Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Gendern leicht gemacht

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Binnen-I oder Gender-Sternchen sind für die einen ein Horror, für die anderen eine Notwendigkeit. Johanna Usinger macht in einem Online-Wörterbuch Vorschläge für platzsparende und flüssig lesbare Alternativen.

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Marlies Krämer ist Kunde der Sparkasse Saarbrücken. Und sofern er sich nicht für ein Girokonto bei der Konkurrenz entscheiden sollte, wird er dort auch künftig als “Kontoinhaber” geführt werden. Der achtzigjährige Frauenrechtler ist eine Frau, der Fall ging vor Wochen durch die Medien. Er will nicht mehr hinnehmen, mit dem generischen Maskulinum angeschrieben zu werden, doch das BGH wies kürzlich seine Klage zurück. Die männliche Anrede greife weder ins Persönlichkeitsrecht von Frauen ein, entschied es, noch werde der weibliche Kunde aufgrund seines Geschlechts diskriminiert.

Der Anwalt der Sparkasse, Reiner Hall, hält es nicht für praktikabel, verschiedene Formulare für Männer und Frauen bereitzuhalten, da die zusätzlichen Formblätter zu viel Stauraum benötigten. Jedoch die männliche und weibliche Form in einem Anschreiben zu vereinen, sei auch keine Lösung, da komplizierte Texte dadurch noch komplizierter, geradezu unverständlich würden. Vielleicht sollte Reiner Hall einmal geschicktgendern.de anklicken.

Tücken des generischen Maskulinums

Die Webseite geschicktgendern.de sammelt Formulierungen und Begriffe, mit denen umständliche Formen der geschlechtersensiblen Sprache umgangen werden können. Statt „Kläger“ wird etwa „klagende Person“ vorgeschlagen, der „Kontrahent“ wird zum „Gegenüber“ und der „Kunde” zur „Kundschaft“. Für das Problem von Marlies Krämer und der Saarbrücker Sparkasse gab es nach der Urteilsverkündung noch keine Lösung – beim Begriff „Kontoinhaber“ stand: „noch kein passender Begriff gefunden; senden Sie Ihren Vorschlag über das Kontaktformular (klick)“ -, neuerdings wird “kontoinhabende Person” vorgeschlagen.

© privatJohanna Usinger

Die Betreiber des Genderwörterbuchs ist Johanna Usinger, der kürzlich noch Johanna Müller hieß. Ihr Ziel ist, Menschen zu unterstützen, die aufgrund beruflicher Vorgaben, etwa in Behörden oder Universitäten, gendern müssen. Dort, im Grunde aber in allen Milieus, Berufs- und Altersgruppen, gebe es eine große Skepsis gegenüber geschlechtergerechter Sprache, so Usinger: “Es gibt auch Formulierungen, die nicht lösbar sind.” Sie kann verstehen, dass Binnen-I oder Sternchen in einem Fließtext abschreckend wirken können und den Lesefluss stören. Umso wichtiger ist es ihr, Vorschläge zu machen, die verständlich, platzsparend und flüssig lesbar sind.

Das generische Maskulinum ist im Deutschen ein hart umkämpftes Phänomen. Es bedeutet in der Regel, dass bei der Nennung eines linguistischen Maskulinums weder „sex“ noch „gender“ gemeint sind, also nicht Männer genannt und Frauen mitgemeint werden. Gemeint sind stattdessen weder Mann noch Frau, sondern vielmehr eine unbestimmte Gruppe: „Der Vogel ist kein Säugetier“ oder „Der Bürger darf wählen“. Das Genus, das zwar auch bei Objekten und abstrakten Begriffen nicht zufällig zugeordnet ist, kommt dort jedoch zumeist unproblematisch daher, da alle Gemeinten sächlich sind: der Sessel, das Sofa, die Chaiselongue. Bei Personenbezeichnungen korrelieren die Genera jedoch fast immer mit dem biologischen und sozialen Geschlecht des oder der Bezeichneten: die Mutter, der Vater, die Nonne, der Mönch. Bezeichnend dabei ist auch die Ausnahme „das Mädchen“, dessen Genus bestimmt auch kulturhistorische Gründe hat.

Das Problem mit dem generischen Maskulinum ist, dass das biologische Geschlecht eben doch mitgedacht wird, und zwar nur das männliche. Um dies zu verdeutlichen, wurden Marlies Krämer und Johanna Usinger eingangs als „Frauenrechtler“ und „Betreiber“ beschrieben. Hier, wenn von Individuen die Rede ist, zeigt sich, dass das linguistische Genus unsere Wahrnehmung nicht nur marginal prägt. Folgende Erzählung offenbart, wie stark das generische Maskulinum gesellschaftliche Strukturen abbildet: Ein Vater bringt seinen Sohn nach einem Unfall ins Krankenhaus. Der dortige Chirurg sagt, dass er nicht imstande sei, den Jungen zu operieren, denn: „Er ist mein Sohn.“ Irritierend ist die Geschichte, da zunächst kaum eine Leserin (männliche Leser mitgemeint) den Chirurgen als Frau denkt.

Wenn schlicht der Platz fehlt

Eine Studie der FU Berlin aus dem Jahr 2015 mit 591 Grundschülerinnen und -schülern kam zu dem Schluss, dass Kinder, insbesondere Mädchen, sich weniger zutrauen, einen Beruf zu erlernen, wenn er nur im Maskulinum (Dachdecker, Feuerwehrmann) benannt wird. Das liegt, so die Studie, daran, dass er dann von den Grundschulkindern als höher anerkannt und somit als schwerer zugänglich eingeschätzt wird. Wurden die belgischen und deutschen Kinder gefragt, wie relevant der Beruf „Astronaut oder Astronautin“ sei, schätzten sie diesen weniger wichtig und leichter erreichbar ein als bei ausschließlich männlicher Nennung.

„Ich bin in dem Wissen erzogen worden, dass auch Frauen ihren Weg machen“, sagt Johanna Usinger. Sie ist Pädagogin geworden und arbeitet hauptberuflich für das Studentenwerk Schleswig-Holstein. Ihren Arbeitgeber (noch kein passender Begriff gefunden) nennt sie selbst Studierendenwerk. Das Wörterbuch für geschlechtergerechte Sprache betreibt sie in ihrer Freizeit. Seit der Gründung vor gut zwei Jahren ist es von 150 auf 700 Einträge angewachsen, wochentags verzeichnet die Seite mittlerweile 800 Klicks pro Tag. Zusätzlich bloggt Usinger unter derselben Domain zum Thema, etwa über „Männerer“ und „Ampelfrauen“. Als Feministin bezeichnet sich die Dreißigjährige dennoch nicht, das klinge zu sehr nach einem Kampfbegriff. Der Pädagogin ist wichtig, nicht dogmatisch zu klingen: „Natürlich gibt es Bedingungen, unter denen geschlechtergerechte Sprache nur sehr schwer, umständlich oder gar nicht möglich ist“, gibt Usinger zu, „umso wichtiger ist mir, ein niedrigschwelliges Angebot zu schaffen, sich zu informieren.“ Auf Plakaten, die sie für das Studierendenwerk entwirft, muss auch sie auf das generische Maskulinum zurückgreifen, weil für „Tutoren und Tutorinnen“ schlicht der Platz fehlt.

Nochmal anders ist die Lage bei journalistischen oder literarischen Texten. Welches Verhältnis geschlechtergerechte Sprache dort zu Ästhetik und Inhalt einnehmen kann, ist schwerer auszumachen als bei Behördenschreiben oder Werbeplakaten. Als weiterführende Lektüre sind hier die Romane des 1955 geborenen Schriftstellers Thomas Meinecke interessant, in denen Geschlecht in neuartiger Weise verhandelt wird.

Vehemente Gegenreaktionen

Die Universität Leipzig benutzt trotz medialem Gegenwind seit 2013 in ihrer Grundordnung ein generisches Femininum. Was für Universitäten und Sparkassen jedoch noch längst nicht bindend ist, ist dem deutschen Bundestag bereits seit 1991 eingeschrieben:

“Der Deutsche Bundestag hat folgenden Beschluß gefaßt: Die Bundesregierung wird aufgefordert, ab sofort in allen Gesetzesentwürfen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften geschlechtsspezifische Benennungen/Bezeichnungen zu vermeiden und entweder geschlechtsneutrale Formulierungen zu wählen oder solche zu verwenden, die beide Geschlechter benennen, soweit dies sachlich gerechtfertigt ist und Lesbarkeit und Verständlichkeit des Gesetzestextes nicht beeinträchtigt werden.”

An diesem Auszug aus einem 26 Jahre alten Bundestagsbeschluss wird einerseits spürbar, wie flüssig das System Sprache ist, wie schnell also die Normen einer Sprache sich verschieben („Beschluß gefaßt“), aber vor allem, wie unzeitgemäß der Rechtsstreit um „den Kunden“ Marlies Krämer ist. Das Argument, dass die Verständlichkeit eines Textes unter geschlechtergerechter Sprache leide, wurde 2007 von Sprachwissenschaftlerinnen der Universitäten Kiel und Bern untersucht – zwei Jahre, bevor das heute als alltäglich wahrgenommene Verb „twittern“ in den Duden aufgenommen wurde. Egal ob generisches Maskulinum, Binnen-I oder Beidnennung – die Verständlichkeit oder Lesbarkeit war bei allen Probandinnen (Probanden mitgemeint) gleich gut. Der einzige Unterschied: Männer bewerteten die generisch maskuline Textfassung, die sie objektiv am schlechtesten verstanden hatten, am besten.

Das wiederum begründet zwar vielleicht den Widerstand gegen ein Tool wie geschicktgendern.de, doch ist es erstaunlich, mit welcher Vehemenz Männer (und Frauen) die Sprache, wie sie sie erlernt haben, verteidigen. Die Zuschriften, in denen Usinger etwa feministische Sprachideologie oder die Manipulation der deutschen Sprache vorgeworfen werden, gehören noch zu den harmlosen. Im offiziellen Forum des Metal-Festivals Wacken wurde ein Foto und ihre private Anschrift von Usinger gepostet: „In Kiel wohnen nur Verrückte, z.B. die hier“, stand daneben. Da Usinger das Wörterbuch privat betreibt, muss ihre Adresse im Impressum stehen. Dennoch soll das Wörterbuch finanziell unabhängig bleiben, allein um der Anschuldigung „Unsinn auf Staatskosten“ keine Grundlage zu geben.

Platzgründe in der beruflichen Kommunikation will Johanna Usinger jedenfalls nicht mehr gelten lassen als Argument gegen gendersensible Sprache in der beruflichen Kommunikation. Zumal längst mehr Webseiten als Drucksachen gelesen, mehr E-Mails als Briefe geschrieben werden. „Sprache spiegelt die bestehenden Verhältnisse wider, auch in förmlichen Briefen“, betont die Pädagogin „und deshalb ist diese der Schlüssel zur Gleichberechtigung.“ Dass Sprache Realität erschafft, fiel ihr insbesondere auf, als sie Mutter wurde. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kleinfamilie gewann Geschlecht fortan eine noch größere Bedeutung: Welche Rolle nehme ich als Mutter ein, welche wird mir von Kolleginnen zugeschrieben? Warum kümmere vor allem ich mich um den Haushalt und nicht der besserverdienende Vater des Kindes? Wieso schenken die Großeltern meinem Kind nur Bagger und keine Puppen? Fragen wie diese versuchen Usinger und ihr Partner gemeinsam auszuhandeln.

2015 wurde im Schwedischen zusätzlich zu „han“ und „hon“ für „er“ und „sie“ das geschlechtsneutrale Pronomen „hen“ eingeführt. Gäbe es eine Entsprechung im Deutschen, Johanna Usinger würde sie wahrscheinlich nicht nutzen, um ihr Kind anzusprechen. Aber sie würde sehr viel dafür tun, dass ihr Kind bei seiner Kontoeröffnung als der- oder diejenige angesprochen wird, als der*die es sich dann identifiziert.


31 Lesermeinungen

  1. Nara sagt:

    Stilfragen
    Ich bin immer wieder entzückt, wenn Menschen sich kein Stück für Lyrik und Literatur interessieren, aber dann über Sprachklang und Verhunzen einer Sprache sinnieren. Wenn das eine alltägliche Aussage in deren Leben wäre, weil sie so künstlerisch unterwegs sind, wäre das ja noch glaubwürdig. Aber Ästhetik als Argument gegen Gerechtigkeit ist schon eher schwach.

  2. Dr. Gabriele Frings sagt:

    DAS Mädchen und andere Dimi
    “Bezeichnend dabei ist auch die Ausnahme „das Mädchen“, dessen Genus bestimmt auch kulturhistorische Gründe hat.” – Das vielleicht auch, aber das neutrale Genus ist hier vor allem der morphologischen Wortbildung geschuldet. Alle Verkleinerungsformen (Diminutive) von Substantiven, gekennzeichnet durch die Endsilben “-chen” und “-lein” (z. B. das Weibchen, das Bäumchen, das Tischlein), sind Neutrum. “Das Mädchen” ist die Verkleinerungsform von “die Magd” (“das Mägdchen”), wobei im Laufe der Zeit das g weggefallen ist.

  3. Marcus M. sagt:

    Beidnennung Kontoinhaber
    Was spricht denn eigentlich gegen die Form “Kontoinhaber/-in”? Diese etablierte Schreibweise sehe ich in den Debatten nie.

    • Lieschen M. sagt:

      nicht-binär
      weil “Kontoinhaber/-in” nur binäre Geschlechter (weiblich/männlich) einschließt. Gibt aber auch Menschen, welche sich diesen beiden Geschlechtern nicht zuordnen können (s. kürzliche Entscheidung vom Bundesverfassungsgerichts) und dann von dieser Formulierung nicht angesprochen würden.
      kontoinhabende Person würde dieses Problem lösen.

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