Viele Schulen sind in kirchlicher Hand. Eine Anstellung als Lehrer ist dort immer noch an eine Mitgliedschaft gebunden. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs könnte die Situation bald ändern.
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Eine Kirche hat Kevin G. schon seit Jahren nicht mehr von innen gesehen. Er gehört zu einer der vielen Karteileichen der katholischen Kirche. Seine Berührungspunkte mit Religion beschränken sich auf das Pflichtprogramm im Katholizismus: Taufe, Kommunion, Firmung. Gläubig ist der 25-Jährige nicht. All diese Etappen unternahm er aus denselben Gründen wie viele: aus Tradition – weil seinen Eltern die religiöse Zugehörigkeit wichtig war. Er selbst beschreibt sich als Agnostiker. Er würde auf die Frage, ob es einen Gott gibt weder mit einem Ja, noch mit einem Nein antworten – denn die Antwort könne niemand wissen. Kevin bleibt aber nicht nur für den Fall, dass es einen Gott gibt, formales Mitglied der Kirche. Für ihn und viele andere kann ein Kirchenaustritt weitreichende berufliche Folgen haben. Nicht nur für Krankenpfleger und Erzieher ist die Kirchenmitgliedschaft bei konfessionellen Arbeitgebern Berufsvoraussetzung. Auch wer vor so mancher Schulklasse unterrichten möchte, muss den Taufschein zücken.
Kevin ist angehender Gymnasiallehrer und steht kurz vor seinem Master-Abschluss. So nah am Studienende beschäftigt er sich damit, an welcher Schule er den Vorbereitungsdienst beginnen möchte und will sich dafür alle Türen offenhalten. „Ich habe die Befürchtung, dass ich mir mit dem Kirchenaustritt Chancen verbaue“, erzählt Kevin, der dieses Vorgehen bereits erwogen hatte. Denn noch immer sind viele Schulen in bischöflicher Hand.
Nicht nur in Hamburg, wo acht katholischen Schulen aus finanziellen Gründen die Schließung droht, gibt es Bekenntnisschulen. Auch in Nordrhein-Westfalen und Teilen von Niedersachsen sind sie fester Bestandteil der Schullandschaft. Allein in dem bevölkerungsreichsten Bundesland besucht so mancher Schüler eine der 900 konfessionellen Grundschulen. Ein Drittel davon liegt in öffentlicher Trägerschaft und wird vollständig aus staatlichen Mitteln finanziert. Trotzdem erfolgt der Unterricht nach den jeweiligen Glaubensgrundsätzen. Schon die Schulprogramme definieren die christliche Erziehung als pädagogische Maxime, die im Alltag omnipräsent sein müsse: verpflichtender Religionsunterricht, bekenntnisorientierte Veranstaltungen, Schulgottesdienste und zum Teil morgendliche Gebete sollen zur religiösen Erziehung beitragen. Entsprechend wird von den Schülern verlangt, Mitglied der jeweiligen Glaubensrichtung zu sein – Ausnahmen kann der jeweilige Schulträger aussprechen. Und auch wer dort als Lehrkraft arbeiten möchte, muss dieses Glaubensbekenntnis abgelegt haben, sagt das Schulgesetz des Landes. Seit der Schulrechtsreform aus dem Jahr 2015 kann in Ausnahmefälle zwar davon abgewichen werden. Der Aufstieg in die Schulleitung ist aber weiterhin nur möglich, wenn man der entsprechenden Konfession angehört.
Unreligiöse Lehrer unterrichten nicht schlechter
Kevin läuft die religiöse Ausrichtung solcher Schulen zuwider. Viel lieber möchte er an einer städtischen Schule ohne konfessionelle Bindung unterrichten, in der Religion allenfalls ein zusätzliches Fach ist und nicht als übercurriculares Element den Schulalltag bestimmt. Doch auch wenn der herrschende Lehrermangel Bewerbern derzeit viel Handlungsspielraum lässt, will er sich nicht in seinen Möglichkeiten einschränken. „Wenn ich jetzt aus der Kirche austrete, würde ich noch zur Zeit meines Studiums Stellen, die ich später antreten könnte, verbauen. Ich würde mir selbst den Markt verknappen“, sagt der Student, in dessen Wunschstadt immerhin zwei der insgesamt zwölf Gymnasien Bistumsschulen sind.
Dass ein damit einhergehender Kompromiss zu Konflikten führen kann, zeigt das Beispiel eines Erfurter Sozialpädagogen, der 2013 von der Caritas gekündigt wurde, weil er im Zuge der Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche aus der Glaubensgemeinschaft austrat. Das Gericht stellte sich auf die Seite der Caritas. Rainer Ponitka hingegen, NRW-Landessprecher vom Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten, sieht die Kläger im Recht und kritisiert konfessionelle Arbeitgeber: „In den überwiegend durch öffentliche Gelder finanzierten Sozialeinrichtungen der Kirche ist es gang und gäbe, gegen den Geist der Antidiskriminierungsbestimmungen hinsichtlich der Weltanschauung ihrer Mitarbeiter zu verstoßen.“ Ponitka weist darauf hin, dass bereits Artikel 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vorschreibe, niemanden aufgrund seiner Weltanschauung zu diskriminieren.
Die Diskrepanz zwischen dem Recht auf diskriminierungsfreie Ausübung der Weltanschauung und der kirchlichen Erwartung an Arbeitgeber, eine Konfession zu haben, erweckte mittlerweile auch das Interesse des Europäischen Gerichtshofs. Nachdem eine konfessionslose Berlinerin wegen religiöser Diskriminierung geklagt hatte, weil sie vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung abgelehnt worden war, stellte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die Praxis auf den Prüfstand. Er kam zu dem Schluss, dass eine Konfessionszugehörigkeit nicht für alle Tätigkeiten vorausgesetzt werden darf. Während bei einer Pastorin die Konfessionszugehörigkeit als „objektiv geboten“ gesehen werden kann, dürften Arbeitgeber weitaus größere Schwierigkeiten haben, zu begründen, warum beispielsweise Ärzte oder Lehrer unbedingt Mitglied einer Religionsgemeinschaft sein müssen, so Ponitka.
Wohl ist ihm dabei nicht
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs begrüßt er als positive Entwicklung. „Ganz sicher wird die Religionsfreiheit mit Füßen getreten, wenn Arbeitnehmer zusätzlich zu ihrer Fachkompetenz auch noch den Taufschein mit zum Vorstellungsgespräch nehmen und ihr Privatleben an kirchlichen Vorgaben ausrichten müssen“, sagt er. Die Kirche dürfe die gesellschaftliche Entwicklung nicht außer Acht lassen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs sei ein Signal. Zwar bleibe die Sonderstellung kirchlicher Arbeitgeber formal unangetastet, so Ponitka, anderseits werde deutlich: „Soweit kirchliche Arbeitgeber künftig einen Rechtstreit vermeiden wollen, müssen sie genau abwägen, ob für die zu besetzende Stelle – zum Beispiel in der Verwaltung, der Küche oder der Raumpflege – die Kirchenmitgliedschaft tatsächlich zur Bedingung gemacht werden kann“. Ponitka rät daher Betroffenen, im Ernstfall auch den juristischen Weg einzuschlagen.
Auch Kevin G. fühlt sich vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs bestätigt. Um seinen künftigen Schülern Naturwissenschaften und politische Bildung zu vermitteln, benötige er keine Kirchenmitgliedschaft – diese sei ein Relikt aus vergangener Zeit. Doch obwohl sich der angehende Lehrer auf der Seite des Europäischen Gerichtshofs sieht, bleibt er skeptisch: „Die Realität dürfte eine andere Sprache sprechen, spätestens beim Einstellungsgespräch könnten diejenigen, die der jeweiligen Konfession angehören, bevorzugt werden.“ Kevin wird aus diesem Grund als stilles Mitglied in der Kirche verbleiben, die Kirchensteuer, die in Nordrhein-Westfalen bei immerhin neun Prozent der Einkommenssteuer liegt, werde er mit der Besoldung eines Studienrats schon verkraften.
Wohl ist ihm dabei aber nicht: Religion sollte – vor allem an Bildungseinrichtungen – kein Grund für eine Bevorzugung oder Benachteiligung sein, weder für die Schüler, noch für die Lehrer, findet er. Kevin hofft darauf, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in absehbarer Zeit einen Umbruch herbeiführt.
@Markus Baum
“Wer sich an einer Schule in konfessioneller Trägerschaft oder an einer sog. Bekenntnisschule bewirbt”
Muss z.T. erst einmal gleicher Konfession sein. So spiegelbildlich ist das nämlich nicht.
Ein Arzt, ob Katholik, Protestant, Atheist, Schiit, Sunnit, kann in einem staatlichen Krankenhaus arbeiten. Dies ist bei staatlich finanzierten, kirchlichen Einrichtungen prinzipiell nicht der Fall.
Auch dann nicht, wenn es in bestimmten Regionen gar keine öffentlichen KKHs mehr gibt.