Nach Hans von Trotha kann es zwar keinen romantischen Garten geben – das Ideal der unendlichen Natur lasse sich nicht einzäunen. Aber der Schlosspark von Altenstein kommt der Idee zumindest nahe. Eine Spurensuche.
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Sieht man im Park Altenstein, 25 Kilometer südlich von Eisenach, die zwischen zwei Felsen schwingende Teufelsbrücke, die kleine Ritterkapelle, den künstlichen Wasserfall und die ebenso künstliche Alpenhütte, so will man gleich das Wort „romantisch“ in den Mund nehmen. Auf der anderen Seiteweist der Historiker Hans von Trotha in seinem Buch „Im Garten der Romantik“ (2016) mit August Wilhelm Schlegel darauf hin, dass für den wahren Romantiker künstliche Gartenarchitekturen lächerlich wirken müssen. Sie könnten immer nur Kopie der unergründlichen Natur sein. Aber nur die Natur selbst führe ins Ungewisse, setze einen der nackten Unendlichkeit aus. In Bezug auf Altenstein möchte man von Trotha entgegnen: Die Felsen sind ja immerhin natürlich gewachsen, es gibt eine Altensteiner Höhle und die balsamischen Fernsichten sind immer schon dagewesen.
In den Parkführern liest man an mehreren Stellen, die Anlage sei „romantisch“ oder „sentimental-romantisch“. Einmal ist auch die Rede vom „romantischen Teich“ im Luisental. Der „Amtliche Führer“ (1997) und das Heftchen über „Georg I.“ (2013) vermischen die Romantik mit der aufklärerischen Empfindsamkeit. Der Park wecke die Einbildungskraft, heißt es hier. Das romantische Programm geht jedoch weiter als die Empfindsamkeit. Als Literaturwissenschaftlerin diskutiere ich beinahe wöchentlich über mein Verständnis des „Romantischen“. Und so viel kann man über den Durchschnittsromantiker vielleicht doch sagen: Er will das Unendliche wahrnehmen, wo der Vertreter der Empfindsamkeit das Diesseitige vertiefen will. Ich bin neugierig, welche romantische Wirkung ich selbst im Park Altenstein erfahren kann.
Für das Blogseminar war ich auf der Suche nach einem romantischen Ort. „Was mit Schlössern“ schwebte mir vor. Ein Freund arbeitet in der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten. Er erzählte mir von Altenstein. Die erste Bildersuche lieferte ein schaurig überspanntes Herrenhaus, 1889 fertiggestellt. Im Stil der englischen Neorenaissance. Nicht das, was ich suchte. „Der Park ist so schön!“, schwärmte der Freund. Und: „Doch, doch, da gibt es Romantik!“ Ich nahm die Spur auf.
Mosengeils Erzählung
Von Trotha sagt, den „romantischen Garten“ könne es nur in der Kunst selbst geben. Den Park Altenstein allerdings gibt es in der Kunst. Ich entdecke eine Erzählung von Friedrich Mosengeil, die Bad Liebenstein und Altenstein zum Schauplatz macht. „Die neuen Arkadier“ (1826) finden sich zunächst nicht als Online-Digitalisat – ungewöhnlich für so einen alten Text –, also grabe ich im Magazin der Unibibliothek. Ich bekomme ein Mikrofiche ausgehändigt.
Die Suche hat sich gelohnt. In Mosengeils Schilderung der Gegend, dessen Anhang die literarische Erzählung ist, verwendet er mehrmals das Wort „höchstromantisch“, meist in Bezug auf lauschige Waldplätzchen mit Fließgewässern. In den „Neuen Arkadiern“ finden sich auch viele typisch romantische Motive. Ungewöhnlich für Texte der historischen Romantik ist jedoch, wie realitätsgetreu der Altensteiner Park abgebildet wird. Ich kann es kaum erwarten, den Ort selbst zu inspizieren.
Thüringer Wald. Ich fahre eine Straße entlang, die so eng und holprig ist, dass ich mir vorstellen kann, ich säße in einer Kutsche. Ich parke an einem Sportplatz. Dann stellt sich nach der Sundowner-Playlist im Auto plötzlich Ruhe ein. Hallender Vogelgesang, Waldteppiche, Wiesenflächen.
Erster Eindruck
Ich folge zunächst den Schildern zum „Luisentaler Wasserfall“. Hier der Wasserfall, dort die Sennhütte. Herzog Georg I. ließ die liebliche Stelle für seine Frau Louise Eleonore anlegen. Ich habe gelesen, dass man dort Angora-Ziegen herumspringen ließ, weil man keine Gämsen zur Verfügung hatte. Diese Szenerie kenne ich schon von Mosengeil: „Man (…) ruhte von der Wanderung unter der Sennhütte an jenem Wasserfalle aus, der den Schweizer St. Preux in den dritten Himmel, das heißt, in seine geliebte Heimath, entzückte.“ Den Protagonisten erscheint das Setting offenbar nicht lächerlich, wie vielleicht von Trotha vermuten würde. Aber diese Alpenlandschaft ist hochgradig künstlich. Rohe, rätselhafte Naturgewalt lernt man hier nicht kennen. Für einen Moment komme ich auf der Bank zur Ruhe.
Ich wandere weiter mit Blick auf den Ort Schweina. Hier ein Haus oder ein Ferienhaus haben, mitten im Wald. Was könnte man dann noch wollen im Leben? Manche von weitem im Dorf sichtbare Privathäuser nehmen das Geweih-und-Alpen-Motiv auf. Zusammen mit den Felsformationen im Wald spricht die Ortschaft ihre Sehnsucht nach der Schweiz aus.
Überhaupt die Felsen. Ein Beschreibungsschild im Park hält es für „bemerkenswert“, dass die Felsen ausnahmslos in die Parklandschaft miteinbezogen wurden. Stimmt!, denke ich, einzelne Felsmonumente überraschen mich immer wieder zwischen den Bäumen. „Alle sind begehbar, von der Sache her“, sagt der “Guide”, der mich später durch den Park führt.
Private Parkführung
Ich bekomme eine Privatführung, denn niemand hat in Corona-Zeiten auf dem Schirm, dass hier Parkführungen stattfinden. Der Guide, ein ehemaliger Geschichtslehrer, unterrichtete an der TÜV-Akademie, die bis heute im Hofmarschallamt untergebracht ist. Seit Ewigkeiten gebe er Führungen im Park. Während unseres Rundgangs wendet er sich immer wieder an umstehendes Publikum, erklärt einer Familie das Höhlensystem, warnt eine junge Frau vor Fledermäusen, schwätzt mit älteren Herrschaften über das ehemalige Hotel und die Zeiten, als das Schloss ein DDR-Erholungsheim war. Schmerzliche Erinnerungen an den Brand 1982. Wir flanieren von Station zu Station.
Oft stehen wir an Aussichtspunkten. Er benennt mir die Berge der Thüringer Rhön drüben. Und beklagt, dass man die Basaltkegel der nun verzackten Berge geplündert habe. Ich sehe Wälder und das Werratal und spüre milden Wind. Sein Lieblingsberg sei der Baier, sagt er.
„Die ganz eigenthümliche ländliche Anmuth, welche, ohne der Kunsthülfe sehr zu bedürfen, sich wie ein Zauberschleyer um diese Gegend legt, offenbart sich selbst dem eilenden Fremdling“, heißt es bei Mosengeil. Wurde der Park auch mit ein paar kleinen Gebäude aufgepeppt, so hat die Gegend doch viele natürliche Vorzüge.
Wenn das nicht romantisch ist
Besonders am Schloss ist es betriebsam. Kein Wölkchen zu sehen, es ist nicht allzu heiß. Kinder watscheln im Fontänenbrunnen herum. Mein Gästeführer strahlt. Nachdem er zu Beginn mehr die geologischen und dynastischen Gegebenheiten Altensteins erläutert hat, dränge ich ihn dazu, mehr auf die romantischen Aspekte des Parks einzugehen. Der Romantiker sei der Herzog Georg I. gewesen, ein aufgeklärter Herrscher, rühmt er. Der habe den Park gestaltet. Später lese ich, dass der Herzog allerdings mehr aufgeklärter Herrscher war als Romantiker, der zwar Kunst und Bildung gefördert, sich aber eher für Jagd und Forst interessiert habe. Immerhin: Der Herzog gab die ersten Parkgebäude um 1800 in Auftrag. Die Frühromantiker konnte er gelesen haben.
Nach der Führung erklettere ich den Felsen zum Chinesischen Häuschen. Um 1800 erbaut, zwischendurch abgerissen, wurde es 2013 wiedererrichtet. Innen riecht es nach frischem Holz. Dann und wann tönen träge die grünen Glasglocken an der Traufe. Geht man durch die Hintertür des Häuschens, kommt man zu einem Quadratmeter Felsenfläche mit imposantem Ausblick. Ein echter Geheimtipp für originelle Dates.
Im Felsen darunter war um 1800 eine Äolsharfe angebracht, deren Saiten im Wind von selbst klangen. Bei Mosengeil wird die Harfe zum Sprachrohr der Natur: Als hätte sie „ein lebendig schlagendes, mitfühlendes Herz, erhob sich jetzt ein linder Hauch aus Osten und berührte die Saiten der Felsenharfe sanft.“ Unheimlich muss das gewesen sein, wenn ein stetes Tönen im Wald auf den einsamen Wanderer wartete. Klar, die Natur wird hier künstlich ergänzt, was Schlegel wahrscheinlich moniert hätte. Aber regt es nicht die Phantasie an, wenn auf dem Hohlen Stein die Glasglocken klimpern und die Windharfe gespenstische Töne von sich gibt? Wenn das nicht romantisch ist, was dann?
Ist das nun romantisch?
Ich komme zum Morgentor, dem Höhepunkt in Mosengeils „Arkadier“-Erzählung, dem „Triumph der Altensteiner Aussichten“. Der vorragende Fels, der steil nach unten fällt, erlaubt wieder einmal einen weiten Blick in die Landschaft. Ich bin in Mittelhessen geboren. Nun überkommt mich eine innige, sehnsüchtige Liebe zu den mitteldeutschen Gebirgen.
Vor den Baumpflanzungen durch Herzog Georg I. war das Plateau um Altenstein offenbar kahl. Unvorstellbar, dass es um 1800 so anders ausgesehen haben muss. Angesichts des Parks, wie man ihn heute vorfindet, will man mit Mosengeil ausrufen: „die ganze Landschaft ist ja ein großer heiliger Tempel der Natur!“ Als ich abends platt im Bett liege, zwinge ich mich, die noch frischen Eindrücke aufzuschreiben. Die Notizen fließen. Nach von Trotha kann es keinen romantischen Garten geben. Romantik sucht die unendlich freie Natur. Aber sollte ich einen romantischen Park im Sinne einer die Phantasie anregenden Natur erfinden, er sähe wohl so ähnlich aus wie der von Altenstein.