Die Inklusion an Schulen ist zum Kampfplatz geworden. Der Trend geht hin zur Förderschule. Aber kann die Debatte fair geführt werden, solange an Regelschulen bei den Ressourcen gespart wird?
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Kein Thema polarisiert in bildungspolitischen Debatten so stark wie die Inklusion. Sie ist zum argumentativen Schlachtfeld konkurrierender Interessen und Einstellungen geworden. Eine Schule für alle, die niemanden ausschließt, mit verschiedenen binnendifferenzierenden Maßnahmen auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schüler eingeht sowie – und das steht im Vordergrund – Menschen mit Behinderung einen Platz inmitten der Gesellschaft gibt, das ist das Ziel des gemeinsamen Lernens. Behinderungen sollen als Teil gesellschaftlicher Normalität begriffen, soziales Lernen und Miteinander gefördert werden. Doch Kritiker betrachten dieses Ideal als gescheitert, teils gar als ideologisches Experiment auf dem Rücken der Kinder.
Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass 2017 4,3 Prozent der Kinder an Förderschulen unterrichtet wurden. 2008 waren es noch 4,9 Prozent. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Kinder mit Förderbedarf. Von 2005 bis 2014 allein ist der Prozentsatz von 5,7 auf 7 Prozent aller Schüler angestiegen, so die Kultusministerkonferenz. Eltern stehen angesichts der aufgeladenen Kontroverse vor einer schwierigen Entscheidung: Welche Schule berücksichtigt das Kindeswohl am meisten? Denn in vielen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg haben Eltern die Wahlmöglichkeit, ob sie ihr Kind an einer Förder- oder einer Regelschule anmelden. Ihre Gründe, weshalb sie sich für die eine oder die andere Variante entscheiden, sind äußert vielschichtig. Hinter jeder Entscheidung steht ein langer, individueller Prozess.
Maike Behrens ist Mutter eines behinderten Kindes. Ihr wurde damals von Lehrern und Sonderpädagogen geraten, ihr Kind an einer Förderschule anzumelden. Dass sie dem gefolgt ist, bereue sie mit Blick auf die Entwicklung ihres Sohnes überhaupt nicht, sagt sie. Er weist autistische Züge auf, hat eine Impulssteuerungsstörung und eine fortschreitende Erkrankung, die ihm immer wieder abverlangt, Rückschritte psychisch aufzuarbeiten.
Inklusion wird nur als Sozialprojekt gesehen
Die Mutter sieht ihr Kind an einer speziell auf seine Bedürfnisse ausgerichtete Förderschule viel besser aufgehoben als einer Regelschule. „Es verlangt fachkompetente Lehrer und Mitarbeiter in jeder Stunde, in jeder Pause, und jeder Unterricht muss letztlich in enger Aufsicht und Betreuung erfolgen“, führt sie aus. Eine Regelschule könne im Normalfall nicht auf diese Ressourcen zurückgreifen – eines der größten Probleme in der gemeinsamen Beschulung behinderter und nicht-behinderter Kinder, wie Eltern und Lehrer gleichermaßen beklagen.
Manche Schulen aber sind eben kein Normalfall, berichtet Rebecca Müller (Name geändert). Sie ist ebenfalls Mutter eines Kindes mit Behinderung, das allerdings eine Regelschule besucht. Für die findet sie durchweg lobende Worte, denn die Schule habe genügend Ressourcen, um kompetent auf die Bedürfnisse der Lernenden eingehen zu können. Dort gebe es Sonderpädagogen, Entspannungspausen, speziellen Förderunterricht etwa für Sport und fürs phonologische Bewusstsein, Hundepädagogik und einen Aufzug. Denn allein die physische Barrierefreiheit ist vielerorts nicht gegeben.
Maike Behrens hat da schlechtere Erfahrung gemacht. Eine Regelschule mit deutlich größeren Lerngruppen könne das, was Förderschulen böten, wahrlich nicht gewährleisten – zumal sie Sorge trägt, ihr Sohn würde sich dort im Unterricht so auffällig verhalten, dass für die anderen Schüler keine Lernzeit mehr stattfände. Eine gängige Befürchtung, wenn es ums gemeinsame Lernen geht. Darunter würde dann auch ihr Sohn leiden, glaubt sie. Schließlich könne er von der Klasse ausgestoßen werden, eine Separation innerhalb der Inklusion eintreten. In der Förderschule aber sei er mittendrin statt nur dabei, habe eine normale Adoleszenz gehabt, eine Pubertät mit Freundschaften und Liebschaften erlebt. „Unter sich zu sein ist nicht nur als Ausgrenzung zu verstehen“, sagt sie.
Behrens hat sich in der Elternarbeit viel mit Inklusions-Konzepten beschäftigt, etliche Diskussionen geführt. Ihre BilanReflexion ist ernüchternd: „Ich hatte oft das Gefühl, dass man die behinderten Kinder eins zu eins durch ein Klassenhaustier hätte ersetzen können und an dem Konzept hätte sich nichts geändert.“ Die Inklusion werde als Sozialprojekt verstanden – nicht als Förderung behinderter Kinder, die doch im Fokus stehen müsste, so wie es zum Beispiel die UN-Behindertenrechtskonvention will.
Länder machen eine Kehrtwende
„Ich finde eine Zwangsbeglückung durch verpflichtende Inklusion genauso schlimm wie eine zwangsweise Aussonderung an Förderschulen“, sagt die Mutter und sieht den Mittelweg der Wahlfreiheit, den viele Länder gehen, als beste Variante. Es gebe Kinder, die sehr wohl ohne Probleme mit differenzierendem Material zielgleich eine Regelschule besuchen könnten. Das sei auch eine Selbstverständlichkeit, sagt sie. Aber letzten Endes brauche es ein durchlässiges System, eine Koexistenz verschiedener Optionen, um allen Kindern die für sie beste Schulbildung zu ermöglichen. Doch entspräche das nicht der teilweisen Aufgabe der Idee der Inklusion, die doch über die bloße Integration ins Schulsystem hinausgehen soll? Bräuchte es nicht erst mal ausreichende Ressourcen, wie sie Rebecca Müller an ihrer Schule sieht? Eine Inklusion auf Sparflamme kann nicht gelingen.
In der deutschen Schullandschaft scheint sich indes eine Kehrtwende in den Inklusionsbemühungen abzuzeichnen. Lange wurden Förderschulen geschlossen, um das gemeinsame Lernen voranzutreiben. Ihr Bestand in Deutschland sank laut Statista von etwa 3500 im Jahr 2005 auf etwa 2900 im vergangenen Jahr. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel setzt man weitere Förderschulschließungen aus. Die schwarz-gelbe Landesregierung fokussiert sich nun auf die vielfach kritisierten Bedingungen, die dem gemeinsamen Lernen nicht Rechnung tragen. Nun müssen Regelschulen strengere Standards erfüllen. Auch der niedersächsische Landtag hat im Frühjahr ein neues Schulgesetz beschlossen, demzufolge Förderschulen für Lernbehinderte auch die nächsten zehn Jahre auf Antrag fortgeführt werden. In Süddeutschland stockt es ebenfalls bei der Umsetzung der Inklusion. Im Saarland scheint der Richtungswechsel am stärksten ausgeprägt: Dort hat die Regierung gar vor, weitere Förderschulen zu eröffnen.
An der elterlichen Wahlfreiheit rütteln die Landesregierungen dabei zwar nicht. Aber während Förderschulen erhalten werden, kommt der Ausbau inklusiver Ressourcen an den Regelschulen ins Stocken – dabei sind es doch gerade die schlechten Bedingungen, die Eltern behinderter Kinder von der Anmeldung abhalten. In der Konsequenz wird sich die Qualität der inklusiven Pädagogik an Regelschulen so nicht verbessern lassen. Dabei ist eine verstärkte pädagogische Förderung entscheidend für das Gelingen der Inklusion. Gießener Erziehungswissenschaftler fordern nun, dass an Förderschulen tätige Lehrer sowie Sozial- und Heilpädagogen zunehmend an Regelschulen eingesetzt werden. Und Elisabeth von Stechow, Professorin an der Julius-Liebig-Universität Gießen, sagt über gute Bedingungen gemeinsamen Lernens: „Wenn die ganzen Ressourcen, die jetzt in Förderschulen sind, in der Regelschule bereitgestellt würden, dann wäre auch dort eine angemessene Beschulung möglich, so wie wir das zum Beispiel in Finnland sehen.“
Dass die Länder verstärkt auf das Gegenteil setzen, dürfte die Rufe über ein Scheitern des gemeinsamen Lernens befeuern – und Inklusionsgegnern zusätzliche Munition liefern.
Ich bin für das abschaffen die Förderschule
Ich ging zur Grundschule auf eine private Förderschule. Für mich war es vom ersten Tag an eine Ausgrenzung und hat meine Entwicklung alles andere als gefördert. Auf der Förderschule war ich zwar Klassenbester, fühlte mich stark Ausgegrenzt und nicht verstanden. Die private Förderschule war natürlich nicht auf den Lernstand einer normalen Regelschule gewesen. Zum Oberschulen -wechsle ging ich dann auf eine normale Realschule und habe dort auch meinen Schulabschluss gemacht. Fragt mich nicht wie ich die Oberschule ohne irgendeiner Hilfe (noch nicht mal Nachhilfe) geschafft habe. Inwieweit die Lehrer auf der Realschule wussten, das ich auf eine Förderschule ging, weis ich nicht. Mich hat keiner darauf angesprochen und ich habe auch mit niemanden darüber geredet. Stolz bin ich nicht darauf, ich leide heute noch wegen der Förderschule.
Ein System wird entlarvt
Die Inklusion ist die Zeigerpflanze, die ein eh schon marodes Schulsystem entlarvt!
Viele Regelschulen waren zuvor schon mit der nicht mehr homogenen Schülerschaft, zu großen Klassen, zu wenig Lehrern, maroden Gebäuden und mehr an der Grenze des Machbaren angelangt…und dann kam “ganz plötzlich ” die Inklusion! Hurra!
Aber anstatt das Schulsystem im Ganzen neu zu überdenken und das Recht eines jeden Kindes auf individuelle Förderung und lernfreundliche Umgebung zu verfolgen, sollen jetzt die Kinder mit Einschränkungen dazwischengeschoben werden und alles wird gut? Das kann niemand wirklich geglaubt haben…
Es müsste genau umgekehrt gemacht werden. Die Förderschulen müssten für “die Normalen” geöffnet werden und neue gebaut werden. Ja, das kostet Geld, aber eine Gesellschaft, in der täglich mehr Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Gründen durchs System fallen, kosten auf Dauer ein Vielfaches mehr!
Läuft :)
Mein Sohn (Trisomie 21) geht in die 3. Klasse unserer (Regel-Schwerpunkt-) Grundschule. Unserer Lehrerin ist super, die ganze Schule motiviert was Inklusion angeht (und erfahren). Es ist oft eine tolle förderlehrerin anwesend und mein Sohn hat Vollzeit eine I-Kraft. Wir sind froh diesen Weg gegangen zu sein und werden ihn weiter verfolgen.
Titel eingeben
Wie schön!
Aus Neugier: Wie oft ist denn die Förderlehrerin da?
Inklusion
Wir haben 2 kinder in einer regelschule und müssen uns auch Tag für Tag durch kämpfen weil Schule und Lehrer nicht damit klar kommen . Ich finde das der Stadt mehr dafür machen muss um solche Familen in solcher Situation zu unterstützen und nicht das denn Schulen überlassen.
Das Wohl der Kinder nicht vergessen
Immer wieder habe ich den Eindruck, dass das Wohl der Kinder bei der ganzen Disskusion vergessen wird.
Selbst wenn alle Ressourcen der Förderschulen in Regelschulen gesteckt würden, so gibt es immer noch Kinder, für die extrem kleine Gruppen, viele Pausen und geschütze Räume unablässig sind. Da kamm das Personal noch so geschult sein? Ein autsit, der mit mehr als 7 Klassenkameraden ünerfordert ist wird ein inklusives Sytem wohl kaum auffangen können. Die Meinung der Mutter, die ihr Kond bewusst auf die FS geschickt hat finde och sehr vernüftig! Die Wahlfreiheit muss gegeben sein! So steht es im übrigen auch im Original der UN BRK. „Das Recht!“ nicht „die Pflicht“ auf gemeinsame Beschulung ist dort gefordert. Würde ich ein Komd mit Behinderung haben, es würde auf eine Förderschule gehen.
Es liegt zudem in der Natur des Menschen, sich mit andern Menschen, die ähnlich denken, ähbliche Probleme habe und aus einer ähnlichen soz. schicht kommen zusammen zu tun. Da ist kein Zwang dahinter. Es hat was mit Wohlfühlen zu tun.
Scheitern kann nur etwas, das versucht wurde
Scheitern, weil die „Länder verstärkt auf nicht inklusive Schulentwicklung „setzen“ – was ist das für eine Logik? Scheitern kann nur etwas, was versucht wurde. Politisch wurde gar nichts versucht. Versuchen tun nur die Schulen, die erkannt haben, was Inklusion für einen Mehrwert für alle bedeutet und die Gelingesbedingungen nicht nur an der quantitativen Personalausstattung mit Sonderpädagogen festmachen, die in der Regel auch nicht inklusiv ausgebildet sind. Komischerweise scheitert Inklusion dort unter den gleichen Rahmenbedingungen wie allerorten nicht.
Rechenexempel
„’Wenn die ganzen Ressourcen, die jetzt in Förderschulen sind, in der Regelschule bereitgestellt würden, dann wäre auch dort eine angemessene Beschulung möglich, so wie wir das zum Beispiel in Finnland sehen.’“
Und jetzt überlegen wir noch mal: die Kräfte von 2900 Förderschulen, die dort gebündelt sind (waren), verteilt auf 15 500 Grundschulen, dazu einige tausend Sekundarschulen. Oh wait…
Schulvielfalt...
Welche Regelschulen? Viele Regelschulklassen haben das Zusatzproblem, dass es keine einheitliche Sprachbasis mehr gibt. Dies erschwert die Kommunikation mit den Inklusionskindern mit geistiger Behinderung zusätzlich und belastet die Lehrer in der Unterrichtsgestaltung.
Eine Unterüberschrift ohne Realitätsbezug
“Die Inklusion an Schulen ist zum Kampflatz geworden. Der Trend geht hin zur Förderschule. Aber kann die Debatte fair geführt werden, solange an Regelschulen bei den Ressourcen gespart wird?” Inklusion ist nicht zum Kampfplatz geworden, sondern der Begriff ist unscharf: Inklusion körperbehinderter Mitschüler ist kein Problem, Inklusion kognitiv Beeinträchtigter ein großes Problem, letztere sind in Förderschulen besser aufgehoben – ich kann viele Beispiele aus der Praxis geben – z.B. die Lehrerin meines Sohnes, die sagt, mit dem Unterricht kann ich erst anfangen, wenn sich meine Mutter (eine pensionierte Lehrerin, die sich freiwillig für Förderunterricht in die Schule ihrer Tochter begibt) der 4 schwächsten Schüler meiner Klasse annimmt. Oder eine befreundete Lehrerin, die erzählt, dass innerhalb von 4 Wochen aus einem Kind, dass sich auf die Schule freute, der Klassenstörenfried wurde, nachdem ihm bewusst wurde, dass es aufgrund kognitiver Defizite in keinster Weise dem Unterricht folgen konnte und die Fortschritte seiner Mitschüler nicht nachvollziehen konnte …. Wahlfreiheit ist bei unvernünftigen Eltern ein Fehler, Schüler müssen dort eingeschult werden, wo sie die größten Fortschritte in der Lerngemeinschaft machen können – nicht dort, wo die Eltern es wollen.