Das Wintersemester hat begonnen. Jetzt stehen Professoren und Studenten wieder unter gegenseitiger Beobachtung. Wie haben soziale Medien und überbehütete Studienanfänger den Hochschuldozenten verändert?
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„Vor 30 Jahren hätte ich hier mit Zigarre und Wampe vor Ihnen gesessen“, sagt Heinz Drügh und lacht. Das Bild mag übertrieben sein – aber mit Jeans und Turnschuhen, die er heute trägt, hätte es sich der Frankfurter Germanistikprofessor zum Ende des 20. Jahrhunderts auf seinem Holzstuhl, Modell Bruchsicher, sicher nicht gemütlich gemacht. Oder wäre, wenn doch, von seinen Kollegen mit nichts Gutes verheißenden Blicken bedacht worden. „In meiner Studienzeit haben wir immer Witze gemacht, darüber, dass es doch wohl so Shops geben müsse, in denen die Profs alle immer ihre Herbstfarben-Outfits bestellen. Es ist ja eindeutig so: Wie man redet, was man anzieht, wie man auftritt, das sind alles kleine Statements“, sagt Drügh.
Fühlen sich Professoren heute stärker beobachtet als früher? „Aufmerksamkeit ist die Währung, in der wir bei den Lehrveranstaltungen bezahlt werden“, sagt Drügh, „das ist ja eine Art Bühnensituation. Das kann am Anfang enttäuschend sein, Studierende sind da auch ziemlich gnadenlos. Einmal hat sich jemand in meine Vorlesung vorne hingesetzt und so superoffensiv Krautsalat gegessen, und die ganze Soße tropfte an seinem Kinn runter – das ist mir bis heute hängengeblieben, weil es so grauenhaft war“, berichtet der 51-Jährige.
Viele Studierende verlassen auch einfach mal mittendrin den Saal, wenn sie in der Teilnehmerliste unterschrieben haben und die Diskussion langweilig ist oder die Performance der Lehrenden nicht überzeugt. Doch wie im Theater müssen an der Universität zumindest diejenigen in der Veranstaltung bleiben, die auf der Bühne stehen – oder? „Wenn niemand den Text gelesen hat, mache ich in extremen Fällen auch mal nach fünf Minuten Schluss, weil das dann einfach keinen Sinn hat“, sagt Julika Griem, Anglistin und Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Ist der Kanon zu langweilig?
Im Machtgefälle zwischen Lehrenden und Studierenden ist Desinteresse für Letztere oft nur der bequemste Weg, durch das Modul hindurch zu kommen, aber womöglich ist es auch die schärfste Waffe der Entnervten unter ihnen. Denn immer häufiger müssen Studenten mitansehen, wie das, was doch eigentlich ihr Ding ist, nun genauso von denen auf der anderen Seite des Hörsaals ausgeübt wird: die Popkultur der Generationen Y, Z, ff.

Heinz Drügh zum Beispiel ist Mitherausgeber der Zeitschrift „Pop. Kultur & Kritik“ und hat ein Buch über die „Ästhetik des Supermarkts“ geschrieben, in dem er unter anderem die „Edeka“-„Supergeil“-Werbung analysiert: Sie sei so erfolgreich gewesen (16 Millionen „YouTube“-Aufrufe), weil sie Kritik und Affirmation des Konsums zugleich verkörpere.
Mit der Serie „The Wire“, mit Affen, „Interferenzen zwischen Literatur und neueren Medien“, und sogar dem Sexsexsex-Bestseller „Fifty Shades of Grey“ hat sich die Anglistikprofessorin Julika Griem schon beschäftigt. Aber warum? Ist der Kanon zu langweilig geworden im Gegensatz zu neuen, feschen Autoren und Inhalten, über die doch scheinbar alle reden?
„Die Trennung zwischen U und E ist ja ohnehin nicht so klar zu setzen, wie es scheint“, gibt die Professorin für Kunstgeschichte Regine Prange in ihrem Büro auf dem alten Campus Bockenheim zu bedenken. „Schon zu Beginn dieses Jahrhunderts wird die Hochkunst gebrochen durch Massenmedien und Trivialästhetik. Spätestens bei Pop-Art wird es dann ja ganz offensichtlich.“
Wer will schon der Lehrerclown sein?
In universitären Veranstaltungen spielen populäre Stoffe eine immer größere Rolle. In Seminaren wird Josef K. mit Walter White verglichen (beide mit Bindungsproblemen!) und Haftbefehl mit Wilhelm Tell (Rütlischule vs. Rütlischwur). Es bleibt nicht länger verborgen, dass auch Professoren Serien gucken, pumpen gehen, Alltags-, Umgangs- und Jugendsprache verwenden, twittern, Selfies machen und witzig sein wollen. Zuweilen scheint es sogar, als fänden sie sich im popkulturellen Angebot unserer Zeit besser zurecht als ihre Studierenden, als partizipierten auch sie nun bewusst an der Coolnessspirale, aus deren engeren Schleifen sie manch anderen nonchalant verdrängen.

Dozentenprofile auf „Facebook“ entdecken: jedes Mal ein Fest. Welche Bilder posten, welche Seiten liken, was für Sachen schreiben sie? Sind sie mit anderen Dozenten befreundet – oder gar mit Kommilitonen? Wollen die Hochschullehrenden bei Studierenden Anerkennungspunkte einsacken, Interesse ködern, Nähe herstellen? „Es gibt nichts Peinlicheres als 55-Jährige, die sich wie 25-Jährige verhalten“, findet Julika Griem: „Wieso sollte ich so tun, als wäre ich eine von Ihnen?“. Popkulturelle Referenzen verwende sie trotzdem gerne: „Jeder meiner Studenten sollte irgendein Interesse mitbringen, und sei es an Comics aus den späten Achtzigern. Von da aus kann man die Leute dann zu klassischen, ihnen fremden Stoffen hinführen. Dafür muss man miteinander reden, der Lehrende muss auf das eingehen, was Studenten gerne mögen.“ Und Drügh ergänzt in seinem sonnigen Südseitenbüro: „Das sind Angebote, die wir machen: Leute, wir können jetzt entweder über was Zeitgenössisches reden oder halt über Heine. Die heutigen Professoren sind ja auch alle selbst schon popsozialisiert, gehen ins Kino, gucken Fernsehen. Außerdem haben viele von ihnen Kinder. Klar, ich will was beibringen – aber ich will auch gemocht werden“, sagt der Germanist Drügh: „Es ist ja auch viel produktiver, wenn man sich nicht auf den Keks geht.“
Dem widerspricht Regine Prange: „Es geht mir nicht um Popularität, sondern um die Erfüllung wissenschaftlicher Kriterien. Natürlich bin ich dankbar für Vorschläge, aber da muss dann auch die ästhetische Qualität stimmen.“ Auch sie versteht sich als Vermittlerin zwischen Wissenschaft und Lehrpraxis: „Ich würde es Übersetzungsfunktion nennen. Da gilt es, zuzuspitzen und Vorschläge wie Interessen in fachwissenschaftliches Vokabular zu gießen, theoretische Rahmen und Kontexte zu suchen.“
Es gibt für Professoren aber auch ganz natürliche Grenzen der Nähe, ein Zuviel des Guten. In den meisten Studiengängen sind die Veranstaltungen derart überfüllt, dass konzentriertes Arbeiten kaum mehr vorstellbar ist. „Intime Kommunikation ist da kaum noch möglich, und gerade Schüchterne fühlen sich in den großen Gruppen schnell vorgeführt“, bedauert Julika Griem. Außerdem sind Professoren zwar Beamte, aber vom Ende des Studiums bis zum „Ruf“ ist es ein langer Weg. 10, 15, 20 Jahre voller Unsicherheit. „Es ist ein hochambitioniertes Umfeld“, sagt Drügh. Den Stempel als Lehrerclown zu riskieren, überlegt man sich da zweimal.
Na, Herr Professor, wie isses?!
Stephan Porombka, Professor für Texttheorie und Textgestaltung an der Berliner Universität der Künste, ist einer der exponiertesten Kritiker des universitären mos maiorum. Bei „Zeit Online“ beschreibt er seinen nächlichen Internetkonsum: „Man ist natürlich selbst schuld, wenn man nachts um eins noch bei Facebook surft. So bekommt man von einem Studenten schnell mal eine Live-Nachricht, die mit den Worten ‚Na, Herr Professor, wie isses?!‘ beginnt. Dann tippt er nach kurzer Pause: ‚Könnten Sie mir morgen Mittag einen Schein unterschreiben???‘ Wieder Pause, dann: ‚ES IST ***WIRKLICH*** ÜBERLEBENSWICHTIG‘. Und schließlich: ‚Schlafense gut ;-)‘ […] Wenn die Studenten mich unbedingt erreichen wollen, können sie mir Nachrichten per Briefpost, per e-Mail, per Facebook oder über Twitter senden. Theoretisch auch als Fotobotschaft über Instagram. Die lustigsten Sachen bekomme ich wahrscheinlich bei Snapchat. Und wenn einer meine Handynummer hat, die hier und da heimlich weitergereicht wird, geht es auch per SMS oder Whatsapp.“ Fast möchte man Prombka, als junger Mensch, für seine hervorragenden Verdienste um die Erreichbarkeit der eigenen Person ein Sternchen ins Heft malen, wenn er denn eins hätte.
Neben seiner Kolumne „Professors Praxis“ hat der Literaturwissenschaftler fast zehntausend Twitter-Follower, die er mit irre tiefen Bildern zerstörter Bücher von Autoren der Haute Théorie, Bananenarrangements oder Pferdekopfvideos versorgt. Und auch andere Profs verbringen offenbar viel Zeit vorm PC: Der Leiter der Forschungsstelle für Arbeitsrecht an der Hochschule Ludwigsburg, Arnd Diringer, etwa ist nebenbei Autor bei „Justillon“, einem Portal für „Kuriose Rechtsnachrichten“, und schreibt dort Beiträge wie „Bundeskanzla Makel und da Mörda: Gesetze gendern, aber richtig!“. In seinen Tweets, die an gut zweitausend Follower gehen, verwendet er gerne den Weine-vor-Lachen-Emoji, mit Vorliebe dreimal hintereinander.

„Es gibt definitiv Konkurrenz um Studierende. Man zieht sich seine Leute heran und glaubt ein bisschen an dieses Phantasma: Wer was will, der kommt zu mir“, räumt Drügh ein. In den Social Media halte er sich zu diesem Zweck aber wenig auf, er nutze zwar WhatsApp, aber nur zur Kommunikation mit Freunden und Familie. Bei Griem ist es ähnlich: „Die machen das alle, ist ja auch okay, aber wenn jemand im Seminar 90 Minuten daddeln will, dann bemühe ich mich nicht mehr um den.“ Und auch die Kunsthistorikerin Prange winkt ab: „Es ist ja auch einfach eine Zeitfrage. Ich bin da eher Oldschool.“
An deutschen Universitäten sind die Studienanfänger 2016 im Schnitt 21,6 Jahre alt. Die Angst der Lehrenden vor den neuen Ansprüchen, die von den grünschnäbligen Muttersöhnchen und 17-jährigen Turbogirls an sie gestellt werden, liegt in der Luft wie der Fischpanaden-Duft in der Mensa. Ist die neue Dozenten-Coolness möglicherweise nur das Symptom eines vorauseilenden Gehorsams der Lehrenden, die das infantile Hippnessgame ihrer Studenten wohl oder übel mitspielen, um, aus Angst vor der Leere, den Faden zu ihnen nicht zu verlieren?
Eines ist sicher, mögen Professoren auch noch so divers sein in ihrem Selbstverständnis, in ihrem Umgang mit Kollegen und Studierenden, in ihrem Suchen nach Distanz oder Nähe, in der Qualität ihrer Performance – auch wenn sie sich noch so sehr dagegen wehren: Eine allumfassende gesellschaftliche Infantilisierung hat sie schon erfasst.
Was fuer ein ein Pandaemonium
Ich lehre an einer Universitaet, unter meinem buergerlichen Namen, den ich – eben weil ich an einer Universitaet lehre – fuer mich behalten moechte, wenn ich im Internet unterwegs bin. Ich bin fuer meine Studenten daher auch nicht auf Facebook zugaenglich. Ich bin per E-mail erreichbar, und spreche meine Studenten mit Herr und Frau Sowieso an, auch wenn sie mir ihrerseits mit einem “Hi” kommen. Das Internet kommt in meinem Unterricht als Werkzeug vor, gelegentlich auch um etwas mit einem Video zu illustrieren, etwa den Umstand das es auch andere Faecher gibt in denen es bisweilen muehselig und eben deshalb interessant wird (suchen sie z.B. auf youtube das Video “The Amazing 17-gon”, channel: Numberphile). Ich verfolge die Strategie, die Infantilitaet der grossen Mehrheit meiner Studenten (und Kollegen) zu ignorieren und sie so zu behandeln und zu fordern, als waeren sie erwachsen. Auf diesem Wege laesst sich vielleicht die eine oder der andere aus seinem oder ihrem philosophischen, theoretischen, und politischen Analphabetismus erretten, den eine infantilisierende, anti-demokratische und zutiefst inhumane neue Erziehungswissenschaft und neoliberale Bildungspolitik allenthalben befoerdern. Und auf diesem Wege erwirbt man sich schliesslich auch den Respekt seiner Studenten, ganz gleich, ob man dazu die neuesten Sneakers, oder, ganz old-school, Stoeckelschuhe traegt.
Heuristik
Sollten Kläranlagenbauer und Auspuffentwickler sich mit der Ethik von Naturwissenschaften beschäftigen, damit die Menschheit nicht hopp geht? Tolles Arbeitsbeschaffungsprogramm: erst für Abfall und Abgase sorgen, um sie danach zu entsorgen. HumanitiesEmpfehlung: Hans Blumenberg ” Schriften zur Technik “. Soviel zu den Freundinnen und Freunden von der Bastelfront. Man beachte die Folgen und Nebenwirkungen werter AgrarChemiker.
leider oldschool
unsereins ging´s einst um (klassiche und “moderne”) inhalte…
Naja
Ich erlebe meinen Unialltag eher so, dass es den Dozent_innen ziemlich egal ist, wie sie bei den Studierenden ankommen. Sind halt selbständige Persönlichkeiten, die nicht jedem möglichen Beifall hinterherhecheln…
Es entbehrt nicht einer gewissene Ironie...
…wenn ein 20jähriger eine “eine allumfassende gesellschaftliche Infantilisierung” festgestellt haben will.
Ansonsten ganz interessanter Artikel.
Soviel zu den humanities
Und wie sieht es bei den sciences aus? Kann ein Kohlenstoffatom hipp sein?
Schon mal was von buckyballs gehört?
Schon allein der Name ist doch wohl hipp genug :-)
Sehr richtig! - und ich sage das ...
… als Geisteswissenschaftler.
CO²
Bereits zu Schulzeiten erschuf man lustige Kohlenstoffdioxid-Moleküle in der Lewis-Formel.
Zeichnet man (ohne Berücksichtigung der Elektronegativität) ein CO² (Verzeihung für die Falsche Platzierung des indices) im rechten Winkel, erinnert dieses fast an einen Smiley (Augen entsprechen O (Mit Valenzelektronen als Augenbrauen), C bildet die Nase, den Mund muss man sich dazudenken)