Blogseminar

Blogseminar

Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Germanistik ist nicht stumm

| 3 Lesermeinungen

Vor einem Jahr war in verschiedenen Medien eine Krise der Germanistik diskutiert worden. Studierende kamen dabei kaum zu Wort. Wie stehen sie zu der Dauerkritik an ihrem Fach? Eine Umfrage.

***

Sitzmöbel aus Drainage-Rohr auf dem Campus Westend der Johann-Wolfgang-Goethe Universität

„Und was macht man dann damit?“. Diese oder eine ähnliche Frage hat wirklich schon jeder Germanistikstudierende gehört. Einher gehen damit oft zahlreiche Vorurteile von der Weltentfremdung bis zum Karriereende als Taxifahrer. Im vergangenen Jahr wurde die Germanistik-Frage besonders breit diskutiert.  Der Spiegel-Redakteur Martin Doerry rief dazu auf, die „Krise der Germanistik“ endlich anzugehen und machte dabei ein Vorurteil nach dem anderen zum Ausgangspunkt seiner Kritik. Darauf reagierten in der F.A.Z. die Literaturwissenschaftler Steffen Martus, Heinz Drügh, Susanne Komfort-Hein und Albrecht Koschorke sowie in der Zeit Klaus Kastberger. Nur die Germanistikstudierenden selbst kamen nicht recht zu Wort. Wie sehen sie eigentlich die vermeintliche „Krise“ ihres Fachs?

Anna studiert Deutsche Literatur im Master-Studiengang an der Goethe-Universität in Frankfurt. Sie kennt die Debatte um ihr Studienfach: „Sich ständig rechtfertigen zu müssen, ist nicht immer motivierend und führt häufig dazu, dass man weniger mit anderen über das Studium spricht.“ Dabei sei gerade der Austausch mit anderen spannend. Resignation zeigt sie in ihren Antworten auf die immer gleichen Fragen: „Um unnötigen Diskussionen aus dem Weg zu gehen, zähle ich die Beispiele auf, die man auf offiziellen Seiten oder in der Studienbeschreibung findet. – Und, nein, ich werde keine Lehrerin!“ Dabei schätze sie ihr Studienfach eigentlich sehr, denn es vereine ihre Leidenschaft für Sprache und Literatur und sei allgemeinbildend. „Man kann mit einem Abschluss in der Germanistik verschiedene berufliche Ziele erreichen und ist weniger eingeschränkt als bei anderen medienrelevanten Studiengängen.“

Leonie studiert Germanistik im Hauptfach und befindet sich am Ende ihres Bachelor-Studiums an der Frankfurter Goethe-Universität. Sie sieht die gängigen Vorurteile eher gelassen. „Eigentlich stört mich nur, wenn Menschen gleich sagen: ‘Na, willst du Taxifahrer werden?’. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass Germanistik zwischen anderen Wissenschaften oder Studienfächern nicht anerkannt oder als vollwertig betrachtet wird.“ Dass sie auf keinen bestimmten Beruf „hinstudiert“, sieht sie nicht als Problem. „Ich finde jeder, der ein Studienfach studiert, in dem man keinen Beruf vor die Nase gesetzt bekommt, anders als Lehramt oder Jura, ist sehr mutig. Auf der einen Seite sind da natürlich Zukunftsängste, aber da ist eben auch ein großes Entwicklungspotential und es gibt viele Entfaltungsmöglichkeiten.“ Trotzdem ist sie von den sich wiederholenden Vorwürfen genervt und fügt hinzu: „Gibt es die nicht in fast jedem geisteswissenschaftlichen Fach, diese Problemfrage? Was machen Geschichts-, Religions- oder Philosophiestudenten nach dem Studium? Um meine Kommilitonen in der Politikwissenschaft mache ich mir mehr Sorgen als um die in Germanistik.“

Ohne Leidenschaft geht es nicht

Isabel, die im vierten Semester in Frankfurt den Bachelor Germanistik im Hauptfach studiert, weiß ganz genau, was sie nach dem Studium in beruflicher Hinsicht machen will. „Ich studiere Germanistik, weil ich nach dem Studium im Ausland arbeiten möchte, um dort Sprache, Kultur und Literatur meines Heimatlandes zu vermitteln.“ Auch sie schätzt das Fach wegen der vielen Möglichkeiten. „Egal, in welchem Bereich man nach dem Studium einmal arbeitet, das Studium der Germanistik fordert einen intellektuell heraus – es ist in jedem Fall eine Bereicherung für die Persönlichkeit.“

Diese Vielfalt an Möglichkeiten ist oft aber auch Grund zur Kritik. Der Germanistik wird ein „fehlendes Profil“ vorgeworfen. Das sei einer der Gründe für einen Studienabbruch in der gesamten Fächergruppe, wie es in einer Untersuchung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung zum Studienabbruch von 2017 heißt: „Vor allem in den Sprach- und Kulturwissenschaften sind die Ursachen des Studienabbruchs in ungenügender Studienmotivation, in fehlender Fach- und Berufsidentifikation zu suchen. Dies ist einerseits ein Problem unzureichenden Informationsverhaltens der Studienbewerber und, damit im Zusammenhang, falscher Studienerwartungen, aber andererseits dürfte es den Fakultäten auch noch zu wenig gelingen, ihren Studierenden entsprechend motivierende Identifikationsangebote und berufliche Möglichkeiten aufzuzeigen.“

Wie viele berufliche Optionen es gibt, wird anhand von Leonies Werdegang deutlich. „Nach der Schule wusste ich erst mal nicht, welches Studienfach zu mir passen würde: Publizistik oder eher Journalismus oder vielleicht Medienwissenschaften? Aber die Richtung war klar“, erzählt sie. Jetzt würde sie gerne in die Verlagsarbeit einsteigen – eine Umorientierung am Ende des Studiums, die in anderen Fächern nicht so einfach wäre. „Vor allem Kinder- und Jugendbuchverlage kann ich mir sehr gut vorstellen! Ich bin jetzt kurz vor dem Ende meines Studiums und war noch nie so motiviert und so überzeugt davon, dass ich etwas Passendes für mich finden werde.“

Die drei Germanistiktudierenden verbindet, dass sie ihr Fach aus Leidenschaft zur Sprache und Literatur studieren. „Für geisteswissenschaftliche Studien muss man Passion mitbringen, sonst wird daraus nichts“, so Leonie. Dass eine extrinsische Motivation eine eher untergeordnete Rolle für Sprach- und Kulturwissenschaften spielt, legt eine andere Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung nahe. Dort gaben nur 13 Prozent der befragten Absolventen der Sprach- und Kulturwissenschaften an, ihnen seien bei der Studienfachwahl Arbeitsmarktchance, Karrieremöglichkeiten, Einkommen und Ansehen „sehr wichtig“ oder „wichtig“ gewesen. Zum Vergleich: In den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften lag dieser Wert bei 61 Prozent, den Ingenieurwissenschaften bei 55 Prozent und den Naturwissenschaften und der Mathematik immerhin bei 34 Prozent.

Die nötigen Praxisbezüge

Ein Problem damit, Kritik am eigenen Fach zu üben, haben die Befragten dabei keinesfalls. So meint Leonie ohne Umschweife: „Mich stört in der Tat die Vermischung der Germanistik-Veranstaltungen mit denen von Lehrämtlern.“ Zugunsten der Qualität beider Studienrichtungen sei eine Trennung von Vorteil, findet sie. Das hätte weniger Studierende in Seminaren zur Folge sowie ein Fokus auf Didaktik im Lehramtsstudium. Außerdem fände sie ein Pflichtpraktikum wünschenswert, „um Zukunftsängste zu nehmen und Berufsaussichten zu verbessern.“

Anna pflichtet ihr bei: „Generell wären mehr praktische Bezüge, ein Austausch mit Studenten anderer Studiengänge oder Kontakte in die Wirtschaft und zu möglichen Arbeitgebern wünschenswert. Allgemein läuft vieles sehr unstrukturiert ab und neben den Seminaren wäre es abwechslungsreich, wenn es wenigstens hin und wieder eine Vorlesung mehr gäbe.“ Im Gegensatz zu Leonie wäre es Isabel sehr recht, wenn sie als Bachelor-Studentin auch die Möglichkeit hätte, didaktische Veranstaltungen zu belegen. Auch fände sie es schön, wenn „mehr rhetorische Seminare angeboten würden“.

Bemühungen der Universität, Angebote, die mehr Praxisbezug aufweisen zu schaffen, tut Doerry in seinem Artikel in einem Absatz und mit dem Beispiel des Studiengangs Buch- und Medienpraxis ab. Damit entsteht ein völlig falscher Eindruck, insbesondere des Angebots an der Universität Frankfurt am Main. Leonie nennt zahlreiche Beispiele: „Ich besuche gerade ein Seminar zum Berufsbild des Lektors und einen studentischen Lesekreis, in dem wir uns quer durch ältere und gegenwärtige Literatur, von Lyrik über Dramen bis zu Prosa lesen. Man kann auch die Frankfurter Autorenvorlesungen besuchen, die regelmäßig stattfinden. Auch die Verbindung von Literatur und anderen Medien kommt nicht zu kurz. Das schadet der Literaturwissenschaft nicht, sondern erweitert die Perspektive und führt auch zu Interessenserweiterung.“ Als Besonderheit der Universität Frankfurt weist sie auf das Institut für Jugendbuchforschung und den damit verbundenen Schwerpunkt hin. „Dieser Zweig der Germanistik ist unglaublich spannend und wird oft unterschätzt“, sagt Leonie. „Völlig zu Unrecht: Schließlich machen Kinder- und Jugendbücher einen Großteil der in Deutschland verkauften Bücher aus. Dazu waren wir im Rahmen eines Blockseminars auf der Buchmesse, um uns mit Berufen im Bereich der Kinder- und Jugendbuchliteratur auseinander zu setzen.“

Den immer wieder auftauchenden Vorwurf der Weltferne kann sie nicht nachvollziehen. „Wir beschäftigen uns mit kritischen und aktuellen Themen“, sagt Leonie. „Wir setzen uns mit Sprache und Politik oder Literatur und Politik auseinander.“ Isabel unterstreicht besonders die vielfältigen Anforderungen des Fachs: „Ich sehe das Germanistik-Studium als anspruchsvoll an. Meine Kommilitonen sind größtenteils kompetent und intellektuell interessiert, sonst würde man den Studiengang Germanistik definitiv nicht bewältigen können.“ Anna dagegen meint: „Die Gefahr, weltfern zu werden, besteht mit Sicherheit. Zumindest, wenn man nicht die nötigen Praxisbezüge ausbaut.“

„Macht euch bemerkbar!“, hatte Doerry von „den“ Germanisten gefordert, und Drügh, Komfort-Hein und Koschorke hatten geantwortet: „Die Menschen, die sie [die Germanistik] nach dem Studium in die Berufswelt entlässt, sind nicht unbedingt als Germanisten tätig und kenntlich.“ Anna, Leonie und Isabel aber hinterfragen den Ansatz grundsätzlicher. „Warum sollen Germanisten eigentlich prädestiniert sein, um gegen ‘völkische Parolen’ anzutreten, wie Doerry meint?“, fragt Isabel. Und Anna gibt zu bedenken: „Warum wird von uns eigentlich gefordert, ständig Stellung zu beziehen?“ Ähnlich antwortet Leonie: „Zu ‘völkischen Parolen’ kann sich eigentlich jeder kritisch äußern.“ Dann fügt sie hinzu: „Zugegeben: Die Germanistik ist meistens eher eine ruhige Wissenschaft; ruhig heißt aber nicht stumm.“


3 Lesermeinungen

  1. Pham_Nuwen sagt:

    Froschperspektive?
    Wie wäre es denn damit gewesen, AbsolventInnen zu Wort kommen zu lassen? Also jene, die “breit aufgestellt” und “alle Optionen offen” mit der Realität auf dem Arbeitsmarkt abgeglichen haben? Natürlich sollte man im Studium von seinem Fach überzeugt sein. Wie die zahlreichen “Hilferufe” der GermanistInnen bei den einschlägigen Studentenportalen offenbaren, ist das Klischee vom Taxifahrer jedoch nicht allzu weit hergeholt. Wahr ist: Nur ein absoluter Bruchteil wird seinen Lebensunterhalt später als Edelfeder verdienen. Denn: Wie anspruchsvoll und intelellektuell das Studium ist – was interessiert das die freie Marktwirtschaft? Welchen ökonomischen Beitrag leistet der top gebildete Germanist in einer Firma? Nur wenn diese Frage geklärt werden kann, wird der berufliche Werdegang nicht in einer gering bezahlten, fachfremden Verwendung enden.

  2. Cup of Tea sagt:

    Thema verfehlt?
    Geht dieser Artikel nicht an der Sache vorbei? Die Diskussion ging doch nicht darum, ob Germanistikabsolventen einen Arbeitsplatz finden, sondern um die mangelnde Außenwirkung und das Fehlen großer (oder zumindest bekannter) Namen.

  3. Stefan E. sagt:

    Didaktik...
    Didaktik bzw. didaktische Bezüge können alle Germanistikstudierenden gebrauchen, auch solche, die in Wissenschaft, Kulturmanagement etc. unterkommen wollen – denn ohne diese Reflexionsebene fällt doch ein wesentlicher Teil der Inhalte weg. Mit Didaktik sind dabei freilich weniger schulspezifische als vielmehr allgemeine Sichtweisen, Vermittlungs- und Legitimationsmöglichkeiten gemeint.

Kommentare sind deaktiviert.