt sich das Angebot mit den Inhalten des Ethikunterrichts von Herrn Kurz. „Der Einfluss von Influencern, Süchte, Überwachung, soziale Netzwerke“, zählt er auf, „sind alles ethische Inhalte.“ Das Urteilsvermögen der Schüler in dieser Hinsicht zu stärken, sei in seinen Augen heutzutage unabdingbar.

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Wittek und ihre Kollegen versuchen, eine gute Mischung aus Experiment, Vortrag und Gruppenarbeit anzubieten. „Wir beginnen den Workshop über soziale Verantwortung mit einem Experiment über Gruppenzwang“, erklärt sie. Danach folgt eine Präsentation über verschiedene Arten von Gruppendruck. Während des Vortrags machen Wittek und ihre Kollegen deutlich, dass es auch positive Arten von Gruppendruck gibt. Als Beispiele führen sie #fridaysforfuture oder auch die von der Afroamerikanerin Rosa Parks ausgelöste Bewegung an – Parks war 1955 in Alabama festgenommen worden, weil sie ihren Sitzplatz im Bus nicht für einen weißen Mitfahrer räumen wollte.

Wittek ist dabei bewusst, dass es sich um Beispiele handelt, die subjektiv als positiv oder negativ wahrgenommen werden. „Wir wollen den Kindern auf keinen Fall irgendwelche Werte, Normen oder Ideologien oktroyieren“, sagt sie, „weshalb wir, bis auf zwei Beispiele, die Schüler selbst nach Phänomenen zum Thema suchen lassen.“ Auch bei dem Vortrag über Social Media und die Beeinflussung durch Influencer fragt Wittek gezielt danach, wen die Schüler selbst als ihr Vorbild sehen und von wem sie sich beeinflussen lassen wollen. „Es geht immer darum zu hinterfragen, was wir tun und wie wir uns anders verhalten könnten“, sagt Wittek.

Große Pläne

Der zweite Workshop von DTC, einer über psychische Krankheiten, wird viel seltener gebucht. „Im zweiten Workshop versuchen wir den Schülern Selbstfürsorge beizubringen“, sagt Wittek. „Achten wir im Alltag darauf, dass es uns gut geht – und was tun wir, wenn das eben nicht der Fall ist?“ Auch hierbei spielen Social Media eine große Rolle. Welches Bild malen wir von uns auf Instagram und Facebook, wer beeinflusst dieses Bild und wie können uns die sozialen Medien krank machen? „Wir sind aber keine Psychotherapeuten!“, fügt Wittek eindringlich hinzu. Für jede psychische Erkrankung, die im Workshop besprochen wird, hat DTC lokale Beratungsstellen herausgesucht, an die sich betroffene Schüler wenden können.

Nach den Workshops gibt es ein zweifaches Feedback. Die Schüler füllen einen Fragebogen aus und können den Workshop-Leitern mündlich Rückmeldung geben, danach setzen sich Wittek und ihre Kollegen noch einmal mit den Lehrern zusammen. „Wir bekommen überwiegend positives Feedback, gerade die Experimente, die eingesetzten Videos und Spiele werden oft gelobt“, sagt sie. Auch Gabriel Kurz will das Projekt weiter im Auge behalten. „Es war ein guter und interessanter Workshop“, sagt er.

Mit dem Geld des Arbeitgeberpreises haben Wittek und ihre Teams vieles vor. „Ab Januar besprechen wir das Konzept für einen neuen Workshop über Rollenbilder, Gender und Sexualität“, sagt sie. Außerdem will sie DTC auch an andere Orte bringen, ins Ruhrgebiet zum Beispiel, insgesamt soll das Projekt noch digitaler werden. Geplant ist ein Ausbau des Instagram-Accounts _daretocare, ein Podcast, ein eigener YouTube-Channel, eine eigene App und einiges mehr. „Das Herzstück“, sagt sie, „werden aber immer unsere Workshops bleiben.“


1 Lesermeinung

  1. Sascha Thierbach sagt:

    Hammer
    Zu hinterfragen „wie“ habe ich es gemacht, dass….
    und was kann ICH jetzt tun, damit es anders wird. Das bringt die Menschen weiter. Danke das es Euch gibt.

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