Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Novalis und der Tagebau: Kartierung des Utopischen

Die Zeichen stehen auf Veränderung, das Ende der Braunkohleförderung im Großtagebau Profen ist in Sicht. Erkundet wurden die Lagerstätten einst von dem Romantiker Friedrich von Hardenberg  – man täte gut daran, sich jetzt an seinen Utopismus zu erinnern.

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Novalis-Gedenkstein vor der Abbruchkante

Die Straße von Hohenmölsen nach Profen ist leer und wird nun schon eine ganze Weile beidseitig von Absperrungen begleitet. Die Abfahrt auf den Parkplatz des angesteuerten Aussichtspunktes wirkt daher wie eine versehentlich offengelassene Stelle im Zaun. Es liegt Regen in der schwülen Luft und schon beim Öffnen der Tür ist dieses Rauschen klar und laut zu vernehmen, das schon im Auto hintergründig und leise zu hören war. Durchbrochen wird es immer wieder durch ein Quietschen, das den mechanischen Ursprung des Geräuschs zu erkennen gibt. Die Geräuschkulisse kündet vom Bagger, dem unnachgiebigen, stahlgewordenen Behemoth jedes Tagebaus.

Dieser hier in Profen, das verrät die Betreiberin MIBRAG auf ihrer Webseite, ist 40 Meter hoch und wiegt 2820 Tonnen. Er trägt die Typenbezeichnung 1580-SRs2000. Doch man kann ihn nur hören, nicht sehen, denn er ist derzeit auf dem Abbaufeld Domsen eingesetzt. Der Aussichtspunkt lässt jedoch nur einen Ausblick auf das gegenüberliegende Abbaufeld Schwerzau zu, das fast ausgekohlt ist. Vom etwas überdimensioniert wirkenden Parkplatz führt ein kleiner Weg zu einer Plattform, an dessen Ende sich ein bemerkenswertes, aber kaum auffälliges kleines Denkmal befindet. Es ist ein schmuckloser Gedenkstein zu Ehren Friedrich von Hardenbergs – jenes jungverstorbenen Frühromantikers, der sich auf dem Feld des Poetischen und Spekulativen Novalis nannte, der mit der blauen Blume das Sehnsuchtssymbol einer ganzen Bewegung schuf und dessen einziges überliefertes Bildnis, ein undatiertes Ölgemälde, eine seltsam zarte, fast androgyne Gestalt zeigt – was suchte er ausgerechnet hier?

Ein romantisches Loch

Wie viele seiner frühromantischen Freunde kann auch von Hardenberg als Universalgelehrter gelten. Ein kurzer Blick in die Biografie des 1801 bereits im Alter von 29 Jahren Verstorbenen lässt erahnen, wie intensiv seine letzten Lebensjahre verlaufen sind. Zunächst absolvierte er ein Jurastudium in Jena, Leipzig und Wittenberg und diente danach als Verwaltungsbeamter im provinziellen Tennstedt, ehe er sich 1797 an der Bergakademie Freiberg – unter anderem beim damals weit über die Grenzen der kleinen Stadt hinaus bekannten Geologen Abraham Gottlob Werner – dem Studium der Bergbaukunde widmete. Philosophie und Schriftstellerei waren für den jungen Gelehrten zeitlebens eigentlich nur, wie er es einmal ausdrückte, eine „Nebensache“. Nicht nur unter seinem Dichterpseudonym, sondern auch als Jurist und Naturwissenschaftler hat von Hardenberg, der von 1796 an zunächst in der kursächsischen Salinenverwaltung Weißenfels angestellt war und dort 1799 ein Staatsamt als Assessor übernahm, Errungenschaften von besonderem Wert hinterlassen. Ob man ihrer ohne den Dichterruhm noch erinnern würde, ist allerdings zweifelhaft. Jedenfalls ruft der Gedenkstein in Erinnerung, dass die beiden Existenzen niemals getrennt voneinander betrachtet werden sollten – ihm sind beide Namen eingraviert: Friedrich von Hardenberg und Novalis.

Rohbraunkohle, hier ausgestellt in der Novalis-Gedenkstätte Weißenfels

Doch warum steht dieser Stein nun ausgerechnet hier, unmittelbar vor der Abbruchkante des Tagebaus? Dafür gibt es gute Gründe. Der sich um 1800 stark industrialisierenden Salzwirtschaft ging das Holz aus. Ein neuer, effizienterer Energieträger zur Salzsiedung wurde gesucht und in der Braunkohle gefunden, deren Förderung in großem Maßstab vorangetrieben werden sollte. Für diese Aufgabe schien Friedrich von Hardenberg als junger Absolvent der Bergakademie prädestiniert. Dass die Region auf Kohle lag, war zwar seit Jahrhunderten bekannt, jedoch war ein Abbau größeren Maßstabs bis dato nicht möglich, da die Vorkommen des Gebiets noch nicht hinreichend untersucht und nur unzureichend kartografisch verzeichnet worden waren. Im Jahr 1800 konnte von Hardenberg seinem geschätzten Lehrer Werner in Freiberg eine erste Studie der Vorkommen vorlegen. Auch das Flurstück des heutigen Großtagebaus hatte er untersucht. Die Ortschaft Domsen, dort wo heute der Bagger unnachgiebig schaufelt, findet sich bereits als Lagerstätte in Novalis’ Braunkohlebrief verzeichnet. Darüber hinaus enthält das Schriftstück für die damalige Zeit innovative Überlegungen zu Gewinnung und Nutzbarmachung des Energieträgers. Die folgenden Zeilen stammen aus der Feder von Hardenbergs. Mit der intellektuellen Präzision und Kühnheit, die seinen weitaus bekannteren literarischen und philosophischen Schriften eigen ist, widmet er sich hier dem Braunkohleabbau. An Werner schreibt er:

„Der Abbau geschieht theils über Tage durch Abraum, theils unterirdisch, durch Bruchbau. Die Wahl zwischen beiden Arten, bestimmt sich nach Berechnungen. […] Da mit dem Abraum der ausgeförderte Raum wieder aufgefüllt und planirt werden muß, so sucht man ihm auch schon um deswillen in die Nähe zu bringen und ihn nicht einer künftigen Förderung in den Weg zu legen. Theilt man sich gleich im voraus das auszufördernde Feld in die gehörigen Abräume, so kann man sich manche Verlegenheit ersparen. Kennt man durchgängig die Verhältnisse des Kohlenstandes und Abraums darinne, durch gutgewählte Bohrlöcher, so wird man auch nicht in den gewöhnlichen Fehler fallen, anfänglich gleich die besten Stellen abzubauen und hinterdrein nur eine magere und theuere Förderung übrig zu behalten, sondern gehörig gute und schlechte Förderungsplätze verbinden.“

Dieser Brief, der in gewisser Weise schon den großflächigen Tagebau als ökonomisch günstigste Lösung nahelegt, kann laut dem Germanisten und Novalis-Biografen Gerhard Schulz als erster authentischer Bericht über den Abbau von Braunkohle überhaupt gelten.

Der Mönch am Meer in Sachsen

Blickt man heute von der Aussichtsplattform in die Weite des Tagebaulochs, fällt es allerdings schwer, die Vorüberlegungen des berühmten Romantikers anzuerkennen. Wobei es als zweifelhaft gelten muss, ob von Hardenberg mit seiner Kartierung und Prospektierung der Lagerstätten an einen Abbau in diesem Ausmaß dachte. Doch befreit man die Romantik von ihrem durch Popularisierung gewebten Mantel des Schönen, Verträumten und Sanften, dann ist der Ausblick hinein in dieses gewaltige Loch eben irgendwie auch romantisch.

Das hier ist ein Ort, an dem sich dem Menschen des 21. Jahrhunderts noch etwas offenbart, was er aus den Gemälden Caspar David Friedrichs nur noch mühevoll rekonstruieren kann. Die wohl bekanntesten Bilder Friedrichs zeigen ja Figuren, die sich einer überwältigenden Schau hingeben. Doch sowohl Friedrichs Mönch als auch seinem Wanderer schauen wir heute wohl vor allem wegen ihres auratischen Reizes noch ehrfurchtsvoll über die Schulter. Der kontemplative Moment ihrer innehaltenden Ausschau hingegen überträgt sich kaum noch auf den modernen Betrachter – sind doch die Momente, die sie zeigen, spätestens seit der Bilderflut des digitalen Zeitalters gnadenlos ökonomisiert, profaniert und verkitscht.

„Tagebauromantik“ – Ausblick auf das Abbaufeld Schwerzau

Hier jedoch, allein auf dieser kleinen Plattform, fühlt man sich dann doch vielleicht für einen Augenblick wie Friedrichs Mönch vor dem „Meer in Sachsen“, als das der Büchnerpreisträger Wolfgang Hilbig diese Landschaft einst bezeichnete. Eben jenes kurzzeitige Innehalten und Sinnieren, dieser dort ganz real erfahrene Moment der reinen Kontemplation rückt diesen Ort in bemerkenswerte Nähe zu klassisch-romantischen Bildwelten.

Ganz weit weg wirkt in diesem Augenblick der kleine Parkplatz; das Geräusch des Baggers scheint kurz verstummt. Über die zunächst rein ästhetisch reizvolle Schau eröffnet sich der Horizont einer weiteren Hinterfragung des Gesehenen. Es hat leicht zu regnen begonnen, und der nass schimmernde Gedenkstein sorgt auf dem Rückweg zum Auto für einen gewichtigen Denkanstoß. 2035 soll hier mit der Förderung Schluss sein. Wie es danach in dieser Region weitergehen soll, ist derzeit offen. Als der Scheibenwischer nach der Anfahrt seine ersten Halbkreise in die Frontscheibe zeichnet, sammelt sich an den Rändern dieser ganz feine bräunliche Staub, der hier alles bedeckt.

Ein gewaltiger Umbruch steht dieser Region ein weiteres Mal bevor die Ankündigung der Bundesregierung, aus den Kohleregionen mit Hilfe eines milliardenschweren Förderpakets Zukunftsregionen zu machen, verlangt visionäre Denker. Es ist zu hoffen, dass sich die Verantwortlichen ihrer Aufgabe mit gleicher Emphase widmen, wie es einst von Hardenberg bei seiner geologischen Pionierarbeit tat. Ganz im Sinne seiner erkenntniskritischen Idee müssen Gegenden wie diese zukünftig „romantisiert“ werden. Dem Gemeinen einen höheren Sinn geben – darum wird es hier schon bald gehen.