Im letzten Jahr begann Coco de Bruycker ihr Schauspielstudium an der New York Film Academy. Jetzt soll ein Crowdfunding sie nach Los Angeles bringen. Im Interview erzählt die junge Frau mit Spastik über ihr ungewöhnliches Studentenleben.
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F.A.Z.: Coco, wie bist du zur Schauspielerei gekommen?
Coco de Bruycker: Zum ersten Mal auf der Bühne stand ich mit sieben Jahren in der Grundschule und da habe ich gemerkt dass es mir Spaß macht, Worte zu beleben. Danach hab ich ganz klischeehaft angefangen, in der Theater-AG zu spielen. Wir waren zu dem Zeitpunkt nach Mainz gezogen und meine Mutter meinte, dort würde ich Freunde finden. Später hatte ich dann Schauspielunterricht am Schauspiellabor Rhein/Main und an der Scaramouche Academy in Wiesbaden. Beides sind Schauspielschulen, die auf Jugendliche ausgerichtet sind, sodass ich Schauspiel als mein Hobby weiterpflegen konnte.
Und aus dem Hobby wurde dann ein Berufswunsch?
Genau. 2013 wurde ich mit 17 Jahren Mitglied des Jugendclubs am Staatstheater Mainz. Das war auch das Jahr, in dem ich meinen Eltern erzählt habe, dass ich Schauspiel gern professionell lernen möchte. Und meine Mutter hat nie an meinem Talent gezweifelt, aber an der gesellschaftlichen Akzeptanz …
Du hast eine Behinderung …
Ich habe eine Spastik, eine Cerebral Parese von Geburt an. Die Hirnschädigung bekam ich wegen eines Sauerstoffmangels als ich geboren wurde; ich war ein Frühchen.
Aber aus diesem Grund bin ich nach dem Abi nach London gegangen, wollte von Theatern dazuzulernen und Alternativen zum Schauspiel suchen – zum Beispiel Regie oder etwas anderes hinter der Bühne. Mir war und ist wichtig, einfach ernst genommen zu werden.

Wie bist du dann an die New York Film Academy gekommen?
Ich habe in London für die NYFA vorgesprochen. Die tourt durch verschiedene Städte und Länder, um neue Talente zu scouten. Bei der NYFA wird man nur für die Degree-Programme aufgenommen, wenn man vorher das Conservatory durchlaufen hat. Das ist der Zwei-Semester-“Workshop”, den ich vergangenes Jahr in New York gemacht hab. Um wiederum dafür aufgenommen zu werden, muss man vorsprechen mit zwei kontrastreichen Monologen je unter zwei Minuten. Eine Woche nach meinem Vorsprechen kam dann die Zusage samt Teilstipendium.
Das Conservatory-Programm hast du dieses Jahr erfolgreich abgeschlossen. Wie geht es jetzt weiter?
Ich habe mich jetzt für ein Degree-Programm an der NYFA beworben und mit dem ersten Abschluss, dem Associate of Fine Arts, angefangen. Dafür ziehe ich nach Los Angeles. Ob es bis zum Bachelor reicht, wird sich zeigen. Das hängt unter anderem davon ab, wie das Crowdfunding läuft. Einen Plan B hab ich nicht, ich fokussiere mich zu hundert Prozent auf Plan A.
Dank des Crowdfundings konntest du dir auch dein Jahr in New York bezahlen?
Ja, weil es für mich keine Alternative gab. Die meisten Stipendien sind an einen Abschluss gekoppelt und viele Organisationen fördern einen Auslandsaufenthalt nur, wenn man an einer deutschen Uni eingeschrieben ist. Viele meiner Freunde haben für die Uni gespart oder einen Kredit aufgenommen, aber Crowdfunding ist so viel emotionaler – es bringt Menschen zusammen.
Angefangen hatte alles mit einem Teaser-Video, einer Website und der Facebookseite. Online ging alles zusammen im März 2017, und einen Monat später, an meinem Geburtstag, haben wir die erste Crowdfunding-Kampagne gestartet. Innerhalb der ersten zwei Tage kamen schon die ersten 2.000 Dollar zusammen.

Was nimmst du aus deiner bisherigen Zeit in Amerika mit?
Die Amis haben dieses Mantra „Jeder Fehler ist eine Chance“. Ich bin jemand, der immer etwas an sich zweifelt und als ich an der NYFA angenommen wurde, dachte ich, nie wieder so gut sein zu können wie beim Vorsprechen. Aber das letzte Jahr hat mir gezeigt, wie weit ich schon bin und im Endeffekt habe ich gelernt, meine Behinderung als einen Fehler anzusehen – einen Fehler, der eine Stärke ist und aus dem ich was machen kann. Das ist wie damals, wenn man mit Tinte geschrieben, der Füller geleckt und man aus dem Tintenfleck eine Blume gemalt hat. Die Zeit in New York hat mich wachsen lassen. Noch nie habe ich mich psychisch und physisch so fit gefühlt.
Ging man denn in New York anders mit deiner Behinderung um?
Ja. In Deutschland gucken die Menschen mehr und sind irritiert. Aber New Yorker sind zu beschäftigt zum Irritiert-Sein und da sind eben auch so viele abgedrehte Leute … Ich vergleiche das immer mit einer Herde Einhörner. Ich war immer ein einzelnes, einzigartiges Einhorn. Und dann gehst du nach New York – und da sind alle so! Ich habe mich da sehr wohl gefühlt.
Und an der Uni?
In der Uni habe ich von mir aus darauf hingewiesen. Wir wollten schließlich etwas zusammen auf die Beine stellen und da ist Offenheit ganz wichtig. Die Leute sollten wissen, was ich habe. So bin ich immer durch die Klassen und habe allen davon erzählt, auch den neuen Lehrern im neuen Semester. Das war am Ende auch kein Thema mehr. In unseren Yoga-Stunden wurde ich zwar immer doppelt und dreifach gefragt, ob alles in Ordnung sei, aber ich kann eben wegen meiner Behinderung sehr gut durch Schmerz und Ungemütlichkeit hindurchatmen. Das war kein Problem. Da gab es Leute ohne Behinderung, die mehr gejammert haben.

Wie können wir uns dein bisheriges Studium vorstellen – wie sah ein typischer Tag für dich aus?
Grundsätzlich waren wir sehr lange in der Schule, teilweise bis zu zehn Stunden am Tag. Davor habe ich immer eine halbe Stunde Sport gemacht und nach der Schule wurden Texte gelernt, Hausaufgaben gemacht und geprobt. Manchmal waren aus Gastredner an der Schule, zu deren Vorstellungen ich freiwillig gegangen bin. Es war wie ein Bootcamp. Ich hatte immer das Gefühl nach einem guten, erschöpfenden Tag wieder auftanken zu müssen.
Hast du irgendein Ritual bevor du auf die Bühne gehst?
Wir haben vor einer Vorstellung eine halbe Stunde Warm-Up, Partnerszenen natürlich mit dem Partner. Da machen wir Zungen-Stretching und Stimmen-Warm-Ups. Ich persönlich fokussiere mich auf meine Rolle. Ich will dem Publikum eine Geschichte erzählen. Da geht es nicht mehr um mich, nur diese Geschichte und mein Charakter spielen eine Rolle.
Hast du eine Traum-Rolle?
Das ist eine schwere Frage. Ich mag “Breakfast at Tiffany’s”, aber würde es davon eine Neuverfilmung geben, würde ich mich wahrscheinlich nicht trauen vorzusprechen. Ansonsten bin ich großer Kafka-Fan. Sollte mal Der Prozess produziert werden und sie würden die Hauptrolle weiblich besetzen, wäre ich dabei.
